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Latest revision as of 15:49, 26 August 2008
Vor Johnsons Garage in Brockton. Nicola Sacco und Rosa Sacco sind gerade angekommen.
SACCO. Vanzetti ist noch nicht hier. Wenn er Boda nicht mitbringt, steure ich das Auto selber.
ROSA. Hat Coacci seine Koffer wieder?
SACCO. Ich glaube nicht. Albernheit, diese ewige Schnüffelei nach Schriften, wo er in den nächsten Tagen doch Amerika verlassen muß. Dieser Defekt von Bodas Auto kommt sehr ungelegen. Wir haben Eile, unsere Literatur fortzuschaffen.
ROSA. Es ist solche Unruhe in mir. Ich wäre froh, wenn unser Paß endlich in Ordnung wäre.
SACCO. Die Herren lassen sich Zeit. Vor drei Wochen war ich deswegen in Boston. Sie schickten mich wieder weg, weil unsere Photographie im Format zu groß war. Trotzdem, sosehr ich mich sehne, jetzt nach Mutters Tod unseren Vater wiederzusehen – es ist gut, daß wir noch nicht unterwegs sind. Ich bin jetzt hier nötig.
ROSA. Daß dir nur nicht noch etwas zustößt! Mir ist bange, sobald du fort bist.
SACCO. Das macht dein Zustand. Quäle dich nicht, du mußt unsern Dante füttern und das Kleine, das kommen soll, und mich braucht die Sache.
ROSA. Du kennst mich doch, Nicola, daß ich dich nicht am Rock halte, wenn du für die Bewegung arbeiten willst.
SACCO küßt sie. Du bist ja meine tapfere Frau und kluge Genossin, Rosa. Freilich, jetzt kommen schwere Tage. Salsedos schreckliches Ende ist ein Anfang.
ROSA. Der Arme!
SACCO. Elia sollen sie sofort entlassen und ausgewiesen haben. Er wird zuviel wissen. Was bewegt sich denn da hinten auf der Chaussee? Ist das ein Baum?
ROSA. Aber das ist doch ein Mensch. Er kommt auf uns zu. Es wird Vanzetti sein.
SACCO. Wahrhaftig! Winkt. Hallo, hierher!
VANZETTI. Guten Tag, Sacco, guten Tag, Genossin Rosa.
SACCO. Ich hatte dich für einen Baum angesehen.
VANZETTI. Das kommt von meinem Beruf her. Hamlet hat einmal einen Fischhändler mit einem Staatsmann verwechselt.
ROSA. Hamlet? Wer ist das?
VANZETTI. Ein dänischer Prinz in einem Drama von Shakespeare. Ich erzähle euch nächstens seine Geschichte.
SACCO. Siehst du, Bartolomeo weiß Bescheid in der Literatur. Er schreibt selbst Gedichte, weißt du das?
VANZETTI. So gut eben ein Prolet dichten kann.
ROSA. Oh, ich habe schon Verse von dir gelesen, sehr schöne.
SACCO. Ist alles in Ordnung, Vanzetti?
VANZETTI. Die Schriften liegen bereit, wir brauchen sie bloß abzuholen.
SACCO. Hast du das Flugblatt für die Versammlung geschrieben?
VANZETTI. Hier, genau wie wir alles mit Colombo und d' Alessandro besprochen hatten. Der Saal ist doch fest gemietet?
SACCO. Natürlich, die Clark Hall hier in Brockton. Pardo Montagano war gestern abend noch bei mir. Er hat alles abgemacht. Die Hauptrede wirst doch du halten?
VANZETTI. Es wird am besten sein, da ich selbst in New York war. Ich habe viel Material. Die beiden sind entsetzlich gemartert worden.
ROSA. Es ist grauenhaft. Haben sie Salsedo aus dem Fenster hinausgeworfen?
VANZETTI. Bestimmte Nachrichten fehlen noch. Er kann auch Selbstmord begangen haben.
SACCO. Elia soll schon fort sein.
VANZETTI. Er bekam gestern früh Befehl, bis mittags auf dem Schiff zu sein. Ich sprach mit Rechtsanwalt Moore. Er erzählt, daß Elia in der Zwischenzeit noch bei dem New-Yorker Advokaten Nelles war und zu Protokoll gegeben hat, daß er und Salsedo schrecklich gefoltert worden sind, um Geheimnisse herauszupressen. Er war so schwach und gehetzt, daß er nur mit Mühe sprechen konnte. Jetzt ist er auf der Fahrt nach Italien.
ROSA. Ich beneide ihn trotzdem darum.
SACCO. Geh jetzt nach Hause zu Dante, Rosa. Sag ihm, ich spiele heute noch mit ihm. Ich komme bald nach, sobald wir die Schriften in Sicherheit haben.
ROSA. Ich werde froh sein, wenn du daheim bist. Ab.
VANZETTI. Du bist ein glücklicher Mensch, Sacco.
SACCO. Ich bin zufrieden, dies Weib zu haben.
VANZETTI. Und das Kind!
SACCO. Das zweite ist auf dem Wege. Ja, weißt du, dir hilft in dem schweren Kampf gegen die Feinde des Proletariats, gegen den Staat und die bürgerliche Gesellschaft, deine Beschäftigung mit der Poesie und den Wissenschaften dich im Gleichgewicht zu halten. Ich brauche meine Familie dazu, ich muß Hausvater sein, um über die Gegenwart hinaus für die Zukunft zu schaffen.
VANZETTI. Ganz kommt keiner von uns von solchen persönlichen Bindungen los. Ich habe außer meinem alten Vater eine Schwester, Luigia, an der hängt mein Herz. Aber ich glaube nicht, daß die Blutsverwandtschaft viel ausmacht; sie hilft nur, einige Menschen genauer als andere kennenzulernen, und wenn wir dabei Kameraden in ihnen finden, dann freilich müssen wir sie sehr lieben.
SACCO. Ja, ohne geistige Verbindung in der Idee ist Familie nur Ballast. – Pause. Wollte nicht Orciani noch herkommen oder Boda?
VANZETTI. Vielleicht kommt noch einer der Genossen. Es ist zwar nicht wahrscheinlich, daß sie den Arbeitstag versäumen werden. Aber wir können noch warten.
SACCO. Es ist schwer durchzukommen in dieser Zeit.
VANZETTI. Dir besonders ist es gewiß nicht leicht gemacht worden.
SACCO. Wenn ich dran denke, mit was für Erwartungen ich aus Torremaggiore auswanderte. Dann konnte ich mich jahrelang in allen möglichen Berufen herumstoßen lassen, bis ich das Handwerk lernte, Schuhe zuzuschneiden. Seitdem ist es ja leidlich gegangen. Ich habe mein Häuschen, meinen hübschen Garten.
VANZETTI. Hat dir eigentlich deine Tätigkeit als Anarchist nie bei deinen Arbeitgebern geschadet?
SACCO. Wenig. Nur während des Krieges, wo wir zusammen vor der Einberufung nach Mexiko flüchteten – das war hart, die Frau und das kleine Kind allein zu lassen. Aber seitdem hat immer meine Brauchbarkeit als Arbeiter den Widerstand der Fabrikherren gegen den Revolutionär gebrochen. – Schließlich weiß ein Mann wie mein jetziger Arbeitgeber, Kelley, doch auch, wem er während langer Zeit das Amt des Fabriknachtwächters anvertrauen konnte. Ich hätte mit Leichtigkeit dabei Lederwaren für mindestens 20000 Dollar verschwinden lassen können. Ach, Vanzetti, ich wollte, ich dürfte mich außer der Arbeit für die Freiheit ganz der Gärtnerei und unserem Hausstand widmen.
VANZETTI. Weißt du, was ich am liebsten wäre? – Lehrer. Dazu fühle ich das Zeug in mir. Na, das ist vorbei. Dazu hätte ich in der Jugend Gelegenheit haben müssen, den Grund zu legen. Aber für den Proletarierjungen hieß es einfach: hinaus in die Welt und Brot verdienen! Seit ich mit dem Karren durch Plymouth schiebe und Aale verkaufe, komme ich ja ganz gut zurecht. Dabei ist das Handwerk nicht mal so leicht, wie du glauben magst. Sieh, ich muß oft nach Boston fahren, Fische einkaufen. Dazu muß ich 80 bis 120 Dollar bar in der Tasche haben. Die müssen erst beisammen sein. Und was in der letzten Zeit nicht alles vorkommt an Straßenräubereien und Diebstählen. Für den Zweck trage ich jetzt immer einen Revolver bei mir – da, schau. Zeigt ihn.
SACCO. Ist er geladen?
VANZETTI. Ich hab ihn geladen gekauft, aber noch nie einen Schuß daraus abgegeben. Ich besitze auch keine Munition weiter. – Hallo, aber vier leere Patronenhülsen habe ich noch. Die soll ich in Plymouth einem Nachbarn bringen, der sie für die Jagd braucht. – Hast du eine Waffe?
SACCO. Zufällig sogar bei mir – den Revolver, den ich als Nachtwächter haben mußte. Ich trag ihn in der Innenseite der Hose; ein Haufen Patronen sind auch noch dabei. Ich wollte sie vor der Abreise nach Italien längst mal im Walde abfeuern, um sie loszuwerden – hab's immer wieder vergessen.
VANZETTI. Ich hoffe, daß ich meine Kugel niemals aus dem Lauf zu lassen brauche. Aber was soll man tun, wenn einem so etwas passiert wie neulich den Leuten von der Schuhfabrik in South Braintree?
SACCO. 25000 Dollar sind für die Ergreifung der Mörder ausgesetzt, und dabei keine Spur.
VANZETTI. Sie fahnden nach einem kleinen Auto, das bei der Geschichte die Hauptrolle gespielt haben soll. Es wird behauptet, es wäre derselbe Wagen gewesen, mit dem vorher der Mordversuch in Bridgewater unternommen worden ist. Na, wir beide werden uns den Angeberlohn nicht verdienen wollen. Die Räuber werden sich auch vorgesehen haben. Verwegene Gesellen müssen es schon sein.
VANZETTI. Arme Teufel sind es, Sacco! Sie denken nur an die eigene Not und ihren eigenen Vorteil. Eine große sittliche Idee reguliert ihre Handlungen nicht, und daher gilt ihnen das Leben eines Nebenmenschen so wenig, wie dem Staat das Leben von Proletariern gilt. Ihr eigenes Leben fühlen sie nicht verbunden mit dem ihrer Klasse, und werden sie gefaßt – was für ein Ende steht ihnen bevor? Der elektrische Stuhl!
SACCO. Bei lebendigem Leibe geröstet werden – ich danke!
VANZETTI. Um das Ende zu finden, braucht man freilich hierzulande noch kein Mörder zu sein. Denk an die Galgen von Chicago! Und wieviel hat gefehlt, daß Tom Mooney nicht denselben Weg gehen mußte!
SACCO. Du darfst nicht vergessen, in der Clark Hall am Neunten die Freilassung von Tom Mooney und Warren Billings zu verlangen!
VANZETTI. Keine Sorge! Unser armer Freund Salsedo soll nur der Ausgangspunkt sein, um mit der Klassenjustiz gründlich Fraktur zu reden. Ich werde ihnen weder Tom Mooney und Warren Billings schenken noch den Centralia-Skandal, und sogar daran werde ich sie erinnern, daß sie der langsame Tod Zehntausender von Proletariern nicht schert, die das staatliche Elend in die Zuchthäuser gebracht hat, daß sie aber wegen zweier Toter, die zufällig ohne ihr Zutun ermordet wurden, die ganze Bevölkerung von Massachusetts hinter einem verschollenen Auto herjagen.
SACCO. Hör mal, Vanzetti, ich meine, es wird doch Zeit, daß wir jetzt mal wenigstens nach unserem Auto sehen. Von den Genossen kommt doch wohl keiner mehr.
VANZETTI. Gut, ich will läuten. Klingelt.
SACCO. Wir möchten das Auto abholen, das Mr. Boda zur Reparatur hergebracht hat.
FRAU JOHNSON. Haben Sie eine Vollmacht von Mr. Boda?
SACCO. Ist Mr. Simon Johnson nicht selbst da? Der kennt mich.
FRAU JOHNSON ruft in die Garage. Simon, komm rasch vor!
JOHNSON. Ah, Mr. Sacco! Sehr erfreut. Sie wollen Mr. Bodas Auto abholen? Bitte, die Reparatur ist fertig. Wollen Sie hintergehen und den Wagen selbst herausfahren? Verbeugt sich vor Vanzetti. Johnson ist mein Name, Simon Johnson.
SACCO. Das ist mein Freund Bartolomeo Vanzetti – ich stehe für ihn ein.
JOHNSON. Oh, das genügt mir. Das genügt mir selbstverständlich. Sacco und Vanzetti begeben sich in die Garage. Zu seiner Frau. Schnell, telefoniere an die Polizei, daß zwei italienische Anarchisten da sind, um Bodas Auto zu holen.
Sacco und Vanzetti kommen wieder heraus.
SACCO. Aber Mr. Johnson, so können wir das Auto gar nicht mitnehmen. Es ist keine Nummer und kein Namensschild dran.
JOHNSON. Wirklich nicht? Richtig – richtig – ich erinnere mich, das ist vergessen worden. Ja, das ist mir schrecklich unangenehm, da müssen sich die Gentlemen morgen schon noch einmal herbemühen.
VANZETTI. Vorher können Sie die Schilder nicht beschaffen?
JOHNSON. Leider nein, Mr. Vanzetti. Nehmen Sie es bitte nicht übel. – Also auf Wiedersehen! Morgen bekommen Sie den Wagen ganz bestimmt. Auf Wiedersehen. Ab, schlägt das Tor zu.
VANZETTI. So ein Ochse!
SACCO. Ohne Bezeichnung können wir natürlich mit dem Auto nicht losfahren. Die Polizei hält uns am nächsten Ort an, und wir fliegen mit der ganzen Literatur auf.
VANZETTI. Gefährlich ist es sowieso schon. Die Polizei hat sicher davon Wind, daß wir am Neunten die Versammlung vorhaben.
SACCO. Um so weniger dürfen wir noch extra ihre Aufmerksamkeit auf unseren Wagen ziehen.
VANZETTI. Übrigens, falls wir irgendwie Pech haben sollten, wir kennen selbstverständlich weder einen Boda noch sonst jemanden, nach dem man uns fragt.
SACCO. Darüber ist doch kein Wort zu verlieren. – Komm, wir fahren zusammen zu uns, die Elektrische steht gerade da. Rosa wird sich freuen, wenn ich so früh da bin.
Die Bühne bleibt kurze Zeit leer.
KOMMISSAR läutet heftig. He, Mr. Johnson!
JOHNSON öffnet. – Hier, Kommissar!
KOMMISSAR. Wer war hier?
JOHNSON. Zwei Anarchisten. Den einen, Sacco, kenne ich persönlich, der andere heißt Vanzetti.
KOMMISSAR. Und wo sind sie geblieben? Ich habe sie zu verhaften.
JOHNSON. Dort gehen sie ja noch. Sehen Sie, eben steigen sie auf die Straßenbahn auf. Fahren Sie zu, fahren Sie zu! Sie holen sie leicht ein. Viel Glück zum guten Fang!
KOMMISSAR. Marsch, auf die Räder! Den beiden nach!
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