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Der Tankerkönig

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Der Tankerkönig ist ein sogenannter Talking Blues (Sprechgesang, entspricht etwa dem, was heute unter Rap firmiert) von Hannes Wader aus dem Jahre 1972. Er entstand zur Zeit der RAF und nach dem Kontakt zu Gudrun Ensslin (Gründungsmitglied der RAF).

Teil 1 (Der Tankerkönig)

Es war an einem Morgen im Frühjahr, als ich meinen ersten Anfall bekam. Ich hatte so ‘n bisschen über mich und das Leben nachgedacht, als mir plötzlich speiübel davon wurde. Und irgendwas drückte mir den Hals so zu, dass ich dachte, ich müsste ersticken.

Ich stürzte auf die Straße, schnappte wie ein Irrer nach Luft, aber es kam noch viel schlimmer. Mir wurde schwindelig, ich drehte mich zehn Mal um mich selbst und dachte, alle Leute zeigten mit den Fingern auf mich, bis ich dann merkte, dass ich gar nichts an hatte.

Ich rannte und rannte, fand dann irgendein offenes Parterre-Fenster, kletterte rein und verkroch mich, zitternd vor Angst und Kälte, in irgendeine Ecke.

Es dauerte eine ganze Weile, bis ich merkte, dass ich mich in einem Trödelladen befand. Der ganze Raum hing voll mit alten Klamotten, und ich zog mir sofort eine Pluderhose, Stulpenstiefel und ein Kettenhemd an, hängte mir noch ne alte Armbrust über die Schulter und fühlte mich augenblicklich wieder gelassen und unangreifbar.

Ich marschierte über die Straße und stand dann plötzlich vor dem Personaleingang des Kaufhauses, wo ich bis dahin die Papierverbrennungsanlage bedient hatte. Als ich das sah, wurde mir schlecht vor Wut. Ich rannte den Pförtner über den Haufen, riss sämtliche Telefonkabel ab, brach die Stempeluhr aus der Wand und tobte weiter in die Verkaufsräume.

Als ich in die Spielwarenabteilung kam, stand der erste Verkäufer wieder mal von einem Stützpfeiler halb verborgen auf ner Leiter, um die Kinder beim Klauen besser erwischen zu können. Die liefert er dann immer der Geschäftsleitung aus und kassierte ne dicke Prämie pro Nase. Sein dreckiges Grinsen, als er mich sah, brachte mich so auf, dass ich ohne zu zielen meine Armbrust auf ihn abdrückte, und der Bolzen fuhr ihm dicht am Hals vorbei durch den Anzugkragen und nagelte ihn am Pfeiler fest. Ich trat die Leiter unter ihm weg und ließ ihn da hängen wie n Schluck Wasser. Und während er zappelte und schrie, schmiss ich eine Stellage nach der anderen um und verteilte das Spielzeug unter die Kinder.

Und mitten im größten Tumult tauchte der Chef des Hauses auf und zischte mich an: “Was machen Sie denn da? Sofort kommen Sie mit in mein Büro, Sie Idiot!” Ich spannte nur meine Armbrust und sagte: “Leck mich doch am Arsch, du Motherfucker! Hände hoch und vorwärts!” Da sah er den Verkäufer am Pfeiler baumeln und wurde leichenblass. Ich schubste ihn in den Lastenfahrstuhl, ohne dass die Kunden deswegen stutzig wurden, die das ganze für ne Werbeaktion hielten, fuhr mit ihm in den Keller runter in die Papierverbrennung und gab ihm einen Tritt, und er flog durch das riesige Ofenloch mitten ins Feuer. Und als draußen die Polizeisirenen heulten, war schon nichts mehr von ihm übrig.

Ich rannte nach draußen, warf die Armbrust weg, schwang mich auf ein herrenloses Damenfahrrad und jagte quer durch die City zum Ortsausgang. Und nach einer Stunde Fahrt fiel ich halbtot vor Erschöpfung vom Rad und schlief unter einem Gebüsch ein. Am nächsten Morgen war es eisig kalt. Und mit der Kälte kam die Angst. Ich hatte eine Führungskraft umgebracht, jetzt würde man mich überall suchen und hetzen. Und in meiner Panik wühlte ich mich immer tiefer und tiefer in den Wald, und gegen Mittag fand ich einen verlassenen Luftschutzbunker. Die Tür war offen und in einer Ecke lag eine Maschinenpistole in Ölpapier gewickelt und eine Kiste Munition. Ich setzte die Waffe zusammen, sie funktionierte, und ich fühlte mich sofort wieder unbesiegbar. Ich beschloss, mich im Bunker einzurichten, und mir gleich Vorräte zu beschaffen, um in der Illegalität überleben zu können.

Und noch am selben Tag knackte ich drei Banken. Ich zwängte mich jedes mal mit dem Fahrrad durch die Tür, drehte eine Runde im Schalterraum, feuerte mit der MP in die Decke, dass der Kalk nur so spritzte, und schrie: “Ich bin der Rattenfänger von Hameln, wo sind hier die Mäuse!”

Und als ich auf diese Weise 100.000 Mark zusammen hatte, ging ich noch schnell in 'n Supermarkt einkaufen und erreichte dann auf Schleichwegen wieder meinen Bunker.

Ich blieb so lange unsichtbar, bis keine Zeitungsmeldungen mehr über mich erschienen, beschaffte mir dann so nach und nach alles, was ich brauchte, und verlebte ein paar sehr ruhige Monate. Ich pflanzte Hanf im Blumenpott, rauchte ab und zu einen Joint und schaukelte bei sonnigem Wetter in meiner Hängematte und hörte – die MP auf dem Bauch – die Hitparade im Kofferradio und war glücklich. Aber wie alle glücklichen Leute nach ‘ner Weile schon nahe am Verblöden. Und um dem entgegenzuwirken, schrieb ich zentnerweise Leserbriefe und badete ab und zu in einem eingezäunten See, der in der Nähe lag und der dem Tankerkönig gehörte.

Eines Mittags also – ich saß da ganz ruhig mit meiner MP im Wasser – stand da plötzlich einer vor mir in Hemdsärmeln, grüner Schürze, Strohhut, Spaten über der Schulter und meinte, das wäre Privateigentum, wo wir denn hinkämen, wenn das alle machen würden. Ich sagte “ja wenn das alle machen würden, dann wäre der Tankerkönig bald weg vom Fenster mit Blick auf den See”. Ich fragte ihn ob er es denn nötig hätte, als Gärtner für den Tankerkönig den Büttel zu machen. Meint er doch, ich bin nicht der Gärtner, ich bin der Tankerkönig. Ich sagte: “Das ist doch nicht zu fassen, den Gärtner entlassen, die Dahlien selber begießen und das Geld für sich arbeiten lassen! Damit ist jetzt Schluss!!” Ich wollte sofort abdrücken, brachte es dann aber doch nicht fertig. Und stattdessen zwang ich ihn einen Joint zu rauchen, so groß wie’n Ofenrohr. Ich sagte: “So! Und jetzt will ich mal sehen, wie Milliardäre so leben!”.

Wir gingen die paar hundert Meter bis zu seiner Villa, und als wir ankamen, war er schon so high wie’n Weltmeister. Er taumelte vor mir her in eine riesige Diele auf eine erlesene Sitzecke zu, wo die Tankerkönigin saß und döste und so’n Hündchen im Arm mit blauer Schleife und rosa Arschloch, und sie murmelte, ohne die Augen zu öffnen, “Rudi bist Du es? Denk dir, Ari Onassis hat uns eingeladen zur Safari” Der Tankerkönig glotzte seine Frau erst an, als wenn er gar nichts begriffen hätte, fing dann an, um sie rumzutanzen, äffte ihre Stimme nach “Mit Ari auf Safari…”. Die Tankerkönigin riss die Augen auf, sah uns und flüchtete kreischend die Treppe rauf. Der Tankerkönig angelte sich die antike Streitaxt von der Wand und Ari Safari hinterher.

Da dachte ich “Das Schauspiel guckst du dir von draußen an. Und ich setzte mich in die Hollywoodschaukel. Da sah ich auch schon den Tankerkönig aus der Dachluke kriechen. Die blutige Axt in der Hand breitete er die Arme aus, sprang und landete – klatsch – direkt vor meinen Füßen. Ich ging erst mal zurück zum Bunker und legte mich schlafen.

Am nächsten morgen hörte ich dann die Nachrichten. Die halbe Welt stand Kopf. Es war auch von mir die Rede. Die Tankerkönigin hatte ausgesagt. Ihr Mann hatte mit seiner Axt nicht sie, sondern nur das Hündchen erschlagen, und man sprach von einer wirtschaftspolitischen Katastrophe, die der Tod des Tankerkönigs ausgelöst hätte. Und weiter hieß es, die gesamte Landespolizei und eine Bundeswehreinheit beteilige sich mit Suchhunden und Peilgeräten, Hubschraubern und Panzern an der Fahndung nach dem geisteskranken Mörder mit dem Kettenhemd und den Stulpenstiefeln. Mir wurde ganz mulmig zumute, und ich verrammelte die Bunkertür hinter mir und traute mich wochenlang nicht mehr raus.

Nach einer Weile fühlte ich mich so elend und einsam, dass ich schon anfing mit mir selbst zu reden. Ich brauchte unbedingt einen Menschen, mit dem ich sprechen konnte, aber einen, der das mit dem Tankerkönig auch verstehen würde. Und ich kannte keinen. Aber dann hatte ich die Idee: Wenn schon kein Lebender da war, warum sollte ich dann nicht mit einem Toten reden. Also schlich ich mich gegen Mitternacht aus dem Wald in den nächsten Ort. Ich kannte da ein Haus in dem regelmäßig spiritistische Sitzungen stattfanden.

Und ich hatte auch Glück, die Sitzung war schon im vollen Gange. Ich stieß die Tür mit dem Fuß auf, die MP in der Hand und rief: “Nur keine Panik meine Herrschaften, Hände auf den Tisch.” Aber kaum hatten die die Hände auf der Platte, fing der Tisch an zu wackeln, hob sich wie von selbst und schwebte dann einen Meter überm Fußboden. Ich sagte “Kinder, macht doch keinen Quatsch, Hände hoch übern Kopf!” Sofort flogen die Hände in die Luft und der Tisch krachte wieder auf den Boden. Und ich sagte “So, wer von euch ist hier der Ober-Druide? Macht mir mal ne Verbindung mit Ché Guevara, ich möchte jetzt endlich mal mit einem vernünftigen Menschen reden.”

Erst wussten die gar nicht so richtig, wen ich da meinte, gaben sich aber sehr viel Mühe, und endlich knackte es in der Leitung, und ich hörte Ché Guevaras Stimme “Was wollt ihr von mir?” Ich sagte, wer ich war und was ich angerichtet hatte und dass ich einen Rat brauchte. Und die Stimmer fragte mich etwas ärgerlich, was das denn sollte und ob ich denn noch nie was von organisiertem Klassenkampf gehört hätte. Ich sagte nee, hätt' ich nich'. Die Stimme schwieg einen Augenblick und sprach dann wesentlich freundlicher und tröstender weiter: Ja, da wäre mir nur sehr schwer zu helfen, ich wäre krank und ich sollte mal am besten zum Psychoanalytiker gehen.

Total deprimiert kroch ich zurück zum Bunker, als ich schon von weitem die Blechbüchsen klappern hörte, die an dem Alarmdraht hingen, den ich um mein Versteck gespannt hatte. Vor Schreck an allen Gliedern zitternd ging ich dann hin und sah einen VW da stehen mit einem nackten Pärchen auf dem Vordersitz. Die Stoßstange hatte sich in der Alarmleitung verhakt, so dass die Blechbüchsen unausgesetzt schepperten.

Ich war so empört, dass ich dem Kerl die MP in den Rücken bohrte und ihn anschrie: “Sofort aufhören, das ist doch ‘ne Schweinerei. Weit und breit die unberührteste Natur, und Sie machen hier solche Verrenkungen in Ihrer stinkigen Kiste. Aber sofort raus in die Glockenblumen.” Der arme Mann jammerte mir die Ohren voll: “Warum haben Sie uns so erschreckt? Meine Bekannte hat ‘n Krampf, und jetzt hängen wa fest!” Das hatte mir gerade noch gefehlt.

Wir berieten erst mal ne Weile darüber, was wir da machen könnten und dass es das beste wäre, der Braut mit ner Nadel in den Schenkel zu stechen, so als Gegenschock, aber natürlich hatte keiner ‘ne Nadel dabei. Mir dauerte das alles zu lange. Ich sagte: “Schluss jetzt!! Wenn ihr die Nadel haben wollt, müsst ihr schon die hundert Meter zum Nähkästchen robben.” Die Operation gelang dann auch. Und erst als die beiden den Bunker wieder verlassen hatten, wusste ich, dass ich einen furchtbaren Fehler begangen hatte.

Teil 2 (Der Putsch, 1976)

Ich hatte damit zu rechnen, dass mich das Liebespaar verraten würde. Ich musste sofort verschwinden, deshalb warf ich in aller Eile meine Brocken auf einen Haufen, zündete sie an, stopfte mir ein Bündel Geldscheine in die Taschen und lief ohne mich umzusehen immer durch den Wald. Hinter mir hörte ich noch lange die MP-Munition krachen, die ich ins Feuer geschmissen hatte. Ich marschierte fast ohne Pause einen ganzen Tag ohne jemanden zu treffen bis auf eine Vogelscheuche im dunklen Zweireiher, den ich gegen mein Kettenhemd und die Pluderhose eintauschte.

Bei Sonnenuntergang erreichte ich endlich ein Autobahnrastplatz, versteckte mich dort und wartete. Nach Einbruch der Dunkelheit kam eine Fahrzeugkolonne der Bundeswehr und machte eine kurze Rast. Kurzentschlossen kroch ich unter die Plane eines der Lastwagen und schlief gleich darauf ein. Als ich wach wurde, fuhren wir durch eine Stadt, die ich nicht kannte. Irgendwie gelang es mir unbemerkt abzuspringen. Ich lief ein paar Schritte und stand doch tatsächlich vor dem Hauptbahnhof Bonn. Ich kaufte mir gleich eine Zeitung, da stand es auch schon in dicken Lettern "Geisteskranker Unhold wieder aufgetaucht, bedrohte Liebespaar beim Pilze sammeln... " und so weiter. Mich juckte das wenig, hier in Bonn vermutete mich sicher niemand. Ich frühstückte erstmal anständig, kleidete mich neu ein und suchte dann nach einem Versteck, um dort meine Lage zu überdenken.

Gegen Abend fand ich, was ich suchte. Ich brach in eine leerstehende Diplomatenvilla ein, die direkt am Rheinufer lag. Ich setzte mich in die Küche und dachte nach. Ich mußte schnellstens raus aus der Bundesrepublik und zwar so weit weg wie möglich, nur hatte ich keine Papiere und nicht mehr genügend Geld, weder Freunde noch Bekannte - nichts. Mir brach der Schweiss aus. Ich suchte in allen Schubläden nach Schnaps und dabei fand ich eine geladene Parabellum. Jetzt wußte ich plötzlich, was ich tun würde. Hier in Bonn wimmelte es ja nur so vor Politikern. Ich brauchte nur einen zu entführen, um dann der Regierung meine Bedingungen zu stellen.

Für meine Zwecke musste dieser Politiker erstens prominent, zweitens habgierig und korrupt sein. Mir fiel auch gleich einer ein. Ich rief ihn zu Hause an, stellte mich als Generalmanager eines multinationalen Unternehmens vor und bot ihm einen saftigen Beratervertrag an.

Es dauerte keine halbe Stunde, da sah ich ihn auch schon durch den Vorgarten huschen. Kaum war er drin, schloss ich die Tür ab, drückte ihm meine Parabellum in den Bauch und sagte "Sie sind entführt." Er wurde wütend und brüllte mich an "Was ist denn für eine Sauerei? Ich habe mit meinen Parteifreunden ausdrücklich vereinbart, meine Entführung aus wahltaktischen Gründen noch zu verschieben."

Er wollte auch gleich wieder zur Tür. Ich zwang ihn aber sich zu setzen und fesselte ihn an den Stuhl. Dann holte ich ein Küchenmesser, ich sagte "Halten sie mal den Kopf still, ich schneide ihnen nämlich jetzt ein Ohr ab. Sie müssen das verstehen, irgendwas muss ich ihren Freunden ja schicken, sonst nehmen die mich nicht ernst." Er fragte mich, ob es nicht besser wäre statt dessen seine Zahnprothese zu nehmen. "Auch gut! Ich kann sowieso kein Blut sehen, aber packen sie ihr Gebiss bitte selber ein, ich fasse das nicht an." So machten wir es dann auch. Ich legte einen Brief bei, in dem ich für meine Geisel fünfhunderttausend Mark und ein vollgetanktes Flugzeug forderte.

Gleich am nächsten Tag rief ich an und meldete mich "Hier spricht der Entführer." Sie hatten schon auf meinen Anruf gewartet, aber der Mann am Telefon meinte nur ganz grob "Schmieren sie sich ihre Geisel in die Haare. Wir überlassen ihnen aber gern dafür, dass sie uns den Mann vom Halse geschafft haben fünf Mark und ein vollgetanktes Mofa." Er hängte dann einfach auf und ich stand da wie vor den Kopf geschlagen.

Ich sah nun überhaupt keine Chance mehr. Ich war drauf und dran, mich der Polizei zu stellen und erzählte das alles meiner Geisel und dabei fing ich schon an, den armen Mann los zu binden, ließ es dann aber bleiben, als ich ihm ins Gesicht sah. Denn während ich noch erzählte, wurde er plötzlich kreidebleich, die Augen traten ihm aus den Höhlen und mit Schaum vor dem Mund kreischte er immer wieder, er werde die Schweinebande umbringen, dabei wälzte er sich auf dem Boden, dass der Stuhl zu bruch ging. Es wurde unerträglich und ich stopfte ihm einen Teppich in sein zahnloses Maul.

Nachdem er eine Stunde lang darauf rumgekaut hatte, schien er sich wieder beruhigt zu haben. Ich löste seine Fesseln und schleppte ihn in eine Ecke und dort lag er bis zum Abend und brütete vor sich hin. Mir war jetzt alles egal. Ich trank eine ganze Flasche Schnaps und schlief dann am Tisch sitzend ein. Als ich dann nach Stunden wieder die Augen aufschlug, saß mir mein Politiker gegenüber, hatte meine Parabellum in der Hand und sagte "Hör zu du Ratte: Du weißt, dass du erledigt bist. Du hast aber noch eine Chance, wenn du von jetzt ab tust, was ich dir sage." Was sollte ich machen? Ich sagte "Geht in Ordnung Chef."

Von nun ab saß er Tag und Nacht da, schrieb, plante und soff, gab mir Befehle, telefonierte und soff wieder. Ich musste allen möglichen Leuten geheime Schriftstücke überbringen. Ich wußte überhaupt nicht, was los war und eines Nachts füllte sich das ganze Haus mit fremden Männern. Alle krochen heimlich durchs Kellerfenster rein, obwohl die Haustür offen stand. Als alle vollzählig waren, hielt der Chef eine Ansprache. Ich begriff davon nur soviel, dass unter seinem Kommando eine Organisation zum Sturz der Regierung gebildet werden sollte, um anschließend ein sozialeuropäisches Reich deutscher Nationen zu errichten unter Wiederherstellung der Grenzen von 814 nach Christi. Dieser Plan wurde von allen begeistert aufgenommen, damit war die Be Es E Er geboren, die Bewegung sozialeuropäisches Reich.

Im Anschluss daran ging es gleich ans Pöstchen verteilen, dabei gab es Streit . Ich hielt mich da raus, trotzdem versprach man mir für später auch einen Ministersessel. Als das erledigt war, kam der gemütliche Teil. Gut gelaunt und staatsverdrossen fingen nun alle an zu saufen. Ein Professor für Byzantinistik, der aus Protest gegen die Regierungspolitik schon mehrfach mit dem Fallschirm abgesprungen war, stellte uns einen Mann vor, der für diesen historischen Anlass etwas Kulturelles zur Unterhaltung beitragen wolle. Der Mann war klein, mager, mit zurück gekämmten Haaren und trug einen dunklen Ledermantel. Wie er da so stand, schien er mir irgendwie unvollständig, wie verkröpelt – bis ich darauf kam, dass Typ Mensch niemals ohne Schäferhund bei Fuß und Hundepeitsche in der Hand vorkommt. Und richtig. Der Mann pfiff leise durch die Zähne, da kroch auch schon ein riesiger Schäferhund unter dem Sofa vor, mit einer Hundepeitsche zwischen den Zähnen. Das Hinterteil eingeknickt wie bei einer Hyäne, rutsche er winselnd auf den Boden entlang und legte er seinem Herrchen die Peitsche vor die Füße. Und schon begann die Vorstellung. Besonders eine Nummer kam gut an, als nämlich der Mann fragte: „Na Hasso, wie machen die Mädels auf Sankt Pauli?“, legte der Hund sich auf den Rücken und streckte alle Viere von sich. Danach kündigte der Hundeführer die Hauptattraktion an. Indem er Schallplatte auflegte, erklärte er, der Hund würde uns nun etwas vorsingen. Schon nach den ersten Takten wurde die Melodie von allen erkannt. Es war die Internationale. Es wurde scharf protestiert, so einen Dreck wolle man hier nicht hören und ähnliches. Aber der Hundeführer beruhigte die Leute und sagte, sie möchten doch bitte auf den Hund achten. Das arme Vieh hatte gleich als es den ersten Ton hörte, versucht sich zu verkriechen, klebte aber wie festgefroren am Boden, zitterte am ganzen Leibe, fletschte die Zähne und röchelte nur. Dabei tropfte ihm der Geifer von den Lechzen. Mit Blut unterlaufenen Augen starrte der Hund wie wahnsinnig vor Angst und Hass auf den Plattenspieler. Dann – als ich dachte, er müßte gleich ersticken vor Entsetzen – hob er plötzlich den Kopf und fing an zu singen. Das heißt, sein ersticktes Röcheln löste sich plötzlich in erbärmlichen Jaultönen. Die Wirkung auf die Zuschauer war gespenstisch. Wie hypnotisiert klotzten alle auf den Hund. Ich sah, wie sich bei einigen die Nackenhaare sträubten, manche knurrten richtig, verdrehten die Augen, legten die Ohren an und jaulten dann mit gespitzten Mündern gemeinsam mit dem Hund gegen die verhasste Musik an, bis die Platte endlich abgespielt war. Vollkommen erschöpft und tief ergriffen, sauften sie alle bis zum Morgengrauen weiter und verließen das Haus laut gröllend wieder durch das Kellerfenster, obwohl inzwischen jemand die Haustür ausgehängt hatte.

Ich war nun wieder allein mit dem Chef. Er war äußerst zufrieden mit allem und sagte zu mir: „Hast du die Nummer mit dem Hund gesehen, du Ratte? Sowas nenne ich angewandte Politik.“ Ich fragte, wieso angewandte Politik? Na, ganz einfach, meinte er: Der Hundeführer quält den Hund mit Elektroschocks und läßt gleichzeitig die Platte laufen. Also richtig der Hund seine ganze Wut gegen die Musik. Der Hundeführer tritt nur in Erscheinung, um den Hund wieder von seiner Folter zu erlösen, und der leckt ihm auch noch aus Dankbarkeit die Füße. Ich sage Dir, die Menschen sind genau so dämlich wie dieser Köter. Denk an meine Worte, wenn wir erst an der Macht sind.

Die Vorbereitungen für den Putsch dauerten bis in die Karnevalszeit. Am Rosenmontag war es dann soweit. Ein berühmter Aktionskünstler – der Chef nannte ihn Jupp – sollte uns in seinem Einbaum, den ihm einer seiner Schüler geschenkt hatte, über den Rhein schippern. Ob er vom Chef in die Putschpläne eingeweiht war, kann ich nicht sagen. Die anderen warteten als Happening-Artisten getarnt, alle kostümiert mit Schnellfeuergewehren im Hosenbein auf das Zeichen zum Einsatz. Dieses Zeichen sollte uns der Byzantinistikprofessor geben, indem er für uns alle sichtbar vom Dach des Langen Eugen mit dem Fallschirm abspringen würde. Unser Einbaumkapitän hielt uns derweil einen Vortrag über den Totalanspruch der Kunst. Und darüber hätten wir beinahe den Einsatz verpaßt; der Professor war schon längst abgesprungen und gleich mit seinem Fallschirm an einem der Fahnenstangen hängengeblieben, die vor dem Bundeshaus rumstanden. Und wir sprangen, der Chef vorneweg als Batman verkleidet in den Einbaum und paddelten los. Am anderen Ufer angekommen, schmissen zwei Mann den Künstler ins kalte Wasser und versenkten den Einbaum. Und dann stürmten wir mit entsicherten Waffen das Bundeshaus und umstellten den Konferenzraum, in dem der Chef die Regierungsspitze bei einer Sondersitzung vermutete.

Drinnen hörten wir eine laute Debatte. Es wurde gerade der Vorschlag diskutiert, die Mauer aufzukaufen, um zu verhindern, dass die ganzen Arbeitslosen irgendwann in die DDR flüchten, als der Chef auch schon die Tür aufriss und schrie: „Hände hoch und alles an die Wand.“ Er fing fürchterlich zu fluchen an, als er feststellte, dass nicht ein einziges Regierungsmitglied anwesend war. Alles nur Hinterbänkler der dritten Garnitur, die sich zitternd an die Wand drückten, als der Chef unter seiner Maskierung jeden Einzelnen anstarrte, ob denn nicht vielleicht doch der Bundeskanzler dabei wäre. Ich ahnte schlimmes. Der Chef war unberechenbar in seiner Wut und suchte nach einem Opfer. Und er fand auch eins. Er stürzte auf einen der Abgeordneten zu, es war einer seiner früheren Parteifreunde, feuerte ein halbes Dutzend Schüsse auf ihn ab und riss sich die Maske vom Gesicht. Der Getroffene schwankte, klotzte den Chef an und erkannte ihn. Er atmete noch einmal tief durch und sagte fröhlich, während ihm schon das Blut aus Mund und Ohren quoll: „Ach, Du bist das. Gott sei dank, ich dachte schon, ihr seid Kommunisten.“ Dann schloss er die Augen, fiel um und starb. Auch die anderen Abgeordneten hatten den Chef erkannt und hörten auf zu zittern und bekamen wieder Farbe im Gesicht und schöpften neue Hoffnung.

Der Chef hatte sich nun abreagiert und war wieder die Ruhe selbst. Wir mußten die Gefangenen in einen Nebenraum bringen und die Leiche wegschaffen. Plötzlich hörten wir von draußen eine Stimme durch ein Megaphon brüllen: „Die Putschisten werden aufgefordert, sich unverzüglich zu ergeben. Das Gebäude ist umstellt. Jeder Widerstand ist zwecklos.“ Der Chef rannte ans Fenster und bekam gleich wieder einen Wutanfall. Das kann doch nicht wahr sein, schrie er, draußen stehen tausend Mann Bundesgrenzschutz. Das sind doch alles unsere Leute. Die habe ich selber hierher befohlen. Jetzt fallen die mir in den Rücken. Irgendein Schwein muss uns verraten haben.

Wir fragten ihn, was wir denn nun machen sollten. Maul halten, sagte er. Tut, was ich Euch sage: Legt die Waffen ab, wir gehen zum Schein auf alles ein, was die da draußen wollen. Das übrige mache ich schon. Obwohl keiner wußte, was er vor hatte, folgten wir seinem Befehl. Der Chef ging zu den Gefangenen rein, und wir hörten fünf Minuten lang undeutliches Gemurmel durch die geschlossene Tür. Dann kamen sie alle im Gänsemarsch raus, nahmen sich einfach unsere Waffen und schubsten uns der Polizei in die Arme, ohne das der Chef sie daran gehindert hätte. Wir waren allesamt völlig durcheinander und wußten nur eins, dass unser Putschversuch gescheitert war.

Inzwischen hat es einen großen Prozeß gegeben, in dem ich als Kronzeuge aufgetreten bin. Die Ermittlungsbehörden und auch der Chef haben mich dazu überredet. Der Chef meinte, Du mußt Aussagen, dass ich von den Putschisten zum Mitmachen gezwungen wurde. Staatsanwaltschaft und neunzig Prozent der Presse stehen hinter uns, die Öffentlichkeit schluckt alles, wenn man es nur richtig anpackt. Wenn du spurst, garantieren wir dir Straffreiheit, ein neues Gesicht, einen neuen Namen und vor allem Geld, um ein neues Leben anzufangen. Ich hatte nichts zu verlieren, also log ich, dass sich die Balken bogen. Ich weiß nicht, was der Chef mit den Abgeordneten ausgekungelt hatte; jedenfalls erklärten sie vor Gericht, er hätte sie aus den Händen der Putschisten befreit und der Tod ihres Kollegen wäre ein Unfall gewesen. Und Jupp, der Aktionskünstler, wurde vorgeladen und wußte wieder von gar nichts, hat aber inzwischen seinen Einbaum geborgen, die Löcher mit Leukoplast verklebt, zum Kunstwerkt erklärt und für eine halbe Million an ein Museum verkauft. Die Putschisten hatten Glück trotz meiner belastenden Aussagen. Es konnten ihnen keinerlei Kontakte zu linksradikalen Gruppen nachgewiesen werden. Sie wurden wegen groben Unfugs belangt.

Der Prozess hat meine Nerven sehr angegriffen. Die Putschisten haben mir Rache geschworen, die Öffentlichkeit hält den ganzen Prozeß für Schwindel, aber von offizieller Seite habe ich die Versicherung, mich um die freiheitliche, demokratische Grundordnung besonders verdient gemacht zu haben. Deshalb bereite ich mich auf eine Beamtenlaufbahn vor. Ich will Lehrer werden, über den zweiten Bildungsweg. Ich lese sehr viel. Hier im Krankenhaus habe ich auch die Ruhe dazu. Ich habe nicht mal gemerkt, dass seit dem Prozess wieder fünf Jahre vergangen sind. Ich warte jetzt nur noch auf meine Gesichtsoperation und dann brauche ich keinen Wärter mehr und auch keine Gitter mehr vor den Fenstern.

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