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Arbeitskraft

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Unterstellt man Äquivalententausch, dann kann der Mehrwert nicht in der Zirkulation gebildet werden, also weder beim ersten Zirkulationsakt G-W noch beim zweiten W-G’. Es muss also zwischen den beiden Zirkulationsakten mit der Ware W eine Veränderung vorgehen. Außerhalb der Zirkulation wird aber lediglich der Gebrauchswert der gekauften Ware konsumiert. Der Geldbesitzer muss demnach auf dem Markt eine Ware vorfinden, deren Gebrauchswert die Eigenschaft besitzt, Quelle von Wert zu sein, so dass der Verbrauch dieser Ware Wert schafft, und zwar mehr Wert als sie selbst kostet.


Diese besondere Ware gibt es. Es ist die Ware Arbeitskraft. Mit Arbeitskraft ist die Fähigkeit des Menschen gemeint, Arbeit zu verrichten, und unter den Bedingungen von Warenproduktion kann die Verausgabung von Arbeit zur Quelle von Wert werden. Verkaufe ich meine Arbeitskraft, dann überlasse ich diese Fähigkeit für einen bestimmten Zeitraum einem anderen. Beim Verkauf der Arbeitskraft wird nicht der ganze Mensch verkauft (ich werde nicht zum Sklaven), es wird aber auch nicht die Arbeit verkauft, Arbeit ist ja erst die Anwendung der Arbeitskraft. Dass nur die Fähigkeit zum Arbeiten und nicht die Arbeit gekauft wurde, zeigt sich u.a. dann, wenn vorübergehend Rohstoffe fehlen und der Geldbesitzer die gekaufte Fähigkeit nicht ausnutzen kann.


Dass der Geldbesitzer die Arbeitskraft als eine Ware auf dem Markt vorfindet, ist nicht selbstverständlich. Zwei Bedingungen müssen dazu erfüllt sein. Erstens muss es Menschen geben, die sich als freie Eigentümer zu ihrer Arbeitskraft verhalten können, die also in der Lage sind, ihre Arbeitskraft zu verkaufen. Ein Sklave oder ein leibeigener Bauer ist dazu nicht in der Lage, denn die Verkäufer der Arbeitskraft müssen rechtlich freie Personen sein.


Verfügen diese Personen aber über Produktionsmittel und können selbst Waren herstellen und verkaufen oder sich von ihren Produkten ernähren, dann werden sie ihre Arbeitskraft wahrscheinlich nicht verkaufen. Nur wenn sie, und das ist die zweite Bedingung, keine Produktionsmittel besitzen, also nicht nur rechtlich frei, sondern auch noch frei von sachlichem Eigentum sind, sind sie gezwungen ihre Arbeitskraft zu verkaufen; dann verhalten sie sich also tatsächlich zu ihrer Arbeitskraft wie zu einer Ware. Die Existenz dieser in doppeltem Sinne ”freien” Arbeiter und Arbeiterinnen ist die unabdingbare soziale Voraussetzung kapitalistischer Produktion.


Der kapitalistischen Produktionsweise liegt also ein ganz bestimmtes Klassenverhältnis zugrunde: Es muss einerseits eine Klasse von Eigentümern (Geld- und Produktionsmittelbesitzern) geben und auf der anderen Seite eine Klasse von weitgehend eigentumslosen, aber rechtlich freien Arbeitern und Arbeiterinnen.


Dass es dieses Klassenverhältnis – Eigentümer von Geld und Produktionsmitteln auf der einen Seite, eigentumslose, aber rechtlich freie Arbeiter und Arbeiterinnen auf der anderen Seite – überhaupt gibt, ist keineswegs ”natürlich”, sondern Resultat einer bestimmten historischen Entwicklung. Diese historische Entwicklung gehört zur Vorgeschichte des Kapitalismus. Um die grundlegenden Strukturen des Kapitalismus weiter zu analysieren, genügt es, das Resultat dieser Vorgeschichte vorauszusetzen. Daher wird der historische Entstehungsprozess der im Doppelsinne ”freien” Arbeiter auch erst am Ende des ersten ”Kapital”-Bandes unter dem Titel ”Die so genannte ursprüngliche Akkumulation” skizziert: Am Beispiel Englands zeigt Marx, dass es sich dabei um einen äußerst gewaltsamen und blutigen Prozess gehandelt hat, der keineswegs ”über den Markt”, sondern unter tätiger Mithilfe des Staates erfolgte. Allerdings ist die ”ursprüngliche Akkumulation” kein einmaliger Prozess: Im Zuge der weltweiten Ausbreitung des Kapitalismus kommt es immer wieder zu vergleichbaren Entwicklungen.



Der Wert der Ware Arbeitskraft, Mehrwert und Ausbeutung


Um die Entstehung des Mehrwerts – trotz Äquivalententausch – zu verstehen, müssen wir uns genauer mit der Ware Arbeitskraft beschäftigen. Wie jede Ware hat sie Gebrauchswert und Wert. Der Gebrauchswert der Arbeitskraft besteht in ihrer Anwendung, also der Arbeit selbst. Die Verausgabung der Arbeit schafft neuen Wert, der vor dem Tausch nur geschätzt werden kann. In welchem Ausmaß die Arbeit wertbildend war, ergibt sich aufgrund der im Tausch stattfindenden Reduktionen.


Den Wert der Arbeitskraft sieht Marx analog zum Wert jeder anderen Ware ”bestimmt durch die zur Produktion, also auch Reproduktion, dieses spezifischen Artikels notwendige Arbeitszeit”. Zur Erhaltung bedarf jedes Individuum einer Reihe von Lebensmitteln, im weitesten Sinne, also nicht nur Nahrung, sondern auch Kleidung, Unterkunft etc., so dass Marx folgert: ”Die zur Produktion der Arbeitskraft notwendige Arbeitszeit löst sich also auf in die zur Produktion dieser Lebensmittel notwendige Arbeitszeit, oder der Wert der Arbeitskraft ist der Wert der zur Erhaltung ihres Besitzers notwendigen Lebensmittel.” (MEW 23, S. 184)


Da die Fortexistenz des Kapitalverhältnisses verlangt, dass die Arbeitskraft kontinuierlich auf dem Markt angeboten wird, muss der Wert der Arbeitskraft auch die Kosten abdecken, die für die Reproduktion einer ganzen Arbeiterfamilie entstehen, einschließlich der Bildungskosten für die nachwachsende Generation.


Dominiert in der Gesellschaft die traditionelle Kleinfamilie, bei der sich der Mann als Lohnarbeiter verdingt und die Frau die Reproduktionsarbeit übernimmt, muss der Wert der (männlichen) Arbeitskraft die Reproduktionskosten abdecken. Ist es dagegen üblich geworden, dass zwei Personen erwerbstätig sind, beeinflusst dies auch den Wert der Arbeitskraft: Einerseits erhöhen sich die Reproduktionskosten, da ein Teil der Reproduktionsarbeit nicht mehr im Haushalt stattfindet und stattdessen entsprechende Produkte und Dienstleistungen gekauft oder vom Staat bereit gestellt werden, was dann über höhere Steuern finanziert werden muss. Andererseits müssen die Reproduktionskosten der Familie nicht mehr nur durch den Wert einer Arbeitskraft, sondern durch die Summe des Wertes beider Arbeitskräfte abgedeckt werden, so dass der Wert der einzelnen Arbeitskraft – trotz gestiegener Reproduktionskosten – eher sinken wird.


Wie bei jeder Ware können auch bei der Ware Arbeitskraft Preisveränderungen nicht nur Ausdruck von Wertveränderung sein, sondern auch die momentan günstige oder ungünstige Situation des Verkaufs dieser Ware widerspiegeln (also eine momentane Knappheit oder einen momentanen Überfluss an Arbeitskräften). Wirkliche Wertveränderungen der Arbeitskraft können aus zwei Quellen resultieren: aus einer Veränderung des Werts der zur Reproduktion notwendigen Lebensmittel oder aus einer Veränderung des Umfangs der Menge an Lebensmitteln, die für die Reproduktion als notwendig gelten. Dieser Umfang der ”notwendigen Lebensmittel” ist in den einzelnen Ländern und Epochen unterschiedlich, er hängt von dem ab, was in einem Land zu den normalen Lebensbedingungen gerechnet wird, sowie dem, was die Arbeiter und Arbeiterinnen als Ansprüche geltend machen. Da die Kapitalisten diese Ansprüche nicht unbedingt freiwillig befriedigen, ist es der ''Klassenkampf'' zwischen Arbeitern und Kapitalisten, der den Wert der Arbeitskraft mitbestimmt, indem bestimmte Ansprüche durchgesetzt werden – oder eben auch nicht. In diesem Zusammenhang spricht Marx von einem ”historischen und moralischem Element”, das anders als bei allen anderen Waren, in die Wertbestimmung der Ware Arbeitskraft eingeht (MEW 23, S. 185).


[Fußnote: Marx spricht im ”Kapital” meist nur vom Wert ”der” Arbeitskraft, so als ob jede Arbeitskraft denselben Wert hätte. Dies geschieht deshalb, weil es zunächst auf die Analyse grundlegender Strukturen ankommt – wie ist Mehrwert trotz Äquivalententausch möglich – und dafür spielen Unterschiede im Wert der Arbeitskraft keine Rolle. Solche Unterschiede sieht Marx vor allem in unterschiedlichen Kosten der Qualifikation begründet, wobei die Arbeitsverausgabung der qualifizierteren Arbeitskraft dann auch in höherem Maße wertbildend ist (vgl. MEW 23, S. 211 ff.). Allerdings lässt sich aus dem von Marx betonten ”historischen und moralischen Element” des Werts der Arbeitskraft auch folgern, dass dieser Wert nicht nur in verschiedenen Ländern, sondern auch im selben Land für unterschiedliche Teile der Arbeiterklasse (aufgrund unterschiedlicher Organisierung, Kampfstärke, Tradition etc.) unterschiedlich bestimmt wird und dass auch asymmetrische Geschlechterverhältnisse und rassistische Diskriminierung zu Unterschieden im Wert der Arbeitskraft führen, da bestimmte Ansprüche nicht durchgesetzt werden können.]


Allerdings gibt es noch einen weiteren Unterschied zwischen der Ware Arbeitskraft und den übrigen Waren, auf den Marx jedoch nicht weiter eingeht. In den Wert einer normalen Ware geht einerseits der Wert der zu ihrer Produktion verbrauchten Produktionsmittel ein, andererseits der neue Wert, der durch die Arbeit zugesetzt wird, die aus diesen Produktionsmitteln das fertige Produkt herstellt. Bei der Ware Arbeitskraft ist dies aber nicht der Fall: Ihr Wert wird einzig durch den Wert der Lebensmittel bestimmt, die auf dem Markt gekauft werden müssen. Die im Haushalt, vor allem von Frauen geleistete Reproduktionsarbeit (Hausarbeit, Kindererziehung etc.) geht in den Wert der Arbeitskraft nicht ein. Feministische Autorinnen haben Marx daher vorgeworfen, dass die Kritik der politischen Ökonomie hier einen ”blinden Fleck” habe (so etwa der programmatische Aufsatz von Claudia von Werlhof 1978). Allerdings ist nicht die Marxsche Bestimmung des Werts der Ware Arbeitskraft falsch – er gibt wieder, wie diese Bestimmung im Kapitalismus aussieht –, falsch ist, dass er nicht die Besonderheit dieser Wertbestimmung hervorhebt, sondern ihre Übereinstimmung mit derjenigen aller anderen Waren nachzuweisen versucht.


Innerhalb des Kapitalismus ist die besondere Wertbestimmung der Ware Arbeitskraft notwendig: Würden die Arbeiter und Arbeiterinnen nicht nur den Wert der Lebensmittel erhalten, die sie am Markt kaufen müssen, dann wären sie längerfristig nicht mehr eigentumslos und könnten sich vom Zwang zum Verkauf ihrer Arbeitskraft zumindest teilweise frei machen. Die Beschränkung des Werts der Arbeitskraft auf die Kosten der Reproduktion ist eine funktionale Notwendigkeit des Kapitalismus. Dass eine solche Beschränkung immer erreicht wird, ist aber keineswegs von vornherein ausgemacht. Man könnte sich durchaus vorstellen, dass eine gut organisierte Arbeiterklasse durch Arbeitskämpfe entsprechend hohe Löhne durchsetzt. Wie sich diese Beschränkung des Werts der Arbeitskraft im Verlaufe des kapitalistischen Akkumulationsprozesses jedoch ”von selbst” durchsetzt, ist bei Michael Heinrich: “Kritik der politischen Ökonomie. Eine Einführung” im Kapitel 5.6 nachzulesen.


Die Differenz zwischen dem (Tages)Wert der Arbeitskraft (also der Wertsumme, welche die Arbeitskraft durchschnittlich zur täglichen Reproduktion benötigt) und dem Wert den der einzelne Arbeiter an einem Tag unter normalen Umständen neu produzieren kann, macht genau den Mehrwert aus, von dem oben bei der Formel G-W-G’ die Rede war. Dass der tägliche Wert der Arbeitskraft (der Wert, den sie für ihre Reproduktion benötigt) geringer ist als der Wert, der durch ihren Gebrauch (d.h. durch Verausgabung der Arbeitskraft) pro Tag geschaffen werden kann, ist die Grundlage für die ”okkulte Qualität” des Werts, neuen Wert zu schaffen.


Der (tägliche) Wert der Arbeitskraft macht also nur einen Teil des durch den (täglichen) Gebrauch der Arbeitskraft neu geschaffenen Werts aus. Wird nun durch Verausgabung der Arbeitskraft an einem z.B. achtstündigen Arbeitstag ein bestimmter Wert geschaffen, [Fußnote: Es stellt sich erst im Tausch heraus, wie groß die an einem Arbeitstag geschaffene Wertsumme tatsächlich ist. Ist die Ware aber überhaupt verkaufbar, dann wurde eine bestimmte, große oder kleine, Wertsumme geschaffen. Auf diese Wertsumme beziehen sich die folgenden Ausführungen. Wenn jetzt und in den folgenden Abschnitten davon die Rede ist, dass ein Arbeiter soundso viel Stunden arbeitet und dabei soundso großen Wert schafft, handelt es sich nicht um einen Rückfall in eine substanzialistische, prämonetäre Werttheorie, sondern lediglich um eine vereinfachte Redeweise.] dann lässt sich dieser neu geschaffene Wert formal in den Wert der Arbeitskraft und den Mehrwert aufteilen. Beträgt der tägliche Wert der Arbeitskraft z.B. 3/8 des Wertes, der an einem achtstündigen Arbeitstag geschaffen wird, dann kann man formal davon sprechen, dass in drei Stunden der Wert der Arbeitskraft und in fünf Stunden der Mehrwert produziert wurde. Diese drei Stunden bezeichnet Marx daher auch als ”notwendige” Arbeitszeit (Arbeitszeit, die notwendig ist, um den Wert der Arbeitskraft zu reproduzieren), die restlichen fünf Stunden als ”Mehrarbeitszeit” (Arbeitszeit, die die einzelnen Arbeiter über ihre eigenen Reproduktionsnotwendigkeiten hinaus verrichten). Da die Arbeiter und Arbeiterinnen in unserem Beispiel den in drei Stunden geschaffenen Wert als Bezahlung erhalten, nennt Marx die notwendige Arbeitszeit auch ”bezahlte Arbeit”, die Mehrarbeitszeit, deren Wertprodukt der Kapitalist als Mehrwert erhält, ”unbezahlte Arbeit”.


Dass der einzelne Arbeiter für seine Arbeitskraft vom Kapitalisten weniger an Wert erhält, als er durch seine Arbeit produziert, bezeichnet Marx als ”Ausbeutung” – ein Begriff, der in verschiedener Hinsicht missverständlich ist.


Mit Ausbeutung soll nicht auf besonders niedrige Löhne oder besonders schlechte Arbeitsverhältnisse hingewiesen werden. Ausbeutung bezeichnet einzig und allein den Sachverhalt, dass die Produzenten lediglich einen Teil des von ihnen neu produzierten Wertes erhalten – unabhängig davon, ob die Löhne hoch oder niedrig, die Arbeitsverhältnisse gut oder schlecht sind.


Ausbeutung ist aber auch – entgegen einer verbreiteten Vorstellung und trotz entsprechender Äußerungen vieler ”Marxisten” – nicht als moralische Kategorie gemeint. Es geht nicht darum, dass den Arbeitern etwas weggenommen wird, was ihnen ”eigentlich” gehört, so dass diese Wegnahme etwas moralisch Verwerfliches wäre. Auch die Rede von ”bezahlter” und ”unbezahlter” Arbeit zielt nicht darauf ab, dass doch eigentlich die ”ganze” Arbeit bezahlt werden sollte. [Fußnote: Eine entsprechende Forderung nach dem ”vollen Arbeitsertrag” wurde z.B. von Ferdinand Lassalle (1825-1864) und seinen Anhängern erhoben und von Marx scharf kritisiert.] Ganz im Gegenteil: Marx betont, dass – entsprechend den Gesetzen des Warentausches – der Verkäufer der Ware Arbeitskraft genau den Wert seiner Ware erhält. Dass der Käufer aus dem Gebrauchswert dieser Ware dann einen besonderen Vorteil schlägt, geht deren Verkäufer nichts mehr an. Marx zieht den Vergleich zu einem Ölhändler: Dieser erhält den Wert des Öls bezahlt, aber nicht zusätzlich noch etwas für den Gebrauchswert des Öls (MEW 23, S. 206). ”Ausbeutung” und die Existenz ”unbezahlter Arbeit” entspringen nicht aus einer Verletzung der Gesetze des Warentausches, sondern aus ihrer Befolgung. Will man Ausbeutung abschaffen, dann geht dies nicht durch eine Reformierung der Austauschverhältnisse innerhalb des Kapitalismus, sondern nur durch die Abschaffung des Kapitalismus.



Formelle und reelle Subsumtion, Fordismus, produktive und unproduktive Arbeit


Wird ein Arbeitsprozess, so wie er existiert, dem Kapital untergeordnet, spricht Marx von formeller Subsumtion der Arbeit unter das Kapital. Der einzige Unterschied zum vorkapitalistischen Zustand besteht darin, dass der Arbeiter oder die Arbeiterin statt für sich selbst nun für einen Kapitalisten arbeitet. Das kapitalistische Zwangsverhältnis äußert sich lediglich darin, dass der Arbeiter länger arbeitet, als zu seiner Selbsterhaltung notwendig ist, und dass sich der Kapitalist das dabei entstehende Mehrprodukt aneignet. Auf der Grundlage der formellen Subsumtion ist lediglich die Produktion des absoluten Mehrwerts möglich.


Wird der Arbeitsprozess umgestaltet, um die Produktivkraft zu steigern, spricht Marx von reeller Subsumtion der Arbeit unter das Kapital. Der Arbeitsprozess unter dem Kommando des Kapitals unterscheidet sich jetzt nicht nur formell, sondern reell, d.h. von der ganzen Organisation und Struktur her vom vorkapitalistischen Arbeitsprozess: Die kapitalistische Produktionsweise schafft die ihr entsprechende materielle Gestalt der Produktion. Die reelle Subsumtion ist erst möglich auf der Grundlage der formellen. Mit der reellen Subsumtion der Arbeit unter das Kapital wird die Produktion des relativen Mehrwerts möglich.


Bisher haben wir bei der Betrachtung des relativen Mehrwerts angenommen, dass der mengenmäßige Umfang der Lebensmittel, die zur Reproduktion der Arbeitskraft (bzw. der Arbeiterfamilie) notwendig sind, unverändert bleibt, dass sich der Lebensstandard der Arbeiterklasse also nicht verändert. Dies ist jedoch nicht zwangsläufig der Fall.


Gehen wir von einem achtstündigen Arbeitstag und einer Mehrwertrate von 100 Prozent aus. Dann zerfällt der Arbeitstag in vier Stunden notwendige Arbeitszeit, um den Wert der Arbeitskraft zu reproduzieren, und vier Stunden Mehrarbeitszeit, in welcher der Mehrwert produziert wird. Nehmen wir weiter an, der Geldausdruck des in acht Stunden geschaffenen Wertes sei unter normalen Bedingungen 160 Euro. Dann beträgt der Tageswert der Arbeitskraft 80 Euro, der täglich produzierte Mehrwert ebenfalls 80 Euro.


Nun möge sich die Produktivkraft der Arbeit in allen Branchen verdoppeln. [Fußnote: Diese enorme Zunahme wird nur unterstellt, um die folgenden Rechnungen zu vereinfachen. Vergleicht man Epochen, die einige Jahrzehnte auseinander liegen, dann ist es aber durchaus möglich, dass sich die Produktivkraft verdoppelt hat.] Dann können alle Güter in der Hälfte der bisherigen Arbeitszeit hergestellt werden, ihr Wert halbiert sich. Der Tageswert der Arbeitskraft wird dann statt in vier bereits in zwei Stunden produziert, er fällt von 80 auf 40 Euro. Für die Mehrarbeit bleiben dann noch zwei weitere Stunden, ihr Umfang erhöht sich von vier auf sechs Stunden, der Mehrwert steigt von 80 auf 120 Euro. Zwar hat sich der Wert der Arbeitskraft von 80 auf 40 Euro halbiert, für 40 Euro können jetzt aber genauso viele Lebensmittel gekauft werden wie früher für 80 Euro, der Lebensstandard der Arbeiterfamilie ist also gleich geblieben.


Nehmen wir nun weiter an, dass es den Arbeitern und Arbeiterinnen, z.B. aufgrund von Arbeitskämpfen oder Arbeitskräfteknappheit, gelingt, als Lohn nicht nur den in zwei Stunden geschaffenen Wert zu erhalten, sondern den in drei Stunden geschaffenen, statt 40 also 60 Euro. In diesem Fall wäre der Wert der Arbeitskraft immer noch gefallen (von 80 auf 60 Euro), die Mehrarbeit wäre immer noch um eine Stunde gestiegen (von vier auf fünf Stunden, der Mehrwert wäre jetzt 100 Euro), allerdings wäre jetzt auch der Lebensstandard der Arbeiterfamilie gestiegen. Denn der Wert der Lebensmittel hat sich aufgrund der Verdoppelung der Produktivkraft halbiert, der Arbeiterhaushalt hat aber nicht nur die Hälfte, sondern drei Viertel des früheren Lohnes zur Verfügung. Wenn sich unser Arbeiterhaushalt heute für 40 Euro genauso viele Lebensmittel kaufen kann wie früher für 80 Euro, er heute aber 60 Euro zur Verfügung hat, dann kann er den Umfang der Lebensmittel um 50 % steigern. Oder in heute gebräuchlichen Begriffen ausgedrückt: Die Nominallöhne (d.h. die in Geld ausgedrückten Löhne) sind um 25 % gefallen (von 80 auf 60 Euro), die Reallöhne (d.h. die Löhne ausgedrückt in Kaufkraft) sind um 50 % gestiegen (es können 50 % mehr Güter gekauft werden).


Die Steigerung der Produktivkraft hat bewirkt, dass eine Erhöhung des Lebensstandards der Arbeiterklasse mit einer Erhöhung des von den Kapitalisten angeeigneten Mehrwerts einhergeht. Verringerung des Werts der Arbeitskraft bei gleichzeitiger Vergrößerung des von der einzelnen Arbeitskraft produzierten Mehrwerts bedeutet, dass sich die Mehrwertrate m/v und damit auch die Ausbeutung der Arbeitskraft vergrößert hat. Erhöhte Ausbeutung (d.h. ein größerer Teil des Arbeitstages dient der Mehrarbeit) und Erhöhung des Lebensstandards der Arbeiterklasse schließen sich also keineswegs aus.


Schließlich kann es in unserem Beispiel auch noch zu einer Verkürzung der Arbeitszeit kommen. Nehmen wir an, die tägliche Arbeitszeit werde von 8 Stunden auf 7,5 Stunden verringert. Wenn die Arbeitskraft nach wie vor 60 Euro (den in drei Stunden geschaffenen Wert) erhält, bleiben als Mehrarbeitszeit noch 4,5 Stunden (eine halbe Stunde mehr als vor der Produktivkraftsteigerung), der Mehrwert wäre 90 Euro (10 Euro mehr als vor der Produktivkraftsteigerung).


[Fußnote: Bei Arbeitszeitverkürzungen kommt es regelmäßig zu einer Intensivierung der Arbeit (in derselben Zeit wird ein größeres Wertprodukt produziert), was einer weiteren Erhöhung des Mehrwerts zugute käme. In unserer Beispielrechnung bleibt dies aber unberücksichtigt.]


Das zuletzt skizzierte Beispiel entspricht – nicht von den genauen quantitativen Relationen, aber von seiner Tendenz her – der Entwicklung in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern. Dass die Arbeiterklasse in diesen Ländern heute einen höheren Lebensstandard und kürzere Arbeitszeiten hat als vor 50 oder 100 Jahren, heißt keineswegs – wie immer wieder behauptet wird –, dass die Ausbeutung abgenommen habe oder gar verschwunden sei. Bereits im letzten Kapitel wurde betont, dass mit Ausbeutung nicht ein besonders schlechter und erbärmlicher Zustand gemeint ist, sondern der Sachverhalt, dass die Arbeiter und Arbeiterinnen einen größeren Wert schaffen, als sie in Gestalt des Lohnes erhalten. Gemessen wird der Grad der Ausbeutung nicht mit dem Lebensstandard, sondern mit der Mehrwertrate. Und da ist es durchaus möglich, dass Erhöhung des Lebensstandards und Verkürzung der Arbeitszeiten mit einer Steigerung von Mehrwert und Mehrwertrate einhergehen.


Die gerade skizzierte, von der Produktion des relativen Mehrwerts ausgehende Dynamik (beschleunigte technische Entwicklung, steigender Lebensstandard der Arbeiterklasse bei gleichzeitig steigenden Gewinnen) hat allerdings eine bislang noch nicht angesprochene Voraussetzung: Die Mehrzahl der Lebensmittel, die in den Konsum der Arbeiterhaushalte eingehen, muss kapitalistisch produziert sein. Solange Arbeiterhaushalte einen großen Teil ihrer Lebensmittel selbst herstellen oder von Kleinbauern und kleinen Handwerkern beziehen, führt die Produktivkraftsteigerung in kapitalistischen Betrieben zwar zu einem kurzfristigen Extramehrwert, aber nur zu einer geringen Senkung des Werts der Arbeitskraft. Erst im Laufe des 20. Jahrhunderts kam es soweit, dass der Großteil der von einem Arbeiterhaushalt verbrauchten Güter tatsächlich kapitalistisch produziert wurde. Dabei spielte der so genannte Fordismus eine entscheidende Rolle: Henry Ford war es in seinen Automobilwerken seit 1914/15 gelungen, gestützt auf die tayloristische Zerlegung des Arbeitsprozesses, das Model T als standardisiertes Massenprodukt am Fließband zu produzieren und ganz erheblich zu verbilligen, so dass dieses Auto für breite Bevölkerungsschichten zu einem Konsumgut werden konnte. Gleichzeitig erhöhte Ford die Löhne weit über den damaligen Durchschnitt, um die Fluktuation der Arbeitskräfte zu vermindern. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte sich der Fordismus in den USA und Westeuropa auf breiter Ebene durch: Einerseits wurden durch Taylorismus und Fließbandproduktion Massenkonsumgüter wie Autos, Kühlschränke, Waschmaschinen, Fernsehgeräte etc. immer weiter verbilligt, andererseits die Reallöhne erhöht. Da der Wert der Arbeitskraft trotz steigender Reallöhne sank, konnten die Gewinne dennoch wachsen. Standardisierte Massenproduktion, eine Ausweitung der Massenkonsumtion und steigende Gewinne gingen für knapp zwei Jahrzehnte Hand in Hand und waren eine wichtige, wenn auch nicht die einzige Grundlage des ”Wirtschaftswunders” der Nachkriegszeit.