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Poststrukturalismus

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Poststrukturalismus ist eine philosophische Denkrichtung, die Ende der sechziger Jahre in Frankreich entstand. Typisch sind eine kritische Herangehensweise an Vorstellungen und Denkkonzepte, die unter Verwendung psychoanalytischer und sprachphilosophischer Begrifflichkeit als gesellschaftlich geworden oder bloß imaginiert dekonstruiert werden, sowie eine grundsätzliche Skepsis gegenüber der Möglichkeit eines selbstbestimmten Individuums, das nicht als autonomes und kreatives Subjekt, sondern als Bündel von Fremdeinwirkungen und unbewussten Impulsen verstanden wird.

Bedeutende Vertreter des Poststrukturalismus waren Michel Foucault, Jacques Derrida, Roland Barthes und Jacques Lacan.

Philosophiegeschichtliche Verortung des Poststrukturalismus

Es gibt wenig zentrale Thesen des Poststrukturalismus. Ein Grund ist, dass viele Poststrukturalisten betonen, dass es ihnen bewusst nicht um die Aufstellung einer neuen umgreifenden philosophischen Theorie geht, sondern um eine bestimmte Methode oder eine denkerische Haltung.

Definition durch Kritik an klassischen Begriffen: Zahlreiche oft als "poststrukturalistisch" bezeichnete Philosophen kommen in der Kritik an bestimmten klassischen Begriffen von Metaphysik, Subjekt oder Rationalität überein. Bestimmte mit diesen Begriffen verbundene Positionen werden dabei oft als totalitär, ungerecht oder ungeschichtlich kritisiert. Gegenüber Klassikern des Strukturalismus wird oft kritisiert, transkulturelle, ahistorische und abstrakte Gesetze gesellschaftlichen Wandels zu entdecken, auch der Strukturbegriff entschieden problematisiert. Leitend ist für viele Autoren die (politische) Frage, wie gesellschaftliche Strukturen und kulturelle Formationen, die mit Herrschaftsverhältnissen produzierenden Machtformen verknüpft sind, durch subversive (unterlaufende) Praktiken verändert werden können.

Viele Poststrukturalisten problematisieren aber selbst Begriffe wie "Methode", "Kritik" oder "Theorie". Oftmals wird in Anknüpfung an strukturalistische Gedanken das Verhältnis von (sprachlichen) Zeichen und ihrer Bedeutung problematisiert und das Augenmerk auf Strukturen der Sprache oder bedeutungsgenerierenden Operationen allgemein gerichtet.

Verschiedene Ansätze des Poststrukturalismus

Der Verwendung des Begriffs "Poststrukturalismus" entspricht vielleicht am ehesten, seine Bedeutung an die Familienverhältnisse zu binden, welche die Texte der typischen Vertreter lose verbinden. Zu diesen Vertretern zählen etwa: Louis Althusser, Roland Barthes, Jean Baudrillard, Judith Butler und Hélène Cixious.

Die Schrifttheorie Jacques Derrida

Jacques Derrida ist ein besonders wichtiger Autor. Er hat die Methode (er selbst sagt "Praxis") der Dekonstruktion entwickelt. Seine Grammatologie versucht zu zeigen: es sei eine haltlose Unterstellung, im direkten Gespräch die singuläre Bedeutungsintuition des Gegenübers erfassen zu können. Tatsächlich bleibe diese ebenso entzogen wie in schriftlicher Gestalt. Gegenstand der Untersuchung sind vor allem klassische Sprachtheorien. Sein systematisch dichtes Werk Die Stimme und das Phänomen versucht zu zeigen, wie Individuelles (singuläre Intuition) und Allgemeines (Bedeutungsintention) notwendig unvermittelbar sind. Ein Grund dafür ist unter anderem die Zeitversetztheit von Formulierungs- und Auswertungsakt. Derartige Differenzen sorgten auch dafür, dass die theoretische Zugänglichkeit einer vorsprachlichen - und damit sprachlichen Unterscheidungsprinzipien vorgelagerte - Bekanntschaft des Subjekts mit sich scheitere. Dies versucht der frühe Derrida etwa an der Descarte'schen Cogito-Szene zu zeigen. Seine frühen Aufsätze setzen sich außerdem mit Freud, Hegel, Saussure und Levinas auseinander. Letzteren hat Derridas Kritik (besonders in seinem Text Gewalt und Metaphysik) teils erst bekannt gemacht.

Derridas spätere Arbeiten widmen sich fast allen Bereichen der Philosophie. Nach einer mehr experimentell geprägten Phase stellen seine späten Schriften praktische und politische Fragen expliziter in den Vordergrund.

Gesprächspartner Derridas waren unter anderem Gilles Deleuze und Félix Guattari, Michel Foucault, Luce Irigaray, Julia Kristeva, Jacques Lacan, Ernesto Laclau, Jean-François Lyotard.

Jacques Lacans Psychoanalyse

Allgemeines - Diskurs

Die Diskursanalyse zählt zu den poststrukturalistischen Methoden. Die Diskursanalyse poststrukturalistischer Provenienz richtet ihr Augenmerk auf den Kontext, auf die Regeln und Normen, unter denen Kommunikate (z.B. Literatur) entstehen. Literatur wird als ein geregeltes, aber auch regelndes Ordnungssystem verstanden. Michel Foucaults Diskursanalyse wurde in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre in Absetzung zum subjekt- und autorzentrierten Erkenntnisbegriff der hermeneutischen Ansätze in die Literaturwissenschaft eingeführt. Einer diskursanalytisch ausgerichteten Literaturwissenschaft geht es primär nicht mehr um das Sinnverstehen unter Annahme der Konstellation Autor, vielmehr rückt sie den Begriff des Diskurses in den Mittelpunkt ihres Interesses. Foucault verwendet ihn zur Benennung des gesamten Feldes kulturellen Wissens, das sich in Form von Aussagen und Texten etabliert. Dabei nimmt er an, dass Denken und Wahrnehmung schon immer durch umfassende Diskursordnungen geprägt sind und demzufolge Kontroll- und Regulierungsysteme die Diskurse bestimmen. Sie exponiert hierbei die Annahme, dass Wirklichkeit sich durch kulturelle Äußerungen konstituiert und nur über Dokumente und Texte zugänglich ist. Letztlich formiert sich auch die Gesellschaft über Texte, das Selbstverständnis einer Gesellschaft ist mithin über diese Diskurse und anhand der Dokumente und Texte abzulesen. Der Grundgedanke der Diskursanalyse ist daher die Idee von der Textualisierung der Wirklichkeit und der Geschichte. Diskursanalytischen Ansätzen zufolge unterliegen alle sprachlichen Äußerungen und Aussagen einem Regelwerk.

Diskurstheorie: Michel Foucault

Foucault hat den Begriff Diskurs, der sich durch seine Publikationen zieht, entscheidend geprägt. Seine Ausführungen zur Diskursanalyse bleiben sehr vage bzw. verändern sich mit der Zeit, am deutlichsten wird er in der Archäologie des Wissens, die er als Methodenreflexion praktisch für seine Kritiker niederschrieb. In Anlehnung an seine Theorie haben sich jedoch zahlreiche Wissenschaftler mit Diskursen und Möglichkeiten, sie zu analysieren, beschäftigt. In den Geistes- und Sozialwissenschaften wird die Diskursanalyse erst in den letzten Jahren zu einer etablierten Methode und es entstehen zunehmend mehr Arbeiten, die sich auf Foucault stützen. Der Diskursbegriff nach Michel Foucault lässt sich in einen weiten und einen engen Diskursbegriff einordnen. Der weite Diskursbegriff meint einen schwer fassbaren Begriff, ist ordnungslos und unberechenbar, deshalb werden Verbote und Regeln geschaffen. Die Grundlage für den engen Diskursbegriff bildet ein Komplex aus Aussagen, die nach bestimmten Regeln verbunden werden. Aussagen vermitteln hierbei keine festen Bedeutungen, sondern sind nur schlichte, sprachliche Ereignisse.

Nach Foucault dient der Gebrauch einer Autor-Instanz zur Markierung großer diskursiver Einheiten und ist selbst ein solcher Diskurs, der verschiedenen historischen und kulturellen Wandlungen unterliegt, allerdings auch besonders eng mit dem des Eigentums verzahnt ist: Ein Privatbrief kann einen Schreiber haben, er hat aber keinen Autor; ein Vertrag kann wohl einen Bürgen haben, aber keinen Autor. (...) Die Funktion Autor ist also charakteristisch für Existenz-, Verbreitungs- und Funktionsweise bestimmter Diskurse in einer Gesellschaft.

Was Foucault macht, ist erstens den Schreiber von dem zu trennen, der eine geistesgeschichtliche Wirkung auf seine Welt und Nachwelt hatte, das ist für ihn der Autor. Was Foucault zweitens klarmachen will, ist dass es nicht um diesen Autor als Person geht, wenn er einen Text analysiert. Der Autor ist für ihn eine Funktion, eine Schnittstelle, in die etwas hineingeht und aus der etwas herauskommt. Foucault lehnt es sogar ab, biographische oder psychologische Bezugspunkte auszuklammern. Aber: Er will sie nicht dafür verwenden, um eine Idee davon zu bekommen, wie ein Autor einen Text ursprünglich gemeint haben könnte, sondern um zu verstehen, wie etwas in die Funktion Autor kam und warum was mit welcher Wirkung daraus geworden ist. Foucault will einfach nicht vom Autor ausgehen, sondern geht von der Gesellschaft, ihren Denkmodellen und Inhalten aus. Und Ideen und Inhalte, oder wie er es nennt, Stoff, übernehmen eine Funktion im Diskurs. Foucault schreibt weiter, wenn man einen Diskursivitätstyp wie die Psychoanalyse, so wie sie von Freud begründet wurde, ausweitet, so heißt das nicht, ihr formale Allgemeinverbindlichkeit zu geben, die sie etwa zuvor nicht zugelassen habe, sondern einfach ihr eine gewisse Zahl von Anwendungsmöglichkeiten erschließen. Der Diskurs ist also nicht etwas, was einengt, sondern was dem einzelnen neue Möglichkeiten erschließt.

Intertextualität und das Denken von Julia Kristeva

Roland Barthes

Denkformen

Grundeinstellungen

Einheit von Denk-, Sprach- und Lebensverhältnissen im abendländischen Denken

Der Poststrukturalismus sieht die Denk-, Sprach- und Lebensverhältnisse miteinander unauflöslich verwoben. Zentrale Aufgabe der Philosophie sei es, die Denkverhältnisse zu analysieren, „die notwendigerweise mit herrschaftlich-totalitären Lebensformen korrelieren“ (Kuhn). Nach Kuhn ist für den Poststrukturalismus „Herrschendes abendländisches Denken (...) unmittelbar verbunden mit Lebensverhältnissen (...), die wir vorläufig zusammenfassend benennen können als autoritär, eindimensional, hierarchisch, totalitär, pluralitätsfeindlich. Für Menschen, die sich andere Lebensverhältnisse wünschen, ist daher die Entwicklung anderer Denkformen notwendig.“

So schreiben Deleuze und Guattari in Tausend Plateaus: "Das Denken als solches ist bereits konform mit einem Modell, das es vom Staatsapparat übernommen hat und das ihm Ziele und Wege, Leitungen, Kanäle, Organe, ein ganzes Organon vorschreibt."

Lebensbejahendes Denken statt Eingrenzung des Lebens

Dort, wo diese Einheit und Verwobenheit von Denk-, Sprach- und Lebensverhältnissen nicht gesehen wird, findet man „nur noch Beispiele, in denen das Denken das Leben zügelt, verstümmelt und vernünftig macht“ (Deleuze, in: Nietzsche). Da, wo das Philosophieren, das Denken, über das Leben urteilt und ihm vermeintliche höhere Werte entgegensetzt und das Leben an diesen höheren Werten misst und Grenzen setzt, sieht der Poststruktualismus "Die Entartung der Philosophie" (Deleuze). Sie "wird mit Sokrates klar sichtbar. ... Er macht aus dem Leben eine Sache, die beurteilt, gemessen und eingegrenzt sein muss, und aus dem Denken macht er ein Maß, eine Grenze, die im Namen höherer Werte – wie das Göttliche, das Wahre, Schöne und Gute – arbeitet... Mit Sokrates erscheint der Typus des freiwillig und spitzfindig geknechteten Philosophen" (Deleuze, in: Nietzsche).

Gegen dieses Denken "wünschen" (Kuhn) sich die Poststrukturalisten ein Denken, das das Leben bejaht. Deleuze schreibt dazu in Nietzsche und die Philosophie: "Statt einer sich dem Leben entgegenstellenden Erkenntnis ein Denken, das das Leben bejahte. Das Leben wäre die aktive Kraft des Denkens, aber dieses die bejahende Macht des Lebens. Beide gemeinsam, sich wechselseitig ziehend, gingen sie in dieselbe Richtung, im Gleichschritt, vorwärts im Bemühen um eine bisher noch beispiellose Schöpfung. Denken würde bedeuten: entdecken, neue Möglichkeiten des Lebens erfinden."

Theoretische Grundpositionen

Nach Kuhn implizieren diese Haltungen „jene theoretischen Basis-Positionen, die die Unterschiede zwischen den poststrukturalistischen und vielen anderen Denkweisen markieren und oft eine vehement ablehnende Haltung zum Poststrukturalismus mit sich bringen.“ Kuhn beschreibt diese Positionen negativ, im Sinne von „Poststrukturalismus wendet sich gegen…“ wie positiv, als die Prinzipien des Poststrukturalismus.

Der Poststrukturalismus richtet sich gegen:

  • die Idee einer Wahrheit

Vorstellungen von einer zu erkennenden, zu entdeckenden oder zu erfassenden Wahrheit, die auf abstrakte Konstruktionen einer dualistischen Welt, wie Sein-Schein, Tiefe-Oberfläche, Wissen-Meinung, Bewusstsein-Gegenstand, Innen-Außen basieren und die intellektuell Herrschaft legitimieren und damit für diese Herrschaft die Instrumente liefern, werden abgelehnt. Deleuze in Nietzsche und die Philosophie: "das Sein, das Wahre, das Wirkliche sind ... Arten, das Leben zu verstümmeln, es reaktiv werden zu lassen."

Abgelehnt werden Vorstellungen einer Wesenheit, die über den Charakter des Seins starr bestimmen und damit das Sein auf mehr oder weniger unveränderbare Zustände manifestieren. Sie führen nach Kuhn für den Poststrukturalismus dazu, "... dass das Entfalten fluktuierender und revolutionärer Theorien als unangemessen und chaotisch diffamiert und bekämpft wird".

Diese Ideen trennen "zwischen dem vernünftigen Menschen und der (als etwas minderwertiges konstruierten) Natur, den Wilden und Wahnsinnigen (denen allen zum wahren Mensch-Sein etwas Wesentliches fehlt)" und führen zu "eine(r) Individualisierung der (ja jeweils autonomen) Einzelnen" und treibt sie voran. Individualisierung verbindet sich "mit der Entwicklung des individuell ökonomisierten (kapitalisierten) und diszipliniert-unterworfenen Bürgertums" (Kuhn).

  • die Idee von der Verfügbarkeit der Sprache

Abgelehnt werden vom Poststrukturalismus nach Kuhn eine reine Kommunikationssprache und Vorstellungen, die Sprache als "Instrumentarium der Wirklichkeits-Abbildung im Dienste kommunikativer 'Interessen' und 'Bedürfnisse' der Menschen" darstellen. Sie tragen "zur Unterbindung einer zur Gestaltung lebendigen Daseins notwendigen Ausdrucksvielfalt" bei.

Nach Kuhn ergeben sich diese Ablehnung auch aus den Auseinandersetzungen um den Poststrukturalismus, in denen sich alle Einwände in irgendeiner Form auf diese vier Ideen beziehen. Von den Poststruktualisten werden nach Kuhn diese Ideen "als von den konkreten und vielfältigen Lebensverhältnissen abstrahierende Konstruktionen gesehen, die mit bestimmten Machtverhältnissen Hand in Hand gehen, und – genauso wie die jeweiligen Machtverhältnisse – keinen Anspruch auf allgemeine Akzeptanz im Sinne irgendeiner (intellektuellen, religiösen, moralischen oder anderen) Legitimation erheben können, sondern sich ihre Akzeptanz selbst terroristisch-diskursiv erarbeiten und absichern (...). Eigen ist diesen Konstruktionen dabei nicht nur die aktuelle Stützung bestimmter Machtverhältnisse, sondern auch die Verhinderung theoretischer Entwicklungen, die aus einem Sich-Einlassen auf die Pluralität dessen, was wir Wirklichkeit nennen, Konzeptionen zur Entfaltung bringen könnten, die als Analyse- und Denkformen gleichzeitig Existenz- und Widerstandsformen wären."

Konsequenzen für die Geschichte der Metaphysik

Abgelehnt werden mit diesen vier Ideen die mit der Geschichte der Metaphysik verbundenen traditionellen Voraussetzungen abendländischer Philosophie.

  • Zu fragen sei nicht "Wahr oder falsch?", sondern "Was gilt als wahr?" oder "Wie funktioniert da oder dort der Ausdruck wahr?"
  • Darstellungen oder Unterstellungen von Wesenheiten (Essenzen) interessiert die Poststrukturalisten nicht.
  • Die Vorstellung von einem autonomen Subjekt wird als Illusion und "Schwindel" verstanden.
  • Vorstellungen über die Verfügbarkeit des Menschen über die Sprache wird für "eine maßlose Selbstüberschätzung" (Kuhn) gehalten.

Kuhn: "Theorien, die auf die Erkenntnis oder Erkenntnismöglichkeit der Wahrheit bauen (oder auch nur auf die Möglichkeit der Annäherung an das nicht aufgegebene Ideal der Wahrheit), auf unveränderliche Seinszustände, auf Rationalität oder Intentionalität des Subjekts, oder auf das kommunikative Modell der Sprache, werden vom Poststrukturalismus grundlegend in Frage gestellt. Was schließlich zur Folge hat, dass jegliche von Platon, Aristoteles, Descartes, Kant oder Hegel herrührenden Denksysteme abgelehnt werden, und zwar brüsk – weswegen die Differenzen zwischen den PoststrukturalistInnen und ihren GegnerInnen tatsächlich oft unüberbrückbar scheinen, weil sie grundlegende Auffassungen von Theorie, Erkenntnis, Welt, Mensch, Sprache und Leben betreffen. Anders gesagt: Wer an einem Erkenntnisideal welcher Art auch immer ('aber stimmt das jetzt auch?'), an der Vorstellung welttranszendenter oder weltimmanenter Konstanten ('aber was ist es jetzt wirklich?'), an der Intentionalität eines Autors ('was hat er mitzuteilen?'), an der repräsentativen Funktion von Sprache ('was will sie damit jetzt genau sagen?') oder an allem, was ähnliche Fragen impliziert ('wer hat jetzt recht?', 'aber was verbirgt sich dahinter?', 'warum kann er das nicht klar und deutlich sagen?' oder vielleicht sogar 'was ist sein wahres Ich?') festhält, der oder die wird mit dem Poststrukturalismus nicht viel anfangen, nicht mit ihm arbeiten können (...)"

Prinzipien poststrukturalistischer Theoriebildung

Der Ablehnung dieser vier in der abendländischen Philosophie verankerten Ideen stehen deutliche Kriterien gegenüber, anhand derer sich bestimmen und unterscheiden lässt, was poststrukturalistische Texte und Denken ausmacht und ihm gerecht wird. Dabei wird nicht behauptet im Gegensatz zu den abgelehnten Ideen das richtige oder das „revolutionäre“ Denken entgegen stellen zu wollen. Mit diesen Kriterien wird sich hingegen bemüht, Wege für „spezifische und vielfältige Entfaltungen subversiven und beweglichen Denkens“ aufzuzeigen.

Pluralistisches Denken

Von entscheidender Bedeutung sind Vielfalt (Pluralität) und die singuläre und unaustauschbare Einzigartigkeiten (Differenz), die „nicht in einer höheren und wahren Ganzheit oder Identität negiert werden können, ohne sich in die oben beschriebenen und abgelehnten Denkschemata zu begeben (...) Allem (Ereignissen, Diskursen, Lebensformen ...) muss mensch in seiner singulären und unaustauschbaren Einzigartigkeit gerecht werden, jede Absicht, das Einzigartige einer Gesamtheit unterzuordnen, tut ihm Gewalt an.“ (Kuhn).

Bei der Entwicklung eines „Denken der Differenz“ wird jedem Versuch, die Wirklichkeit in Hierarchien einzubinden, widersprochen. Gegenstand des Denkens ist ein „sich stets veränderndes Feld der Wirklichkeit, ... das somit zwar eines, aber kein identisches, sondern ein vielfältiges ist.“ (Kuhn)

Materialistisches Denken

Gemeint ist damit keine „vulgären Version eines es-gibt-keine-Seele-hab'-nie-eine-gesehen“ (Kuhn). Abgelehnt werden bestimmte erkenntnistheoretische Grundsätze, die eine Zweiteilung der Welt in Geist und Bewusstsein vs. Körper und toter Materie behaupten. Dagegen wird ein vitalistischer, lebensbejahender Materialismus gesucht, „der der stofflichen Verwobenheit der Spiele und Bewegungen des Lebens angemessen ist“. D.h. es gibt nichts mehr, das als „unabänderlich 'Totes' ausgegrenzt wird“ (Kuhn).

Atheistisches Denken

Der Metaphysik wird „das fröhliche Umherschweifen“, die Entfaltung aktiver, lebendiger, intensiver, ungebundener und bejahender Lebensformen entgegengesetzt, die alles „göttliche“ (universale Monotheismen, königliche Despotien, humanistische Ideale, liberalistische Universalrechte usw.) ablehnen.

Deleuze: „Bejahen heißt nicht, sich aufladen, auf sich nehmen, was ist, sondern das, was lebt, entbinden, befreien. ... Nicht das Leben mit dem Gewicht höherer Werte belasten, sondern neue Werte schaffen, die solche des Lebens sind, die das Leben zum Leichten, zum Aktiven erheben.“

Funktionalismus und Pragmatismus

Dem Poststrukturalismus geht es nicht darum „wahre“ Theorien zu entwickeln, sondern „Theorien als Erklärungspraktiken verschiedener Zusammenhänge zu produzieren, die als solche gut oder weniger gut zu gebrauchen sind“.

Deleuze: „einzig der Gebrauch, den man (...) macht, zählt. Kein Problem des Sinns, nur mehr des Gebrauchs“. Bestehende Theorien werden nicht daraufhin untersucht, „ob sie wahr oder falsch sind, sondern wie sie funktionieren, wozu sie wem bzw. was von Nutzen sind, wie sie legitimiert werden, in welchen Wechselbeziehungen sie mit anderen Theorien stehen, mit welchen Machtverhältnissen sie korrelieren, welche sie verhindern (...)“ (Kuhn).

Guattari: „Ich weise nicht den Dialog zurück, aber mir ist es lieber, wenn der Dialog nicht zu ideologischen Einwendungen führt. Was mir gefällt, sind die maschinellen Einwendungen. Sagt man mir, mit einem anderen Wort als 'Begehren' liefe es besser, gut, dann bin ich aufmerksam und gespannt wie die Jungs, die sich über den Motor ihres Mopeds beugen“.

Poststrukturalismus ist nach Derrida „der erklärte Verzicht jeglicher Bezugnahme auf ein Zentrum, auf ein Subjekt, auf eine privilegierte Referenz, auf einen Ursprung oder auf eine absolute 'Arche' “.

Dekonstruktion

Eine Methode des Poststrukturalismus ist die (eigentlich strukturalistische) Dekonstruktion von Modellen der Wirklichkeit (Dekonstruktivismus).

Nach Jacques Derrida ist Dekonstruktion eigentlich keine Methode, sondern eine Praxis. Dies bedeutet, sie muss nach dem jeweiligen Gegenstand immer anders verfahren und ist nicht immer gleich anwendbar. Dennoch kann man grob gesagt zwei Bewegungen ausmachen: Die erste ist die Umkehrung z.B. von binären Unterscheidungen, die zweite die Verschiebung der ganzen Logik. Bliebe man bei der ersten Bewegung stehen, würde wieder eine neue Hierarchie aufgebaut, darum betont Derrida, dass die zweite Bewegung der Verschiebung unbedingt notwendig ist. Hinzu kommt, dass eine Dekonstruktion eigentlich nie abgeschlossen ist, da sich immer wieder binäre Logiken herstellen.

"Es geht uns gewiß nicht um interpretierende Deutung nach dem Muster: Dieses bedeutet jenes." (Deleuze/Guattari: Kafka)

Interessant ist die Praxis der Dekonstruktion nicht nur, wenn man sie auf Texte (im geläufigen Sinn) anwendet, sondern auch im Hinblick auf Medien (Friedrich Kittler) oder sozialwissenschaftliche Theorien, die sich mit Identitäten oder Identifizierungen beschäftigen - zum Beispiel die Queer Theory oder die feministischen Theorien (Judith Butler) oder Kulturtheorien. Hier werden anhand der Praxis der Dekonstruktion die Stabilitäten und Wesenheiten von Identitäten hinterfragt, und man sucht nach neuen politischen Wegen.

Vielfach wird der Dekonstruktion auch eine ethische Komponente zugesprochen, da sie die Beziehung zum Anderen eröffnet, zu einem bislang Ungedachten oder Ausgeschlossenen. Der Ethikbegriff der Dekonstruktion geht zurück auf die Philosophie von Emmanuel Levinas.

Sozialhistorische Hintergründe

Poststrukturalistische Autoren schrieben in einem politischen Klima des „humanistisch argumentierenden Marxismus“ (Kuhn), das die Intellektuellen ihrer Zeit bestimmte. Derrida spricht von einem Milieu, das vom Marxismus „eingeschüchtert“ sei. Foucault meinte:

„In den Jahren zwischen 1945 und 1965 (ich beziehe mich hier auf Europa) gab es eine bestimmte Art und Weise, richtig zu denken, einen bestimmten Stil des politischen Diskurses, eine bestimmte Ethik des Intellektuellen. Man musste wohlvertraut sein mit Marx.“

Maurice Merleau-Ponty und besonders Jean-Paul Sartre galten als Autoritäten in moralisch-politischen Fragen, die kaum zu kritisieren waren. Auch die Kritik am Sowjetsozialismus und an dogmatischen Strukturen der KPF war vor allem eine Sache dieser anerkannten Marxisten.

Foucault: „Als ich jung war, war gerade er (Sartre) es, [und] alles, was er repräsentierte, der Terrorismus von Les Temps modernes, wovon ich mich befreien wollte.“

Barthes: „Meine Generation hatte das Bedürfnis, Sartres Unternehmung, die den Menschen in das Halseisen der historischen Dialektik einschließt, zu erschüttern.“

Lyotard kritisierte in seinen “Streifzügen“ : „Die Gewerkschaften trugen dazu bei, die Ausbeutung der Arbeitskraft zu steuern, die Partei diente dazu, die Entfremdung des Bewusstseins zu modulieren, Sozialismus war ein totalitäres Regime, und Marxismus war nichts anderes mehr als ein - Raster von Worten.“

Die Autoren sahen die marxistische Bewegung vor dem Hintergrund des Stalinismus, dem Verschwinden der Arbeiterklasse als revolutionärem Subjekt, der „Sozialdemokratisierung“, der Schwäche sozialistischer Bewegungen im Postkolonialismus, der Formulierung neuer Dringlichkeiten in der Ökologie, der Selbstzerstörung der Jugendlichen in den Metropolen, der Entstehung neuer selbstbewusster Bewegungen, die sich nicht mehr mit einer Nebenwiderspruchsposition abfinden wollten: Frauenbewegung, Black-Power- Bewegung, die SchwulenLesbenbewegung, oder die Bürgerrechtsbewegungen.

Das poststrukturalistische Denken konnte auf diese Veränderungen keine Antworten mehr im Humanismus und Marxismus erkennen.

Foucault: „Vielleicht seit der Oktoberrevolution in Rußland 1917 … gibt es zum ersten Mal auf der Welt nicht einen einzigen Punkt, durch den das Licht einer Hoffnung scheinen könnte. Es gibt keine Orientierung mehr. Auch nicht in der Sowjetunion, das versteht sich von selbst ... Es gibt keine einzige revolutionäre Bewegung, erst recht kein einziges „sozialistisches“ Land, auf das wir uns berufen könnten ... Wir sind zurückgeworfen auf das Jahr 1830, das heißt: Wir müssen neu beginnen. ... Wir müssen ganz von vorne anfangen und fragen: Von wo aus kann man die Kritik an unserer Gesellschaft leisten, ... da ja alles, was diese sozialistische Tradition in der Geschichte hervorgebracht hat, zu verurteilen ist.“

Es entstand eine zunächst vehement antimarxistische Haltung und es kam zu einer „theoretischen Revolution, die sich nicht nur gegen bürgerliche Staatstheorien richtet, sondern auch gegen die marxistische Konzeption der Macht und ihrer Beziehungen zum Staat. Es hat den Anschein, als ob endlich etwas Neues seit Marx auftauchte. Es sieht so aus, als sei die Komplizenschaft hinsichtlich des Staates zerrissen.“ (Deleuze, in: Der Faden ist gerissen)

Der Mai 68 überraschte die dogmatischen Marxisten der KPF, und Poststrukturalisten sahen in ihnen auch einen der Gründe für sein Scheitern. Deleuze und Guattari war es somit in ihrer Zusammenarbeit „weniger darum gehandelt, dass wir unser Wissen gemeinsam nutzen wollten, sondern darum, dass wir uns mit unseren Ungewissheiten, ja, sagen wir in der gewissen Verwirrung zusammentun wollten, in die uns die Wende, die die Ereignisse nach dem Mai 68 genommen hatten, versetzt hat.“

Kritik am Poststrukturalismus

Philosophische Bezugsautoren

Wichtige Referenzen, auf die sich viele Postrukturalisten - oft auch kritisch - beziehen, sind etwa: Jacques Lacan, Louis Althusser, Michel Serres, Claude Lévi-Strauss, Ferdinand de Saussure, Karl Marx, Sigmund Freud, Friedrich Nietzsche, Martin Heidegger, Georges Bataille, Pierre Klossowski.

Daneben sind für Lyotard bedeutsam: die Sophisten, Wittgenstein und Kant; für Deleuze: Epikur, Lukrez, Duns Scotus, Spinoza, Hume, Bergson, Leibniz; für Derrida: Husserl, Levinas, Hegel, Rousseau, Platon, Austin für Deleuze und Guattari: der Linguist Louis Hjelmslev und der Ethnologe Pierre Clastres; für Foucault: Gaston Bachelard; für Irigaray die christliche Mystik.

siehe auch

Postanarchismus, Dekonstruktion

Siehe auch

Literatur

  • François Dosse: Geschichte des Strukturalismus, Frankfurt/M.: S. Fischer 1999 (2 Bde.)
  • Manfred Frank: Was ist Neostrukturalismus?, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1984
  • Jürgen Habermas: Der philosophische Diskurs der Moderne. Frankfurt/M: Suhrkamp 1988
  • Gerhard Kaucic: Einführung in die Chinesische Schrifttheorie. Poststrukturalismus Dekonstruktivismus Dissemination. - In: Die Grüne F Abyss. Internationale polylinguale Zeitschrift für Grüne Kultur/Politik. Nr.24b/1998, S. 67ff.
  • Gabriel Kuhn: Tier-Werden, Schwarz-Werden, Frau-Werden. Eine Einführung in die politische Philosophie des Poststrukturalismus. Unrast Verlag 2005 - ISBN 3-89771-441-8
  • Stephan Moebius: Die soziale Konstituierung des Anderen. Grundrisse einer poststrukturalistischen Sozialwissenschaft nach Lévinas und Derrida, Frankfurt/M.: Campus 2003. - ISBN 3-593-37268-1
  • Stephan Moebius/Andreas Reckwitz (Hg.): Poststrukturalistische Sozialwissenschaften. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2008 - ISBN 978-3518294697
  • Stefan Münker/Alexander Roesler: Poststrukturalismus. Stuttgart: Metzler 2000 - ISBN 3-476-10322-6
  • Heike Raab: Foucault und der feministische Poststrukturalismus. - Ed. Ebersbach: Dortmund 1998. - ISBN 3-931782-96-4
  • Tom Rockmoore: Heidegger und die französische Philosophie, Zu Klampen 2000. - ISBN 3-924245-96-7
  • Alan Sokal / Jean Bricmont: Eleganter Unsinn - Wie die Denker der Postmoderne die Wissenschaften mißbrauchen. dtv 2001 - ISBN 3423330651
  • Günther Schiwy: Der französische Strukturalismus, München (Beckh), 1969, ISBN 3-4995-5310-4

Weblinks


Kategorie:PhilosophieKategorie:Soziologie