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Pierre Ramus (Rudolf Grossmann)

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Rudolf Großmann, besser bekannt unter dem Pseudonym Pierre Ramus, wurde am 15. April 1882 in Wien geboren. Nachdem er als Jugendlicher wegen sozialdemokratischer Propaganda mit Schule und Elternhaus in Konflikt geraten war, begab sich Großmann in die Vereinigten Staaten. Im Jahr 1898 begann er sich politisch und publizistisch in der sozialistischen Arbeiterbewegung zu betätigen und wurde Mitarbeiter der New-Yorker Volkszeitung (1898-1900) und der Groß-New-Yorker Arbeiterzeitung (1899).

In New York gründete er 18jährig seine erste Monatsschrift, Der Zeitgeist. Er machte bald Bekanntschaft mit dem anarchistischen Revolutionär Johann Most, für dessen Freiheit er bis 1904 Beiträge lieferte. In den Jahren 1902-1903 war er Mitarbeiter der Chicagoer Arbeiterzeitung und einer der Redakteure von deren Sonntagsblatt Die Fackel. 1902 wurde Großmann als Redner einer Streikveranstaltung in Paterson verhaftet und gemeinsam mit Luigi Galleani und William MacQueen angeklagt; auf Kaution freigelassen, floh er über Kanada 1903 nach England. In London betätigte sich Großmann innerhalb der jüdischen und deutschsprachigen anarchistischen Bewegung, und er nahm zahlreiche Anregungen auf (Idee des Gildensozialismus, programmatische Ansätze der Fabian Society etc.). In dieser Zeit lieferte er Beiträge für u. a. die jiddischen kommunistisch-anarchistischen Zeitschriften Der Arbeiterfraynd und Germinal sowie verschiedene deutsche anarchistische Blätter.

1905-1906 war er Redakteur des syndikalistischen Monatsblatts Der freie Zigarettenarbeiter, 1906 Mitarbeiter der anarchistischen Wochenschrift Die freie Arbeiterwelt. In dieser Zeit wählte er auch das am französischen Humanisten Petrus Ramus orientierte Pseudonym, unter dem er letztlich bekannt wurde: Pierre Ramus. So versuchte er seiner Intention Ausdruck zu geben, als Aufklärer wirksam zu werden. Ab 1906 gab er, zuerst in London, dann in Wien Die freie Generation heraus (London-Berlin, 1906-1908), dem 1910-1914 das Jahrbuch der Freien Generation folgte. 1907 nach Wien zurückgekehrt, gab er dort bis zum Kriegsausbruch 1914 die Halbmonatsschrift Wohlstand für Alle heraus.

Als Denker, Publizist und Redner vertrat er eine Kombination von Anarchismus und Antimilitarismus, sein propagandistisches und praktisches Wirken inkludierte auch die Frage der Geburtenkontrolle. Seine Lehre bezog ihre Substanz unter anderem aus den Ansätzen William Godwin, Peter Kropotkin, Francisco Ferrer, Leo A. Tolstoj und Max Stirner. Besonders hervorhebenswert erscheinen sein Eintreten für eine genossenschaftliche Ökonomie und für eine freie antiautoritäre Erziehung, weiters seine kritischen Auseinandersetzungen mit Ludwig Mises, Rudolf Goldscheid und mit dem Marx´schen Gedankengut. Von 1906-1933 war Ramus als Agitator unermüdlich für die ihm wesentlich erscheinenden Ideen propagandistisch tätig und versuchte die anarchistische Bewegung in Österreich, teilweise auch in Deutschland nach seinen Vorstellungen (anarcho-kommunistisch, gewaltfrei, antimilitaristisch) zu beleben und zu organisieren.

Unterbrochen wurden diese Aktivitäten im Ersten Weltkrieg durch seine Verweigerung des Kriegsdiensts. Er verbrachte die Zeit teils im Gefängnis, teils im Hausarrest in Klosterneuburg. 1916 heiratete er seine langjährige russische Lebensgefährtin Sophie Ossipowna (Sonja) Fridman, um ihr eine Internierung zu ersparen. Der Verbindung entstammten zwei Töchter, Lilly und Erwina.

Ab November 1918 publizierte er neben einer Vielzahl von Broschüren und Büchern (Die Irrlehre und Wissenschaftslosigkeit des Marxismus im Bereich des Sozialismus (1919), Die Neuschöpfung der Gesellschaft durch den kommunistischen Anarchismus (1920), Friedenskrieger des Hinterlandes (1924) u. a.) die Zeitschrift Erkenntnis und Befreiung. Wochenschrift des herrschaftslosen Sozialismus (1928-1929 auch unter dem Titel Der Anarchist) und unternahm ausgedehnte Vortragsreisen nach Deutschland, Frankreich und der Schweiz. Seine praktisch-politische Organisationsarbeit führte in Österreich zur Gründung des „Bundes herrschaftsloser Sozialisten“, als dessen Organ die oben genannte Zeitschrift "Erkenntnis und Befreiung" bis 1933 erschien. Der von Ramus begründete „Bund herrschaftsloser Sozialisten“ (BHS) versuchte nach dem Ende des Ersten Weltkrieges im gewerkschaftlichen Bereich Fuß zu fassen, eine starke Verankerung gelang allerdings nur im Rahmen der Siedler- und Bodenbesetzerbewegung. Hinsichtlich der Bündnispolitik war im Raume Wien eine gewisse Annäherung an die Sozialdemokratie gegeben (Zusammenarbeit im Rahmen der Reformpädagogik), im Bundesland Steiermark kam es auch zu gemeinschaftlichen Aktionen mit der Kommunistischen Partei Österreichs. In den 1930er Jahren geriet der BHS in das Fahrwasser des österreichischen Zweiges der Freiwirtschaftsbewegung Silvio Gesells.

Ramus beteiligte sich selbst an diversen alternativen Projekten und antimilitaristischen Aktionen. Als Folge dieser Aktivitäten kam er wiederholt mit den Justizbehörden in Konflikt. 1934 verbüßte er im Zusammenhang mit illegalen Sterilisationen eine Haftstrafe. Nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Österreich am 13. März 1938 entkam Ramus über die Schweiz nach Frankreich. Als die deutsche Armee Frankreich besetzte, flüchtete er über Spanien nach Marokko, wo er in einem Flüchtlingslager unterkam. Seine Familie, die 1938 in den USA eine neue Heimat gefunden hatte, unternahm alles, um ihm die Ausreise nach Übersee zu ermöglichen. Erst am 20. Mai 1942 konnte er das Schiff nach Vera Cruz (Mexiko) besteigen. Die Jahre der Entbehrung hatten jedoch seine Kräfte so geschwächt, dass er auf der Reise am 27. Mai 1942 einem Herzschlag erlag.

In einem seiner letzten Briefe aus dem Flüchtlingslager in Casablanca an einen amerikanischen Genossen schrieb Ramus am 25. Oktober 1940: „In einer Zeit, wo so viele Menschen ohne ein höheres Ideal sterben müssen, leide und lebe ich mit meinen Idealen und bin bereit, mit ihnen zu sterben.“


Werke[edit]

  • Das anarchistische Manifest. Berlin: Verlag Max Lehmann [1907], 16 S.
  • William Godwin, der Theoretiker des kommunistischen Anarchismus. Eine biographische Studie mit Auszügen aus seinen Schriften und eine Skizze über die sozial-politische Literatur des Anarcho-Sozialismus seiner Zeit, Leipzig 1907
  • Die Irrlehre und Wissenschaftslosigkeit des Marxismus im Bereich des Sozialismus. Von Pierre Ramus. (Die Umschlagzeichnung ist ein Werk der Solidarität. Ausgeführt von Ernst Baer in Herisau (Schweiz).) Wien-Klosterneuburg: Verlag „Erkenntnis und Befreiung“ 1919, II, 216 S. Die Umschlagillustration ist eine Anspielung; sie stellt das Ex Libris des sozialdemokratischen Politikers Otto Bauer (1881-1938) dar, dessen Name noch auf dem Schnitt des dargestellten Buches zu lesen ist.
  • Die Neuschöpfung der Gesellschaft durch den kommunistischen Anarchismus. (Die Umschlagzeichnung samt Klischee ist ein kameradschaftliches Werk des Malers Zwoelfboth [d.i. Karl Josef Habiger] (Graz).) Wien-Klosterneuburg: Verlag „Erkenntnis und Befreiung“ 1921, VIII, 264 S.
  • Die Neuschöpfung der Gesellschaft durch den kommunistischen Anarchismus. (Die Umschlagzeichnung samt Klischee ist ein kameradschaftliches Werk des Malers Zwoelfboth [d.i. Karl Josef Habiger] (Graz).) Wien-Klosterneuburg: Verlag „Erkenntnis und Befreiung“ 1921, VIII, 264 S.
  • Das anarchistische Manifest. 3. Völlig neu bearbeitete und erweiterte Ausgabe. Wien-Klosterneuburg: Verlag „Erkenntnis und Befreiung“ 1922, 22 S. Gegenüber den beiden ersten Auflagen von 1907 und (1913), Nummern 15 und 16, vollständig verändert, daher hier als eigener Titel geführt. Es gibt eine Ausgabe mit grünem und eine mit violettem Umschlag.
  • Friedenskrieger des Hinterlandes. Der Schicksalsroman eines Anarchisten im Weltkriege. Von Pierre Ramus. Erstes bis fünftes Tausend. Mannheim: Verlagsbücherei: „Erkenntnis und Befreiung im Sinne Leo Tolstois“ 1924, IV, 400 S. © by Heinrich Müllecker, Mannheim.

Weblinks[edit]

Kategorie:AnarchistInnen Kategorie:AnarchistInnen (20. Jh.)