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Revision as of 10:51, 22 October 2007
Ilse Schwipper (1937 in Berlin- 27. September 2007 Berlin) war Anarchafeministin.
Leben
Schwipper war Arbeiterin in den Volkswagen-Werken. 1969 trat sie in die SPD ein. Kurze Zeit später wurde sie wegen einer Unterschriftensammlung für die DKP in Wolfsburg zusammen mit 18 anderen Jusos wieder aus der SPD ausgeschlossen.
Im Juni 1971 wurde sie erstmals wegen militanter Aktionen gegen den Vietnam-Krieg verhaftet und saß bis Ende 1973 in Vechta in Isolationshaft.
Nachdem Ulrich Schmücker ermordet worden war, wurde sie im August 1974 erneut inhaftiert, zusammen mit fünf anderen Mitgliedern ihrer Wolfsburger Kommune. Ihnen wurde eine Beteiligung an diesem Mord unterstellt. Einer der Verhafteten, Jürgen Bodeux, wurde zum Kronzeugen. Aufgrund seiner Aussagen wurde Anklage erhoben.
Im Juni 1976 wurde Ilse Schwipper zu lebenslanger Haft verurteilt, die fünf anderen zu Jugendstrafen. Nur Bodeux nahm das Urteil an, die anderen gingen in Revision.
Die Haftbedingungen hatten bei Schwipper zu schweren körperlichen und seelischen Erkrankungen geführt, so dass sie im Mai 1982 wegen Haftunfähigkeit entlassen wurde. Der Schmücker-Prozess endete erst 1991, nach 17 Jahren, mit der Verfahrenseinstellung.
Von 12 Jahren Haft verbrachte Schwipper 6,5 Jahre in Isolationshaft, nach ihrer Schilderung mit allen Merkmalen der Weißen Folter.
Sie lebte zuletzt in Berlin und engagierte sich u.a. für Anarchafeminismus und bessere Haftbedingungen von Gefangenen.
Nachruf
Großstädte wie Berlin und Hamburg werden immer wieder mit der außerparlamentarischen Bewegung in Verbindung gebracht. Selbst die VW-Stadt Wolfsburg hatte mit der Kommune Bäckergasse ein Zentrum der außerparlamentarischen Linken. Die Bewohner setzten sich für Kriegsdienstverweigerer, antiautoritäre Erziehung und klassenlose Krankenhäuser ein“, berichtet Ilse Schwipper. „Diese Frau hat den Geist der aufbegehrenden Studentenbewegung nach Wolfsburg getragen“, hieß es kürzlich in der Wolfsburger Lokalpresse. Auch in der VW-Stadt engagierte man sich gegen den Vietnamkrieg und stieß schnell an die Grenzen der Legalität. Die Wolfsburger Linke las die Texte der RAF und der Bewegung 2. Juni. Zu letzter fühlten sich einige Wolfsburger Aktivsten hingezogen, blieben aber eine eigenständige Gruppe. Die VW-Arbeiterin Ilse Schwipper war eine wichtige Kraft in der linken Wolfsburger Bewegung. Für die Justiz wurde sie zur Rädelsführerin aufgebaut. Nach ersten Anschlägen s in Wolfsburg auf eine Schulaula, in der eine NPD-Versammlung stattfinden sollte und gegen einen VW-Zug saß Ilse Schwipper dreieinhalb Jahre im Gefängnis Vechta in Isolationshaft. Doch bundesweit Schlagzeilen machte die Kommune Bäckergasse 1974. Die Justiz beschuldigte Schwipper und einige Mitbewohner für den Tod des Studenten Ulrich Schmücker verantwortlich zu sein, der im Berliner Grunewald erschossen aufgefunden wurde. Zuvor war Schmückers Kooperation mit dem Geheimdienst bekannt geworden. Schwipper saß deswegen über 8 Jahre im Gefängnis, wurde aber nie rechtskräftig verurteilt. Bis heute ist die Rolle der Geheimdienste an diesem Fall ungeklärt.
Schwipper war bis zum Schluss politisch aktiv. Seit Jahren engagiert sie sich in der anarchofeministischen Gruppe. Las Loccas in Berlin. „Ich weiß, dass es in der jetzigen Zeit ohne die Frauenbewegung und die anarchistische Bewegung schwer wäre, meine Ideale zu leben“, begründete Schwipper in einem Interview ihre politische Schwerpunktsetzung. Ein weiterer Schwerpunkt ihrer Arbeit ist die Solidarität mit den politischen Gefangenen. Schließlich war sie in den 70er Jahren selber insgesamt mehr als 6 Jahre im Gefängnis isoliert und erkrankte danach schwer. Schon kurz nach ihrer Haftentlassung 1982 nahm Schwipper an einer Menschenrechtsdelegation teil, die den Massenprozess gegen 70 türkische Linke beobachtete. In den letzten Jahren hatte sich Schwipper für politische Gefangenen in der Türkei engagiert, die sich mit einem Hungerstreik gegen die Einführung der Isolationshaft wehrten. Schwipper ist Mitherausgeberin eines Buches, das sich mit den Folgen von Isolationshaft auf die Gefangenen befasste. Knapp eine Woche gab Schwipper in einer Wolfsburger Lokalzeitung ein letztes Interview. Dort betonte sie, dass sie als politische Aktivistin sterben wird und dass bis zum Schluss ihre Gedanken den politischen Gefangenen galten So bedauerte sie, noch vor einigen Wochen, jetzt keine Kraft mehr zu haben, sich an der Kampagne für die Freilassung von Oli, Florian und Axel und beteiligen zu können. Noch wenige Tage vor ihren Tod verfolgte sie aufmerksam, was sich in der Linken tat.
Weblinks
- Interview in der Graswurzelrevolution
- "Die weiße Folter wird geleugnet" Interview zur RAF-Debatte 2007
- Das Isolationszellensystem als wissenschaftliches Forschungsprojekt
- „Ilse Schwipper tot“ in junge Welt, 29. September 2007
- indy: Nachruf (ARAB)
Literatur
- "Ich träume noch immer von der Revolution". Ein Interview mit der Ex-Stadtguerillera Ilse Schwipper, in: Bernd Drücke (Hg.), ja! Anarchismus. Gelebte Utopie im 21. Jahrhundert. Interviews und Gespräche, Karin Kramer Verlag, Berlin 2006, ISBN 13: 978-3-87956-307-4, Seite 221-233
- Das Isolationszellensystem als wissenschaftliches Forschungsprojekt, Artikel von Ilse Schwipper, in: Peter Nowak, Gülten Sesen, Martin Beckmann (Hg.): Bei lebendigem Leib. Von Stammheim zu den F-Typ-Zellen, Gefängnissystem und Gefangenenwiderstand in der Türkei, Unrast, Münster 2001
- Diverse Artikel von Ilse Schwipper erschienen im Schwarzen Faden - "Vierteljahresschrift für Lust und Freiheit", in der Graswurzelrevolution - "Monatszeitung für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft", und in der Tageszeitung junge Welt.
Lizenz für Nachruf
- by-sa 2.0 de lesender arbeiter 28.09.2007 IMC