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Fetischismus

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Dieser Artikel behandelt den ökonomischen und nicht sexuellen Fetischismus

Von Fetisch spricht Marx nur in Bezug auf Ware, Geld und Kapital (vgl. Waren- und Geldfetisch und Kapitalfetisch): Ein bestimmtes soziales Verhältnis erscheint als dingliche Eigenschaft. Von Mystifikation spricht er, wenn ein bestimmter Sachverhalt notwendigerweise verkehrt erscheint: Im Lohn erscheint die Bezahlung des Werts der Arbeitskraft als Bezahlung des Werts der Arbeit (siehe: Wert der Arbeit).



Was Marx im ”Kapital” als Fetischismus und Mystifikation bezeichnet, sind Verkehrungen, die nicht aufgrund einer Manipulation der Herrschenden entstehen, sondern aus der Struktur der bürgerlichen Gesellschaft und der diese Struktur beständig reproduzierenden Handlungen entspringen. Dass Marx dabei von Fetischismus spricht, ist eine deutliche Spitze sowohl gegen die aufklärerisch-rationalistische Selbstgewissheit der bürgerlichen Gesellschaft, als auch gegen das empirische Selbstverständnis der politischen Ökonomie, die genau diesem Fetischismus aufsitzt.


Die unterschiedlichen Fetischformen und Mystifikationen (Waren- und Geldfetisch, Kapitalfetisch und Mystifikation der Lohnform) stehen nicht unverbunden nebeneinander. Sie bilden ein Ganzes, das Marx am Ende des dritten ”Kapital”-Bandes unter dem Titel ”Die trinitarische Formel” zusammenfassend skizziert (MEW 25, S. 822 ff.).



Staat und Öffentlichkeit stellen, wie oft hervorgehoben wird, einen Kampfplatz unterschiedlicher Interessen dar; in einem demokratischen System ist dies besonders deutlich zu sehen. Allerdings ist dieser Kampfplatz kein neutrales Spielfeld. Vielmehr wirkt sich dieses Spielfeld strukturierend auf die Auseinandersetzungen und die aus ihnen resultierende politische Praxis aus. Die staatliche Politik ist zwar keineswegs durch die ökonomische Situation vollständig determiniert, bei ihr handelt es sich aber auch nicht um einen offenen Prozess, bei dem alles möglich wäre. Einerseits spielen etwa Auseinandersetzungen innerhalb und zwischen den Klassen sowie die relative Stärke und Konfliktfähigkeit einzelner Gruppen etc. eine wichtige Rolle, so dass unterschiedliche Entwicklungen stets möglich sind. Andererseits muss die Politik aber immer auch dem kapitalistischen Gesamtinteresse an einer gelingenden Kapitalakkumulation Rechnung tragen. Parteien und Politiker mögen von ihrer Herkunft und ihren Werthaltungen her durchaus unterschiedlich sein; in ihrer Politik, insbesondere wenn sie an der Regierung sind, orientieren sie sich in der Regel an diesem Gesamtinteresse. Dies liegt nicht daran, dass sie von der Kapitalseite ”bestochen” oder sonst irgendwie abhängig wären (obwohl dies auch vorkommen kann), sondern an der Art und Weise, wie sich Parteien durchsetzen, und an den Arbeitsbedingungen der Regierung – Prozesse und Bedingungen, denen sich auch linke Parteien, die auf Regierungsbeteiligung abzielen, nicht entziehen können.


Um als Präsident gewählt zu werden oder als Partei eine Mehrheit zu erhalten, müssen unterschiedliche Interessen und Werthaltungen angesprochen werden. Um in den Medien ernst genommen zu werden (eine wesentliche Voraussetzung dafür, um überhaupt bekannt zu werden), müssen ”realistische”, ”umsetzbare” Vorschläge gemacht werden. Bevor es einer Partei gelingt, auch nur in die Nähe der Regierungsbeteiligung zu kommen, durchläuft sie in der Regel einen langjährigen Erziehungsprozess, in welchem sie sich an die ”Notwendigkeiten”, d.h. an die Verfolgung des kapitalistischen Gesamtinteresses immer weiter anpasst, einfach um einen größeren Wahlerfolg zu haben. Ist eine Partei dann endlich an der Regierung, muss sie dafür Sorge tragen, dass sie die erreichte Zustimmung behält. Hier wird nun insbesondere wichtig, dass ihr ”politischer Gestaltungsspielraum” ganz entscheidend von ihren finanziellen Möglichkeiten abhängt: diese werden einerseits von der Höhe der Steuereinnahmen bestimmt und andererseits von der Höhe der Ausgaben, zu denen als größter Posten die sozialen Leistungen gehören. Bei einer erfolgreichen Kapitalakkumulation ist das Steueraufkommen hoch und die Sozialausgaben für Arbeitslose und Arme sind relativ gering. In Krisenphasen geht dagegen das Steueraufkommen zurück und gleichzeitig steigen die Sozialausgaben. Die materielle Grundlage des Staates ist somit unmittelbar mit der Kapitalakkumulation verknüpft; keine Regierung kommt an dieser Abhängigkeit vorbei. Zwar kann eine Regierung ihren finanziellen Spielraum mittels Verschuldung etwas erhöhen, doch wachsen damit auch die zukünftigen Finanzlasten. Zudem erhält ein Staat nur solange problemlos Kredit, wie die zukünftigen Steuereinnahmen, aus denen der Kredit zurückgezahlt werden soll, gesichert sind, was wiederum eine gelingende Kapitalakkumulation voraussetzt.


Die Förderung der Akkumulation ist aber nicht nur das selbstverständliche Ziel der Politiker, auch breiten Bevölkerungsschichten gilt es als Binsenweisheit, dass es ”unserer” Wirtschaft gut gehen muss, damit es auch ”uns” gut gehen kann. ”Opfer”, die zunächst einmal nur den kapitalistischen Unternehmen zugute kommen, werden in Erwartung besserer Zeiten für alle mehr oder weniger bereitwillig getragen. Eingängig formulierte der frühere sozialdemokratische Bundeskanzler Helmut Schmidt in den 1970er Jahren: ”Die Profite von heute sind die Investitionen von morgen und die Arbeitsplätze von übermorgen.” Kritik regt sich bei der Mehrheit der Bevölkerung normalerweise nicht an den Zumutungen der Politik und der Förderung des Profits, sondern daran, dass diese Förderung nicht die erhofften Resultate gebracht hat.


Hier zeigt sich die politische Relevanz des Fetischismus, der die spontane Wahrnehmung der Akteure der kapitalistischen Produktion strukturiert. In der trinitarischen Formel erschien die kapitalistische Produktionsweise als ”Naturform” des gesellschaftlichen Produktionsprozesses (vgl. Die trinitarische Formel). Der Kapitalismus erscheint als ein alternativloses Unternehmen, in dem Kapital und Arbeit ihre ”natürlichen” Rollen einnehmen. Die Erfahrungen von Ungleichheit, Ausbeutung und Unterdrückung führen daher nicht zwangsläufig zur Kritik am Kapitalismus, sondern eher zur Kritik an Zuständen innerhalb des Kapitalismus: ”Übertriebene” Ansprüche oder eine ”ungerechte” Verteilung werden kritisiert, aber nicht die kapitalistische Grundlage dieser Verteilung. Arbeit und Kapital erscheinen als die gleichermaßen notwendigen und daher auch gleichermaßen zu berücksichtigenden Träger der Produktion des gesellschaftlichen Reichtums. Gerade vor dem Hintergrund der trinitarischen Formel wird verständlich, warum die Auffassung vom Staat als einem neutralen Dritten, der sich ”ums Ganze” kümmern soll und an den appelliert wird, er solle ”soziale Gerechtigkeit” herstellen, so plausibel und so weit verbreitet ist.


Dieses staatlich umhegte ”Ganze” von Kapital und Arbeit wird dann, in den einzelnen Ländern in unterschiedlichem Ausmaß, als Nation angerufen, als imaginierte Schicksalsgemeinschaft eines ”Volkes”, das über eine angeblich ”gemeinsame” Geschichte und Kultur konstruiert wird. Realisiert wird diese nationale Gemeinschaft in der Regel aber erst durch Abgrenzung gegen ”innere” und ”äußere” Feinde. Der Staat erscheint als die politische Gestalt der Nation: Ihr ”Wohl” hat er sowohl durch seine Politik nach innen als auch durch die Vertretung der ”nationalen Interessen” nach außen zu verwirklichen. Und genau das macht der Staat auch, wenn er das kapitalistische Gesamtinteresse verfolgt, denn unter kapitalistischen Verhältnissen existiert kein anderes Gemeinwohl als dieses kapitalistische Gesamtinteresse.

Kategorie:Marxismus