Still working to recover. Please don't edit quite yet.

Anarchismus in China

Aus <a href="http://deu.anarchopedia.org/Anarchismus_in_China">Anarchopedia</a>, dem offenen Wissensportal für und von AnarchistInnen
Jump to: navigation, search

"Raubkriege bleiben Raubkriege, woran der deutsche Patriotismus so wenig etwas ändern wird, wie es die Engländer oder die Franzosen oder die Russen zuvor jemals geändert hätten. Sie züchten vor allem den einheimischen Despotismus und jeder Arbeiter, der an dem Joche schmieden helfe, das den Chinesen auf den Nacken gelegt werden soll, seine eigenen Ketten noch fester schmiedet."

Der damalige Sozialdemokrat Franz Mehring 1900 in der Zeitung "Die Neue Zeit". Franz Mehring empört sich dort über die Teilnahme des Deutschen Reiches an der Niederschlagung des sogenannten "Aufstandes" der Boxer, eine soziale Bewegung in China, die sich schon zwei Jahre zuvor aufgrund enormer sozialer Spannungen gebildet hatte und sich nun gegen die Ausbeutung des Landes durch die westlichen Staaten stellte. Die deutschen Truppen unter Wilhelm II., der zuvor in einer "Hunnenrede" die Soldaten in Bremerhaven verabschiedet hatte, traten neben den anderen europäischen Mächten, der USA und Japan, besonders brutal und hemmungsloser auf.

"Pardon wird nicht gegeben.Gefangene werden keine gemacht. Wie vor tausend Jahren die Hunnen sich einen Namen gemacht haben, so soll nun der Name Deutscher in China auf 1000 Jahre durch euch in einer Weise bestätigt werden, dass es niemals wieder ein Chinese wage, einen Deutschen scheel anzusehen."(aus der "Hunnenrede")

Das chinesische Kaiserinnenreich hatte sich hinter den Aufstand gestellt wohl auch, um die Kritik der Aufständischen von sich abzulenken. Nun geriet die Dynastie enorm unter Druck, diktierten die alliierten Mächte im so genannten „Boxerprotokoll“ nach der Niederschlagung des Aufstandes demütigende Forderungen entwickelte sich parallel dazu in einzelnen Provinzen neue Oppositionsbewegungen. Eine davon wollte das Kaiserreich nun endgültig abschaffen und eine Republik einführen. So sah sich die chinesische Regierung gezwungen, 1901 unter dem Namen "Neue Politik" (Xin zheng) die schon Jahre zuvor geforderten Reformen einzuleiten. Das konfuzianische Erziehungssystem wurde abgeschafft, ein mehrstufiges Schulsystem mit neuen Schulen und Universitäten eingerichtet. Tausende von Studenten wurden als "Lernende im Ausland" nach Europa und Japan geschickt. Dies geschah selbstredend nicht uneigennützig. Schon während des „Boxeraufstandes“ hatten sich sozialistische und anarchistische Ideen in manchen Aktionen widergespiegelt, ohne sie explizit so zu benennen. Mit dem Konzept der „Lernenden im Ausland“ hoffte die Regierung, einige dieser Radikalen loszuwerden.

Die "Pariser Gruppe"

Einige kamen nach Paris und lernten dort auf direkte und dynamische Weise die Grundsätze des Anarchismus kennen. Erwähnt werden sollen besonders Li Shizeng und Zhang Jingjiang, Söhne reicher Eltern, die eigentlich im staatlichen Auftrag westliches Knowhow kennenlernen sollten. Wirklich vertraut wurden sie allerdings mit dem Wirken anarchosyndikalistischer Organisation und waren fasziniert. Jingjiang träumte davon, der wachsenden Industrialisierung im eigenen Land so etwas wie eine syndikalistische Bewegung entgegensetzen zu können. 1906 gründeten sie mit Wu Zhihui eine kleine Druckerei und gaben die erste anarchistische Zeitschrift in chinesischer Sprache heraus, das „Neue Jahrhundert“. Bald wurde sie weltweit bekannt und die „Pariser Gruppe“ genannten Aktivisten ein dominierender Teil der revolutionären Bewegung Chinas. Zur gleichen Zeit gründete Sun Yat-sen eine Bewegung zum Umsturz der noch herrschenden Dynastie, von dem noch die Rede sein wird.

Die nach China zurückkehrenden Studenten, die „Bewegung Neues Jahrhundert“, waren von Anfang an in totaler Opposition mit teilweisen kuriosen aber auch fatalen Konsequenzen: So waren sie nicht nur gegen Glückspiel, Tabak, Alkohol und den herkömmlichen repressiven Schönheitsidealen, sondern traten auch gegen die aus der Not geborene Arbeit der jugendlichen Rikschafahrer an, unabhängig davon ob dieser dann verhungerten. Sie selber mit dem Geld von reichen Eltern oder eigener kleiner Unternehmen im Rücken, traten für ein Ideal der Unabhängigkeit und Freiheit an, das viele, die ähnlich dachten wie sie, noch nicht leisten konnten.

Die anarchistische Bewegung in China spaltete sich schnell in eine gemäßigte und eine militante Fraktion. Das alltägliche Leben der so genannten harten Anarchisten und Anarchistinnen wurde oft von brutaler Repression begleitet: Die konsequenten Kämpfer, die sich die langen Zöpfe abschnitten, wurden dafür ins Gefängnis geworfen. Die, die sich gegen das einschnüren der Füße wandten, gegen das weibliche Schönheitsideal der Herrschenden, dafür geprügelt, als Hure verschrien und – als Anarchistinnen – oft auch mit Pistole oder Messer bedroht.

In dieser Zeit führte die „Bewegung Neues Jahrhundert“ eine umfassende Kampagne gegen die Religion – gegen Aberglauben, Traditionalismus und Familienherrschaft. Shizeng und Jingjiang entwickelten einen Katalog von Mitteln, die zur ersehnten Revolution führen sollten: Bücher und Reden sollten die Menschen bilden und Bewusstmachen. In Zusammenkünften und Versammlungen sollten sie ihre gemeinsame Stärke spüren, der Soldat seine Dienste, der Arbeiter seine Arbeitsleistung, alle ihre Steuern verweigern. Attentate und Rebellion das tyrannische System weiter schwächen. Das Ziel waren die großen Aufstände. Nur sie konnten wirklich Veränderungen bringen.

Die sogenannte „Pariser Gruppe“ hatte viel für den Einfluss des Anarchismus in China getan. Zur gleichen Zeit wurde dieser auf einem zweiten Weg, über Japan eingeführt. Dort wurden die anarchistischen Ideen vor allem von Kōtoku Shūsui bekannt. Dieser hatte die Werke zeitgenössischer europäischer und russischer Anarchisten wie Peter Kropotkin ins Japanische übersetzt. Er war radikaler Journalist, der in einem höchst umstrittenen Prozess wegen „Majestätsbeleidigung“ zum Tode verurteilt und gehängt wurde. Inspiriert durch seine Schriften und Handlungen kam ein junger Mann zurück nach China, der zu einem der tragischen Figuren des chinesischen Anarchismus in dieser Zeit werden sollte. Liu Shipei. Shipei bezog sich im Folgenden auf die chinesische Tradition des Taoismus, die er als libertär ansah, und glaubte in den Schriften des Laotse schon viele Elemente des freiheitlichen Denkens zu erkennen. Das Kennzeichen des taoistischen Schülers sei es, die Regierung zu verachten. Die auf den Werten des Konfuzius begründete Regierung sähe im Volk nur ein primitives Gewächs, ein wildes, zu zähmendes Tier. Andererseits sei die Regierung für das Volk böse und widerwärtig. Ideale Voraussetzungen also, den Anarchismus zu verwirklichen. Die persönliche Geschichte von Liu Shipei und seiner Gefährtin He Zhen nahm tragische Züge an. He Zhen wurde nach einem Attentatsversuch festgenommen und gefoltert. Um sie vor weiteren Folter und dem eingeplanten Tod zu retten, ließ sich Shipei auf einen nicht näher bekannten Handel mit der Justiz ein und wurde ab dann verdächtigt, für die Verhaftung seiner eigenen Gruppe verantwortlich zu sein. Kurz darauf starb er.

Die Bewegung, die durch ihn und die schon genannte Vereinigung „Das neue Jahrhundert“ aufgebaut war, wurde immer stärker verfolgt und bekämpft. Liu Shifu gründete daraufhin eine neue anarchistische Bewegung, die nun nicht mehr von den im Ausland lebenden oder gelebten Chinesen getragen wurde, obwohl diese mit ihrer Erfahrung weiterhin eine Rolle spielten. Liu gab in Hongkong eine Zeitung heraus und versuchte in Guandong (im Süden der jetzigen Volksrepublik) einen Aufstand anzuzetteln der schon im Ansatz fehlschlug. Er wurde wegen Terrorismus zu dreißig Jahren Kerker verurteilt, allerdings nach drei Jahren entlassen. Nach seiner Freilassung im Jahre 1909 war er die nächsten Jahre einer der aktivsten in der chinesischen anarchistischen Bewegung. Er begründete die Ping-Ming Presse, die bis in die heutige Zeit anarchistische Literatur veröffentlichte. Nach einem Attentatsversuch auf den herrschenden Prinzen musste er nach Shanghai auf internationales Gebiet flüchten, wo sich ideale Voraussetzungen für subversive Tätigkeiten boten.

Hier wurden viele Artikel der Bewegung „Neues Jahrhundert“ wieder aufgelegt, Broschüren und Schriften aus aller Welt erschienen. Mehr als siebzig Bücher wurden veröffentlicht, viele davon in Esperanto, das in China von Anfang an genutzt wurde. Dadurch konnten Berichte über revolutionäre Kämpfe aus Russland, Spanien, Frankreich, Italien und Mexiko übermittelt und ins Chinesische weiterübersetzt werden.

Die "Kommune von Shanghai"

Sun Yat-sen, Sohn einer Bauernfamilie aus dem Süden Chinas, musste 1895 aus China nach Japan flüchten. Dort gründete er 1905 den "Chinesischen Revolutionsbund", ein Zusammenschluss mehrere kleine revolutionäre Gruppen, die nach einigen erfolglosen Revolten 1911 in Wuhan, der Hauptstadt der Provinz Hubei, den sogenannten Wuchang-Aufstand anführten. Schnell breitete sich der Aufstand aus, 16 Provinzen erklärten ihre Unabhängigkeit gegenüber dem Kaiserhaus. Dieses war gezwungen, eine Verfassung zu verabschieden. Am 1. Januar 1912 rief Sun Yat-sen die Republik China aus, die Monarchie endlich vorbei. Die Zentralregierung dieser Republik wurde ausnahmslos vom Revolutionsbund gestellt, die sich wenige Wochen später mit anderen kleineren Parteien zur "Bürgergesellschaft" (der sogenannten Kuomintang) zusammenschloss. Sun Yat-sen wurde ihr Übergangspräsident.

Ein Teil der anarchistischen Bewegung kam während dieser Umwälzungen immer mehr in Kontakt mit Sun Yat-sen. Es ging soweit dass ein Teil der "Bewegung neues Jahrhundert" in die Kuomintang eintrat und sich dort parlamentarische Positionen erhoffte. Dieses waren vor allem die sogenannten weichen Anarchisten, die sich sozusagen als Altersversorgung nun Beruf und Sicherheit versprachen. Andere glaubten die Kuomintang von innen heraus in die anarchistische Bewegung eingliedern zu können. In dieser Zeit publizierte Liu Shifu seinen "Hahn der in der Dunkelheit schreit", bekannt als Minsheng (Stimme des Volkes; Esperanto-Untertitel: La Voĉo de la Popolo), die sofort in 10000 Kopien in ganz China verteilt wurde. "Minsheng" bahnte schnell den theoretischen Weg für die noch unterentwickelten Syndikate in den Industriegebieten, die nun mehr und mehr an Einfluss gewannen, was sich auch in vielen Streiks der nächsten Jahre ausdrückte. 1914 war das produktivste Jahr für die "Stimme des Volkes", deren vordringliche Themen neben dem Anarchosyndikalismus der Antimilitarismus und die Religionskritik waren. Shifu starb 1915 an Tuberkulose, doch die anarchistische Bewegung fand immer mehr Anklang vor allem bei der Jugend, die sich im gleichen Jahr in der "Bewegung für Neue Kultur" versammelten. Sie waren es auch, die am 4. Mai 1919 die großen Protestdemonstrationen gegen die Regierung in Peking organisierten.

"Die Bewegung 4. Mai wird auch die "Chinesische Aufklärung" genannt. Sie ist der Beginn der modernen politischen und literarischen Strömungen, aber auch der der kommunistischen Partei und des Nationalismus. Am 4. Mai 1919 versammelten sich Studenten, Arbeiter und Händler in Peking und anderen Städten um in Demonstrationen und Streiks gegen Japan aber auch die eigene Regierung zu demonstrieren. Japan hatte nach dem Ersten Weltkrieg in den sogenannten "Verträgen von Versailles" Anspruch auf die chinesische Provinz Kiautschou gestellt und diesen von der chinesischen Regierung auch erfüllt bekommen. Die aus den Protesten entstehende Bewegung umfasste zum ersten Mal alle Klassen und Schichten der chinesischen Gesellschaft, die sich radikalisierte. 1921 wurde die Kommunistische Partei Chinas gegründet, bei den Rechten fand der Faschimus neue Nahrung. Die nationalistische Kuomintang wurde stärker. Viele der in den nächsten Jahren China erschütternden Ereignisse entstanden hier."

1924 erhoben sich die Eisenbahner in Peking. In den Jahren zuvor schon hatten z.b. die Transportarbeiter Streiks durchgeführt. Nun kam es fast überall zu Massenprotesten. In Kanton - eine Hochburg der Anarchisten, das Barcelona des Ostens - und in Hongkong wurden monatelang von den Briten geführte Betriebe lahmgelegt, ein Jahr später ein Aufstand der Bäuerinnen und Bauern. In den Jahren 1925-1927 brach dann die sogenannte "Große Revolution" aus, wo die Kuomintang endgültig die Macht übernahm. Chiang Kai-shek, der Schwager von Sun Yat-sen wurde nun Premierminister. Er räumte im März 1926 mit der eigenen linken Opposition auf, die nun in den politischen Untergrund gedrängt wurde und von dort zum Sturz der Chiang-Regierung aufrief.

In Shanghai entwickelte sich ein Streik, der so groß wurde, dass die Arbeiter viele Fabriken übernahmen und selbst verwalteten. Die anarchistische Bewegung rief die "Kommune von Shanghai" aus.

"Shanghai war die Stadt der sozialen und kulturellen Gegensätze, wie sie krasser kaum denkbar waren. Während die Vertreter der englischen und französischen Geschäftswelt - und auch wohlhabende chinesische Geschäftsleute - ihre Tage in einer abgeschotteten Luxuswelt mit Chauffeur und Hausangestellten zwischen Büro, Golfklub und Nachtbars verbrachten, verhungerten auf Shanghais Straßen tagtäglich die Ärmsten der Armen. Die chinesische Mafia kontrollierte Glücksspiel, Drogen- und Menschenhandel - und die Polizei in den ausländischen Enklaven.

Die ganze Stadt sollte frei sein von ihnen, von der chinesischen Regierung und den ausländischen Imperialisten, die sich dort breitgemacht hatten. 300.000 Menschen schlossen sich diesen Ideen an. Alle wichtigen Positionen in der Stadt wurden besetzt. Es kam zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit der Polizei.

Die Kommunistische Internationale in Moskau unterstütze die Kuomintang durch eine Einheitsfront und wollte die weiter aufrechterhalten. Dazu sollten die Arbeitermilizen die Waffen an Chiang Kai-shek abgeben und das Abenteuertum der Anarchisten endlich beenden. Am 12. April 1927 stürmt das Militär der Kuomintang die Stadt und massakrierte mehrere Zehntausende von Menschen. Ihr Versprechen den Aufständischen weder ein Geldstück zum Überleben zu geben noch eine Kugel um sich zu erschießen, erfüllte sich in einem Blutbad, dem auch viele sogenannte Linksabweichler der kommunistischen Partei zum Opfer fielen.

Die Zeit verging. Nichts als der Schritt der Posten und, über tausend Klagelauten, das letzte Blinken der Seitengewehre. Als hätte die Dunkelheit den Nebel verdichtet und den Abstand vergrößert, ertönte plötzlich das Pfeifen der Lokomotive. Einer der neuangekommenen, auf dem Bauch liegend, presste die Hände an seine Ohren und heulte. „Ihr Schufte“, heulte er, „Mordgesindel!“ Einer der Soldaten trat heran und drehte ihn um, mit einem Fußtritt in die Rippen. Er schwieg. Der Posten entfernte sich. Der Verwundete begann undeutliche Sätze zu stammeln. Es war zu dunkel geworden, als dass Katow seinen Blick noch zu erkennen vermocht hätte; aber er vernahm die Stimme und spürte, dass sie bald deutlicher sprechen werde. Wirklich: „Sie erschießen sie nicht“, sagte der Mann. „Sie schmeißen sie lebend in die Kesselfeuerung der Lokomotive. Und jetzt lassen sie sie gerade pfeifen.“(aus Malraux: "So ist der Mensch")

Die anarchistische Bewegung in Shanghai war zerschlagen. Weitere Massaker in anderen Provinzen folgten.

1929 kommt ein junger Mann nach Shanghai, der zu einem der bekanntesten Persönlichkeiten des chinesischen Anarchismus werden sollte -- Li Yaotang, genannt Ba Jin.

Ba Jin und der chinesische Anarchismus

Li Yaotang schloss sich schon mit 15 einer anarchistischen Gruppe in Chengdu der Provinz Sichuan in Zentralchina an und las mit Begeisterung die Schriften von Kropotkin und Emma Goldmann. Unter diesem Eindruck nannte er sich die nächsten Jahre Ba Jin, wobei Bakunin und Kropotkin Pate standen. Beim Studium in Shanghai lernte er neben Russisch und Französisch auch Esperanto, die Sprache, in der er am häufigsten kommunizieren sollte. Er ging dann nach Paris, wo er sich sehr energisch an der Kampagne für Sacco und Vancetti beteiligte und war der Verbindungsmann zwischen den europäischen und den asiatischen anarchistischen Bewegungen. Zum einen schrieb er für in Shanghai erscheinende Zeitungen aber übersetzte auch viele Werke ins Chinesische, vor allem das „ABC des Anarchismus“ von Berkman und die „Ethik“ von Kropotkin. Bekannt in Europa wurde er vor allem durch eine Veröffentlichung über das Leben von Revolutionären im Shanghai der 20 Jahre, in dem er gegen das politische Attentat sprach ohne die Beweggründe der Attentäter zu denunzieren und stattdessen sich für die Revolution der sogenannten Massen aussprach.

Nun kehrte er 1929 nach Shanghai zurück. Nach der blutigen Niederschlagung der Kommune befanden sich die AnarchistInnen in einer heillosen Situation. Die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) oder Kuomintang, die die Macht inzwischen unter sich aufteilten, war die Entscheidung des weiteren Überlebens. Ein Mangel an Kommunikation, und der Korrespondenz mit dem Ausland verschärften die Situation enorm. Zumindest in den Gebieten der Kuomintang konnten noch Versammlungen abgehalten werden, wenn auch hier der Terror wuchs. Ba Jins Engagement brachte so etwas wie Reorganisation in die anarchistische Bewegung Shanghais. Li Yaotang, der sich nun wieder Li Feikan nannte, schrieb nun selber Bücher über den Anarchismus, übersetzte und verteilte, dann auch regelmäßig Verlautbarungen der spanischen CNT, wobei ihm seine Esperantokenntnisse sehr nützlich waren. Es entstand ein intensiver Austausch mit den spanischen AnarchistInnen. Daneben schrieb Li Feikan als Ba Jin weiter Romane und Novellen, die immer die Konflikte zwischen feudaler Herrschaft und der Revolution waren. Richtig berühmt wurde er mit „Die Familie“, eine Art autobiografischem Roman, ein Angriff auf das patriarchalische System der chinesischen Familien.

1931 begann Japan Teile von China zu besetzen. China selbst, gelähmt durch den Machtkampf zwischen Kuomintang und der KPCh, musste die Mandschurei aufgeben und Japan plante weitere Invasionen. Dadurch gerieten aber die chinesischen Anarchistinnen und Anarchisten erneut unter Beschluss. Durch ihren internationalen Charakter hatten sie selbstredend Verbindungen zu den japanischen Arbeitern und Bauern. Das wurde nun als „projapanisch“ denunziert, viele wurden eingesperrt. Es war kein Trost, dass ihre japanischen Genossen zur gleichen Zeit als „prochinesische“ Kriegsgegner ebenfalls eingesperrt wurden.

Die Kommunisten waren zwar die Ersten, die den Kampf gegen die Invasion ansagten, und riefen zur Einheit aller Völker und Klassen auf. Dies geschah vor allem, um gegen die sich verbündeten Länder Japans und des faschistischen Deutschlands sowas wie eine antifaschistische Front aufzubauen. Chiang Kai-shek zögerte, scheinbar schienen ihm die Japaner weniger gefährlich als die kommunistische Partei. Zwar konnte die Kuomintang die Kommunisten in die Provinz Shaanxi in der Mitte Chinas abdrängen und trugen so zur Geschichte des "Langen Marsches" bei, auf dem Mao Zedong Vorsitzender der KPCh werden sollte. Aber erzeugte auch eine interne Rebellion, in dessen Verlauf Chiang Kai-shek von den eigenen Leuten gefangen genommen und zur Einheitsfront mit der KPCh gedrängt wurde.

Die Reaktionen der anarchistischen Genossinnen und Genossen war unterschiedlich. Allgemein traten sie weiter gegen Nationalismus und Militarisierung ein, aber von Ba Jin ist bekannt, dass er sich mit den Kampf gegen die "imperialistische Invasion" anfreunden konnte und er von daher als ein eher "weicher" Anarchist galt.

Im Zuge der japanischen Invasion kam es zu einer der brutalsten und blutigsten Episode des chinesch-japanischen Konfliktes. Dem Massaker von Nanking 1937. 200.000 wurden von den japanischen Besatzern erschossen, erstochen, geköpft oder verbrannt. Es kam zu Massenvergewaltigungen von mindestens 20.000 Frauen und Mädchen, die anschließend ermordet und zerstückelt wurden. Die wenigen Überlebenden, die nicht den Freitod wählten, wurden als Prostituierte nach Japan verschleppt.

Ba Jin weigerte sich in der Folgezeit, der vorwiegend von Kommunisten besetzten "Liga der linken Schriftsteller" beizutreten. Woraufhin es eine Welle von Pamphleten gab, die anfangs noch eher spöttisch waren. Dann aber heimtückischer und bedrohlicher, als Ba Jin sich auch weigerte, der "Chinesischen Schriftstellerorganisation" beizutreten. Denunziert und als "Räuber und Dieb" abgestempelt, wurde er inhaftiert. Dank einiger prominenter Fürsprachen zwar freigelassen, stand er aber von da an unter ständiger Beobachtung. Währenddessen sammelte sich die anarchistische Bewegung, organisierte sich neu in Shanghai. Bald fanden die ersten Demonstrationen zur Unterstützung der spanischen CNT/FAI statt. Das spanische Beispiel versammelte wieder mehr Menschen unter dem Banner des Anarchismus. Eine Gruppe, die sich "Schwarze Fahne" nannte, gründete in Kanton eine anarchosyndikalistische Organisation, Arbeiterinnen und Arbeiter der Textil- und Transportunternehmen begannen mit einer Serie von Streiks und Sabotagen. Ba Jin, der bis 1940 in Shanghai gelebt hatte, ging nun nach Kunming in der Provinz Yunnan nahe bei Birma, einem kulturellen Zentrum in China, wo viele Oppositionelle lebten. Hier gründete er das "Wen-Schu Scheng-huo Verlagshaus", wo er die Werke von Kropotkin und Alexander Berkman herausgab. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges, der in China fast unbemerkt war, war die anarchistische Bewegung gewachsen. Es existierten 3 größere Industrieföderationen mit jeweils 500 bis 1.000 MitarbeiterInnen, 20 studentische Gruppen.

Der nächste Schlag, diesmal fast tödlich, kam bald und nicht unerwartet. Mao Zedong war Vorsitzender der KPCh geworden und entpuppte sich als der chinesische Trotzki. Hatten die Anarchisten bei den Nationalisten noch die Wahl zwischen Scharfrichter und Versammlungsraum, war der Marxismus ein unbarmherziger, tödlicher Feind geworden. Die Anarchistinnen und Anarchisten mussten bald in den Untergrund. Sie hatten in der Provinz Schangsa im Norden Chinas noch mal einen Aufstand versucht.

Eine alte Vervielfältigungsmaschine war nun die einzige Art, Kommunikation nach außen herzustellen. Jeder Bleistift, jedes Stück Papier musste unter Lebensgefahr besorgt werden. Überfälle brachten etwas Geld in die Kasse, doch der Kontakt vor allem außerhalb Chinas schien nun abgebrochen.

Der Anarchismus in China lebt

Am 1. Oktober 1949 rief Mao Zedong die Volksrepublik China aus. Die Kuomintang hatte in den letzten Jahren mehr und mehr an Einfluss verloren und floh nun auf die Insel Taiwan und errichtete dort eine Gegenregierung (und viele Spielzeugfabriken). Die neuen Herrscher in China verfolgten die Anarchistinnen und Anarchisten nun unerbittlich, wobei sich die Macht der KPCh eher aus den Gewehrläufen der Soldaten und dem Rückhalt in der Bauernschaft ergab. Zu diesem Zeitpunkt ware die Arbeiterschaft noch sehr von den Ideen des Anarchosyndikalismus durchdrungen. Die sogenannte chinesische Revolution war schlichtweg eine Machtergreifung durch die Kommunistische Partei mit Hilfe einer Armee. Es gab nie so etwas wie die "Arbeiterräte", mit denen sich die Bolschewisten lange schmückten. Als Arbeiter 1949 "Betriebsräte" bildeten, wurde diese sehr schnell verboten und durch von der Partei gesteuerten Ausschüsse ersetzt, mit den dementsprechenden Kader.

Ba Jins Leben nahm nun dramatische Wendungen. Zum einen wurde er weiterhin permanenten Angriffen ausgesetzt, begrüßte er zum anderen die in der "Hundert-Blumen-Bewegung" entstandene kulturelle Freiheit. Er trat nun dem "Verband chinesischer Schriftsteller" bei, um bald wieder ins Visier der KPCh zu geraten - wie 300.000 andere auch, die die Freiheit der Hundert Blumen wohl etwas zu wörtlich genommen hatten. Seine Romane wurden zensiert und alle Erwähnungen zum Thema "Anarchie" herausgeschnitten. Nun bestand seine Aufgabe darin, seine Bücher mit parteifreundlichen Inhalten zu versehen. Dies geschah in der Form, dass seine Werke neu herausgegeben wurden, allerdings verschwanden nun alle Anarchisten daraus. Die Bilder von Bakunin und Kropotkin aus all seinen Beschreibungen, Heldinnen und Helden unter Maos Gnaden tauchten nun in den Novellen auf. Auch musste er das Ende seiner Bücher umschreiben. Die KPCh wollte ihn auf dem Weg der Demut, wie sie es nannte, in den Lobgesang für die Regierung führen. Ba Jin unterzog sich diesen Chancen des Überlebens bis hin zu öffentlichen Selbstbezichtigung. Während des Säuberungsprozesses der sogenannten "Kulturrevolution", wo es in 10 Jahren 7 Millionen Tote gab, also all jene, die Mao mehr oder weniger kritisiert hatten, erlitt Ba Jin nun den letzten Grad der Erniedrigung. Auf Glasscherben kniend sollte er nun als "Klassenfeind" seine Meinungen endgültig widerrufen. Seine Werke wurden verbrannt, er selbst mit seiner Frau ins Arbeitslager gesteckt. Die harten Anarchisten - viele von ihnen im Untergrund von Hongkong oder Macao - kritisierten hart, wie auch die internationalen Bewegungen am Beispiel von Ba Jin das Verhalten der "kapitulierten" genossen. Es erscheint in der Tat sehr schwer, die Bewunderung zu verstehen, die die chinesischen Anarchisten weiterhin Ba Jin entgegenbrachten. Ihr Zorn richtete sich gegen die Regierung, die solch eine Schmach und Erniedrigung über Menschen wie Ba Jin gebracht hatte. An dieser Stelle erscheint es notwendig, Ba Jin selbst zu Wort kommen zu lassen. 1977, als er aus dem Arbeitslager entlassen wurde (ein Jahr zuvor war Mao Zedong gestorben), äußerte er sich in einem 5-bändigen Werk mit dem Titel Suixiang Lu (Gedanken):

"Ich habe das Gefühl, daß ich mich allmählich dem Ende nähere. Ich möchte den Lesern die Wahrheit sagen. Die "Gedanken" sind ein freiwillig verfasstes Bekenntnis. Womit meine ganzen Selbstbezichtigungen aus der Herrschaftszeit der Mao Zedong-Ära nun endgültig zur Hölle fahren sollen."

Möge jede und jeder von uns die eigenen täglichen Entscheidungen daran messen.

Das offene, organisatorische Leben der anarchistischen Bewegung in China hatte aufgehört, ein Faktor in der chinesischen Politik zu sein. Wenn auch der Einfluss aus dem Untergrund blieb. Besonders ausgeprägt in einer illegalen Arbeiterinnenbewegung, die bis in die heutige Zeit reicht. Bekannt wurde die "Autonome Gruppe Peking", eine von mehreren Gruppen, die den Aufstand 1989 auf dem "Platz des himmlischen Friedens" organisiert hatten. Er wurde blutig niedergeschlagen. Am 4. Juni wurden mehrere Tausend um den Platz und in der Stadt ermordet, danach viele verhaftet und noch Wochen danach öffentlich hingerichtet - ausnahmslos Arbeiterinnen und Arbeiter. Eine ausgesprochen anarchistische Bewegung in den alten Industriegebieten mit vielen Streiks und Sabotageaktionen aber auch Attentate auf Chefs der Fabriken und Funktionären der kommunistischen Partei prägen die Gegenwart. Leider gibt es durch die bekannte Nachrichtenpolitik der chinesischen Regierung keine Einzelheiten, zeigen aber dass der Kampf nie aufgehört hat und gerade unter den gegenwärtigen Bedingungen unserer Solidarität und Unterstützung bedarf.



Siehe auch

Anarchismus in Deutschland Anarchismus in Österreich

Literatur

  • Graswurzelrevolution Nr. 136
  • Klaus Haag: Schwarze Fahnen gegen die Scheinfreiheit

Weblinks

Podcast bei "Radio Chiflado"[1]

(Manuscript zur Podcastreihe bei "Radio Chiflado")

Kategorie:Anarchismus