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Wurzelloser Kosmopolit

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Wurzelloser Kosmopolit (russisch Безродный космополит, Besrodny kosmopolit) war ein sowjetisches Schlagwort während Joseph Stalins antisemitischer Kampagne zwischen 1948 und 1953, die mit der „Entlarvung“ der angeblichen „Ärzteverschwörung“ ihren Höhepunkt erreichte.

Der euphemistische Begriff und die behördliche Verfolgung zielten unmissverständlich auf Juden, was offiziell jedoch nie zugegeben wurde, um den Vorwurf eines staatlichen Antisemitismus zu vermeiden. Offener Antisemitismus hätte die sowjetische Führungsspitze in ihrem marxistischen Anspruch diskreditiert, da er gegen grundlegende Prinzipien des Marxismus wie die Bruderschaft der Völker und die internationale Gleichheit des Proletariats verstößt.

Hintergrund[edit]

Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs und unmittelbar danach wuchs der Einfluss des Jüdischen Anti-Faschistischen Komitees (JAC) auf die sowjetischen Juden, und das JAC wurde im Westen als deren Vertreter akzeptiert. Die Anhörungskommission des Zentralkomitees der KPdSU stellte fest, dass das JAC anstelle des erwünschten „Kampfes gegen die Kräfte der internationalen Reaktion“ die Linie des Allgemeinen jüdischen Arbeiterbunds fortsetzte – eine gefährliche Assoziation, da ehemalige Bund-Mitglieder „auszumerzen“ waren. Der Anführer des JAC, der prominente Schauspieler Solomon Michoels, starb im Januar 1948 bei einem mysteriösen Autounfall. Dem folgten willkürliche Inhaftierungen von JAC-Mitgliedern und die Schließung des JAC.

Die UdSSR stimmte 1947 für den UN-Teilungsplan Palästinas. Im Mai 1948 erkannte sie den Staat Israel an und belieferte diesen daraufhin über die Tschechoslowakei, unter Verletzung eines internationalen Embargos, mit Waffen zur Verteidigung gegen die Bedrohung durch arabische Armeen. Viele sowjetische Juden sympathisierten mit Israel und sandten Tausende von Briefen an das (formal nach wie vor existierende) JAC, in denen sie Hilfe anboten oder sich sogar als Freiwillige zu Israels Verteidigung meldeten.

Anfang September traf Golda Meïr (damals noch unter dem Namen Golda Meyerson) als erste israelische Botschafterin in der UdSSR in Moskau ein. Eine Menschenmenge von schätzungsweise 50.000 Personen jubelte ihr begeistert zu, als sie zu Jom Kippur und Rosch ha-Schanah die Moskauer Synagoge besuchte.

Am 21. September enthielt die Ausgabe der Prawda den Artikel Einen Brief betreffend von Ilja Ehrenburg, in dem er Antisemitismus kritisierte und die Zukunft der Sowjetjuden in der Assimilation in das vereinte Sowjetvolk sah. Später gab Ehrenburg zu, dass dieser Artikel vom Politbüro angeordnet worden war.

Gesteuert von der offiziellen Propaganda, gewann zu dieser Zeit der russische Nationalismus deutlich an Bedeutung, nicht zuletzt durch den immer feindlicher werdenden Kalten Krieg und die Erkenntnis der sowjetischen Führung, dass Israel sich für die westliche Lösung entschieden hatte. Zusätzlich wurden Juden, aufgrund ihrer internationalen Verbindungen insbesondere in die USA und aufgrund ihres wachsenden Nationalbewusstseins, als Sicherheitsrisiko eingestuft. Bis zum Jahresende 1948 wechselte die UdSSR die Seiten im arabisch-israelischen Konflikt und begann, die Araber gegen die Israelis zunächst politisch zu unterstützen, später kam auch militärische Hilfe hinzu. Diese Politik wurde während des gesamten Kalten Krieges beibehalten.

„Über eine antipatriotische Gruppe von Theaterkritikern“[edit]

Die landesweite Kampagne begann mit dem Prawda-Artikel Ãœber eine antipatriotische Gruppe von Theaterkritikern vom 28. Januar 1949:

Unkontrollierte, böswillige Kosmopoliten, Profitjäger ohne Wurzeln und ohne Gewissen [...] Gewachsen auf der schimmligen Hefe des Kosmopolitentums, der Dekadenz und des Formalismus der Bourgeoisie [...] Nationalisten, hier nicht heimisch, ohne Mutterland, die unsere proletarische Kultur mit Gestank vergiften. [...] Was kann A. Gurwitsch überhaupt vom Nationalcharakter eines russischen Sowjetmenschen verstehen?

Stalinistische Standardbeschuldigungen der Verschwörung wurden von einem Kreuzzug der staatlich kontrollierten Massenmedien begleitet, die zur Enthüllung von Pseudonymen aufriefen.

Viele jiddische Schriftsteller wurden inhaftiert und etliche hingerichtet. Jiddische Theater und Zeitungen wurden sofort geschlossen, die Bücher einiger jüdischer Autoren wie Eduard Bagrizki, Wassili Grossman, Michail Swetlow, Iosif Utkin und Boris Pasternak wurden umgehend aus den Bibliotheken verbannt. Sogar Molotows Ehefrau Polina Schemtschuschina, die Jüdin war und Golda Meirs Freundin wurde, entkam 1949 dem Gefängnis nicht.

Stalins Tochter Swetlana Allilujewa erinnert sich in ihrem Buch Zwanzig Briefe an einen Freund an die Antwort ihres Vaters auf die Frage nach ihrem inhaftierten jüdischen Schwiegervater I. G. Morosow: Du verstehst das nicht! Die gesamte alte Generation ist mit dem Zionismus infiziert, und sie bringen ihn ihrer Jugend bei. Der stellvertretende Ministerratsvorsitzende Wladimir Malischew berichtet, dass Stalin in einer Sitzung des Politbüros vom 1. Dezember 1952 verkündete: Jeder Jude ist ein Nationalist und potentieller Agent des amerikanischen Geheimdienstes.

Ehrenburg, der 1946 die USA besuchte und dessen ausdrücklich antiamerikanische Artikel von der sowjetischen Propaganda abgedruckt wurden, galt bis zu diesem Zeitpunkt in den Medien als internationaler Friedensaktivist, er war Gewinner des Stalin-Preises von 1947. Der Jude Ehrenburg hatte eine solche Angst vor einer Festnahme, dass er an Stalin einen Brief mit der Bitte um „Beendung der Ungewissheit“ schrieb. Später behauptete er, er sei verschont worden, weil das Regime die Kampagne vor dem Westen verbergen musste, der die Notlage der sowjetischen Juden inzwischen als gravierendes Menschenrechtsproblem wahrnahm.

Viele sowjetische Juden verloren ihre Arbeitsplätze. 1947 stellten Juden 18 % der sowjetischen Berufstätigen mit akademischer Ausbildung, bis 1970 schrumpfte diese Zahl auf 7 %.

Alles Jüdische wurde von den sowjetischen Behörden unterdrückt, und sogar das Wort Jude verschwand aus den Medien. Viele waren schockiert, als sie feststellten, dass eine von Michoels gesungene jiddische Strophe des berühmten Wiegenlieds aus dem auch in der Nachkriegszeit noch beliebten sowjetischen Filmklassiker Zirkus („Zirk“, 1936) herausgeschnitten worden war, obwohl Millionen Menschen das Lied auswendig kannten.

Der Boden für die Prager Schauprozesse gegen Rudolf Slánský und andere und für die „Ärzteverschwörung“ war somit bereitet.

Literatur[edit]

Weblinks[edit]


Kategorie:Politologie Kategorie:Antisemitismus