Still working to recover. Please don't edit quite yet.

ABC des Anarchismus/Prinzipien und Praxis

Aus <a href="http://deu.anarchopedia.org/ABC_des_Anarchismus/Prinzipien_und_Praxis">Anarchopedia</a>, dem offenen Wissensportal für und von AnarchistInnen
Revision as of 19:31, 12 May 2007 by 89.50.35.80 (Talk) (für Druckversion)

(diff) ← Older revision | Latest revision (diff) | Newer revision → (diff)
Jump to: navigation, search

Kategorie:ABC des Anarchismus


Das Hauptziel der sozialen Revolution muß die sofortige Verbesserung der Lebensbedingungen der Massen sein. Der Erfolg der Revolution hängt zur Hauptsache davon ab. Man kann dies nur erreichen, indem Verbrauch und Produktion so organisiert werden, daß sie der Bevölkerung wirklich zugute kommen. Darin liegt die größte - in der Tat einzige - Sicherheit der sozialen Revolution. Nicht die Rote Armee besiegte die Konterrevolution in Rußland: Es waren die Bauern, die sich mit aller Kraft an das Land klammerten, das sie sich bei der Erhebung genommen hatten. Wenn die soziale Revolution leben und wachsen soll, muß sie zu einem materiellen Gewinn für die Massen führen. Alle Menschen müssen sich eines tatsächlichen Vorteils für ihre Anstrengungen sicher sein oder zumindest die Hoffnung auf einen solchen Vorteil in naher Zukunft haben können. Die Revolution ist gescheitert, wenn ihre Existenz und Verteidigung auf mechanischen Mitteln wie Kriegen und Armeen basiert. Die wirkliche Sicherheit der Revolution ist organisch, das heißt, sie liegt in Industrie und Produktion.


Ziel der Revolution ist es, größere Freiheiten zu sichern und den materiellen Wohlstand der Menschen zu steigern. Im besonderen ist es das Ziel der sozialen Revolution, die Massen in die Lage zu versetzen, durch ihre eigenen Bemühungen die Bedingungen eines materiellen und sozialen Wohlstands herbeizuführen, ein höheres moralisches und geistiges Niveau zu erreichen. Mit anderen Worten, durch die soziale Revolution muß die Freiheit gefestigt werden. Denn wahre Freiheit basiert auf wirtschaftlicher Unabhängigkeit. Ohne sie ist Freiheit Betrug und Lüge, eine Maske für Ausbeutung und Unterdrückung. Die Freiheit ist im weitesten Sinne die Tochter der wirtschaftlichen Gleichheit. Darum ist es das Ziel der sozialen Revolution, gleiche Freiheit auf der Basis der Chancengleichheit herzustellen. Die revolutionäre Neuorganisation des Lebens muß sofort damit beginnen, die Gleichheit aller wirtschaftlich, politisch und sozial umfassend zu sichern.


Diese Neuordnung wird zuerst und vor allen Dingen von der gründlichen Kenntnis der Arbeiter über die wirtschaftliche Situation des Landes abhängen: Von einer vollständigen Inventur der Vorräte, von der exakten Kenntnis der Rohstoffquellen und von der richtigen Organisation der Arbeitskräfte, um ein wirksames Management zu gewährleisten.


Das heißt, Statistiken und klug vorgehende Arbeiterverbände sind am Tage nach dem Umbruch lebenswichtige Faktoren der Revolution. Das ganze Problem der Produktion und des Vertriebs - das Leben der Revolution - ist darin begründet. Es ist offensichtlich, wie schon zuvor erwähnt, daß diese Kenntnis durch die Arbeiter vor der Revolution erlangt werden muß, wenn sie ihr Ziel erreichen soll.


Darum ist der Werks- und Fabrikausschuß der im vorangegangenen Kapitel behandelt wurde, so wichtig und wird solch eine entscheidende Rolle im revolutionären Neuaufbau spielen. Denn eine neue Gesellschaft wird genauso wenig wie ein Kind plötzlich geboren. Das neue soziale Leben benötigt in dem Körper des alten eine genauso lange Zeit der Entwicklung, wie das neue individuelle Leben im Schoß der Mutter. Zeit und gewisse Prozesse sind zur Entwicklung nötig, bevor ein kompletter, funktionstüchtiger Organismus entsteht. Wenn der Zeitpunkt der Geburt erreicht ist, erfolgt sie mit Schmerz und Pein, da besteht in gesellschaftlicher und individueller Hinsicht kein Unterschied. Die Revolution ist, um einmal ein abgegriffenes aber treffendes Sprichwort zu benutzen, die Geburtshelferin eines neuen sozialen Wesens. Das ist im buchstäblichen Sinne wahr. Der Kapitalismus stellt die Eltern der neuen Gesellschaft; das Werks- und Fabrikkomitee, die Vereinigung klassenbewußter Arbeiter mit revolutionären Zielen, ist der Keim des neuen Lebens. In diesem Werkskomitee und in der Gewerkschaft muß der Arbeiter die nötigen Kenntnisse erwerben, um seine Angelegenheiten zu regeln: Im Laufe dieses Prozesses wird er zu der Erkenntnis kommen, daß soziales Leben eine Sache der richtigen Organisation, des gemeinsamen Handelns und der Solidarität ist. Er wird lernen, daß nicht Herumkommandieren und Beherrschen der Menschen, sondern nur eine freie Gesellschaft und harmonische Zusammenarbeit etwas erreichen; daß nicht Regierung und Gesetz etwas produzieren und erschaffen, das Getreide wachsen lassen und die Räder drehen, sondern Eintracht und Zusammenarbeit. Die Erfahrung wird ihn lehren, das Management von Sachen an die Stelle der Reglementierung von Menschen zu setzen. Im täglichen Leben und im Kampf seines Werkskomitees muß der Arbeiter lernen, wie eine Revolution durchzuführen ist.


Werks- und Fabrikkomitees, die örtlich, nach Bezirken, Regionen oder Staaten organisiert und auf nationaler Basis zusammengeschlossen sind, sind die am besten geeigneten Einrichtungen, um die revolutionäre Produktion fortzuführen.


Örtliche und staatliche Arbeiterräte, auf nationaler Basis föderativ vereint, werden die Organisationsform darstellen, die sich am besten dazu eignet, den Absatz der Produktion durch die Genossenschaften des Volkes zu bewältigen. Diese von den Arbeitern im Betrieb gewählten Komitees stellen die Verbindungen ihrer Werke und Fabriken mit anderen Werken und Fabriken desselben Industriezweigs her. Der Gesamtrat einer ganzen Industrie verbindet diese mit anderen Industrien, und so entsteht ein Bund von Arbeiterräten über das ganze Land.


Kooperativ arbeitende Verbände vermitteln den Warenaustausch zwischen Stadt und Land. Die Bauern, die örtlich organisiert und regional und national in einem Bund vereinigt sind, liefern den Bedarf der Städte über Genossenschaften und erhalten dafür durch diese die Produkte der städtischen Industrie.


Jede Revolution wird von einem Ausbruch großer Volksbegeisterung begleitet, in der Hoffnung und Sehnsucht zum Ausdruck kommen. Sie ist das Sprungbrett der Revolution. Diese spontane und mächtige Flut öffnet die menschlichen Quellen der Initiative und Aktivität. Das Gefühl für Gleichheit setzt die besten Eigenschaften im Menschen frei und läßt ihn bewußt schöpferisch werden. Darin besteht der starke Antrieb der sozialen Revolution, sie sind ihre Triebkräfte. Ihre freie und ungehinderte Entfaltung ist für die Entwicklung und Vertiefung der Revolution wichtig. Ihre Unterdrückung bedeutet Zerfall und Absterben. Die Revolution ist gesichert, wächst und wird stark, solange die Massen das Gefühl haben, daß sie unmittelbar teilnehmen, daß sie ihr eigenes Leben gestalten, daß sie die Revolution machen und daß sie die Revolution sind. Aber in dem Augenblick, in dem ihre Aktivitäten von einer politischen Partei usurpiert oder in irgendeiner besonderen Organisation konzentriert werden, wird sich die revolutionäre Tatkraft auf einen verhältnismäßig kleinen Kreis beschränken, von dem die großen Massen praktisch ausgeschlossen sind. Das natürliche Ergebnis ist, daß sich die allgemeine Begeisterung legt, das Interesse allmählich nachläßt, die Initiative erlahmt, die Kreativität schwindet und die Revolution das Monopol einer Clique wird, die alsbald zum Diktator wird.


Das ist tödlich für die Revolution. Solch eine Katastrophe läßt sich nur verhindern durch das fortwährende aktive Interesse der Arbeiter, deren tagtägliche Teilnahme an allen die Revolution betreffenden Angelegenheiten. Die Quelle dieses Interesses und dieser Aktivität ist die Gewerkschaft.


Das Interesse und die Loyalität der Massen zu der Revolution werden von dem Gefühl der Menschen bestimmt, daß die Revolution der Gerechtigkeit dient und daß ein ehrliches Spiel getrieben wird. Dies erklärt die Macht der Revolutionen, Menschen zu großen Heldentaten und Hingabe zu begeistern. Wie schon erwähnt, sehen die Massen instinktiv in der Revolution den Feind von Unrecht und Ungerechtigkeit und den Vorboten der Gerechtigkeit. In diesem Sinne ist die Revolution ein starker ethischer Faktor und etwas Begeisterndes. Grundsätzlich können nur hohe moralische Prinzipien die Massen beflügeln und in geistige Höhen erheben.


Alle vom Volke getragenen Erhebungen bestätigen dies; besonders jedoch die russische Revolution. Aufgrund dieses Geistes konnten die russischen Massen so eindrucksvoll alle Hindernisse im Februar und Oktober überwinden. Kein Widerstand konnte ihre durch eine große und edle Sache inspirierte Hingabe besiegen. Der Niedergang der Revolution begann aber, als sie ihrer hohen moralischen Werte beraubt und als ihr die Elemente Gerechtigkeit, Gleichheit und Freiheit genommen wurden. Dieser Verlust war das Verderben der Revolution.


Die große Bedeutung moralischer Werte für die soziale Revolution kann nicht oft genug herausgestellt werden. Sie und die Gewißheit der Massen, daß die Revolution auch materielle Verbesserung bedeutet, sind dynamische Faktoren im Leben und Wachstum der neuen Gesellschaft. Die moralischen Werte üben dabei den größten Einfluß aus. Die Geschichte früherer Revolutionen beweist die Bereitschaft der Massen, zu leiden und materiellen Wohlstand um größerer Freiheit und Gerechtigkeit willen zu opfern. So konnte in Rußland weder Kälte noch Hunger die Bauern und Arbeiter dazu verleiten, die Konterrevolution zu unterstützen. Ungeachtet aller Entbehrungen und allen Elends dienten sie heldenhaft den Interessen der großen Sache. Erst als sie sahen, daß die Revolution von einer politischen Partei monopolisiert, die neugewonnenen Freiheiten eingeschränkt und eine Diktatur errichtet wurde, Ungerechtigkeit und Ungleichheit wieder dominierten, wurde ihnen die Revolution gleichgültig, lehnten sie eine Beteiligung an dem Betrug ab, verweigerten die Mitarbeit und stellten sich sogar gegen die Revolution. Konterrevolution und Verderben werden geradezu eingeladen, wenn die ethischen Werte vergessen, Praktiken und Methoden eingeführt werden, die unvereinbar mit dem hohen moralischen Ziel der Revolution sind oder ihnen sogar entgegenstehen.


Daraus folgt, daß der Erfolg der sozialen Revolution zuallererst von Freiheit und Gleichheit abhängt. Jedes Abgehen davon kann nur schädlich sein: Noch mehr, es wird sich mit Sicherheit als zerstörerisch erweisen. Daraus ergibt sich, daß alle Aktivitäten der Revolution auf Freiheit und gleichen Rechten basieren müssen. Dies bezieht sich sowohl auf kleine als auch auf große Dinge. Alle Handlungen oder Methoden, die darauf abzielen, die Freiheit einzuschränken, Ungleichheit und Ungerechtigkeit zu schaffen, können nur zu einer verbreiteten feindseligen Haltung gegenüber der Revolution und ihren Zielen führen. Von diesem Gesichtspunkt her müssen alle Probleme in der Zeit der Revolution betrachtet und gelöst werden. Unter ihnen sind die wichtigsten die des Verbrauchs und der Unterkunft, der Produktion und des Warenaustausches.


Nach oben