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Kapitalfetisch

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Quelle: Michael Heinrich "Kritik der politischen Ökonomie. Eine Einführung"


Kooperation, Teilung der Arbeit und der Einsatz von Maschinerie bewirken eine Erhöhung der Produktivkraft der Arbeit: Mit demselben Arbeitsaufwand kann eine größere Zahl von Produkten hergestellt werden, der Wert des einzelnen Produktes sinkt. Die erhöhte Produktivkraft der Arbeit erscheint unter kapitalistischen Produktionsbedingungen aber als Produktivkraft des Kapitals. Dies ist bereits bei der einfachen Kooperation der Fall: Da die vereinzelten Arbeitskräfte über die zusätzliche Produktivkraft, die aus ihrem Zusammenwirken entsteht, als vereinzelte nicht verfügen, sie aber erst unter dem Kommando des Kapitals kooperieren, scheint diese zusätzliche Produktivkraft eine Produktivkraft zu sein, die dem Kapital angehört. Noch stärker wird dieser Eindruck in der Manufaktur und Fabrik. Die einzelne Arbeitskraft wird auf eine Teilfunktion reduziert, die außerhalb von Manufaktur und Fabrik meistens völlig nutzlos ist. Dass die Arbeiter und Arbeiterinnen mit ihren Fähigkeiten überhaupt etwas anfangen können, scheint ein vom Kapital hervorgebrachtes Resultat zu sein. Als Kapitalfetisch können wir die Erscheinung des Kapitals als einer mit eigener Produktivkraft versehenen Macht bezeichnen. Wie der Warenfetisch ist auch der Kapitalfetisch nicht einfach nur ein falsches Bewusstsein oder bloßer Irrtum. Er hat vielmehr eine materielle Grundlage in der kapitalistischen Organisation des Produktionsprozesses:


”Die geistigen Potenzen der Produktion erweitern ihren Maßstab auf der einen Seite, weil sie auf vielen Seiten verschwinden. Was die Teilarbeiter verlieren, konzentriert sich ihnen gegenüber im Kapital. Es ist ein Produkt der manufakturmäßigen Teilung der Arbeit, ihnen die geistigen Potenzen des materiellen Produktionsprozesses als fremdes Eigentum und sie beherrschende Macht gegenüberzustellen. Dieser Scheidungsprozess beginnt in der einfachen Kooperation, wo der Kapitalist den einzelnen Arbeitern gegenüber die Einheit und den Willen des gesellschaftlichen Arbeitskörpers vertritt. Er entwickelt sich in der Manufaktur, die den Arbeiter zum Teilarbeiter verstümmelt. Er vollendet sich in der großen Industrie, welche die Wissenschaft als selbstständige Produktionspotenz von der Arbeit trennt und in den Dienst des Kapitals presst.” (MEW 23, S. 382).


[Fußnote: Die zunehmende Bedeutung von Wissen und Wissenschaft für die kapitalistische Produktion ist keineswegs ein neues Phänomen, wie es die heute modische Rede eines Übergangs von der ”Industriegesellschaft zur Wissenschaftsgesellschaft” suggeriert. Und erst recht nicht wird dadurch – wie zuweilen behauptet – die kapitalistische Formbestimmung der Produktion in Frage gestellt.]





Bei der Zirkulation entstehen Zirkulationskosten. Dabei ist zu unterscheiden zwischen den Kosten von produktiven Akten, die Gebrauchswert und Wert des Produktes vergrößern, also einer Fortsetzung des Produktionsprozesses während der Zirkulation, und den reinen Zirkulationskosten, die zum Gebrauchswert und daher auch zum Wert des Produkts nichts hinzufügen, da sie lediglich aus dem Formwandel von Geld in Ware bzw. von Ware in Geld herrühren.


Zu ersteren gehören vor allem Transportkosten. Gebrauchswert hat eine Sache für mich nur, wenn ich sie auch an dem Ort zur Verfügung habe, an dem ich sie konsumieren will. Der Transport z.B. eines Fahrrads von der Fabrik zum Konsumenten ist für den Gebrauchswert dieses Fahrrads genauso notwendig wie die Montage der Reifen und trägt daher ebenso zum Wert des Fahrrads bei wie diese Montage.


Dagegen hat die bloße Formverwandlung von Ware und Geld nichts mit dem Gebrauchswert der Ware und daher auch nichts mit ihrem Wert zu tun. Reine Zirkulationsagenten (z.B. Kassierer) können zwar auch Lohnarbeiter sein, die wie alle anderen Lohnarbeiter Mehrarbeit leisten, da sie z.B. acht Stunden arbeiten, ihr Lohn aber eine Wertsumme darstellt, die unter normalen Umständen in vier Stunden produziert wird. Allerdings haben diese Zirkulationsagenten selbst keinen Wert und daher auch keinen Mehrwert produziert. Bei ihrer Arbeit handelt es sich um Arbeit, die unter kapitalistischen Bedingungen zwar notwendig, aber trotzdem ”unproduktiv”, d.h., nicht Mehrwert schaffend, ist. Der Lohn für diese Arbeit (und der Wert der von ihr verbrauchten Produktionsmittel) ist ein Abzug vom Mehrwert, den die produktiven Arbeiter produziert haben. Dass die unproduktiven Arbeiter Mehrarbeit leisten und daher ebenfalls ausgebeutet werden, trägt nicht zum Mehrwert bei, verringert aber diesen Abzug vom Mehrwert.


Was soeben für die Kosten der reinen Zirkulationsagenten gesagt wurde, gilt generell für die reinen Zirkulationskosten: Sie bilden einen Abzug vom Mehrwert; verringern sie sich, nimmt der verbleibende Mehrwert zu. Damit entsteht der Schein, die Kapitalverwertung resultiere nicht nur aus der Ausbeutung der Arbeitskraft im Produktionsprozess, sondern unabhängig davon auch aus dem Zirkulationsprozess des Kapitals. Der Kapitalfetisch, von dem bereits bei der Untersuchung des Produktionsprozesses die Rede war (vgl. oben), verfestigt sich im Zirkulationsprozess weiter.






Seit es Geld gibt, wird es wahrscheinlich auch gegen Zins ausgeliehen. Zinstragendes Kapital existierte schon lange bevor die gesamte Ökonomie kapitalistisch organisiert war; wir finden es in den unterschiedlichsten Gesellschaftsformationen, in der antiken Sklavenhaltergesellschaft genauso wie in der mittelalterlichen Feudalgesellschaft. In vorbürgerlichen Gesellschaften verschuldeten sich einerseits Fürsten und Könige, um ihren Luxuskonsum oder um Kriege zu finanzieren; Schulden und Zinsen wurden dann aus Steuern und Eroberungen zurückgezahlt. Andererseits verschuldeten sich in Not geratene Bauern und Handwerker; sie mussten die Schulden mittels ihrer Arbeitsleistung zurückzahlen, was angesichts ihrer Not und Zinssätzen von 20, 30 Prozent oder noch mehr oft gar nicht möglich war, so dass sie häufig Haus und Hof verloren. Enteignung durch den ”Wucherer” war ein verbreitetes Phänomen. Der Verleiher erschien als ”Blutsauger”, Hass auf den Wucherer war die Folge.


Unter kapitalistischen Verhältnissen, d.h. wenn auch die Produktion kapitalistisch organisiert ist, erfolgt das Verleihen von Geld unter ganz anderen Bedingungen. Auf der Grundlage der kapitalistischen Produktion kann eine Geldsumme in Kapital verwandelt werden, und man kann erwarten, dass dieses Kapital den Durchschnittsprofit einbringt. Geld ist nicht nur wie in der einfachen Zirkulation selbstständiger Ausdruck des Werts und damit gegen jede Ware austauschbar. Geld ist jetzt mögliches Kapital:


”In dieser Eigenschaft als mögliches Kapital, als Mittel zur Produktion des Profits, wird es Ware, aber eine Ware sui generis [von eigener Art]. Oder was auf dasselbe herauskommt, Kapital als Kapital wird zur Ware.” (MEW 25, S. 351)


Der Verkauf dieser besonderen Ware hat eine besondere Form: Geld wird verliehen. ”Verkauft” wird dabei seine (unter kapitalistischen Verhältnissen vorhandene) Fähigkeit, in einem bestimmten Zeitraum einen Profit zu erzielen. Der ”Preis”, der für diese besondere Ware zu zahlen ist, ist der Zins. Gezahlt wird der Zins aus dem Profit, der mit Hilfe des Geldes erzielt wurde.


Geld leihen sich zwar auch Nicht-Kapitalisten, z.B. Lohnarbeiter – sei es aufgrund einer Notlage oder zur Finanzierung einer Anschaffung – die den Kredit aus ihren Arbeitslöhnen zurückzahlen müssen. Solche ”Konsumentenkredite” sind durchaus bedeutsam und spielen auch für den Verlauf des Akkumulationsprozesses eine wichtige Rolle, da sie zur Stabilisierung der Nachfrage beitragen. Neu am Kapitalismus ist aber, dass ein großer Teil der Kredite, der Bereicherung der Schuldner dient: Sie leihen sich Geld, um es als Kapital zu verwenden. Diese Form des Kredits, die in vorbürgerlichen Gesellschaften nur ausnahmsweise vorkam, ist die für kapitalistische Unternehmen typische Kreditform, die alle anderen Formen dominiert. Die besondere Zirkulationsform des modernen zinstragenden Kapitals ist daher


G-G-W-G’-G’’


Das moderne zinstragende Kapital (nur von ihm ist im Folgenden die Rede, daher lasse ich den Zusatz modern weg) wird somit doppelt vorgeschossen: einmal von seinem Besitzer an den industriellen Kapitalisten und dann vom industriellen Kapitalisten zur Finanzierung eines Profit bringenden Produktionsprozesses. Anschließend erfolgt auch ein doppelter Rückfluss: zunächst an den industriellen Kapitalisten und von diesem wieder an den Geldbesitzer. Der Rückfluss an den industriellen Kapitalisten beinhaltet (bei erfolgreicher Verwertung) einen Profit, der Rückfluss an den Geldbesitzer einen Zins, der aus diesem Profit gezahlt wird.


Dass der Zins aus dem Profit gezahlt wird, sagt noch nichts über die Höhe des Zinssatzes aus. Unter ”normalen” kapitalistischen Verhältnissen wird der Zinssatz über Null liegen (sonst würden die Geldbesitzer ihr Geld nicht verleihen) aber unter dem Durchschnittsprofit (sonst würden die industriellen Kapitalisten kein zusätzliches Kapital nachfragen). [Fußnote: Unter nicht normalen Umständen, z.B. in Zeiten akuter Krisen, fragen Kapitalisten Kredite nach, nicht um zusätzlichen Profit zu machen, sondern um ihren vorhandenen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen und einen Bankrott abzuwenden. In solchen Situationen kann der Zinssatz auch über der Durchschnittsprofitrate liegen.] Die jeweilige Höhe des Zinssatzes hängt vom jeweiligen Stand von Angebot und Nachfrage ab, ein ”natürlicher” Zinssatz oder eine ”natürliche” Relation zwischen Zinssatz und Durchschnittsprofitrate existiert nicht. [Fußnote: Tatsächlich finden wir in jedem Augenblick nicht nur einen Zinssatz, sondern verschiedene Zinssätze, je nach Dauer des Kredits. Diese Zinssätze liegen in einem bestimmten Bereich, z.B. zwischen 4 % und 6 %. Ist davon die Rede, dass die Zinsen steigen oder sinken, so ist gemeint, dass sich dieser ganze Bereich verschiebt und dabei eventuell auch schmaler oder breiter wird.]


Den Kapitalisten, der das zinstragende Kapital besitzt, bezeichnet Marx als Geldkapitalisten, denjenigen, der sich dieses Kapital leiht, als fungierenden Kapitalisten, in dessen Hand aus dem zinstragenden Kapital ein im Reproduktionsprozess fungierendes Kapital wird. Das jeweilige fungierende Kapital wirft einen bestimmten Profit ab, den Bruttoprofit, der über oder unter dem Durchschnittsprofit stehen kann. Aus diesem Bruttoprofit wird der Zins bezahlt, was übrig bleibt, ist der Unternehmergewinn, den der fungierende Kapitalist erhält.


Die Aufspaltung des Bruttoprofits in Zins und Unternehmergewinn ist zunächst nur eine quantitative Teilung. Allerdings verfestigt sich diese quantitative Teilung zu einer qualitativen, die auch diejenigen Kapitalisten in ihre Überlegungen einbeziehen, die sich kein Kapital leihen.


Der Geldkapitalist ist Eigentümer des zinstragenden Kapitals. Dafür, dass er die Verfügung über sein Eigentum einem anderen überlässt, erhält er Zins. Der Zins scheint demnach die bloße Frucht des Kapitaleigentums, des außerhalb des Produktionsprozesses existierenden Kapitals zu sein. Im Gegensatz dazu scheint der Unternehmergewinn Resultat des Fungierens des Kapitals im Produktionsprozess zu sein. Zins und Unternehmergewinn erscheinen daher als qualitativ verschiedene Größen, die aus verschiedenen Quellen stammen. Dieser Schein wird noch dadurch verstärkt, dass sich der Zinssatz am Markt als einheitliche Größe herausbildet, die nicht vom einzelnen Kapitalisten abhängt, während die Profitrate des einzelnen Kapitals (und damit auch der jeweilige Unternehmergewinn als Überschuss über den Zins) durchaus von Maßnahmen des fungierenden Kapitalisten (Einsparung an Produktionsmitteln, Verkürzung der Umschlagzeit etc.) beeinflusst werden kann.


Die Unterscheidung zwischen Zins und Unternehmergewinn wird damit auch für den Kapitalisten relevant, der kein geliehenes Kapital benutzt: Er hat nämlich die Wahl, ob er sein Kapital ausleiht und als Kapitaleigentümer lediglich den Zins erhält oder ob er es selbst fungieren lässt. Als eigentliches Resultat des Fungierens erscheint ihm dann aber nicht der gesamte Profit, sondern lediglich der Unternehmergewinn, da er den Zins auch so bekommen würde. Zwar hat nicht die Kapitalistenklasse als Ganzes die Wahl, in welcher Weise sie ihr Kapital verwenden will – ohne fungierende Kapitalisten könnte gar kein Zins gezahlt werden – der einzelne Kapitalist hat diese Wahl aber durchaus.


Der Zins ist Ausdruck der Kapitalverwertung, der Ausbeutung der Arbeitskraft. Gegensätzlich steht das Kapital der Lohnarbeit aber nur innerhalb des Ausbeutungsprozesses gegenüber. Im zinstragenden Kapital ist von diesem Gegensatz nichts mehr zu sehen, denn zinstragend ist das Kapital als Eigentum, außerhalb des Produktionsprozesses. Der verleihende Geldkapitalist steht nicht den Lohnarbeitern gegenüber, sondern dem fungierenden Kapitalisten, der sich Kapital leiht. Der Zins drückt zwar die Eigenschaft des Kapitals aus, sich die Produkte fremder Arbeit anzueignen, aber er drückt diese Eigenschaft als eine Eigenschaft des Kapitals aus, die ihm anscheinend außerhalb des Produktionsprozesses und unabhängig von dessen kapitalistischer Bestimmung zukommt.


Aber auch der fungierende Kapitalist scheint nicht den Lohnarbeitern gegensätzlich gegenüberzustehen. Der Unternehmergewinn, den der fungierende Kapitalist erzielt, scheint unabhängig vom Kapitaleigentum zu sein (dieses wird ja bereits mit dem Zins bezahlt), er gilt vielmehr als Resultat des Fungierens innerhalb des Produktionsprozesses, eines Produktionsprozesses, der scheinbar keine kapitalistische Bestimmtheit aufweist, sondern als einfacher Arbeitsprozess in Erscheinung tritt. Unternehmergewinn erhält der fungierende Kapitalist demnach nicht als Eigentümer, sondern als ein besonderer Arbeiter – ein Arbeiter, der für die Oberaufsicht und Leitung des Arbeitsprozesses verantwortlich ist. Die Arbeit des Ausbeutens und die ausgebeutete Arbeit gelten gleichermaßen als Arbeit. Insgesamt ergibt sich:


”Auf den Zins fällt die gesellschaftliche Form des Kapitals, aber in einer neutralen und indifferenten Form ausgedrückt; auf den Unternehmergewinn fällt die ökonomische Funktion des Kapitals, aber von dem bestimmten, kapitalistischen Charakter dieser Funktion abstrahiert.” (MEW 25, S. 396)


Das Besondere am zinstragenden Kapital ist nicht der Zins – dieser ist nur ein besonderer Ausdruck der Kapitalverwertung –, sondern die scheinbar unvermittelte Form dieser Verwertung, wie sie in der Formel G-G’ ausgedrückt wird: Das Geld selbst scheint sich von ganz alleine zu vermehren. Marx bezeichnet das zinstragende Kapital daher als die ”fetischartigste Form” (MEW 25, S. 404) des Kapitalverhältnisses (vgl. zum Kapitalfetisch, wie er aus dem kapitalistischen Produktionsprozess hervorgeht, oben), denn:


”Das gesellschaftliche Verhältnis ist vollendet als Verhältnis eines Dings, des Geldes, zu sich selbst. (...) Es wird ganz so Eigenschaft des Geldes, Wert zu schaffen, Zins abzuwerfen, wie die eines Birnbaums, Birnen zu tragen.” (MEW 25, S. 405)


An diese ”fetischartigste Form” des Kapitalverhältnisses schließen historisch eine Reihe von verkürzten Kapitalkritiken an, die alle darauf hinauslaufen, nicht das Kapitalverhältnis selbst zu kritisieren, sondern nur die Existenz des Zinses, also den Zusammenhang zwischen Zins und Kapitalverhältnis auszublenden. Die Zinsnahme wurde einerseits dem ”produktiven” Kapitalverhältnis gegenübergestellt und moralisch kritisiert, als Einkommen, das nicht auf eigener Leistung beruhe. Andererseits wurde die Existenz des Zinses zur Ursache aller gesellschaftlichen Übel erklärt: Die ganze Gesellschaft werde direkt oder indirekt geknechtet, nur um letzten Endes den Geldbesitzern Zins zahlen zu können.

Kategorie:Marxismus