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Dekonstruktivismus

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Dekonstruktivismus (auch Dekonstruktion) ist ein philosophischer Begriff, der zuerst im Zusammenhang mit dem Werk von Jacques Derrida gebraucht wurde, das an Martin Heideggers Programm der Destruktion der Metaphysik anschließt. Für Derrida besteht Metaphysik aus Präsenzdenken. Nicht mehr ein Identisches wird festgestellt, sondern durch Dekonstruktion wird vor allem verzeitlicht interpretiert. Im Kern geht es darum aufzuzeigen, dass es einen grundlegenden Widerstreit gibt zwischen der Autorenintention und dem, was ein Text selbst aussagt oder kundgibt. Die Dekonstruktion ist daher eine besondere Art, Texte zu lesen und gehört mithin in gewisser Weise zur Hermeneutik, wenngleich sie den traditionellen Glauben, es gebe einen bestimmten oder gar externen Sinn, der in Texten aufzufinden sei, gerade unterläuft.

Dekonstruktion nimmt das Behauptete zur Kenntnis, um sich dann sogleich - auch unter Berufung auf das Freudsche Unbewusste - darauf zu konzentrieren, was dieses Behauptete alles nicht behauptet, auslässt und verneint. Sie richtet den Fokus demnach auf das Nichtgesagte. Dieses soll herausgestellt und konzentriert werden, sodass der Fußabdruck der Aussage deutlich wird. Dekonstruktion muss demnach je nach dem betrachteten Gegenstand unterschiedlich verfahren. Sie ist nicht immer auf die gleiche Art anwendbar.


Ansatz[edit]

Zunächst kann man zwei Bewegungen ausmachen: Die erste umfasst die Umkehrung, z. B. von binären Unterscheidungen; die zweite umfasst die Verschiebung der gesamten Logik. Nach Derrida wird eine Bedeutung sie selbst durch Wiederholung; dabei wird aber niemals ein exaktes Selbst wiederholt: Die Identität einer Bedeutung stellt sich paradoxerweise her in Abweichung von und in Differenz zu sich selbst (Iteration)[1]. Nach Lesart der Dekonstruktion entstehen so Bedeutungen in einem unendlichen Zusammenspiel konstitutiver Verweisungen, in dem eine Bedeutung sie selbst wird durch Unterscheidung, so dass vor jeder Identität Differenzen liegen.

Die binären Gegensätze kann man sich beispielsweise als dialektische Anschauung vorstellen: Ein Text, der vielleicht aus gewohnter (binärer) These und Antithese besteht, kann, wenn er dekonstruiert wird, eine Vielzahl weiterer Perspektiven enthüllen, die gleichzeitig vorhanden sind und häufig in Konflikt zueinander stehen. Dieser Konflikt wird durch die Dekonstruktion erst sichtbar.

Praktisch kann man sich Dekonstruktion so vorstellen, dass etwa Begriffe selbst und ihre Entstehungsgeschichte hinterfragt und Diskussionen von einer Metaebene aus auf ihre Sprecher und Bedingungen hin untersucht werden. Dabei kann Dekonstruktion als Philosophie in Text/Theorie vorkommen, aber auch z. B. als künstlerische Praxis in der bildenden Kunst, der Mode, der Musik, der Architektur oder im Film.

Eine besondere Rolle spielt die Praxis der Dekonstruktion in sozialwissenschaftlichen Theorien, die sich mit Identitäten oder Identifizierungen beschäftigen, wie zum Beispiel der Queer Theory, feministischen Theorien (Judith Butlers) oder Kulturtheorien. Hier werden anhand der Praxis der Dekonstruktion die Stabilitäten und Wesenheiten von Identitäten hinterfragt und neue politische Wege gesucht.

Vielfach wird der Dekonstruktion auch eine ethische Komponente zugesprochen, da sie die Beziehung zum Anderen eröffne, zu einem bislang Ungedachten oder Ausgeschlossenen. Die Ethik der Dekonstruktion bezieht sich auf den Ethikbegriff in der Philosophie Emmanuel Levinas'[2].

Begriffsbestimmung[edit]

Es handelt sich um einen Versuch, dem Begriff, der Aufgabe und der Praxis Dekonstruktion auf die Spur zu kommen. Nach der der Dekonstruktion inhärenten Logik kann es immer nur ein Versuch sein, da sie sich nicht "definieren", d.h. nicht ab-schließen und ebenso nicht in einen "Begriff" wie Dekonstruktion einschließen lässt.

Die Dekonstruktion nach Derrida kann beschrieben werden als eine Praxis der Annäherung an die Grenzen, die das menschliche Subjekt zum Maßstab des Angemessenen und des Unangemessenen, des Gerechten und des Ungerechten machen. Dies geschieht im Namen einer Gerechtigkeitsforderung, die nicht und nie zufriedenzustellen ist. Eine solche Praxis führt zu einer ganz neuen Deutung sämtlicher Textformationen (Politik, Recht, Kunst, Literatur, Philosophie, Institutionen etc.).

Dekonstruktion stellt die Aufgabe, die Grenzen der Begriffe 'Gerechtigkeit', 'Gesetz', 'Recht', der wissenschaftlichen Begriffsbildungen, die Grenzen der Werte und Normen und Vorschriften wieder ins Gedächtnis zurückzurufen. Die Grenzen der Begriffe und der Werte, die sich im Laufe dieser Geschichte durchgesetzt und die als selbstverständlich (als "natürlich") betrachtet und verstanden werden. (vgl. Derrida, Gesetzeskraft, Der "mystische Grund der Autorität").

Die Dekonstruktion ist stets die Befragung der Ursprünge, der Grundlagen und der Grenzen unseres begrifflichen, theoretischen und normativen Apparates. Und dies immer in der doppelten Bewegung der Différance. Die Dekonstruktion, die Praxis der Dekonstruktion, ist nicht zu denken, ist nicht "denkbar" ohne die "différ/a/nce", – nicht denkbar ohne das Denken der Differ/ä/nz.

Differenz[edit]

Derridas sprachphilosophisches Konzept radikalisiert die Differentialitätsthese von Ferdinand de Saussure (siehe Différance).

In einem Differenzgeschehen, das Identitäten erst entstehen lässt, kann es keine unmittelbare Präsenz geben, sondern nur die unaufhebbare Nachträglichkeit aller Positivität und Präsenz.

Begriff der Schrift[edit]

Derrida glaubt, dass die traditionell hierarchische Anordnung der beiden Bestandteile des Zeichens dekonstruktiv verkehrt werden muss. Bis hinein in die moderne Sprachwissenschaft wird nämlich die ideelle Bedeutung eines Zeichens, Signifikat (Die Vorstellung) genannt, dem materiellen Träger der Bedeutung, Signifikant (das Laut- oder Schriftbild) genannt, übergeordnet. Stets wird versucht, den äußerlichen Signifikanten, die Schrift, auf ein transzendentales Signifikat hin auszurichten. Jedes Signifikat befindet sich aber "immer schon in der Position des Signifikanten" .(Derrida, Grammatologie, S. 129.) Es kann keine Bedeutung geben und keinen Sinn, der der Verräumlichung und Verzeitlichung sowie dem differentiellen Spiel der Signifikantenbeziehungen entgehen könnte.

Die Schrift ist nach dieser Definition Zeichen von Zeichen, Signifikant von Signifikanten. Mit dieser Verkehrung soll vor allem gezeigt werden, dass die Materialität des Signifikanten zum Sinn nicht etwa nachträglich und äußerlich hinzutritt, sondern umgekehrt, dass der Sinn Effekt einer immer schon nachträglichen Signifikation ist. Derrida hat auf diese Weise das Verhältnis von Sprache und Schrift neuformuliert und umformuliert. Durch Derridas Transformation des Schriftbegriffs geht dieser über den der Sprache hinaus und bezieht diesen mit ein. Daraus folgt ein völlig neues, weil mehrfach transformiertes Verständnis und Ereignis von Text. Einem solchen Text(verständnis) ist das "Wesen", die Praxis der Dekonstruktion, inhärent, also "ein-geschrieben" (vgl. Derrida, Freud und der Schauplatz der Schrift bzw. Freuds "Wunderblock").

Das Denken der Differänz/différance ist die inhärente Praxis der "Dekonstruktion". Eine andere ist die Übernahme des Dekonstruktionsparadigma in die amerikanische Jurisprudenz (vgl. z. B. Judith Butler, "Haß spricht"). Eine dritte ist die Dekonstruktion (in) der Architektur(theorie), man vergleiche besonders Peter Eisenman, "Aura und Exzeß".

Ebensowenig, wie es möglich ist, im allgemeinen zu beschreiben, was Dekonstruktion ist, lässt sie sich an Beispielen demonstrativ vorführen. Keiner und nichts ist außerhalb des Textes, auch der Verfasser, die Verfasserin nicht. "Ein Text-Äußeres gibt es nicht." (Derrida, Grammatologie, S. 274)

Es geht darum, Texte in ihrer inneren Struktur und in ihrem Zusammenwirken mit anderen Texten zu erfassen. Die Texte sind nicht nur zu analysieren und zu interpretieren, sondern durch die Praxis der Dekonstruktion ihrer Konflikthaftigkeit, ihrer Aggressivität, ihrer verdeckten Gehalte und Intentionen zu enttarnen. Der Leser, die Leserin, soll "ent-täuscht" werden; gemeint ist eine Art Gegensatz zu "Täuschung". Gemeint ist die Sichtbarmachung der gleichzeitigen An- und Abwesenheit der Wahrheit, etwas Erblicken und dadurch anderes Aus-dem-Blickfeld-Ausschließen. (H. Kimmerle, J. Derrida zur Einführung, S. 49)

"Die Dekonstruktion hat notwendigerweise von innen her zu operieren, sich aller subversiven, strategischen und ökonomischen Mittel der alten Struktur zu bedienen, sich ihrer strukturell zu bedienen" (Derrida, Grammatologie, S. 45), um schließlich den nicht strukturell zu erfassenden Praxischarakter der Wahrheit freizulegen.

Zitate[edit]

"Was ich Dekonstruktion nenne, kann natürlich Regeln, Verfahren oder Techniken eröffnen, aber im Grunde genommen ist sie keine Methode und auch keine wissenschaftliche Kritik, weil eine Methode eine Technik des Befragens oder der Lektüre ist, die ohne Rücksicht auf die idiomatischen Züge des Gegenstandes in anderen Zusammenhängen wiederholbar sein soll.

Die Dekonstruktion hingegen befaßt sich mit Texten, mit besonderen Situationen, mit der Gesamtheit der Philosophiegeschichte, innerhalb derer sich der Begriff der Methode konstituiert hat.

Wenn die Dekonstruktion also die Geschichte der Metaphysik oder die des Methodenbegriffs befragt, dann kann sie nicht einfach selbst eine Methode darstellen.

Die Dekonstruktion setzt die Umwandlung selbst des Begriffes des Textes und der Schrift voraus. ... Ich nenne eine Institution ebenso wie eine politische Situation, einen Körper oder einen Tanz >Text<, was offenbar zu vielen Mißverständnissen geführt hat, weil man mich beschuldigte, die ganze Welt in ein Buch zu stecken. Das ist offensichtlich absurd."

Derrida in einem "Falter"-Interview 1987 u.a. zu Dekonstruktion: (in: Falter, Wiener Stadtzeitung, Beilage zum "Falter" Nr. 22a/87, laufende Nummer 302, S. 11 u. 12, Florian Roetzer "Gespräch mit Jacques Derrida")

Siehe auch:[edit]

Literatur[edit]

Texte der Dekonstruktion[edit]

  • Jacques Derrida: Die Schrift und die Differenz, Frankfurt am Main 2003 (Suhrkamp).
  • Jacques Derrida: Dissemination, Wien 1995 (Passagen).
  • Jacques Derrida: Falschgeld. Zeit geben I. Ãœbersetzt von A. Knop und M. Wetzel, München 1993 (Fink).
  • Jacques Derrida: Gesetzeskraft. Der "mystische Grund der Autorität". Frankfurt am Main 1991 (Suhrkamp).
  • Jacques Derrida: Grammatologie, Frankfurt am Main 1974 (Suhrkamp).
  • Jacques Derrida: Randgänge der Philosophie, Wien 1999 (Passagen).
  • Paul de Man: Allegorien des Lesens, Frankfurt am Main 1998 (Suhrkamp).
  • Paul de Man u.a.: Deconstruction and Criticism, New York 1979 (Continuum)

Weiterführende Literatur[edit]

  • Geoffrey Bennington & Jacques Derrida: Jacques Derrida. Ein Porträt. Frankfurt am Main 1994 (Suhrkamp).
  • Jonathan Culler: Dekonstruktion. Derrida und die poststrukturalistische Literaturtheorie. Reinbek 1999. (Rowohlt) ISBN 3499556359
  • Engelmann, Peter: Postmoderne und Dekonstruktion. Stuttgart 2004 (Reclam)
  • Barbara Johnson: The Critical Difference: Essays in the Contemporary Rhetoric of Reading. Baltimore, Johns Hopkins University Press, 1980. ( Dekonstruktive Lektüren von Baudelaire, Barthes, Mallarmé, Melville und von Lacan/Derrida/Poe)
  • Sarah Kofman: Derrida lesen. Wien 1987 (Passagen Verlag) ISBN 3900767017
  • Heinz Kimmerle: Jacques Derrida zur Einführung. Hamburg 2000 (Junius Verlag) ISBN 3885063247
  • Stephan Moebius; Dietmar Wetzel (Hrsg.): absolute Jacques Derrida. Originalbeiträge und Einführung in Leben und Werk. Orange Press: Freiburg i.Br. 2005
  • Hugh J. Silverman: Textualities. Between Hermeneutics and Deconstruction. London 1994 (Routledge) ISBN 0-415-90818-3
  • Stephan Laqué: Hermetik und Dekonstruktion. Die Erfahrung von Transzendenz in Shakespeares Hamlet. Heidelberg 2005 (Winter) ISBN 3-8253-5154-8

Weblinks[edit]


Kategorie:Philosophie
  1. vgl. Dreisholtkamp, Uwe, Jacques Derrida. Andere(s) in Schriften, Gaben an Andere; in: Jochem Hennigfeld/Heinz Jansohn (Hg.); Philosophen der Gegenwart, Darmstadt 2005, S. 216-234, hier: 225
  2. vgl. a. J. Derrida, "Unterwegs zu einer Ethik der Diskussion", in: J. D.: Limited Inc. Wien, Passagen Verlag, 2001, S. 171-241