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63. Kongress der Féderation Anarchiste

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Impressionen aus Merlieux[edit]

RauWo und ich waren zum 63. Kongress der Féderation Anarchiste als Gäste zugegen. Das ganze fand statt in einem kleinen, von Landflucht betroffenen Dorf in Picardie: Merlieux. Dort wohnt ein Genosse, der einen großen Garten hat, in dem regelmäßig das Mittagessen stattfand. Gekocht wurden Fleischgerichte mit Beilagen und eine vegetarische Alternative, es gab ein Dessert sowie Brot und Käse, dazu genehmigte mensch sich ein Gläschen Roten. Die Unterkunft war sehr gut und trotzdem preiswert in einem anständig renovierten Tagungshaus/Jugendherberge mit Mehrbettzimmern. Die Féderation hatte für die Tagung selbst und das Abendprogramm das Gemeindehaus angemietet. An der Front prangte ein großes Transparent mit der Aufschrift "63ème Congres - Féderation Anarchiste". Auch in den Informationskästen des Dorfes hing viel Information zu anarchistischen Themen, etwa ein Hinweis auf die neueste Ausgabe des Monde Libertaire.

Die GenossInnen waren durchweg freundlich und nicht überkandidelt, mensch merkte, dass es sich hier nicht um Dogmatikerinnen, Missionare oder ähnliches, sondern um im Leben stehende Leute handelte, deren politische Ansicht die des Anarchokommunismus und Anarchafeminismus ist. Die Mehrzahl der Anwesenden entsprach dem klassischen Bild "Mann 40 weiß". Es gab leider keinerlei Migrantinnen, ein Problem. Immerhin waren Frauen und Ältere wie jüngere gleichermaßen repräsentiert.

Zum jährlich stattfindenden Kongress der französischsprachigen Anarchistischen Föderation versucht jede der 22 Ortsgruppen, eine Delegation zu schicken, wobei die Personen nach den Maßgaben Nowendigkeit, Zeit und Lust hinfahren. Daher kamen die Menschen dort aus allen Regionen Frankreichs, Belgiens und Luxemburg sowie ein Genosse aus Quebec.

Der Kongress selbst war sehr formalistisch. Tagesordnungspunkte waren Bearbeitung und Verabschiedung der durch Ortsgruppen beantragten Resolutionen ("Motions"), Berichte der Sekretariate - interessant das Sekretariat für Außenbeziehungen (relations extérieures)-, Bestätigung der Sekretariate, Berichte aus den einzelnen Regionen. Es gab ein hohes Podium mit Mikrofonen, das "Publikum" saß dem frontal gegenüber. Wortmeldungen und Diskussion gab es nach den Ausführungen vom Podium.

Fotografiert wurde recht viel, ohne groß zu Fragen. Die Leute lächelten in die Kamera oder versuchten, andächtig lauschend zu wirken; denn es war klar, dass keines der Fotos veröffentlicht wird sondern nur im Privatalbum landet.

Es wurde abends viel geraucht, in Maßen Alkohol getrunken und gemeinsam Lieder gesungen, und zwar im Stehen, laut und ohne Begleitung durch Musikinstrumente oder Lagerfeuerromantik.

Es gab auch einen kulturellen Abend; eine sehr interessante Aufführung einer pantomimisch aufgemachten Theatergruppe, die Texte in einem alten französisch von sich gaben und Geschichten erzählten, die von herrschaft handelten, ohne sie zu werten: ein Kind an der Hand seines Vaters auf dem Jahrmarkt; ein Arbeiter, der nur für sein "Püppchen" lebt und sie ermordet, als sie fremdgeht. Dann wurde die Solidarität seiner Mutter dargestellt, ein sehr anrührendes Stück. Zwischendurch immer wieder starke Lieder in Chansontradition, begleitet vom Akkordeon.

Ich führte Abends sehr anregende und auch persönliche Gespräche mit den GenossInnen. Die politischen Diskurse waren recht stark von den klassischen anarchistischen Diskussionen geprägt - also Theorieauseinandersetzung und realer Kampf -; wobei der Postanarchismus witzigerweise - schließlich bezieht er sich zum Großteil auf französische Philosophen - als "typisch deutsch" bezeichnet wurde. Ein wenig mehr Wert legen die frankophonen GenosseInnen auf anarchistische Philosophie.

Zudem habe ich erfahren, aus welchen Grund sich die Zahl von über 500 Mitgliedern der FA in den 90er Jahren fast halbierte: es gab eine starke Fraktion, die Mehrheitsabstimmungen durchsetzen wollte, um schneller und produktiver zu sein. Es kam zur Kampfabstimmung, in der die auf Konsens festgelegte Fraktion gewann. Daraufhin traten die AbstimmerInnen aus. Also: die Richtigen sind noch drin! ;)

Impressionen aus Paris[edit]

Wir waren in der glücklichen Lage, nach der Teilnahme am Kongress noch einen Tag und eine Nacht in Paris verbringen zu dürfen, da uns eine Genossin der Föderation für die Nacht Obdach gewährte und für den nächsten Tag einen Genossen zur weiteren "Betreuung" verpflichten konnte. Das Gespräch mit Elisabeth, das wir in einer Pizzeria führten, zeigte eine sehr weitgehende Übereinstimmung unsere Positionen und Kritikpunkte an der Gesellschaft mit der ihren. Mir ist der Satz im Kopf geblieben, den sie sagte, nachdem ich ihr mein Problem damit schilderte, dass wir viele Aufgaben erledigen, ohne dazu "autorisiert" zu sein: "Die Frage des Mandats wird sich schon von selbst stellen, sobald dazu Bedarf besteht". Wir durften dann das Studio des Radio Libertaire besichtigen, dass mit neuester Technik ausgestattet ist. Der Sender hat eine terrestrische Frequenz im Raum Paris und ist über Podcast auf der Gesamtwelt zu verfolgen. Ihm arbeiten etwa 300 Leute zu, die nicht alle in der FA organisiert sind: ihre Sendungen müssen nur mit den Prinzipien übereinstimmen. Entschieden über Angelegenheiten des Radios, das kulturelle, dokumentarische und satirische Ausstrahlungen in einem täglich neuen 16-Stunden-Programm verfügt, wird über eine Mailingliste, in der alle Beteiligte - ob TechnikerIn oder RedakteurIn - gleichberechtigt bestimmen.

In Frankreich wird zwischen Militanten unterschieden, die etwas tun, also tätig sind, Mitgliedern, die Beitrag zahlen und sich sonst nicht weiter engagieren, und militanten FAlern, die durch ihre Beitragszahlung Mitglieder sind und etwas tun: Beiträge für den Monde Libertaire schreiben, Resolutionen verfassen, Sendungen produzieren, Demos organisieren etc.. Der Begriff "Aktivist" wird für Leute verwendet, deren Aktionen teils den gesetzlichen Rahmen überschreiten. Die Begriffsbestimmung ist hier also fast gegenteilig zur deutschsprachigen.

Der nächste Tag war kurz, auf dem Friedhof Pére Lachaise sind nicht nur SchriftstellerInnen und Rockstars, sondern einige AnarchistInnen - u.a. Machno - beerdigt. Die Basilique du Sacré-Cœur (Basilika vom Heiligen Herzen), die wir aus Sightseeing-Gründen ansteuerten, ist eine römisch-katholische Wallfahrtskirche auf dem Hügel von Montmartre und bildet den höchstgelegenen Punkt der Stadt nach dem Eiffelturm; sie wurde 1875 gebaut, um die "Sünden der Pariser Commune" wiedergutzumachen, wie unser Stadtbegleiter sagte. Er ist übrigens Redakteur des Monde Libertaire, die nur aus einer sehr kleinen Redaktion besteht. Nur zu viert bis fünft sichten sie die Beiträge aus aller Welt, layouten und suchen passende Fotos - und zwar seit Jahrzehnten. Dieser Mensch ist übrigens auch Mitglied einer anarchosyndikalistischen Gruppe, wie auch andere, die in Merlieux waren. Die AnarchistInnen der FA und AnarchosyndikalistInnen führen den selben Kampf.

In französischsprachigen Raum arbeiten ca. 10 Personen jedem einzelnen Mitglied der FA zu; daher ist die Zahl der organisierten Mitglieder mit 350 nur auf den ersten Blick bescheiden.

Resolutionen[edit]

Kategorie:Bericht Kategorie:Kongresse