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Polizeiaufruf
Contents
Widerstand
gegen die Bevorzugung von PolizeizeugInnen gegenüber anderen Personen vor Gericht
Aufruf
Der Hintergrund
Es ist ein offenes Geheimnis, ein seit Jahrzehnten bestehender Justizskandal und längst Gegenstand auch einschlägiger Justizwitze – aber geändert hat sich nichts: Wenn vor einem deutschen Gericht ein Polizeibeamter als Zeuge auftritt, ist das Verfahren in der Regel entschieden. Polizeiaussagen gelten auch ohne weitere Überprüfung als Beweis selbst dann, wenn etliche andere Zeuginnen und Zeugen Gegenteiliges aussagen. Die von vornherein feststehende hohe Glaubwürdigkeit der Polizei besteht sogar in Fällen von Anklagen gegen Polizisten fort. Dann werden die potentiellen Täter zu den Stichwortgebern der Gerichte – eine rechtsstaatlich absurde Situation. So wurden z.B. zwischen 1995 und 2004 in Berlin 98,3 Prozent aller Körperverletzungsanzeigen gegen Polizisten ohne Verurteilung abgeschlossen. In 1,3 Prozent aller Fälle kam es zu einer Anklage, in 0,4 zu einer Verurteilung (Quelle: Junge Welt vom 19.01.2006).
Dieses Phänomen gilt fast überall, die Ungleichbehandlung von Polizeiangehörigen einerseits und ZeugInnen ohne Polizeiamt andererseits ist Alltag in Prozessen aller Art. In einer Vielzahl von juristischen Auseinandersetzungen zwischen PolizeikritikerInnen und Staatsgewalt im Raum Gießen hat es seit dem Jahr 2003 viele traurige Höhepunkte dieser Art gegeben. Das Besondere hier: Die vor Gericht stehenden Polit-AktivistInnen wurden wegen Kritik an Polizei und Justiz verurteilt – sichtbar mit besonderer Härte. Polizeizeugen wurden „wegen Widersprüchlichkeiten“ als besonders glaubwürdig eingestuft, andere ZeugInnen wegen vermeintlich genauer Beobachtungen als unglaubwürdig. Genau umgekehrt lief es, als Anzeigen gegen PolizistInnen erhoben wurden, die gegen DemonstrantInnen gewalttätig wurden und dieses durch viele ZeugInnen sowie in zwei Fällen sogar durch Polizeivideos klar belegt werden konnte. Hier glaubten die Gerichte einseitig den potentiellen TäterInnen aus den Reihen der Polizei. Statt die Videos zu betrachten, begnügten sie sich mit schriftlichen Inhaltsangaben – gefertigt von der Polizei!
Der Anlass
Einen besonderen Höhepunkt bot ein Verfahren vor dem Gießener Verwaltungsgericht am 19.4.2005. Genauer: Eigentlich sollte es damals stattfinden. Der Betroffene einer Polizeimaßnahme hatte gegen seine Festnahme Rechtsmittel eingelegt. Doch das Gericht verweigerte eine Verhandlung: Der Kläger hätte seine Festnahme selbst gewünscht und somit kein Rechtsschutzinteresse mehr. Als Begründung übernahm das Gericht Polizeiaussagen als „festgestellte Tatsachen“, während Ausführungen des Klägers im schriftlichen Vorverfahren gar nicht beachtet wurden. Mit dieser Verwehrung einer gerichtlichen Überprüfung hat das Gericht nicht nur das Opfer von Polizeiaktionen als quasi vogelfrei erklärt und verfassungswidrig den Zugang zum Gericht verweigert, sondern durch die Übernahme von Polizeiberichten als „festgestellte Tatsachen“ bei gleichzeitiger Nichtbeachtung anderer Eingaben eine Ungleichbehandlung von Personengruppen nach ihrer Funktion in der Gesellschaft vorgenommen. Glaubwürdig ist, wer der Polizei angehört – und zwar nur deswegen, denn andere Begründungen, warum die Polizeiaussagen einseitig als richtig gewertet wurden, sind in den Äußerungen des Gerichtes nicht zu finden.
Gegen die Nichtzulassung der Klage hat der Betroffene jetzt Verfassungsbeschwerde eingelegt. Die ersten Sätze lauten:
Es folgen umfangreiche Ausführungen zu den Abläufen, die Dokumentation des kompletten Schriftverkehrs und entsprechende Hinweise zu den Texten. Schließlich werden drei Verstöße gegen das Grundgesetz benannt. Auszüge aus der Verfassungsbeschwerde mit Bezug auf den Freiheitsentzug am 10.7.2004:
Aufgrund dieser und weiterer Verstöße gegen das Grundgesetz erfolgte dann der Antrag, die Gerichtsentscheidungen aufzuheben und ein Verfahren in der Hauptsache zu ermöglichen.
Der Aufruf
Die Verfassungsbeschwerde aus Gießen ist nur der Anlass für diesen Aufruf. Die Ungleichbehandlung von Polizeiangehörigen einerseits und anderen Personen andererseits ist Alltag in deutschen Gerichten. Das Interesse an der gestellten Frage ist also überall anzunehmen – und politisch notwendig. Die Zahl politischer AktivistInnen, aber auch vieler BürgerInnen, die für vermeintliche Taten anderenorts verurteilt werden, weil PolizistInnen gegen sie aussagen, dürfte sehr hoch sein. Ebenso dürfte die Gewaltneigung von Polizei dadurch gefördert werden, dass sie wissen, dass bei einer etwaigen Anzeige ihre eigene Aussage meist zum Freispruch oder schon zur Einstellung durch die Staatsanwaltschaft führt. Es ist daher von hohem Interesse, diese Ungleichbehandlung, die politisch nicht akzeptabel und ein Verstoß gegen den Art. 3, Abs. 1 des Grundgesetzes „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“, zu beenden. Dafür rufen wir als Betroffene aus dem Raum Gießen zu Aktionen, zur Sammlung und Dokumentation möglichst vieler Fälle, zu Öffentlichkeitsarbeit und zu weiteren Verfassungsklagen gegen diese Ungleichbehandlung auf.
März 2006
Verurteilte und Angeklagte aus politischen Gruppen im Raum Gießen und dem Umfeld der Projektwerkstatt in Saasen
- Kontakt: Projektwerkstatt, Ludwigstr. 11, 35447 Reiskirchen-Saasen, 06401/90328-3, Fax –5, saasen@projektwerkstatt.de
- Informationen im Internet, UnterzeichnerInnenliste und Eingabe von Beispielen für die Bevorzugung von Polizeiangehörigen vor Gericht: Eingangsseite: www.polizeizeugen.de.vu
Links zu den Eintrage-Wikis und Infoseiten
Eingangs-Internetseite unter www.polizeizeugen.de.vu. Weitere Seiten unter diesem Projekt:
- Dokumentation von Polizeistrategien im Raum Gießen (www.polizeidoku-giessen.de.vu)
- Dokumentation von Justizstrategien im Raum Gießen (www.justiz-giessen.de.vu)
- Wikis zum Sammeln von Fallbeispielen
UnterzeichnerInnen und weitere Aufrufe
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- Unterstützung und mehr Infos: Vegan Geeks Blog
Kategorie:Polizei Kategorie:Antirepression Kategorie:Kampagne