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Mystifikation der Lohnform

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Die Mystifikation der Lohnform


Wert der Arbeit – ein ”imaginärer Ausdruck”


Die Verwertung des Werts beruht auf der Aneignung "unbezahlter Arbeitszeit": Der Kapitalist zahlt nicht das von den Arbeitern geschaffene Wertprodukt, sondern er zahlt den Wert der Arbeitskraft. Im Alltagsbewusstsein gilt jedoch der Lohn als Bezahlung der geleisteten Arbeit; Ausbeutung als Normalzustand kapitalistischer Produktion ist hier nicht sichtbar. Ausbeutung scheint nur stattzufinden, wenn der Lohn "zu niedrig" ist. Es scheint als drücke der Arbeitslohn nicht den Wert der Arbeitskraft, sondern den Wert der Arbeit aus.


Den Terminus "Wert der Arbeit" bezeichnet Marx als "imaginären" und "irrationalen" Ausdruck (MEW 23, S. 559, 561). Arbeit – genau gesprochen: abstrakte Arbeit – ist Substanz und immanentes Maß des Werts. Arbeit schafft Wert, Arbeit hat aber selbst keinen Wert (Tauschwert). Spricht man vom "Wert der Arbeit" und fragt, wie groß denn der Wert eines Arbeitstages von acht Stunden ist, dann müsste man antworten: Der achtstündige Arbeitstag hat einen Wert von acht Stunden Arbeit, eine Phrase, die Marx zu recht als "abgeschmackt" bezeichnet (MEW 23, S. 557).


Allerdings ist die Phrase "Wert der Arbeit" nicht einfach nur ein absurder Ausdruck. Von "imaginären Ausdrücken" wie "Wert der Arbeit" oder "Wert des Bodens" hält Marx fest, sie "entspringen jedoch aus den Produktionsverhältnissen selbst. Sie sind Kategorien für Erscheinungsformen wesentlicher Verhältnisse" (MEW 23, S. 559).


Das wesentliche Verhältnis ist der Wert der Ware Arbeitskraft, es erscheint aber im Lohn als Wert der Arbeit. Solche Erscheinungsformen "reproduzieren sich unmittelbar spontan, als gang und gäbe Denkformen" das wesentliche Verhältnis dagegen "muss durch die Wissenschaft erst entdeckt werden" (MEW 23, S. 564).


"Wert der Arbeit" ist eine verkehrte Anschauung, die nicht etwa durch bewusste Manipulation hervorgerufen wird, sondern die aus den Verhältnissen selbst erwächst. Es handelt sich um eine der "objektiven Gedankenformen", die das Denken der in diesen Verhältnissen befangenen Menschen strukturiert. Vom Standpunkt des Arbeiters aus ist es ein achtstündiger Arbeitstag, der abgeleistet werden muss, um eine bestimmte Lohnsumme zu erhalten. Der Lohn erscheint als Bezahlung dieser Arbeit, ein Schein, der durch die üblichen Formen des Lohns, den "Zeitlohn" (Bezahlung nach Arbeitsstunden) und den "Stücklohn" (Bezahlung nach gelieferten Stücken) noch verstärkt wird. Das eine Mal scheint die in einer Zeiteinheit geleistete Arbeit, das andere Mal die zur Produktion eines Stücks geleistete Arbeit bezahlt zu werden.


Auch der Kapitalist unterliegt diesem Schein. Es handelt sich um eine "spontan" entstehende Verkehrung, der alle Beteiligten (sowie die meisten Ökonomen) unterliegen. Indem der Lohn als Bezahlung des "Werts der Arbeit" aufgefasst wird, erscheint alle Arbeit als bezahlte Arbeit. Mehrarbeit, unbezahlte Arbeit scheint es dann nicht zu geben. Diese Verkehrung hat weit reichende Konsequenzen:


"Auf dieser Erscheinungsform, die das wirkliche Verhältnis unsichtbar macht und gerade sein Gegenteil zeigt, beruhen alle Rechtsvorstellungen des Arbeiters wie des Kapitalisten, alle Mystifikationen der kapitalistischen Produktionsweise, alle ihre Freiheitsillusionen, alle apologetischen Flausen der Vulgärökonomie." (MEW 23, S. 562)


Die Lohnform bildet die Grundlage für alle weiteren "Mystifikationen" des Kapitalverhältnisses, die schließlich in der "trinitarischen Formel" münden. Bereits hier ist aber schon festzuhalten: Ebenso wie das spontane Bewusstsein aller Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft dem Warenfetisch und dem Geldfetisch unterliegt, sind Arbeiter und Kapitalisten gleichermaßen der Mystifikation der Lohnform unterworfen. [Fußnote: Von Fetisch spricht Marx nur in Bezug auf Ware, Geld und Kapital: Ein bestimmtes soziales Verhältnis erscheint als dingliche Eigenschaft. Von Mystifikation spricht er, wenn ein bestimmter Sachverhalt notwendigerweise verkehrt erscheint: Im Lohn erscheint die Bezahlung des Werts der Arbeitskraft als Bezahlung des Werts der Arbeit.] Die von der kapitalistischen Produktionsweise hervorgebrachten Verkehrungen machen weder vor der herrschenden Klasse halt (ihre Einsicht in die Verhältnisse ist daher auch eine beschränkte), noch hat die beherrschte und ausgebeutete Klasse eine privilegierte Position, um diese Verkehrungen zu durchschauen – der vom traditionellen Marxismus häufig gerühmte "Standpunkt der Arbeiterklasse" hilft hier nicht weiter.

Kategorie:Marxismus