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Mehrwertstreit
Für Karl Marx liegt die Ausbeutung des Kapitalismus in den privatwirtschaftlich organisierten Produktionsverhältnissen begründet. Pierre Joseph Proudhon sah dagegen nicht das Privateigentum an Produktionsmittel, sondern bestimmte Eigenschaften eines überkommenen Geldsystems als Ursache für den Mehrwert.
Obwohl sich bei Marx Stellen finden, die die Zirkulationssphäre ähnlich analysieren, wie dies Proudhon tut, ist Marx Ablehnung die Ursache des Mehrwerts in der Stellung des Geldes zu suchen eindeutig. Die polemische Form in der er diese vorbringt und Widersprüche in seiner öknomischen Untersuchung lassen aber die Vermutung aufkommen, daß nicht die unterschiedlichen ökonomischen Analysen sondern politische Differenzen für die Härte der Ablehnung verantwortlich waren.
Contents
Marx
Marx hat gespürt, daß im Kapitalismus nicht nur die ArbeiterInnen von ihrem Produktionsvoraussetzungen durch das Privateigentum getrennt werden. Auch die KonsumentInnen mit ihren Bedürfnissen können in einer arbeitsteiligen Wirtschaft nur über das Geld in Kontakt mit den ProduzentInnen treten. „Die Trennung von Verkauf und Kauf macht mit dem eigentlichen Handel eine Masse Scheintransaktionen vor dem definitiven Austausch zwischen Warenproduzenten und Warenkonsumenten möglich“. Diese Trennung befähige „so eine Masse Parasiten, sich in den Produktionsprozeß einzudrängen und die Scheidung auszubeuten“ (MEW, Bd. 13. Berlin 1969, S. 79). Das sich die „Parasiten“ gar nicht in den Produktionsprozeß, sondern in den Geldkreislauf drängeln arbeitet Marx nicht genügend heraus.
Stattdessen formuliert er einen sehr doppeldeutigen Warenbegriff. Einerseits spricht er von der Ware Arbeit, die Mehrwert schafft. Der Mehrwert entsteht, weil die ArbeiterInnen von den EigentümerInnen der Fabrik dazu gezwungen werden mehr Warenwerte zu schaffen, als ihrem Reproduktionslohn entspricht. Andererseits spricht er von sonstigen Waren und der Ware Geld die äquivalent getauscht würden (MEW. Bd. 23. Berlin 1969, S. 83 ff). „Man mag sich drehen und wenden, wie man will, das Fazit bleibt dasselbe. Werden Äquivalente ausgetauscht, so entsteht kein Mehrwert. Die Zirkulation oder der Warentausch schaffen keinen Wert (Mehrwert)“ (MEW. Bd. 25. Berlin 1969, S. 49). Bei diesem Tauschprozeß findet also keine Ausbeutung statt. Geld und Sonstige Waren werden nach Marx ohne Plus und Minus getauscht.
Proudhon
Als Dreh- und Angelpunkt des Mehrwertes sah Proudhon nicht das Eigentum an Produktionsmitteln, sondern die Tauschprozeße innerhalb einer Wirtschaft an. „Alle Krankheit, die heute den Sozialkörper heimsucht, läßt sich auf einen Stillstand, auf eine Störung der Zirkulationsfunktion zurückführen. Wenn also die Zirkulation leidet, wenn sie gehemmt ist, (...), so liegt dies darin, daß der Apparat schlecht aufgebaut ist, daß die Zirkulation in ihrer Bewegung beeinträchtigt wird, daß ihr Organismus krank ist“ (Ramm, Thilo: „P.-J. Proudhon. Ausgewählte Texte“. Stuttgart 1963, S. 125). Für ihn war Geld kein äquivalenter Ausdruck der Waren, wie dies die klassische Volkswirtschaftslehre und überwiegend auch Marx sah. Proudhon sieht dagegen gerade in der Störung der Geldzirkulation die Ursachen für wirtschaftliche Krisen. Proudhon erkannte zwar die Ursache der Krisenerscheinungen des Kapitalismus in der Zirkulationssphäre, worin die Vormachtstellung des Geldes aber begründet liegt konnte er noch nicht richtig erklären.
Keynes
Erst John Maynard Keynes gelang es Anfang des 19. Jahrhunderts eine schlüssige Theorie zu geben (Keynes, John Maynard (1936): „Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes“. Berlin 1983, S. 163 ff). Für Keynes ist Geld in erster Linie ein Wertaufbewahrungsmittel und erst später ein Tauschmittel. Er unterscheidet zwischen Transaktions-, Vorsichts- und Spekulationskasse. Da die Transaktionskasse durch geschickte Organisation theoretisch auf Null sinkt und die Vorsichtskasse nur geringen Stellenwert besitzt, wird die Spekulationskasse ein wichtiger Ansatzpunkt keynesianischer Theorie. Mit der Annahme einer Liquiditätspräferenz, d.h. das die Wirtschaftssubjekte am liebsten ihr Geld Bar zur Verfügung haben möchten, ergibt sich die Forderung der GeldbesitzerInnen nach einer Liquiditätsprämie d.h. einem Zins für die Hergabe von Liquidität. Keynes hebt somit als erster anerkannter bürgerlicher Ökonom die Neutralität des Geldes auf.
Monopolstellung des Geldes
Historisch gesehen erlangte das Geld mit der Durchsetzung als allgemeines Tauschmittel eine Monopolstellung als Tauschvermittler am Markt. Diese Monopolstellung und weil Geld im Gegensatz zu anderen Waren nicht verdirbt, ermöglicht es den GeldbesitzerInnen einen Zins zu erpressen. Erhalten sie keine ihnen angemessen erscheinende Vergütung für die Hergabe von Liquidität können sie ihr Geld ohne Durchhaltekosten solange zurückhalten bis ein angemessener Zins winkt. In der Produktion muß dieser Zins erwirtschaftet werden. Durch die herrschende Eigentumsordnung werden die ArbeiterInnen als letztes Glied der Kette am meisten ausgebeutet. Aber auch das kleinere und mittlere Bürgertum sind Verlierer in diesem System, da sie hohe Kreditzinsen bedienen müssen.
Auch Marx unterschied in „Geldkapitalisten“ und „industriellen Kapitalisten“. „Wird ein Teil des Mehrwerts so in dem Zins ganz getrennt vom Exploitationsprozeß, so wird der andere Teil – im industriellen Profit – dargestellt als sein direktes Gegenteil, nicht Aneignung von fremder Arbeit, sondern Wertschöpfung eigener Arbeit. Dieser Teil des Mehrwertes ist also gar nicht mehr Mehrwert, sondern das Gegenteil, Äquivalent für vollbrachte Arbeit“ (MEW, Bd. 26.3. Berlin 1968, S. 484 ff). „Dieser Teil, wie schon A. Smith richtig herausfand, stellt sich rein dar, selbständig und gänzlich getrennt vom Profit (als Summe von Zins und Unternehmergewinn), andererseits in dem Teil des Profits, der nach Abzug des Zinses als sogenannter Unternehmergewinn übrigbleibt, in dem Gehalt des Dirigenten“ (MEW, Bd. 25. Berlin 1969, S. 396 f). Das diese Unterscheidung aber darin begründet liegt, daß ein Unternehmen seine Produktion vorfinanzieren und deshalb Kredit in Anspruch nehmen muß, wird von Marx nicht erkannt. Er kann sich Kapital und Mehrwert nur im Zusammenhang mit wertschöpfender Arbeit vergegenwärtigen. Die Voraussetzung der Produktion der Kredit wird bei ihm über die Neutralität des Geldes zu deren Ergebnis und Anfang zugleich ohne Auswirkung auf den Verwertungsprozeß an sich zu haben.
Geld ist kein Äquivalent
Geld ist aber in einer arbeitsteiligen, hoch monetarisierten Wirtschaft keine Ware bzw. kein Äquivalent der Waren wie dies Marx meinte. Trotzdem oder gerade deshalb ist es die Wurzel des Mehrwerts. Marx sieht Geld deshalb als Ware an, weil er noch an Zeiten denkt, wo Gold zwar das beliebteste aber noch kein allgemeines Tauschmittel war. Zu dieser Zeit wurde Gold vor allem auch wegen seiner Wareneigenschaften und seiner Knappheit als Tauschmittel anderen Waren vorgezogen. Da es aber noch möglich war andere Waren gegen Waren einzutauschen, war auch der Tausch mit Gold äquivalent. Mit der Durchsetzung des Goldes als allgemeines Tauschmittel erlang es eine Monopolstellung als Tauschvermittler am Markt.
Damit hat Geld aufgehört eine Ware bzw. ein Äquivalent der Waren zu sein. Gleichzeitig hat es mehrwerterpressende Eigenschaften erlangt. Dieter Suhr geht sogar noch weiter. Nach ihm hat Geld nicht nur mehrwerterpressende, sondern auch mehrwertschaffende Eigenschaften. Damit Geld seinen Nutzen hervorbringen kann, leisten die WirtschaftsteilnehmerInnen eine "gesellschaftliche Tat". Indem sie das Geld als Tauschmittler akzeptieren, es ausgeben und annehmen, die Arbeit des Austausches leisten. Für Suhr sind demnach die Voraussetzungen, die nach Marx erfüllt sein müssen, damit ein Gut selbständige Mehrwertquelle sein kann wie eben die Arbeit, beim Geld durchaus erfüllt (Suhr, Dieter: „Der Kapitalismus als monetäres Syndrom. Aufklärung eines Widerspruchs in der Marxschen Politischen Ökonomie.“ FaM/New York 1988, S. 56 f).
Gründe für die Heftigkeit des Streits
In der Einleitung erwähnte ich die Heftigkeit in der Marx Proudhon attackierte. Marx hatte anfangs Proudhon sehr hoch eingeschätzt. Er schreibt: "Proudhon unterwirft die Basis der Nationalökonomie, das Privateigentum, einer kritischen Prüfung, und zwar der ersten entschiedenen, rücksichtslosen und zugleich wissenschaftlichen Prüfung“ (Ramm 1963, S.XXIII). Mit Proudhons Schrift "System der ökonomischen Widersprüche oder die Philosophie des Elends" kam der Bruch. Marx schrieb als Entgegnung "Das Elend der Philosophie". Damit endete auch der enge persönliche Kontakt beider Denker. Der anfänglich gute persönliche Kontakt kehrte sich um. Marx und Engels erklärten Proudhon zum Klassenfeind. Diese Verbissenheit läßt sich nicht nur aus den unterschiedlichen ökonomischen Sichtweisen erklären.
Doch Proudhon hatte auch eine andere Vorstellung davon, mit welchen Mitteln eine Veränderung der Verhältnisse herbeigeführt werden sollte. Er lehnte die marxistischen Vorschläge einer Eroberung der politischen Macht in Form einer gewaltsamen Revolution ab (Ramm 1963, S. XXIV). "Ich glaube, daß wir dies zum Erfolg nicht brauchen, und daß wir folglich gar nicht die revolutionäre Aktion als Mittel der sozialen Reform darstellen sollen, weil dieses vorgebliche Mittel ganz einfach ein Appell an die Gewalt, an die Willkür, kurz, weil es ein Widerspruch wäre. Ich stelle nun das Problem derart: durch eine wirtschaftliche Kombination in die Gesellschaft die Reichtümer eintreten zu lassen, die diese infolge einer anderen wirtschaftlichen Kombination verlassen haben“. Er wollte einen evolutionären aber grundlegenden Wandel der Gesellschaft auch durch Einbeziehung des mittleren und kleinen Bürgertums erreichen. Das privatkapitalistische System sollte durch den Aufbau neuer föderalistischer wirtschaftlicher Strukturen überwunden werden ohne dabei das Privateigentum einzuschränken.
Eigentum ist Diebstahl?
Proudhons bekannteste und auch am mißverstandenste Schrift ist die 1840 veröffentlichte "Was ist Eigentum?". Seine Antwort lautet "Eigentum ist Diebstahl". Doch 1848 stellt er unmißverständlich klar: "Wenn ich sage: Eigentum ist Diebstahl, dann stelle ich nicht ein Prinzip auf, sondern drücke nur eine Schlußfolgerung aus". D.h. Proudhon kritisiert die herrschene Eigentumsordnung und nicht das Eigentum an sich, daß er als Recht begreift, "über sein Einkommen, den Ertrag seiner Arbeit und seines Fleißes frei zu verfügen". Da Proudhon nur das Rechtsverhältnis vertragsschließender Parteien billigt, muß er gleich dem Staat auch jenes Eigentum verwerfen, daß als unfreiwilliges Rechtsverhältnis entstanden ist. Die herrschende staatlich geschützte Eigentumsordnung schützt den Mißbrauch des Eigentums durch die EigentümerInnen. "Beim Diebstahl, wie ihn die Gesetze verbieten, treten Gewalt und List allein und offen auf; beim gesetzlich gestatteten Diebstahl verstecken sie sich, um ihre Opfer zu berauben, hinter einem erzeugten Gute". Proudhon nennt dies "aubaine" einen unverdienten Vorteil, und nimmt damit den Marx´schen Mehrwert vorweg. Für Proudhon kann Eigentum dagegen keinen Schutz gegenüber einem durch staatliche Rechtsnormen bestimmten Menschenkreise gewähren, sondern nur gegenüber einem Kreise von Menschen, die sich vertragsmäßig gegenseitig einen gewissen Güteranteil zugesichert haben. Durch das Privateigentum soll jeder Mensch den Ertrag seiner Arbeit genießen können. Er ist sich aber darüber im klaren, daß in einer arbeitsteiligen Wirtschaft der Ertrag meiner Arbeit auch von der Gesellschaft abhängt. Gegenseitigkeit ist für ihn eine Grundvoraussetzung des Wirtschaftens, deshalb nennt er seine Lehre Mutualismus.
Auch Proudhons Pragmatismus war für einen sich wissenschaftlich gebenden Marxismus eine Provokation, stellte er doch jedes Dogma in Frage. Dies zeigt ein Brief Proudhons den er als Antwort auf eine Einladung von Marx schrieb ,sich an der internationalen sozialistischen Korrespondenz zu beteiligen. In seiner Antwort forderte Proudhon: "eine gute und loyale Polemik; geben wir der Welt ein Beispiel an weiser und weitschauender Toleranz, aber wir wollen uns nicht, weil wir an der Spitze einer Bewegung sind, zu den Führern einer neuen Intoleranz machen, und nicht als Apostel einer neuen Religion auftreten, selbst wenn diese Religion die Religion der Logik, die Religion der Vernunft wäre. Wir wollen alle Einwände annehmen und ermutigen, und jede Ausschließlichkeit , jede Mystik entmutigen, wir wollen niemals eine Frage als erledigt ansehen, und wenn wir unser letztes Argument verbraucht haben, so wollen wir, wenn notwendig, mit Beredsamkeit und Ironie erneut beginnen