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{{Wolfi Landstreicher/Das Netzwerk der Herrschaft}}'''Von Proletarisch zu Iindividuell: Für ein anarchistisches Verständnis des Begriffes der Klasse''' | {{Wolfi Landstreicher/Das Netzwerk der Herrschaft}}'''Von Proletarisch zu Iindividuell: Für ein anarchistisches Verständnis des Begriffes der Klasse''' | ||
− | + | Die sozialen Beziehungen von Klasse und Ausbeutung sind nicht einfach. Die Vorstellungen der ArbeiterInnen, die auf der Idee einer objektiv revolutionären Klasse gründen, die in Anbetracht ihrer Beziehung zu den Produktionsmitteln definiert ist, ignorieren die Masse derjenigen, deren Leben durch die gegenwärtige soziale Ordnung auf der ganzen Welt gestohlen wurden, die aber in ihrem Produktionsapparat keinen Platz finden können. Diese Vorstellungen enden also mit der Präsentation eines beschränkten und vereinfachenden Verständnisses von Ausbeutung und revolutionärer Veränderung. Um einen revolutionären Kampf gegen die Ausbeutung zu führen, müssen wir ein solches Klassen-Verständnis entwickeln, wie sie momentan in der Welt auch existiert, und dies ohne irgendwelche Bürgschaften zu suchen. | |
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+ | Ganz grundsätzlich besteht die Klassengesellschaft aus denjenigen, die herrschen und denjenigen, die beherrscht werden, denjenigen die ausbeuten, und denjenigen die ausgebeutet werden. Eine derartige Gesellschaft kann nur entstehen, wenn die Menschen ihre Fähigkeit, ihre Lebensbedingungen selbst zu bestimmen, verloren haben. Die essentielle Eigenschaft, die die Ausgebeuteten miteinander teilen, ist also ihre Enteignung, ihre mangelnde Fähigkeit, die grundsätzlichen Entscheidungen über ihr Leben zu fällen und auszuführen. | ||
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+ | Die herrschende Klasse ist in Beziehung zu ihrem eigenen Projekt der Anhäufung von Macht und Wohlstand definiert. Während innerhalb der herrschenden Klasse bezüglich spezifischen Interessen und dem realen Wettkampf um die Kontrolle der Ressourcen und Gebiete sicherlich bedeutende Konflikte herrschen, versieht das allumfassende Projekt, welches auf die Kontrolle des sozialen Wohlstandes und der Macht, und somit des Lebens und der Beziehungen eines jeden Lebewesens, diese Klasse mit einer vereinend positiven Aufgabe. | ||
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+ | Die ausgebeutete Klasse hat keine solche positive Aufgabe, um sich zu definieren. Vielmehr wird sie dadurch definiert, was ihr angetan, was ihr weggenommen wird. Von den Lebensarten, die die Menschen dieser Klasse kannten und mit den ihnen Nahestehenden erschufen, entwurzelt, wird die einzige Gemeinschaft, welche den Menschen dieser heterogenen Klasse bleibt, von Kapital und Staat gegeben ? die von Arbeit und Warenaustausch bestimmte Gemeinschaft, nach belieben mit nationalistischen, religiösen, ethnischen, rassischen oder subkulturellen ideologischen Konstrukten geschmückt, womit die herrschende Klasse Identitäten kreiert, wodurch Individualität und Revolte kanalisiert werden. Das Konzept einer positiven proletarischen Identität hat in der Wirklichkeit keine Basis, weil die jemanden als ProletarierIn definierende Identität genau die Tatsache ist, dass ihnen ihr Leben gestohlen wurde und sie zu einem Pfand in den Projekten ihrer HerrscherInnen gemacht worden sind. | ||
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+ | Die Vorstellung der ArbeiterInnen eines proletarischen Projektes hat seine Ursprünge in den revolutionären Theorien Europas und der Vereinigten Staaten (hauptsächlich gewisse marxistische und syndikalistische Theorien). Im späten 19. Jahrhundert waren beide, das westliche Europa und der Osten der Vereinigten Staaten, auf dem besten Wege, vollkommen industrialisiert zu werden, und die dominante Ideologie des Fortschritts stellte die technologische Entwicklung mit sozialer Befreiung gleich. Diese Ideologie manifestierte sich in der revolutionären Theorie als die Idee, dass die industrielle ArbeiterInnenklasse offensichtlich revolutionär war, weil sie in der Position stand, die unter dem Kapitalismus entwickelten Produktionsgüter (die als Produkte des Fortschritts Inbegriffen der Freiheit gleichkamen) zu übernehmen und sie in den Dienst der menschlichen Gemeinschaft zu setzen. Den grössten Teil der Welt ignorierend (zusammen mit einem bedeutenden Teil der Ausgebeuteten der industrialisierten Gebiete), waren die revolutionären TheoretikerInnen nun in der Lage, ein positives Projekt für das Proletariat zu erschaffen, eine offensichtlich historische Mission. Die Tatsache, dass sie auf der bourgeoisen Ideologie des Fortschritts basierte, wurde ignoriert. Meiner Meinung nach hatten die LuddistInnen eine viel klarere Perspektive, indem sie den Industrialismus als ein weiteres Werkzeug der/des MeisterIn zu ihrer Enteignung erkannten. Mit guten Gründen attackierten sie die Maschinen der Massenproduktion. | ||
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+ | Der Prozess der Enteignung wurde im Westen unterdessen schon lange vollendet (obwohl es natürlich ein Prozess ist, der sogar hier immer weiter vor sich geht), aber in grossen Teilen der südlichen Welt steckt er noch immer in seinen frühen Stadien. Seit der Prozess im Westen gestartet ist, gingen im Funktionieren des Produktionsapparates einige wesentliche Wechsel vor sich. Fabrikstellen für Fachkräfte sind grösstenteils verschwunden, und was von einem/einer ArbeiterIn benötigt wird ist Flexibilität, die Fähigkeit sich anzupassen ? mit anderen Worten die Fähigkeit, ein austauschbares Zahnrad in der Maschine des Kapitals zu sein. Zusätzlich tendieren Fabriken dazu, im Produktionsprozess viel weniger ArbeiterInnen zu benötigen, weil einerseits die Entwicklungen in der Technologie und den Management-Techniken einen stärker dezentralisierten Produktionsprozess ermöglicht haben und andererseits, weil die mehr und mehr gefragte Fabrik-Arbeit bloss aus der Betreuung von Maschinen besteht. | ||
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+ | Auf einem praktischen Level bedeutet dies, dass wir als Individuen im Produktionsprozess alle verbrauchbar, weil auch ersetzbar, sind ? dieser liebenswürdige kapitalistische Egalitarismus, in welchem wir alle gleich Null sind! In der Ersten Welt hat dies den Effekt, dass eine stets wachsende Zahl von Ausgebeuteten zu stets unsicherer werdenden Positionen gedrängt wird: Tagesarbeit, Temporär-Arbeit, Stellen im Dienst-Sektor, chronische Arbeitslosigkeit, Schwarzmarkt und weitere Formen der Illegalität, Obdachlosigkeit und Gefängnis. Die gleichmässige Arbeit mit ihrer Garantie eines irgendwie stabilen Lebens ? selbst wenn das eigene Leben nicht einem selbst gehört ? macht den Weg frei für einen Mangel an Garantien, wo die durch einen gemässigten, komfortablen Konsum besorgten Illusionen nicht mehr länger verbergen können, dass ein Leben unter dem Kapitalismus immer am Rande der Katastrophe verbracht wird. | ||
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+ | In der Dritten Welt, wo die Menschen ihr ? wenn auch manchmal schwieriges ? Leben selbst in der Hand hatten, finden sie ihr Land und die anderen Mittel, derer sie bedürfen, unter den Füssen weggerissen, wenn die Maschinen des Kapitals im wahrsten Sinne des Wortes in ihr Zuhause eindringen und ihnen jegliche Möglichkeit, weiter direkt von den eigenen Aktivitäten zu leben, wegfressen. Von ihrem Leben und Land weggerissen, sind sie gezwungen, in die Städte zu ziehen, wo nur wenig Arbeit auf sie wartet. Shantytowns entstehen rings um die Städte, oftmals mit einer grösseren Bevölkerung als der eigentlichen Stadt. Ohne jegliche Möglichkeit einer geregelten Arbeit, sind die BewohnerInnen dieser Shantytowns zur Bildung einer Schwarzmarkt-Wirtschaft gezwungen, um zu überleben, doch dies dient noch immer den Interessen des Kapitals. Andere entscheiden sich in ihrer Verzweiflung zur Auswanderung und riskieren die Gefangenschaft in Flüchtlingslagern und Zentren für Fremde ohne Ausweis in der Hoffnung, ihre Situation zu verbessern. | ||
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+ | Somit sind Unsicherheit und Verausgabung mit der Enteignung zusammen die in zunehmendem Masse geteilten Merkmale derjenigen, die weltweit die ausgebeutete Klasse ausmachen. Wenn dies einerseits bedeutet, dass diese Waren-Zivilisation in ihrer Mitte eine Klasse von Barbaren kreiert, die wirklich nichts dabei zu verlieren hat, sie nieder zu reissen (und dies nicht auf dem Wege, wie es sich die alten Proletariats-IdeologInnen vorgestellt hatten), dann tragen diese Merkmale auch keine Basis für ein positives Projekt der Lebensveränderung in sich. Die durch die von der Gesellschaft aufgebürdeten miserablen Lebensbedingungen schüren eine Wut, die einfach in Projekte kanalisiert werden kann, welche der herrschenden Ordnung oder zumindest den spezifischen Interessen der/des einen oder anderen HerrscherIn dient. Die Beispiele von Situationen der letzten Dekaden, wo die Wut der Ausgebeuteten geschürt wurde, um den nationalistischen, rassischen oder religiösen Projekten Auftrieb zu geben, die ihrerseits aber bloss wieder die Herrschaft verstärken, sind zu zahlreich, um sie alle zu nennen. Die Möglichkeit eines Endes der gegenwärtigen sozialen Ordnung ist grösser denn je, aber der Glaube an dessen Unvermeidbarkeit kann nicht mehr länger vorgeben, eine objektive Basis zu haben. | ||
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+ | Aber um das revolutionäre Projekt wahrlich zu verstehen und herauszufinden, wie es auszuführen ist (und eine Analyse zu entwickeln, wie die herrschende Klasse es schafft, die Wut der Unterdrückten in ihre eigene Projekte zu lenken), ist es nötig zu erkennen, dass Ausbeutung nicht nur bei der Produktion von Wohlstand auftritt, sondern auch in der Reproduktion der sozialen Beziehungen. Der Position jedes/r einzelnen ProletarierIn innerhalb des Produktionsapparates zum Trotz, ist es im Interesse der herrschenden Klasse, dass jedeR eine Rolle, eine soziale Identität hat, welche der Reproduktion der sozialen Beziehungen dient. Rasse, Geschlecht, Volkszugehörigkeit, Religion, sexuelle Vorlieben, Subkultur ? all diese Dinge mögen in der Tat sehr reale und bedeutende Unterschiede reflektieren, aber alle stellen soziale Konstrukte dar, um diese Unterschiede in für die Beibehaltung der gegenwärtigen sozialen Ordnung nützliche Rollen zu kanalisieren. In den fortgeschrittensten Gebieten der gegenwärtigen Gesellschaft, wo der Markt die meisten Beziehungen definiert, werden Identitäten grösstenteils in Bezug auf die sie symbolisierenden Waren definiert, und Austauschbarkeit wird zur Tagesordnung der sozialen Reproduktion, genau wie es in der wirtschaftlichen Produktion der Fall ist. Und dies genau, weil die Identität eine soziale Konstruktion ist, und sie verkommt immer mehr zu einer verkaufbaren Ware, die von RevolutionärInnen in ihrer Komplexität ernsthaft gehandhabt werden muss mit dem präzisen Ziel, über diese Kategorien hinaus zu dem Punkt zu gelangen, dass unsere Unterschiede (einschliesslich derjenigen, die unsere Gesellschaft in Bezug zu Rasse, Geschlecht, Volkszugehörigkeit etc. definieren würde) aus unseren Überlegungen bestehen, die uns als einzelne Individuen ausmachen. | ||
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+ | Weil in unserer Lage als ProletarierInnen ? als Ausgebeutete und Enteignete - kein gemeinsames positives Projekt gefunden werden kann, muss unser Projekt der Kampf zur Zerstörung unserer proletarischen Situation sein, um unserer Enteignung ein Ende zu bereiten. Was wir wesentlich verloren haben ist nicht die Kontrolle über die Produktionsgüter oder materiellen Wohlstand; es ist unser Leben, unsere Fähigkeit, unsere Existenz in Beziehung zu unseren Bedürfnissen und Wünschen zu führen. Folglich findet unser Kampf überall statt, zu jeder Zeit. Unser Ziel ist es, alles, was uns von unserem Leben trennt, zu zerstören: das Kapital, den Staat, den industriellen und post-industriellen technologischen Apparat, die Arbeit, das Aufopfern, die Ideologie, jede Organisation, die unseren Kampf aufzusaugen versucht, kurz: alle Systeme der Kontrolle. | ||
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+ | Noch im Prozess, diesen Kampf auf dem einzigen uns möglichen Weg zu führen ? ausserhalb aller und gegen jegliche Formalität und Institutionalisierung -, werden wir beginnen, neue Wege zu entwickeln, welche sich auf Selbstorganisation beziehen, auf eine Gemeinschaftlichkeit, die auf den einzigartigen Unterschieden basiert, welche uns als Individuen definieren, deren Freiheit sich mit der Freiheit der anderen ausbreitet. Es ist hier, in der Revolte gegen unsere proletarischen Bedingungen, wo wir dieses gemeinsame, positive Projekt finden, das für jedenN von uns unterschiedlich ist: den gemeinsamen Kampf für die individuelle Verwirklichung. | ||
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Revision as of 11:05, 14 May 2006
Die sozialen Beziehungen von Klasse und Ausbeutung sind nicht einfach. Die Vorstellungen der ArbeiterInnen, die auf der Idee einer objektiv revolutionären Klasse gründen, die in Anbetracht ihrer Beziehung zu den Produktionsmitteln definiert ist, ignorieren die Masse derjenigen, deren Leben durch die gegenwärtige soziale Ordnung auf der ganzen Welt gestohlen wurden, die aber in ihrem Produktionsapparat keinen Platz finden können. Diese Vorstellungen enden also mit der Präsentation eines beschränkten und vereinfachenden Verständnisses von Ausbeutung und revolutionärer Veränderung. Um einen revolutionären Kampf gegen die Ausbeutung zu führen, müssen wir ein solches Klassen-Verständnis entwickeln, wie sie momentan in der Welt auch existiert, und dies ohne irgendwelche Bürgschaften zu suchen.
Ganz grundsätzlich besteht die Klassengesellschaft aus denjenigen, die herrschen und denjenigen, die beherrscht werden, denjenigen die ausbeuten, und denjenigen die ausgebeutet werden. Eine derartige Gesellschaft kann nur entstehen, wenn die Menschen ihre Fähigkeit, ihre Lebensbedingungen selbst zu bestimmen, verloren haben. Die essentielle Eigenschaft, die die Ausgebeuteten miteinander teilen, ist also ihre Enteignung, ihre mangelnde Fähigkeit, die grundsätzlichen Entscheidungen über ihr Leben zu fällen und auszuführen.
Die herrschende Klasse ist in Beziehung zu ihrem eigenen Projekt der Anhäufung von Macht und Wohlstand definiert. Während innerhalb der herrschenden Klasse bezüglich spezifischen Interessen und dem realen Wettkampf um die Kontrolle der Ressourcen und Gebiete sicherlich bedeutende Konflikte herrschen, versieht das allumfassende Projekt, welches auf die Kontrolle des sozialen Wohlstandes und der Macht, und somit des Lebens und der Beziehungen eines jeden Lebewesens, diese Klasse mit einer vereinend positiven Aufgabe.
Die ausgebeutete Klasse hat keine solche positive Aufgabe, um sich zu definieren. Vielmehr wird sie dadurch definiert, was ihr angetan, was ihr weggenommen wird. Von den Lebensarten, die die Menschen dieser Klasse kannten und mit den ihnen Nahestehenden erschufen, entwurzelt, wird die einzige Gemeinschaft, welche den Menschen dieser heterogenen Klasse bleibt, von Kapital und Staat gegeben ? die von Arbeit und Warenaustausch bestimmte Gemeinschaft, nach belieben mit nationalistischen, religiösen, ethnischen, rassischen oder subkulturellen ideologischen Konstrukten geschmückt, womit die herrschende Klasse Identitäten kreiert, wodurch Individualität und Revolte kanalisiert werden. Das Konzept einer positiven proletarischen Identität hat in der Wirklichkeit keine Basis, weil die jemanden als ProletarierIn definierende Identität genau die Tatsache ist, dass ihnen ihr Leben gestohlen wurde und sie zu einem Pfand in den Projekten ihrer HerrscherInnen gemacht worden sind.
Die Vorstellung der ArbeiterInnen eines proletarischen Projektes hat seine Ursprünge in den revolutionären Theorien Europas und der Vereinigten Staaten (hauptsächlich gewisse marxistische und syndikalistische Theorien). Im späten 19. Jahrhundert waren beide, das westliche Europa und der Osten der Vereinigten Staaten, auf dem besten Wege, vollkommen industrialisiert zu werden, und die dominante Ideologie des Fortschritts stellte die technologische Entwicklung mit sozialer Befreiung gleich. Diese Ideologie manifestierte sich in der revolutionären Theorie als die Idee, dass die industrielle ArbeiterInnenklasse offensichtlich revolutionär war, weil sie in der Position stand, die unter dem Kapitalismus entwickelten Produktionsgüter (die als Produkte des Fortschritts Inbegriffen der Freiheit gleichkamen) zu übernehmen und sie in den Dienst der menschlichen Gemeinschaft zu setzen. Den grössten Teil der Welt ignorierend (zusammen mit einem bedeutenden Teil der Ausgebeuteten der industrialisierten Gebiete), waren die revolutionären TheoretikerInnen nun in der Lage, ein positives Projekt für das Proletariat zu erschaffen, eine offensichtlich historische Mission. Die Tatsache, dass sie auf der bourgeoisen Ideologie des Fortschritts basierte, wurde ignoriert. Meiner Meinung nach hatten die LuddistInnen eine viel klarere Perspektive, indem sie den Industrialismus als ein weiteres Werkzeug der/des MeisterIn zu ihrer Enteignung erkannten. Mit guten Gründen attackierten sie die Maschinen der Massenproduktion.
Der Prozess der Enteignung wurde im Westen unterdessen schon lange vollendet (obwohl es natürlich ein Prozess ist, der sogar hier immer weiter vor sich geht), aber in grossen Teilen der südlichen Welt steckt er noch immer in seinen frühen Stadien. Seit der Prozess im Westen gestartet ist, gingen im Funktionieren des Produktionsapparates einige wesentliche Wechsel vor sich. Fabrikstellen für Fachkräfte sind grösstenteils verschwunden, und was von einem/einer ArbeiterIn benötigt wird ist Flexibilität, die Fähigkeit sich anzupassen ? mit anderen Worten die Fähigkeit, ein austauschbares Zahnrad in der Maschine des Kapitals zu sein. Zusätzlich tendieren Fabriken dazu, im Produktionsprozess viel weniger ArbeiterInnen zu benötigen, weil einerseits die Entwicklungen in der Technologie und den Management-Techniken einen stärker dezentralisierten Produktionsprozess ermöglicht haben und andererseits, weil die mehr und mehr gefragte Fabrik-Arbeit bloss aus der Betreuung von Maschinen besteht.
Auf einem praktischen Level bedeutet dies, dass wir als Individuen im Produktionsprozess alle verbrauchbar, weil auch ersetzbar, sind ? dieser liebenswürdige kapitalistische Egalitarismus, in welchem wir alle gleich Null sind! In der Ersten Welt hat dies den Effekt, dass eine stets wachsende Zahl von Ausgebeuteten zu stets unsicherer werdenden Positionen gedrängt wird: Tagesarbeit, Temporär-Arbeit, Stellen im Dienst-Sektor, chronische Arbeitslosigkeit, Schwarzmarkt und weitere Formen der Illegalität, Obdachlosigkeit und Gefängnis. Die gleichmässige Arbeit mit ihrer Garantie eines irgendwie stabilen Lebens ? selbst wenn das eigene Leben nicht einem selbst gehört ? macht den Weg frei für einen Mangel an Garantien, wo die durch einen gemässigten, komfortablen Konsum besorgten Illusionen nicht mehr länger verbergen können, dass ein Leben unter dem Kapitalismus immer am Rande der Katastrophe verbracht wird.
In der Dritten Welt, wo die Menschen ihr ? wenn auch manchmal schwieriges ? Leben selbst in der Hand hatten, finden sie ihr Land und die anderen Mittel, derer sie bedürfen, unter den Füssen weggerissen, wenn die Maschinen des Kapitals im wahrsten Sinne des Wortes in ihr Zuhause eindringen und ihnen jegliche Möglichkeit, weiter direkt von den eigenen Aktivitäten zu leben, wegfressen. Von ihrem Leben und Land weggerissen, sind sie gezwungen, in die Städte zu ziehen, wo nur wenig Arbeit auf sie wartet. Shantytowns entstehen rings um die Städte, oftmals mit einer grösseren Bevölkerung als der eigentlichen Stadt. Ohne jegliche Möglichkeit einer geregelten Arbeit, sind die BewohnerInnen dieser Shantytowns zur Bildung einer Schwarzmarkt-Wirtschaft gezwungen, um zu überleben, doch dies dient noch immer den Interessen des Kapitals. Andere entscheiden sich in ihrer Verzweiflung zur Auswanderung und riskieren die Gefangenschaft in Flüchtlingslagern und Zentren für Fremde ohne Ausweis in der Hoffnung, ihre Situation zu verbessern.
Somit sind Unsicherheit und Verausgabung mit der Enteignung zusammen die in zunehmendem Masse geteilten Merkmale derjenigen, die weltweit die ausgebeutete Klasse ausmachen. Wenn dies einerseits bedeutet, dass diese Waren-Zivilisation in ihrer Mitte eine Klasse von Barbaren kreiert, die wirklich nichts dabei zu verlieren hat, sie nieder zu reissen (und dies nicht auf dem Wege, wie es sich die alten Proletariats-IdeologInnen vorgestellt hatten), dann tragen diese Merkmale auch keine Basis für ein positives Projekt der Lebensveränderung in sich. Die durch die von der Gesellschaft aufgebürdeten miserablen Lebensbedingungen schüren eine Wut, die einfach in Projekte kanalisiert werden kann, welche der herrschenden Ordnung oder zumindest den spezifischen Interessen der/des einen oder anderen HerrscherIn dient. Die Beispiele von Situationen der letzten Dekaden, wo die Wut der Ausgebeuteten geschürt wurde, um den nationalistischen, rassischen oder religiösen Projekten Auftrieb zu geben, die ihrerseits aber bloss wieder die Herrschaft verstärken, sind zu zahlreich, um sie alle zu nennen. Die Möglichkeit eines Endes der gegenwärtigen sozialen Ordnung ist grösser denn je, aber der Glaube an dessen Unvermeidbarkeit kann nicht mehr länger vorgeben, eine objektive Basis zu haben.
Aber um das revolutionäre Projekt wahrlich zu verstehen und herauszufinden, wie es auszuführen ist (und eine Analyse zu entwickeln, wie die herrschende Klasse es schafft, die Wut der Unterdrückten in ihre eigene Projekte zu lenken), ist es nötig zu erkennen, dass Ausbeutung nicht nur bei der Produktion von Wohlstand auftritt, sondern auch in der Reproduktion der sozialen Beziehungen. Der Position jedes/r einzelnen ProletarierIn innerhalb des Produktionsapparates zum Trotz, ist es im Interesse der herrschenden Klasse, dass jedeR eine Rolle, eine soziale Identität hat, welche der Reproduktion der sozialen Beziehungen dient. Rasse, Geschlecht, Volkszugehörigkeit, Religion, sexuelle Vorlieben, Subkultur ? all diese Dinge mögen in der Tat sehr reale und bedeutende Unterschiede reflektieren, aber alle stellen soziale Konstrukte dar, um diese Unterschiede in für die Beibehaltung der gegenwärtigen sozialen Ordnung nützliche Rollen zu kanalisieren. In den fortgeschrittensten Gebieten der gegenwärtigen Gesellschaft, wo der Markt die meisten Beziehungen definiert, werden Identitäten grösstenteils in Bezug auf die sie symbolisierenden Waren definiert, und Austauschbarkeit wird zur Tagesordnung der sozialen Reproduktion, genau wie es in der wirtschaftlichen Produktion der Fall ist. Und dies genau, weil die Identität eine soziale Konstruktion ist, und sie verkommt immer mehr zu einer verkaufbaren Ware, die von RevolutionärInnen in ihrer Komplexität ernsthaft gehandhabt werden muss mit dem präzisen Ziel, über diese Kategorien hinaus zu dem Punkt zu gelangen, dass unsere Unterschiede (einschliesslich derjenigen, die unsere Gesellschaft in Bezug zu Rasse, Geschlecht, Volkszugehörigkeit etc. definieren würde) aus unseren Überlegungen bestehen, die uns als einzelne Individuen ausmachen.
Weil in unserer Lage als ProletarierInnen ? als Ausgebeutete und Enteignete - kein gemeinsames positives Projekt gefunden werden kann, muss unser Projekt der Kampf zur Zerstörung unserer proletarischen Situation sein, um unserer Enteignung ein Ende zu bereiten. Was wir wesentlich verloren haben ist nicht die Kontrolle über die Produktionsgüter oder materiellen Wohlstand; es ist unser Leben, unsere Fähigkeit, unsere Existenz in Beziehung zu unseren Bedürfnissen und Wünschen zu führen. Folglich findet unser Kampf überall statt, zu jeder Zeit. Unser Ziel ist es, alles, was uns von unserem Leben trennt, zu zerstören: das Kapital, den Staat, den industriellen und post-industriellen technologischen Apparat, die Arbeit, das Aufopfern, die Ideologie, jede Organisation, die unseren Kampf aufzusaugen versucht, kurz: alle Systeme der Kontrolle.
Noch im Prozess, diesen Kampf auf dem einzigen uns möglichen Weg zu führen ? ausserhalb aller und gegen jegliche Formalität und Institutionalisierung -, werden wir beginnen, neue Wege zu entwickeln, welche sich auf Selbstorganisation beziehen, auf eine Gemeinschaftlichkeit, die auf den einzigartigen Unterschieden basiert, welche uns als Individuen definieren, deren Freiheit sich mit der Freiheit der anderen ausbreitet. Es ist hier, in der Revolte gegen unsere proletarischen Bedingungen, wo wir dieses gemeinsame, positive Projekt finden, das für jedenN von uns unterschiedlich ist: den gemeinsamen Kampf für die individuelle Verwirklichung.
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