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Der Libertarismus ist eine aus dem klassischen Liberalismus hervorgegangene und mit dem Anarchismus verwandte Theorie, welche die Freiheit des Individuums über alle anderen Werte stellt und für eine Gesellschaft eintritt, die weitestgehend oder ganz auf staatliche Institutionen und Eingriffe verzichtet. Seine Anhänger bezeichnen sich selbst als Libertäre (seltener Libertarier), das dazugehörige Adjektiv lautet libertär. Die manchmal verwendete Eindeutschung des zutreffenden englischen Begriffs libertarian, „Libertarianismus“, bezeichnet die schärfstmögliche Vertretung der Existenz der Willensfreiheit, aber auch der Eigenverantwortung. Diese Position steht dem Libertarismus nahe.
Da Libertäre untereinander die sozialen und die Eigentumsrechte des Individuums unterschiedlich bewerten, zerfällt ihre Denkrichtung in eine sozialistische bzw. anarchistische und eine kapitalistische. Beide Richtungen beanspruchen den Begriff libertär für sich.
In den USA gilt etwa Henry David Thoreau als Vordenker eines Libertarismus, der dem sozialen Aspekt näher stand. Insofern berufen sich gerade auch Sozialisten, Anarchisten und Anhänger der US-Bürgerrechtsbewegung auf Thoreau als nordamerikanischen Vordenker ihrer Ideen und Ideale.
Contents
Der kapitalistische Libertarismus
Unter kapitalistischem Libertarismus (der sich selbst ebenfalls auf Thoreau beruft) versteht man zum einen eine aus den USA stammende Bewegung, die u.a. Grundsätze wie „Steuern sind Diebstahl“ vertritt, und zum anderen eine ideologische Denkweise, die unter anderem von einigen Schriftstellern, Wirtschaftswissenschaftlern und Philosophen vertreten wird. In den USA ist das Wort „Libertarianism“ in den 1930er Jahren in Abgrenzung zum New Deal des Präsidenten Roosevelt entstanden, welcher während der Wirtschaftskrise zahlreiche sozialstaatliche Maßnahmen einführte.
Als Wurzeln des Libertarismus sind zu nennen:
- Der klassische Liberalismus amerikanischer Prägung, der ökonomisch durch eine weitgehende Laissez-faire-Haltung und politisch durch eine ausgeprägte Skepsis gegenüber staatlichen Institutionen und Interventionen geprägt ist.
- In der Wirtschaftstheorie die Österreichische Schule bzw. Wiener Schule, vertreten vor allem durch Ludwig von Mises. Dessen Schüler Murray Rothbard gilt als einer der bedeutendsten Libertären und trug den Spitznamen „Mr. Libertarian“.
- Der sogenannte Objektivismus Ayn Rands und die Schriften von dessen Gründerin.
Insbesondere letzterer ist aber innerhalb der libertären Bewegung sehr umstritten.
Der kapitalistische Libertarismus betont die individuellen Freiheitsrechte und will staatliches Handeln auf ein absolutes Minimum beschränkt sehen. Häufig wird postuliert, dass jeder Mensch nur sich selbst gehört und nicht der Gemeinschaft (Selbsteigentum). Einige Vertreter dieser Richtung, die Anarcho-Kapitalisten lehnen den Staat insgesamt als nicht legitime (weil unfreiwillige) Zwangsorganisation ab. Kapitalistische Libertäre legen das Selbstbestimmungsrecht des Individuums so aus, dass es völlig frei in seinem Handeln und im Gebrauch seines Privateigentums sein sollte, solange niemand anderes Rechte verletzt werden. Insofern stimmen sie mit dem klassischen Liberalismus überein. Erhebliche Unterschiede bestehen aber in den Ansichten darüber, wie dem Recht in Konfliktfällen Geltung verschafft werden soll (Minarchismus vs. Anarchismus). Kapitalistische Libertäre erkennen keine positiv definierten Rechte wie etwa das Recht auf Nahrung, Obdach oder Gesundheitsfürsorge an, sondern nur negativ definierte Freiheiten an, wie die Freiheit, nicht angegriffen, missbraucht, beraubt oder zensiert zu werden. Nach ihrer Theorie ergibt sich daraus eine klare Eigentumsordnung (siehe Naturrecht). Nur den Rechten, die sich aus dieser Eigentumsordnung ergeben, gestehen sie juristische Schutzwürdigkeit zu. Soziales Handeln und Solidarität entstehen nicht mit juristischem Druck, sondern durch ethische Erwägungen. Kapitalistische Libertäre halten staatlich erzeugte soziale Maßnahmen für kontraproduktiv und daher letztlich für unsozial.
In den Vereinigten Staaten sind einige Befürworter des kapitalistischen Libertarismus durchaus einflussreich und sogar politisch aktiv. Sie sehen sich selbst jenseits eines politischen „Rechts-Links“-Schemas und sind vor Allem in der Libertarian Party vertreten, der (mit großem Abstand) drittstärksten Partei nach den Demokraten und Republikanern. Allerdings gibt es Libertäre auch in den großen Parteien, vor allem bei den Republikanern.
Eigentum
Eigentumsnormen gewinnen erst dann einen praktischen Bezug, wenn sie nicht nur von einem „Eigentümer“ von der Welt eingefordert werden, sondern auch Dritte diese Normen als solche verstehen. Insofern ist Eigentum in einer freien Gesellschaft, wie Libertäre sie für sich anstreben, nur das Ergebnis freiwilliger Interaktion und keine politische Doktrin. Ein Beispiel: Für eine freie Gesellschaft wäre es undenkbar, dass einzelne Staaten (bzw. juristische Personen) die ganze Antarktis unter sich aufteilen, obwohl sie dort nicht mehr besitzen als ein paar Mess-Stationen (wie das heute der Fall ist). Eine solche Eigentumsnorm wäre zwar für ein paar Pioniere methodisch, würde aber von Personen, die die Antarktis friedlich besiedeln möchten, nicht verstanden werden. Libertäre haben daher oft ein kritisches Verhältnis zu konstituierten Rechten und denken in dieser Beziehung wie Max Stirner.
Kritisch eingewendet wird hier oft, dass Eigentum in einer Massengesellschaft eben nur durch einen Rechtsstaat als Gewaltmonopolist garantiert werden könne. Der Eigentumsbegriff (sofern er Gerechtigkeit in dem Sinne einschließt, dass sich der Eigentümer sein Eigentum in irgendeiner Weise „verdient“ oder „erarbeitet“ haben soll) setzt in dieser Sichtweise das Vorhandensein eines Staates notwendigerweise voraus, um in einer Massengesellschaft überhaupt sinnvoll zu sein. Minarchisten würden dieser Position zustimmen, während Anarcho-Kapitalisten darauf verweisen, dass im Verhältnis der Staaten zueinander eine ebensolche Situation besteht, dass es keinen obersten Gewaltmonopolisten gibt und friedliches Zusammenleben inklusive Eigentumsschutz offensichtlich möglich ist.
Kritik
Kritiker des kapitalistischen Libertarismus befürchten, die uneingeschränkte Freiheit des Wirtschaftens, z.B. die Privatisierung öffentlicher Aufgaben, würde die Alleinherrschaft der Reichen und letztlich das Faustrecht zur Folge haben. Eine Abschaffung oder Marginalisierung des Staates würde dazu führen, dass staatliche Funktionen und Hoheitsrechte von privaten Personen, undurchsichtigen Institutionen oder Firmen übernommen würden, wo sie nicht mehr demokratisch kontrolliert werden könnten, sondern nur deren Eigennutz dienten. In einer anfangs libertären oder anarchistischen Gesellschaft würden einzelne Personen oder Gruppen einen einmal gewonnenen kleinen Machtvorsprung gegenüber anderen benutzen, um sich immer weitere Macht anzueignen, woraus sich letztlich wieder eine staatlich organisierte Gesellschaft entwickeln würde.
Kapitalistische Libertäre bestehen auf dem Vorrang der Rechte des Individuums vor den Ansprüchen einer wie auch immer gearteten Gemeinschaft. Aus diesem Grund lehnen sie unbeschränkte Massendemokratie als Herrschaft der Mehrheit über die Minderheit ab. Stattdessen bevorzugen sie freiwillige Kooperation zu beiderseitigem Vorteil, unveräußerliche Menschenwürde, aus dem Naturrecht abgeleitete Menschenrechte oder Nachhaltigkeit als ökonomische Vernunft.
Manche Kritiker sehen u.a. in der Ablehnung der Massendemokratie eine Nähe des kapitalistischen Libertarismus zu rechtsextremem Gedankengut. Einige deutsche Libertäre suchen die Nähe rechter und rechtsextremer Kreise. Jedoch steht der individualistische Ausgangspunkt in deutlichem Gegensatz zu den kollektivistischen Elementen und der Staatsfixierung des typischen Rechtsextremismus.
Ein gravierendes Problem libertärer Gesellschaftsentwürfe wird in der Fähigkeit der Aufrechterhaltung von Sachverhalten gesehen, wie z.B. größeren planmäßigen Ordnungen, Sicherheits- oder Schutzzuständen, die im Gemeininteresse liegen, aber an denen nur wenige wirtschaftliche Akteure ein Partikularinteresse haben. Dies betrifft z.B. Raumordnung, Verkehrs-, Raum-, Landschafts- und Bebauungsplanung, Umwelt- und Naturschutz, Sicherheitsüberprüfung technischer Großanlagen, Qualitätssicherung von Massenprodukten usw. Für einige der angesprochenen Bereiche gibt es hypothetische Lösungsansätze, die meistens davon ausgehen, dass sich durch die starken privaten Rechtsansprüche, ggf. durch Zusammenschluss in Sammelklagen o.Ä., Probleme irgendwann juristisch korrigieren. In nahezu allen genannten Bereichen gilt aber, dass die Schäden aus Fehlentwicklungen irreparabel sind oder ihre Reparatur praktisch unbezahlbar ist.
Techno- oder Cyberlibertarismus
Ganz aus dem politischen Schema fallen Techno-Libertarians wie John Perry Barlow heraus, der seine Vorstellungen über den Cyberspace in US-libertäre Ideologie kleidete. Besonders im Bereich der Internet-Politik haben sein Techno- oder Internet-Libertarismus und die Vorstellung einer Electronic Frontier (dt. "Elektronische Grenze") während der Boomphase des Internets in den 1990er Jahren starken Einfluss ausgeübt, der aber in der augenblicklichen Konsolidierungsphase merklich schwindet (siehe auch: Technoliberalismus).
Nebenströmungen und Individualisten
Neben den bereits vorgestellten „großen“ Linien brachte der Libertarianismus auch einzelne Denker hervor, die ihre eigenen Richtungen entwickelten.
Ein Beispiel dafür ist der Psychologe und Autor Robert Anton Wilson, der sich zwar selbst öfters als „Libertarier“ bezeichnet, jedoch keine Gelegenheit auslässt, mit Witz und Scharfsinn die Absurditäten aller großen Richtungen des US-amerikanischen Libertarismus schonungslos aufzudecken. Von ihm stammen z.B. Sätze wie „Die Ansichten der Rechten über die Regierung und die der Linken über das big business sind beide richtig“. So treffsicher seine Analysen auch sind, lässt er leider sehr oft eigene klare Positionen vermissen.
"Linker" Libertarismus
Libertarismus ist ein anderer Begriff für Anarchismus.
Weblinks