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Christlicher Anarchismus
Anarchismus und Christentum sind keineswegs die sich gegenseitig ausschließenden Weltanschauungen, wie sie gängige Vorstellungen von atheistischen und kirchenfeindlichen Anarchisten einerseits sowie der Kirche als staatstragenden Institution andererseits suggerieren könnten. In der Bibel finden sich von den Prophezeiungen Jesajas und Michas bis zur Bergpredigt, der Apostelgeschichte und der Apokalypse anarchistische Anklänge. Und auch der im 19. Jahrhundert entstandene moderne Anarchismus Proudhons, Bakunins oder Kropotkins fußt ideengeschichtlich letzten Endes auf alttestamentarischen Visionen einer befreiten Welt und den biblischen Geschichten vom Widerstand einzelner und kleiner Gemeinschaften gegen den Götzen Staat.
Zu den Vertreterinnen und Vertretern eines christlichen Anarchismus können die mittelalterlichen Armutsbewegungen (z.B. Waldenser und Franziskaner), Gruppen der Wiedertäufer, Tolstoi, die religiösen Sozialisten und die Catholic Worker-Bewegung gezählt werden.
In der Nähe von Kiel leben seit über 20 Jahren rund 70 Menschen zusammen, ohne Privateigentum, Staatsknete und Herrschaft. Auf der Basis des christlichen Glaubens.
Christlicher Anarchismus - eine Definition
Christlicher Anarchismus basiert auf Jesu Antwort an die Pharisäer, als Er sagte, daß der ohne Sünde den ersten Stein werfen soll; und auf der Bergpredigt, die empfiehlt, Böses mit Gutem zu vergelten und die andere Wange hin zu halten. Wenn wir uns deshalb in irgendeiner Weise an einer Regierung beteiligen, indem wir Vertreter der Legislative, der Jurisdiktion und der Exekutive wählen, machen wir dies Menschen zu unserem Arm, mit dem wir einen Stein werfen und die Bergpredigt verleugnen.
Nach dem Wörterbuch lautet die Definition eines Christen: jemand, der oder die Christus folgt; gütig, freundlich, Christus ähnlich. Anarchismus ist freiwillige Zusammenarbeit für das Gute, mit dem Recht auf Trennung. Ein christlicher Anarchist ist somit jemand, der die andere Wange hinhält, die Tische der Geldwechsler umstößt und der keinen Aufseher braucht, der ihm sagt, wie er sich zu verhalten hat. Ein christlicher Anarchist braucht weder Kugeln noch Stimmzettel, um sein Ideal zu erreichen; dieses Ideal erreicht er durch die One-Person Revolution, mit der er einer dekadenten, verwirrten und sterbenden Welt entgegen tritt. ...
(aus Hennacys Autobiographie: The Book of Ammon)
Kritik
- Daß der Anarchismus mit dem Glauben an eine außerhalb der Persönlichkeit wirkende bewußte und und willensbegabte Kraft unvereinbar ist, bedarf keiner besonderer Darlegung. Der Begriff der Religion könnte nur insofern mit anarchistischer Denkweise in Übereinstimmung gebracht werden, wie er als Hingebung und Versunkenheit des Ich in seiner Beziehung zu Menschheit und Weltall gemeint wäre. Wo aber, wie es hier und da geschieht, von christlichen Anarchismus geredet wird, liegt der Verdacht nahe, es solle zwar die Ablehnung des Staates und der irdischen Obrigkeit zum Ausdruck kommen, hingegen der sich selbst mißtrauenden Seele die Zuflucht zu einer jenseitigen Schöpfer- und Bewacherautorität offengehalten werden. Jede wirkliche oder vorgestellte Autorität ist aber Preisgabe der Selbstverantwortlichkeit an eine über der Persönlichkeit wirkende Macht mit der Bedeutung von Aufsicht, Befehlsgewalt und Gerichtsbarkeit.
- (Erich Mühsam: Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat)
Quellen
siehe auch
Kirche, Christentum, Religion , Leo Tolstoi