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Anarchafeminismus
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Anarchafeminismus Text 1[edit]
Die anarchistische Bewegung vertritt die Idee von der grundsãtzlichen Gleichwertigkeit aller Menschen - Mãnner wie Frauen -, wie auch die revolutionãre Utopie der Freiheit aller als Voraussetzung fûr die volle Entwicklung ihres Menschseins. Mann und Frau werden als soziale Rollen erkannt, und nicht als biologische Wesensbestimmungen gesehen. Sie sind somit verãnderbar...
Emma Goldman 1911 Doch wie steht es mit der menschlichen Natur? Kann sie verãndert werden? Und wenn nicht, wird sie unter dem Anarchismus bestehen? Arme, menschliche Natur, welch entsetzliche Verbrechen wurden in deinem Namen begangen! Jeder Dummkopf, vom König bis zum Polizisten, vom engstirnigen Pfaffen bis zum hoffnungslosen Pfuscher der Wissenschaft nimmt sich heraus, als Autoritãt über die menschliche Natur zu sprechen. Je bedeutender der geistige Scharlatan ist, desto bestimmter wird sein Nachdruck auf die Bosheit und auf die Schwãche der menschlichen Natur... Freiheit, Ausbreitung, Zeit und vor allem Friede und Ruhe können als einzige uns aufschluß ûber die wirklich herrschenden Umstãnde der menschlichen Natur und alle ihre wunderbaren Möglichkeiten geben.
Der Anarchismus bedeutet also die Befreiung des menschlichen Geistes aus der Herrschaft der Religion; die Befreiung der menschlichen Kraft aus der Herrschaft des Eigentums; die Befreiung von den Fesseln und dem Zwang durch die Regierung...
Der Anarchismus bedeutet nicht militãrischer Drill und Einförmigkeit; doch steht er gleichbedeutend mit dem Geist der Revolte, in jeder erdenklichen Art, gegen alles, das der menschlichen Entwicklung im Wege steht. Alle Anarchisten sind sich hierin einig, genauso wie in ihrer Opposition gegen die politische Maschinerie..."
Wãhrend fûr die mãnnlichen Genossen das vorrangige Ziel von Frauenpolitik stets die Rekrutierung von Frauen fûr die gemeinsame Sache war, ging es den Frauen in der anarchistischen Bewegung um ihre ganz konkrete Emanzipation. Das bedeutete sowohl die Thematisierung und Verãnderung der weiblichen Lebensbedingungen, wie auch die Verankerung ihrer Forderungen in der Bewegung. Stets betonten sie dabei ihre Distanz zum bûrgerlichen Feminismus, der sich auf die Einforderung gleicher Rechte beschrãnkte - wie im Falle des Frauenwahlrechts oder der Lohnarbeit von Frauen - und dabei die ûbergeordneten HERRschaftsstrukturen der Gesellschaft unangetastet liess. Emma Goldman etwa forderte die Frauen polemisch dazu auf, sich von der "emanzipation zu emanzipieren".
Die Mujeres Libres, 1936 als autonome Organisation neben der cnt gegrûndet, versuchte im Spanischen Bûrgerkrieg, Frauen fûr die libertãre Bewegung zu gewinnen und, neben der Organisierung der spontanen Beteiligung zehntausender von Frauen, deren eigene Befreiung als Frauen zu vertreten. In den Kãmpfen des Alltags sollte immer etwas von der Utopie durchscheinen können. Fûr die Frauen sollte die Revolution nicht erst "danach" kommen. So galt ihr Angriff u.a. der spanischen Familie als dem "Gefãngnis der Frauen". Die Soziale Revolution sollte auch die ebene des Alltags, des Denkens, der Beziehungen erreichen...
Der Begriff des Anarchafeminismus kommt ursprûnglich aus den us-amerikanischen feministischen Diskussionen, und wurde Mitte der siebziger Jahre durch die Übersetzung von Beitrãgen von Peggy Kornegger und Carol Ehrlich auch in der Bundesrepublik bekannt. Radikale Feministinnen waren bei der suche nach einem Gerûst fûr die feministische Revolutionierung der Gesellschaft auf die Prinzipien des Kommunistischen Anarchismus im Sinne Kropotkins gestossen. Sie meinten, hier im wesentlichen ihre eigenen Ansãtze wiederzufinden. So kamen sie zu den Thesen von der wechselseitigen Ergãnzung und Entsprechung von Anarchismus und Feminismus, was vor allem daraus deutlich werde, dass beide Bewegungen nicht hierarchische Beziehungen und kleine Gruppen bevorzugten, sowie in der Lage seien, "aus der Kraft der Massen einen Nutzen zu ziehen". Wãhrend der Anarchismus dem Feminismus "ein klares Verstãndnis von Hierarchie und Autoritãt" liefere, habe der Feminismus die verquickung aller Arten von Unterdrûckung erkannt und biete "den anarchistischen Mãnnern Aufschluss ûber ihr maskulines erbe".
Carol Ehrlich, die Mitbegrûnderin des Anarchafeminismus, betont besonders die Konvergenz von Feminismus und Anarchismus bzgl. des Politikverstãndnisses. Beide teilen den Grundsatz, dass das Private das Politische ist. Fûr beide kann es keine politische Aktion geben, die nicht in der Sphãre des scheinbar privaten Alltags verankert wãre. "People are not free just because they are surviving, or even economically comfortable. They are free only they have power over their own lives". Ziel sei es, die Autonomie ûber das eigene Leben wiederzuerlangen. ein Berufspolitikertum wird abgelehnt. Revolutionãre Praxis bedeute stets eine Revolutionierung des Alltags, die Etablierung von Alternativen. Im Bewusstsein, dass in einer hierarchischen Gesellschaft nur hierarchische Modelle gefördert werden, mûsse besonders die antiautoritãre Bewegung sensibler fûr immanente Hierarchien in Denken und Organisierung werden. Die unterschwelligen Strukturen seien offenzulegen und durch sichtbare und diskutierbare zu ersetzen. Nur so könne dem Vorwurf von der angeblichen "Tyrranei der Strukturlosigkeit" begegnet werden, der von den Verfechtern rigider Organisationsmodelle, die das endgûltige Scheitern der antiautoritãren Bewegung behaupten, hãufig vorgebracht wird.
In ihren Vorschlãgen zur anarchafeministischen Praxis macht Carol Ehrlich Anleihen bei den Situationisten. Ausdrûcklich bezieht sie sich auf deren Theorien von der " Gesellschaft des Spektakels ", und fordert subversive Aktionen, " Guerilla-Taktik ", die aus dem Rahmen programmierter Rebellion und den Klischees politichen Handelns ausbrechen. Solche Aktionen mûssen provozieren, und sind nicht zu vermarkten. Die Akteurinnen mûssen sich der entfremdenden Wirkung des kapitalistischen Medienmarktes bewusst sein, der sie zu Zuschauerinnen ihrer selbst werden lãsst. Nur einzigartige, mutige und spektakulãre Aktionen, die den Alltag neu erfinden, können diesen so thematisieren, dass den Menschen die Augen aufgehen. Fûr Frauen bedeute dies vor allem, die gesellschaftlichen Klischees von der Frau zu durchbrechen. Carol Ehrlichs Vorstellungen gehen also in eine art " Feministische Spassguerilla ".
Den aktuellsten (1991) und umfassendsten anarchafeministischen Ansatz stellen die Ausfûhrungen von Janet Biehl zu ihrem Konzept eines sozialen " Ökofeminismus " dar. Ausgehend von der Kritik am Ökofeminismus, als den patriachalen Rollenzuweisungen und Wertigkeiten verhaftet, fordert sie die Aufsprengung der geschlechtsspezifischen Sphãhren des " Privaten " und dem " Politischen " und ihre gegenseitige Durchdringung.
Der Ökofeminismus, wie ihn z.b. Ynestra King in die anarchistische Diskussion eingebracht hat, geht von einer besonderen Verantwortung und Befãhigung der Frauen zur Rettung des bedrohten Lebens auf der Erde vor der ökologischen Katastrophe aus. durch die besondere verbindung zwischen frau und natur, die auf der gemeinsamen und parallelen unterdrûckung beruhe, seien frauen geradezu prãdestiniert, durch 'ihre' weiblichen werte und eine am 'leben' orientierte moral, eine wende herbeizufûhren. die frau stehe als "vermittlerin zwischen natur und kultur". zwar weiss auch ynestra king um den kulturellen ursprung dieser konstruktion, doch will sie ihn benutzen. frauen als bewahrerinnen eines ursprûnglichen bewusstseins von z.b. spiritualitãt und magie kønnten diese in die rational dominierte politik einbringen und damit neue lebenszusammenhãnge anregen. bestes beispiel sind ihr die frauen von greenham common.
janet biehl nimmt von diesem ansatz den økologischen akzent auf, sie weist jedoch die immanente affirmation patriachalischer rollenzuweisungen zurûck. ein patriarchalisches konstrukt kønne nicht fûr die emanzipation instrumentalisiert werden. " das »frau=natur«, ob es sich nun biologisch oder sozial herleitet, hat fûr frauen, die sich von kulturellen definitionen zu befreien suchen, eindeutig ein eher regressives potential. fûr linke frauen sollte es doch møglich sein, sich ohne bestãndige last des »frau=natur« fûr die befreiung sowohl von frauen wie der natur, einzusetzen. "
janet biehl propagiert die »ethik des sorgens«, die die gesellschaftliche sphãre des privaten kennzeichnet, auch fûr den politischen bereich, aber nicht als alleiniges prinzip. " bei den anstehenden entscheidungen im øffentlichen bereich entstehen zwischen den menschen unausweichlich differenzen, die argumentativ geklãrt werden mûssen, rational und leidenschaftlich. " daher sei die »ethik der rechte« (gerechtigkeit, menschenrechte) als erbe der aufklãrung ebenso wichtig.
auf der basis eines libertãren kommunalismus, wie ihn murray bookchin vertritt, mit dem sie am institut fûr soziale økologie in vermont, usa, zusammenarbeitet, sollen sich øffentliches und privates verzahnen. durch eine »kommunalisierte økonomie«, die den menschen, mãnnern wie frauen, beide - heute getrennten - lebensbereiche erøffnet, soll sich das gesellschaftliche zusammenleben vollstãndig neu gestalten. wenn zwischen arbeitsplatz und lebensbereich keine grossen entfernungen mehr liegen, sei sowohl eine gemeinschaftliche fûrsorge fûr alte und kinder, wie auch das heraustreten der frauen aus dem privaten bereich møglich. frauen und mãnner kønnten an allen aspekten des gesellschaftlichen lebens teilnehmen. dies bedeute aber nicht nur einen angriff auf die patriarchalischen sozialcharaktere, sondern auch auf kapitalismus und nationalstaat als quellen von HERRschaft. der soziale økofeminismus zielt deshalb auf eine verzahnung mit der linksradikalen, anarchistischen theorie und bewegung.
die befreiung der frauen kønne nur im rahmen einer allgemeinen befreiung der gesellschaft erfolgen.
der text stammt ausm schwarzen kalender '92 (aussa dem emma goldman zitat) er is n kleenes stûck lãnger - nicht viel - und von friederike kamann an friederike, knofo, friends of durruti berlin, AurorA & anti-quariat und an alle schwarzen gehirnzellen, roten zoras und companeir@s: LA LUCHA SIGUE - NOpasaran!
freiheit - liebe - militante solidaritãt der unterdrûckten, ausgebeuteten und verfolgtenunterstûtzt die gefangenen... grûsse ausm anarchistischen widerstand! birgit schelm anarchistisches schwarzes x-berg zwoter juni frûhling 000
Anarchafeminismus Text 2[edit]
Beim Anarchafeminismus handelt es sich um eine zeitgenössische Bewegung
Doch wenngleich Frauen mit Hilfe dieser Begrifflichkeit erst seit kurzer Zeit ihre Position definieren, steht diese Bewegung in einer Tradition.
Aufgrund unserer historischen Ignoranz und unserem Hang zu westlich orientierter Geschichtsschreibung beginnt auch die Traditionslinie des Anarchafeminismus mit dem ausgehenden 18. Jahrhundert und Mary Wollstonecraft (z. B. ihr Buch "Verteidigung der Rechte der Frauen").
Mit Blick auf die französische Revolution schrieb sie: "Es ist leichter die Heiligkeit der Könige anzugreifen, als die Ungleichheit der Geschlechter zu hinterfragen."
Weitere bekannte Frauen in dieser Traditionslinie sind: Louise Michel, Flora Tristan, Charlotte Wilson, Lucy Parsons, Emma Goldman, Voltairine DeCleyre...
In den 30er Jahren formierte sich während der spanischen Revolution an der Basis eine Gruppe mit dem Namen Mujeres Libres (freie Frauen), in deren Folge seit 1990 ein internationales Netzwerk auf europäischer Ebene im Entstehen begriffen ist.
Allgemein kann behauptet werden, daß der radikale Feminismus Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre starke anarchistische Tendenzen aufwies. In ihrem Buch Sexual Politics schrieb Kate Millet:"eine ideale Politik sollte sich einfach als eine begreifen, die das menschliche Leben auf annehmbaren und vernünftigen Prinzipien begründet und die uneingeschränkte Idee von Macht über andere bannt".
Um 1975 begannen Radikal-Feministinnen bewußt den Schritt zum "Anarcha-Feminismus" zu gehen. Mit den Veröffentlichungen von Peggy Kornegger und Carol Ehrlich und anderen wurde der Anarchafeminismus als spezifische Richtung des Feminismus herausgearbeitet.
Wie viele Bewegungen (den Anarchismus eingeschlossen), wird auch der Feminismus durch eigene ungelöste Widersprüche in Theorie und Praxis daran gehindert, sein Potential auszunutzen. Der Anarcha-Feminismus ist ein Versuch, diese Widersprüche anzugehen. Anarcha-Feminismus schärft den Blick dafür, daß alle Formen der Unterdrückung gleich wichtig sind; daß deshalb keiner Bewegung über eine andere Vorherrschaft ausüben darf. Er betont, daß die Wurzeln der Unterdrückung weder ausschließlich materiell noch ausschließlich kulturell angelegt sind, und daß beide Veränderungen, die sozio-ökonomische und die geistig-kulturelle notwendig sind, um die Unterdrückung der Frau zu beenden und eine neue gleichberechtigte Gesellschaft zu schaffen. (1)
Eine allgemeine Politik "für Frauen" kann es nicht geben. Was Frauen außer ihrem biologischen Geschlecht gemeinsam ist, nämlich daß sie alle auf Grund ihres Geschlechtes unterdrückt werden, äußert sich für jede einzelne je nach dem Land, in dem sie lebt, je nach der sozialen Schicht, der sie angehört, je nach ihrer kulturellen Herkunft, je nach ihrer Arbeit anders. Noch mehr unterscheidet uns das, was wir im Kopf haben: unsere Utopie. (2)
Viele Charakteristika des Anarchismus werden von einigen radikalen Feministinnen geteilt: dezentralisierte Gruppen, Kleingruppen, die mit Konsensbeschluß arbeiten, oder auch die Einheit von Mitteln und Zielen werden innerhalb der radikal-feministischen Gruppen routinemäßig praktiziert. Die Anarchafeministin Peggy Kornegger argumentiert deshalb sogar, daß "Feministinnen seit Jahren in Theorie und Praxis unbewußt Anarchistinnen gewesen sind" (3). Nach Susan Browns Meinung, vereinfacht Korneggers Behauptung zu sehr, denn es gibt genügend radikale Feministinnen, die nichts mit anarchistischen Prinzipien im Sinn haben.
So gibt es Radikalfeministinnen, die sich allein auf das Patriarchat als Wurzel aller Herrschaft konzentrieren, sie stellen die Aufgabe der Frauenbefreiung, nicht nur für sich, über alle anderen Fragen.
Mit dieser Prioritätensetzung etablieren sie eine neue Hierarchie. Anarchafeminismus verneint solche Vorrangigkeiten. Alle Formen von Herrschaft sind gleichermaßen nicht tolerierbar und der Kampf gegen Herrschaft sollte auf vielen verschiedenen Ebenen geführt werden.
Einige radikale Feministinnen sehen es sogar als entscheidende Schwäche der Frauenbewegung, daß anarchistische Prinzipien übernommen werden. Sie argumentieren u.a., daß die führungsfeindliche Strategie der Frauenbewegung in den späten 60ern die Effektivität der ganzen Bewegung geschwächt habe. (4)
Fazit Anarchismus ist sowohl eine Philosophie wie eine politische Strategie, die anstrebt jede Form von Herrschaft abzuschaffen. Sie basiert auf der Annahme, daß menschliche Wesen ihr Leben und ihre Welt frei gestalten können und für beide verantwortlich sein wollen. Durch die permanente Herausforderung der Herrschaft unterwandern Anarchistinnen das gegenwärtige System. Durch antiautoritäre und antihierarchische Prozesse versuchen AnarchistInnen unterdrückende Strukturen auszuhöhlen.
L. Susan Brown argumentiert, daß Anarchismus feministisch ist, daß Feminismus nicht notwendig anarchistisch ist.
(...) Während es möglich ist radikale Feministin und Anarchistin zu sein, ist es andererseits deutlich, daß nicht alle radikalen Feministinnen anarchistischen Prinzipien zustimmen. Ja, daß einige autoritäre Methoden bevorzugen, andere auf die Etablierung einer matriarchalen Gesellschaft abzielen, die nach eigener Definition hierarchisch ist. Allein Anarcha-Feministinnen stellen eine Theorie zur Verfügung, die alle Hierarchien und Formen von Herrschaft bekämpft, ob sie sexistisch, rassistisch, klassenbezogen oder staatlich sind. (1)
Das Menschen- und Gesellschaftsbild in der feministischen Utopiediskussion[edit]
Auszug aus "Das Menschen- und Gesellschaftsbild in der feministischen Utopiediskussion" von Claudia Andel
Theorien des Anarchismus in Verbindung mit feministischen Utopie-Entwürfen
Die Begriffe Anarchismus und Anarchie gehen auf das griechische Wort 'an-archia' zurück, welches soviel wie "Führer- oder Herrscherlosigkeit" (Brunner/Cunze/Kollek 1972, S. 49) bedeutet und sowohl positive als auch negative Bedeutung hatte. In der latinisierten Form fand dieser Ausdruck während des Mittelalters in beinahe jeder Sprache seinen Platz. Das Wort Anarchie machte unter semantischem Aspekt kaum eine Begriffswandlung mit, unter pragmatischen Gesichtspunkten jedoch fand sowohl eine positive als auch eine negative Bedeutungserweiterung statt. Mitte des 19. Jahrhunderts ließ sich unter diesem Begriff das gesamte Spektrum von 'vollkommener Freiheit' bis 'absolutes Chaos', je nach Standpunkt, fassen. Auch heute noch umfaßt 'Anarchie' diese gegensätzlichen Vorstellungen, wobei die negative Bedeutung sich nicht mehr nur auf Chaos bezieht, sondern besonders auf "Zerstörung, politische Radikalität, Terror" (Rammstedt 1969, S. 7) und Militanz. Diese negativen Aspekte sind nicht nur im Verständnis der Bevölkerung, sondern auch in Lexika und im Duden nachzuweisen, was ich besonders erschreckend finde.
Anarchie heißt der Zustand absoluter Herrschaftslosigkeit zu dem verschiedene Denker/innen unterschiedliche Ideen haben. Die konkrete Ausgestaltung wird sich allerdings erst in der Zukunft, nach der Revolution, zeigen. Anarchismus dagegen beschreibt mögliche Wege dorthin, wobei die Art des jeweiligen Weges völlig von den jeweils gegebenen Situationen abhängt. Unter Anarchismus werden Lehren/ Ideen/ Theorien/ Bewegungen/ Praxen zusammengefaßt, die als Zielvorstellung eine in allen Lebensbereichen herrschaftslose Gesellschaft haben, in der das Individuum sich frei entfalten kann.
Die anarchistische Theoriebildung entwickelte ein Konzept zukünftiger Gesellschaftsorganisation, deren Vorstellungen in zentralen Begriffen benannt werden können, wie:
- soziale Harmonie, - natürliche Ordnung, - freie Assoziation, - freiwillige Kooperation, - Freiheit des Individuums, - Solidarität/Brüderlichkeit, - gegenseitige Hilfe, - Recht auf Experiment, - kommunale Organisierung, - föderative Struktur, - genossenschaftliche Ökonomie, - direkte Demokratie und/oder Rätedemokratie, - soziale Revolution (vgl. Carter 1979; Guérin 1969; Holzapfel 1984).
Erwähnt werden muß, daß die historische Praxis des Anarchismus (bspl. Spanien 1936 - 1939) für die weibliche Hälfte der Menschheit in sehr beschränkter Form ihre Gültigkeit hatte (vgl. Nash 1979). Im Widerspruch zum Gleichheitsgrundsatz und Ansatz des Anarchismus, der den MENSCHEN und nicht den Mann als befreites Individuum in einer herrschaftsfreien Gesellschaft sehen möchte, waren im spanischen Anarchismus die Organe und Gruppen eindeutig männlich dominiert.
Demnach bestehen erst einmal nur theoretisch zwischen der feministischen und anarchistischen Utopie Gemeinsamkeiten, denn in ihren Entwürfen sind eindeutige Parallelen zu finden.
Anarchismus definiert sich selbst als politische Philosophie zur Abschaffung jeder Herrschaft. Meine Begriffsverwendung des Anarchismus als Utopie erklärt sich, da ich die Ideen und Vorschläge des Anarchismus in literarischer Form auch als 'konkrete Utopie' verstehe, die aus den jeweiligen Auseinandersetzungen der verschiedenen Denker/innen mit ihren Lebensumständen heraus entstanden sind, ähnlich der feministischen Utopie.
Sie phantasieren beide als 'Ziel' ihrer Vorstellung von Gesellschaft, daß diese sich dezentral und regional organisiert, in der die politische Entscheidungsbefugnis in die Verantwortung der unmittelbar Beteiligten/Betroffenen gegeben wird. Neben dieser gemeinsamen Vision basisdemokratischer Entscheidungsmuster betonen beide den möglichst weitgehenden Verzicht auf repräsentative Delegation, bevorzugen direkt-demokratische oder räte-demokratische Organisationsstrukturen mit der Absicht der Dezentralisation politischer Macht.
Desweiteren möchte die anarchistische wie auch die feministische Utopie, daß ihre utopische Gesellschaft zur permanenten Veränderung fähig und bereit ist/bleibt, den politischen Bedürfnissen der Gemeinschaft entsprechend.
Den Visionen folgend, nimmt die feministische Utopie eine eindeutig anti-staatliche Position ein.
Ebenso ist die anarchistische Utopie kompromißlose Staatsgegnerin, da ihr der Staat die stärkste Potenz einer zwangausübenden Organisationsform ist, ein wesentlicher Vermittler patriarchaler Macht und Gewaltverhältnisse. Die anarchistische Gesellschaftskritik setzt beim Staat an:
"Das bestehende Gesellschaftsbild ist durch die Allgegenwart des Staates geprägt, dessen Struktur durch die wirtschaftlichen Verhältnisse bedingt ist. Dieser Staat wird als ausbeuterisch, totalitär, bürokratisch, korrupt und das menschliche Individuum hemmend kritisiert " (Heintz 1985, S. 15).
Diesen Staat, aber auch alle anderen Machtapparate (Kapital, Kirchen, etc.) gilt es zu beseitigen, weil diese die Ursache für die "gegenwärtigen sozialen Übel" (Harich 1971, S. 13) darstellen. So setzt für Anarchisten, wie Erich Mühsam, die herrschaftslose Ordnung voraus, die
"Befreiung der Gesellschaft vom Staat" (Erich Mühsam (1930) zitiert in: Degen 1987, S. 15).
Dies ist in der feministischen Utopie realisiert: "Jede Herrschaft ... ist Tyrannei ... Wir sind nicht Untertanen in einem auf Gesetz gegründeten Staat, sondern Mitglieder einer durch Revolution geformten Gesellschaft. Die Revolution ist unsere Verpflichtung: unsere Hoffnung auf Evolution" (LeGuin 1981a, S. 326).
Betrachtet mensch das Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft in der feministischen Utopie und zwar aus der Perspektive des Individuums auf die gesellschaftlichen Strukturen der utopischen Gemeinschaft, dann läßt sich der anarchistische Bezug ebenso feststellen. Libertäre Bedingungen existieren in der feministischen Utopie, erkennbar in der Fülle individueller Entfaltungsmöglichkeiten. Der Begriff von Freiheit orientiert sich am Freiheitsbegriff des Anarchismus, der stichwortartig nach den Bedingungen der Möglichkeit emanzipatorischer, ganzheitlicher Entfaltung jeder/jedes Einzelnen in freiwilliger, auf Hilfe und Solidarität beruhender, kommunitärer Assoziation fragt. Das aus den feministisch utopischen Entwürfen erkennbare Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft läßt sich wie folgt interpretieren: Es gibt keine Herrschaft des/der einen über den/die andere/n, wie es auch keine Herrschaft der Mehrheit über die Minderheit gibt. Minderheitenmeinung wird in die konsensuelle Entscheidung integriert. Weiterhin existiert keine Herrschaft und Kontrolle der Gemeinschaft über Einzelne. Die radikale Gleichheit ist durchgesetzt, auch zwischen Mann und Frau, was sich natürlich nur für die heterosozialen Gesellschaften so eindeutig sagen läßt. Damit sind der persönlichen Entfaltung, der individuellen Freiheit nur in Bezug auf die Freiheit anderer Individuen Grenzen gesetzt. Verantwortlichkeit füreinander und für die gemeinsame gesellschaftliche Struktur ergänzen und beschränken die Freiheit des Individuums. Der/die Einzelne verkörpert die Utopie, da seine/ihre Verantwortung und Verantwortlichkeit sie erst möglich macht. Politische Entscheidungen werden dem Einflußbereich des Individuums nicht entzogen. Sie werden nicht per Repräsentativität gelöst, sondern verbleiben in den persönlichen Lebens- und Arbeitszusammenhängen, dem/der Einzelnen nahe. Die/der Held/in in der feministischen Utopie steht symbolisch für die/den Einzelne/n als Gegenüber der Gemeinschaft/Gesellschaft. Sie/er wurde von ihren/seinen Schöpferinnen am konkretesten phantasiert und trägt gleichzeitig zum großen Teil die handlungsstrukturierenden Konflikte.
Auch die Darstellung des feministisch utopisch entwickelten Individuums verweist auf anarchistische Theoriebildung:
"... das Individuum hat zuerst die Idee des Widerstandes gegen die Verhältnisse, unter denen es sich empört, entworfen. Kurz, es ist immer das Individuum, das den befreienden Gedanken und die befreiende Tat hervorbringt. Das bezieht sich nicht allein auf politische Kämpfe, sondern auf die ganze Skala menschlichen Lebens und Strebens, zu allen Zeiten und überall. Stets war es das Individuum, der Mensch mit starkem Denken und dem Willen zur Freiheit, der den Weg für allen menschlichen Fortschritt ebnete, für jeden Schritt zu einer freieren und besseren Welt ..." (Goldman 1977a, S. 69).
Die Beschreibung von der Anarchistin Emma Goldman hat unübersehbare Ähnlichkeit mit den feministisch utopischen Motiven und der Rolle der/des Heldin/Helden. Veränderung, so eindringlich diese bedeutende Anarchistin, kann nur durch das Individuum bewirkt und bewältigt werden, "oftmals allein und verlassen" (Goldman 1977a, S.68). Sie legt damit die Verantwortung gesellschaftlichen Fortschritts in die Hände des Einzelnen/der Einzelnen, der/die aufgrund seiner/ihrer Fähigkeiten und Willenskräfte die nötigen Anstrengungen aufzubringen vermag. Insgesamt plädiert Goldman für die PERSÖNLICHE VERANTWORTLICHKEIT, die nicht an andere/die Masse/die Partei etc. delegiert werden kann oder jemals darf. Zum Begriff der Freiheit schreibt Emma Goldman: "Wahre Freiheit ist positiv: sie ist Freiheit zu etwas, sie ist Freiheit zu sein, zu tun, kurz, die Freiheit, die in der aktuellen Situation aktiv wahrgenommen werden kann. Diese Art von Freiheit ist ein Geschenk: sie ist das Naturrecht des Menschen, jedes menschlichen Wesens. Sie kann nicht verliehen werden durch irgendeinen Staat, eine Regierung. Ihre Notwendigkeit, das Sehnen nach ihr, ist jedem Individuum eigen" (Goldman 1977a, S. 76).
Über die Negativ-Bestimmung von Freiheit als 'Abwesenheit von Zwang' hinausgehend, kann Goldmans Definition von Freiheit betrachtet werden. Willen, Handeln und Erkenntnismöglichkeit werden bei ihr wesentlich für Freiheit gesetzt. Aus dem Zusammenhang von Verantwortung und Konflikt entsteht die Freiheit - die Freiheit DES Menschen/Individuums/Einzelnen, was ebenfalls vergleichbar ist mit Ausführungen zur Rolle des Individuums in der feministischen Utopie. Diese Möglichkeiten der Selbstverwirklichung und Selbstbestimmung in der dialektischen Auseinandersetzung mit Mensch/Umwelt sieht Emma Goldman nur im Anarchismus verwirklicht.
"Von allen sozialen Theorien proklamiert nur der Anarchismus standhaft die These, daß die Gesellschaft für den Menschen da ist, nicht der Mensch für die Gesellschaft. Der einzige Zweck von Gesellschaft ist, den Bedürfnissen der Individuen zu dienen, ihren Bestrebungen entgegenzukommen" (Goldman 1977a, S. 78).
Auch andere Anarchistinnen wie z. B. die Mujeres Libres (vgl. Nash 1979) erwähnen besonders die Rolle der Verantwortung als zentrale Kategorie einer neuen Gesellschaft. Sie betonen im Prozeß verantwortlichen Handelns die Wichtigkeit von Konfliktfähigkeit und das Ertragen von Konflikten. Die Mujeres Libres fordern unter anderem:
"Diese Gesellschaft muß dem Menschen die Möglichkeit geben, voll seine Kräfte zu entfalten und sich selbst bei dem sich stellenden Konflikt zwischen seinen Bedürfnissen oder Zielen und der Realität, die ihn umgibt, zu entscheiden. Wenn diese Gelegenheit für alle gleich ist, nenne ich das FREIHEIT" (Nash 1979, S. 137). Weiterhin betonen sie die dazu erforderliche "... konstruktive und kritische Haltung eines jeden ..." (Nash 1979, S. 138).
Der Anarchist Murray Bookchin mit seiner 'konkreten Utopie', die für den modernen Anarchismus beispielhaft ist, kommt bei der Einordnung des Freiheitsmotivs in einen gesellschaftlichen Entwurf zu folgendem Rahmen: "Ja, wir brauchen Veränderung, aber so grundlegend und weitreichend, daß sogar das Konzept der Revolution und der Freiheit über alle früheren Horizonte hinaus erweitert werden muß" (Bookchin 1981, S. 44).
"Nicht nur suchen wir Freude an Stelle der kleinen Befriedigungen, die das "Glück" gwährt, nicht nur suchen wir Persönlichkeit an Stelle von egoistischer Individualität, Spiel anstatt monotoner Arbeit, gegenseitige Hilfe anstatt Konkurrenz, Schönheit und nicht Strenge; wir suchen auch eine neue Einheit mit Natur, die Abschaffung von Hierarchie und Herrschaft, die Fülle der Spontaneität und den Reichtum des Unterschieds" (Bookchin 1981, S. 153).
"Wir müssen unsere formlosen städtischen Ballungsgebiete in Ökogemeinschaften (eco-communities) "umpolen" und sie behutsam nach Größe, Bevölkerung, Bedürfnissen und Architektur an die jeweiligen spezifischen Ökosysteme, in denen sie liegen sollen, anpassen. Wir müssen moderne Techniken gebrauchen, um unsere Fabriken, landwirtschaftlichen Großbetriebe und Bergwerke durch neue, auf menschliches Maß zugeschnittene Ökotechnologien ersetzen, die Sonne, Wind, Wasserkraft, Müll und Grünzeug verwenden, um eine überschaubare Technologie des VOLKES zu schaffen. Wir müssen die Institutionen des Staates, die auf professioneller Gewalt beruhen, durch gesellschaftliche Institutionen, die auf gegenseitiger Hilfe und menschlicher Solidarität beruhen, ersetzen. Wir müssen zentralisierte gesellschaftliche Formen durch dezentralisierte Volksversammlungen ersetzen; ebenso die Abgeordneten und die Bürokratie durch Koordinationsausschüsse von Sprechern, die Mandate für bestimmte Verwaltungsaufgaben haben und turnusmäßig abgelöst sowie durch das Los gewählt werden und jederzeit abberufbar sind" (Bookchin 1981, S.153/154).
"Eine so beschaffene Ökogemeinschaft, meine ich, würde die Trennung zwischen Stadt und Land, ja zwischen Kopf und Hand durch die Verschmelzung von körperlicher und geistiger Arbeit, von Industrie und Ackerbau durch eine Rotation oder abwechslungsreiche Gestaltung der beruflichen Aufgaben heilen. In den Ökogemeinschaften wird eine neue Technologie zur Anwendung kommen ... die über flexible, vielseitige Systeme verfügt und die in ihrer praktischen Anwendung Haltbarkeit und Qualität den Vorrang geben wird ..." (Bookchin 1981, S.36).
"In organischen Gesellschaften haben alle Menschen ein Recht auf die Mittel, die zur Erhaltung des Lebens notwendig sind ... Wahre Freiheit ist die Gleichheit der Ungleichen; sie verleugnet denen, deren Kräfte bereits nachlassen oder nicht im gleichen Maße entwickelt sind, nicht das Recht auf Leben. Ironischerweise erkennen die Menschen in Gesellschaften mit einer wenig entwickelten Ökonomie das Recht aller auf freien Zugang zu den knappen Gütern des Lebens viel eher an ..." (Bookchin 1981, S.32/33).
In den hier zusammengestellten Motiven des Bookchinschen ökologischen Anarchismus sind geradezu erstaunliche Übereinstimmungen mit den entwickelten Motiven der feministischen Utopie zu finden. So werden die politische Struktur, die ökonomisch-ökologische Organisation und die Rolle des Individuums bis in Einzelheiten nahezu identisch beschrieben.
Für folgende Motive besteht idealtypisch weitgehende Identität, hier in Stichworten zusammengefaßt: Freude/Hedonismus, Persönlichkeitsentfaltung in Unterschiedlichkeit, gegenseitige Hilfe und Solidarität statt Hierarchie und Herrschaft. Desweiteren Einheit mit der Natur/Organizität und Aufhebung der Trennung von: Stadt/Land, Kopf-/Handarbeit, geistiger/körperlicher Arbeit, Ackerbau/Industrie. Es existieren überschaubare, dezentrale Gemeinschaften, die nach Größe und Bevölkerungsdichte in die sie umgebenden Ökosysteme eingepaßt sind. Die politische Struktur wird beschrieben mit Vollversammlungen und Koordinationsmandaten, Wahl und/oder Los, imperatives Mandat. Weitere Motive sind Dezentralisation landwirtschaftlicher und fabrikförmiger Produktion, Produktion in haltbarer Qualität und sanfte Technologie aus Sonne, Wind, Wasser, Müll, Kompost. Ebenso findet das Motiv Spiel-Arbeit Erwähnung und beinhaltet Rotation und Abwechslung bei allen Arbeiten. Das Motiv des Zugangs für alle zu allen Mitteln des Lebens gerade auch unter Mangelbedingungen und der individuellen Freiheit durch Verantwortung und Konflikt erscheinen ebenfalls formal identisch.
Doch geht die feministische Utopie mit der Zentrierung um die Motive Lebensproduktion/politische Frauenmacht/Autonomie der Frau, also durch die explizite Einbeziehung von Frauen, über den traditionellen Anarchismus hinaus. Die Verwobenheit der Motive in eine nicht-hierarchische, basisdemokratische Gesellschaftsstruktur und die ausdrücklich betonte, die Texte implizierte grundsätzliche Unvereinbarkeit mit Herrschaft, mit Patriarchat, zeigt auf, daß zwar feministisch utopische Entwürfe mit traditionellen Anarchismusvorstellungen verwandt aber nicht identisch sind. Die Einbeziehung der anti-patriarchalen, dualismus-kritischen Essenz der feministischen Utopie ergänzt und verändert die gesamte Vision des traditionellen Anarchismus. Der in der Utopie politisch konkretisierte anti-patriarchale und anti-dualistische Anarchismus ist das feministische Modell eines Anarchismus, die vollständigere, radikalere und ganzheitlichere Version. Hier lassen sich als theoretische/philosophische Grundlage Parallelen zum Anarcha-Feminismus finden, der sich in den 70er Jahren als spezifische Richtung aus dem Feminismus und in Bezug zu und durch die Auseinandersetzung mit den Grundprinzipien des Anarchismus entwickelte.
Die Vorstellung des traditionellen Anarchismus einer herrschaftslosen, auf Freiwilligkeit und Solidarität fußenden Gesellschaft, in der sich das Individuum frei entfalten kann, ist ein in den meisten Bereichen libertäres Modell. Doch ist von feministischer Perspektive aus äußerst kritisch zu erwähnen, daß der Anarchismus Gleichheit und individuelle Emanzipation nicht wirklich radikal zu denken vermag, denn es läßt sich erkennen, daß die patriarchale Basis gesellschaftlichen Denkens und Handelns in ihm erhalten bleibt. Trotz seiner radikalen Befreiungsvorstellung bezieht selbst der Anarchismus Autonomie und Befreiung der Frau und die dafür adäquaten gesellschaftlichen Strukturen unzureichend in die Utopie mit ein. So wird die Frau theoretisch bei allen anarchistischen Klassikern in die Entwürfe eingeschlossen, explizit beziehen sie sich auf ihre besonders unterdrückte Lage jedoch nur bei Themen wie Familie, Ehe oder 'Reproduktion'. Belassen sie also doch gedanklich auf diese traditionellen 'weiblichen' Bereiche beschränkt. Hier setzt nun die feministische Kritik an, die sich zum Anarcha-Feminismus entwickelte.
V.2. Theorien des Anarcha-Feminismus und ihr Bezug zu feministischen Utopien Anarcha-Feministinnen haben sich die Aufgabe gestellt, die Verbindung zwischen "der dreifachen Herrschaft von Patriarchat, Staat und Kapital" (A-Kurier 1994, S. 8) zu verdeutlichen. Diese sich gegenseitig bedingenden, stützenden und miteinander verbundenen Unterdrückungsmechanismen haben sowohl auf das öffentliche als auch auf das private Leben Einfluß und sind unter anderem dafür verantwortlich, daß diese beiden Bereiche strikt getrennt werden/bleiben. Da "die 'Befreiung' der Frau ... nur durch Aufhebung der Trennung zwischen Öffentlichkeit und Privatleben zu erreichen (ist, d. Vf.) " (Schwarze Protokolle 1974, S. 17), ist gerade hier ein Angriffspunkt für Anarcha-Feministinnen. Die "Einheit zwischen dem Persönlichen und dem Politischen" (Kornegger/Ehrlich 1979, S. 15) ist eines der Zielvorstellungen dieser Bewegung. Eine weitere Forderung ist, daß die Arbeitssituation (u. a. die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung) durch "breit organisierte Kooperation" (Schwarzer Faden 1988, S. 31) in allen Bereichen grundsätzlich geändert wird. Die anarcha-feministische Gesellschaftskritik beinhaltet zusammenfassend, daß Frauenunterdrückung grundlegend, dauerhaft und weltweit nur aufzuheben ist, wenn alle Herrschaftsformen, z. B. Kapitalismus und Rassismus, aufgehoben werden. So beseitig ihrer Meinung nach nicht das Kurieren an den Symptomen, Reformen genannt, Frauenunterdrückung, sondern erst die Bekämpfung der Ursachen, zu denen der Staat selbst zählt. Dabei ist kein Lebensbereich, ob privat oder öffentlich genannt, auszugrenzen, auch nicht die eigene Person. Dieser Ansatz im Feminismus - der Infragestellung von sich selbst als Individuum - brachte die radikalen Feministinnen auf der Suche nach einem politischen Gerüst, mit dessen Hilfe sie die von ihnen angestrebte 'feministische Revolutionierung' der Gesellschaft vorantreiben und verbreiten konnten, mit dem Anarchismus und dessen Grundprinzipien in Verbindung. Da diese Feministinnen ihre eigenen Ansätze im wesentlichen im Anarchismus wiederfanden, der eine eindeutige Analyse der politischen, ökonomischen und staatlichen Unterdrückung liefert, bezeichneten sie sich als Anarcha-Feministinnen.
Ihre hauptsächlichen Thesen sind: 1) Alle radikalen Feministinnen sind im Grunde "natürliche" Anarchistinnen - "aufgrund ihrer Zuneigung zu nicht-hierarchischen Beziehungen, ihrer Vorliebe für Arbeit in kleinen Gruppen und ihrer Fähigkeit, aus der Kraft der Massen einen Nutzen zu ziehen" (Kornegger/Ehrlich 1979, S. 9). 2) Anarchismus und Feminismus "entsprechen einander" (Kornegger/Ehrlich 1979, S. 9) und sollen sich gegenseitig ergänzen. 3) Der Anarchismus liefert dem Feminismus "ein klares Verständnis von Hierarchie und Autorität" (Kornegger/Ehrlich 1979, S. 11). 4) "Der Feminismus erkennt, daß alle Arten der Unterdrückung miteinander in Beziehung stehen, daß sich die persönliche, ökonomische und politische Unterdrückung in dem Leben von uns allen manifestiert. Der Feminismus bietet den anarchistischen Männern Aufschluß über ihr maskulines Erbe, welches ihre Emotionen und Ausdrucksfähigkeiten verkrüppelt. Der Feminismus gibt dem Anarchismus den Sinn für das Kreisförmige, für Verbindungen, die das existierende anarchistische Bewußtsein abrunden und vervollkommnen und für die menschlichen Bedürfnisse nach Schönheit, Freude und Ausdruck" (Kornegger/Ehrlich 1979, S. 12).
Zur ersten These läßt sich ein direkter Bezug in der feministischen Utopie Planet der Habenichtse von Ursula LeGuin feststellen:
"Ich glaube, Männer müssen zumeist erst lernen, Anarchisten zu sein. Frauen brauchen das nicht zu lernen" (LeGuin 1981, S. 54).
Nach Meinung der Anarcha-Feministinnen muß sich der Anarchismus aufgrund der Selbstdefinition als politische Philosophie zur Abschaffung jeder Herrschaft auch die Abschaffung des Sexismus zu eigen machen. Da der Anarchismus die Frage nach der Herrschaft in der Gesellschaft stellt, muß er die feministische Herausforderung annehmen, diese Herrschaft auch als sexistische zu begreifen als Einschränkung und Festlegung von Frauen auf bestimmte herrschaftsfunktionale weibliche Rollen. Ebenso müssen Feministinnen begreifen, daß diese Herrschaft auch von ihnen selbst, in ihren eigenen Köpfen aufrechterhalten wird und nicht durch vordergründige Kampagnen beseitigt werden kann, wie z. B. die für die Quotierung der Teilnahmemöglichkeiten an der patriarchalen Macht, was bedeutet, daß die patriarchale Bedingtheit eigener Entwürfe erkannt werden muß.
So wird zwar der Anarchismus von den Anarcha-Feministinnen historisch gesehen als Bewegung von Männern begriffen, als eine Oppositionsbewegung unter vielen innerhalb der männlich dominierten Sphäre der Politik und kritisiert. Positiv beziehen sie sich auf dessen Utopie einer nicht-hierarchischen Gesellschaft von Gleichen (ob Mann oder Frau) und seine Kritik an allen hierarchischen, einschränkenden und ausbeuterischen Strukturen, sowohl im Bereich der Arbeit, des Warenverkehrs wie auch im Bereich der sozialen 'Reproduktion'. Der Anarchismus ist diejenige Strömung, die die traditionellen Formen von Politik am grundsätzlichsten und radikalsten in Frage stellt. So rüttelt er an der Grundstruktur aller von Männern beherrschten politischen Organisationen, der Hierarchie, und hält ihr z. B. die Prinzipien des Föderalismus, der freien Vereinbarung und der gegenseitigen Hilfe entgegen, sowie seine Utopie von der grundsätzlichen Gleichwertigkeit aller Menschen. Frauen sind in der Utopie der Gleichheit und Freiheit mitgemeint und ihre Unterdrückung wird ausdrücklich benannt. Die Rollen Frau-Mann in der bürgerlichen Gesellschaft werden nicht biologistisch gesehen, also als 'natürliche' Wesenbestimmung, sondern als soziale Rollen im Herrschaftsgefüge und damit veränderbar, ja notwendigerweise zu verändern. So formulieren alle anarchistischen Klassiker ihre Kritik am Zwangscharakter der autoritären vaterrechtlichen Familie und setzen ihr als Modell der Befreiung schon jetzt das Konzept der 'freien Liebe' entgegen. Insgesamt ist das Thema 'Frauen' im Anarchismus dennoch ein Randthema. Die männlichen Theoretiker kommen nur dort auf das sogenannte 'andere Geschlecht' zu sprechen, wo sie selbst auch betroffen sind, wenn es nämlich um die freiheitliche Organisierung ihres Privatlebens geht. So trennen viele Anarchisten trotz aller Lippenbekenntnisse zur Befreiung der Frau nach wie vor zwischen 'öffentlich' und 'privat' und behaupten die Sphäre der Politik für sich. Konstruktiver Umgang mit den Forderungen gerade auch der Frauen in den eigenen Reihen ist eine Seltenheit.
Es gab/gibt auch schon immer Frauen, die für sich den Anarchismus als Lebensphilosophie befürworteten, doch fast alle Anarchisten wenden sich gegen die sogenannten 'Emanzipierten' ihrer Zeit. Da, wo aus anarchistischen Reihen konkrete Vorschläge zur Selbstorganisation von Frauen geäußert werden - zu ihrer spezifischen Unterdrückung und Erniedrigung, zu ihrer sozialen und sexuellen Notlage -, kommt es aus dem Munde von Frauen; beispielhaft sind Louise Michel (1830 - 1905) (vgl. Michel 1976), Emma Goldman (1869 - 1949) (vgl. Goldman 1977a) und Mujeres Libres (seit 1936) (vgl. Nash 1979). Diese stellten Forderungen auf wie freie Abtreibung, freier Zugang zu Verhütungsmitteln, Arbeiterinnenstreiks, Ein-Küchen-Häuser.
So meinen die Anarcha-Feministinnen, daß der Anarchismus damit, daß er die Kämpfe der Frauen um ihre Befreiung nicht richtig ernst nahm, sich selbst letztendlich auch der Möglichkeit zur Durchführung der sozialen Revolution beraubte, die eben nicht nur auf die Ebene der politischen Aktion und der Arbeit (Produktion) beschränkt werden könne, sondern den gesamten Alltag erfassen müsse, auch und vorallem den der sogenannten 'Reproduktion', die nach wie vor als sogenannte 'Privatsphäre' den Frauen angelastet bleibt. Die feministische Analyse leitet sich aus den Erfahrungen von Frauen in der Kleinfamilie ab und sie erweitert die anarchistische Analyse der Hierarchie auf die Lebensbereiche des Alltags und der Familie. Diese sieht in der Kleinfamilie die Grundlage der besitzorientierten und autoritären Gesellschaft. Das Merkmal dieser Gesellschaft ist es, die Energien der Menschen zu konstruktiver und kollektiver Arbeit in Kämpfe der Lebenserhaltung umzuformen. Die Anarcha-Feministinnen sind sich bewußt, daß die Zuweisung der Rollen und Arbeitsbereiche beiderseits durchbrochen werden muß. Die Frau muß darauf hinarbeiten, sich aus der Verklammerung der sogenannten 'Frauen-Bereiche' zu befreien. Nur so können sie auch den Männern klar machen, daß diese Bereiche auch in männliche Zuständigkeit gehören und nicht nur aus ab und zu 'gutem Willen'.
Anarchismus, wie ihn die Anarcha-Feministinnen verstehen, bedeutet letztendlich, die immer neue Frage nach den gesellschaftlichen Mechanismen der Verankerung von Herrschaft. Und zwar nicht nur: wo sind Orte der Herrschaft, sondern auch, wo verlängern wir selbst diese Herrschaft unhinterfragt durch unsere eigenen politischen Aktionen. Die Anarcha-Feministinnen weisen darauf hin, daß die Menschen ein aktives Verständnis für die Unterdrückungsmechanismen entwickeln müssen, die den meisten ihrer gewohnheitsmäßigen und alltäglichen Standpunkten und Handlungen zugrunde liegen. Sie betonen, daß ebenso auch solche Allerweltsdinge wie Humor, Sprache und Launen untersucht werden müssen, die gewöhnlich in allen kräftemäßig ungleichen Beziehungen gegen den Schwächeren benutzt werden - Unternehmer gegen Arbeiter, Mann gegen Frau, Erwachsene gegen Kinder. Unterdrückendes, d. h. auch patriarchalisches Verhalten muß überall beseitigt werden. "Sexistische Stereotypisierungen in der Erziehung, den Medien und am Arbeitsplatz" (A-Kurier 1994, S. 9) anzuprangern, ist eine notwendige Folge. Eine andere ist, die Institutionen, die diskriminierende Verhaltens- und Sichtweisen (immer wieder) hervorrufen, z. B. die Kleinfamilie, durch Alternativen zu ersetzen, die auf Freiwilligkeit und gegenseitige Anerkennung beruhen. Es ist wichtig, daß jede Form von (persönlicher) Beziehung kritisch untersucht wird, und daß dort, wo Änderungen nötig sind, diese auch radikal durchgeführt werden. Das auch bei Frauen vorhandene sexistische Verhalten darf dabei nicht übersehen werden. In der Definition von Anarcha-Feminismus liegt der Schwerpunkt auf dem Begriff 'Feminismus', theoretisch vorallem auf den radikalen Feminismus bezogen und dabei besonders auf die Analyse des Sexismus, als Gewaltverhältnis, das die patriarchalische Gesellschaft prägt. So stehen wir als Frauen im Patriarchat unter diesem Gewaltmonopol, das völlig anders geartet ist als der Zwang, dem sich Männer ausgesetzt sehen. Frauen können dieser Gewalt nicht ausweichen, sie durchzieht unseren Alltag. Männer dagegen können sich entscheiden, ob sie die Rolle des Herrschenden einnehmen wollen oder nicht. Ebenso ist die patriarchale Gewalt nicht allein eine Frage männlichen Willens. Sie setzt sich in Strukturen des Denkens, der Sprache, der Männerphantasien unterschwellig fort. Von dieser Gewalt können sich Frauen nur selbst befreien, in ihrem Alltag. Sexismus ist darüber hinaus der Inbegriff des männlichen Überlegenheitsdünkels und auf der Seite der Frauen die anerzogene Überzeugung von der eigenen Minderwertigkeit. Sexismus bedeutet das Festmachen gesellschaftlicher Hierarchien am Geschlecht und in der Konsequenz die Verstümmelung der Sexualität der Männer wie vor allem der Frauen. Das bedeutet für Frauen: - Enteignung ihrer Gebärfähigkeit (Verbot der Abtreibung, männliche Domäne in der Gynäkologie, Kommerzialisierung in der Gentechnologie) - Enteignung der sexuellen Lust (versinnbildlicht durch das patriarchalische Gegensatzpaar Mama oder Hure und letztlich die Androhung von Vergewaltigung).
Eine anarcha-feministische Analyse der Frauen in der Warenwirtschaft läßt erkennen, daß Frauen darin nicht nur als Konsumentinnen auftreten, sondern auch als Ware konsumiert werden (vgl. Ehrlich 1979, S. 105 - 109). Indem die Situation der Frau als ein organischer Teil der ganzen Gesellschaft aufgefaßt wird, wird deutlich, daß die Unterdrückung der Frau Teil der allumfassenden Unterdrückung des Menschen durch die kapitalistische Wirtschaft ist. Carol Ehrlich beschreibt, wie Frauen - als Hausfrau oder ledige heterosexuelle Frau - als 'weiblicher Konsument' in der Warenwirtschaft funktionieren und sie deckt auf, daß diese Konsumentinnen-Haltung den Frauen von frühester Kindheit an als der einzige Weg des Lebens anerzogen wird/werden soll.
Die Frau als 'Konsumierte' wird deutlich, "wenn Feministinnen beschreiben, wie die Frau zur Frau gemacht wird" oder "wenn sie die Verhaltensformen darstellen, die den Mädchen anerzogen werden, wie emotionale Abhängigkeit, Furchtsamkeit, Passivität usw.", denn "dann reden sie eigentlich von nichts anderem als von der sorgfältigen Herstellung einer Ware. Wenn sie die Frau als sexuelles Objekt beschreiben, das Leben in der Kleinfamilie, das Dasein als Supermutter und die Arbeit in schlechten unterbezahlten Jobs, dann beschreiben sie die Frau ebenfalls als Ware. Frauen werden von Männern konsumiert, die sie als sexuelle Objekte behandeln; als 'Supermutter' werden sie von ihren Kindern konsumiert; sie werden von ihren autoritären Ehemännern als unterwürfige Dienerinnen benutzt. Medizinische Forscher probieren an ihnen neue und unsichere Verhütungsmittel aus. Männer können ihren Körper auf der Straße kaufen. Staat und Kirche verlangen von ihnen, die nächste Generation zum Ruhme Gottes und des Staates zu erzeugen. Die Frauen besitzen kein Selbstwertgefühl mehr, da sie ihre Individualität an die Männer verkaufen mußten" (Ehrlich 1979, S. 108).
Der Anarcha-Feminismus sieht in der kulturellen Vielfalt und in der Freiheit der Auswahl wichtige Aspekte einer befreiten Gesellschaft. Im Hintergrund der autoritären Gesellschaft gibt es Erscheinungen kultureller Freiheit, die erfaßt und vorangetrieben werden müßten. Einer dieser Aspekte ist die Sexualität. Anarcha-Feministinnen sehen einen lebenswichtigen Aspekt einer befreiten Gesellschaft in der Freiheit sich von Schuld unbelastet sexuell und sinnlich zu entwickeln und in der Selbstbestimmung darüber zu wem, wann, wo und wie wir sexuelle Beziehungen eingehen. Als positive Selbstverwirklichungsmöglichkeit müssen sich Frauen ihre Sexualität zurückerobern, was dadurch erschwert wird, daß gerade an der Sexualität die gesellschaftliche Verachtung der Frau festgemacht ist. Als extremsten Ausdruck in der Pornographie, der Vergewaltigung und in abgeschwächter Form in der sexistischen Werbung. Damit tagtäglich konfrontiert, entwickeln Frauen vorallem Vermeidungsstrategien, was einen ganzheitlichen Lebensentwurf für Frauen verhindert. Was eine Frau vorfindet sind Rollenstereotype, mit denen sie sich identifizieren kann, aus denen sie sich aussuchen kann, auf was sie sich günstigen Falls reduzieren will. Demnach können sich Menschen nach Meinung der Anarcha-Feministinnen nicht als frei betrachten, nur weil ihre Existenz ökonomisch und sozial abgesichert ist, sondern erst dann, wenn sie Macht und die Kontrolle über ihr eigenes Leben haben. Diese Frage ist für Frauen von weit aus größerer Bedeutung als für Männer, da zum Großteil Frauen recht wenig Macht über ihr eigenes Leben haben. Diese Eroberung der Selbstständigkeit und der Kampf darum ist das Hauptziel der Anarcha-Feministinnen.
Die oben dargestellte thesenhafte Beschreibung des Sexismus ist auch meines Erachtens nach die wichtigste notwendige Erweiterung, die der Anarchismus von der feministischen Analyse aufnehmen muß. Denn der anarchistische Freiheitsbegriff, seine Analyse von Herrschaft umfaßt ja bereits ausdrücklich beide Geschlechter und bezieht in seine theoretischen Entwürfe auch eine Kritik am herrschenden Verhältnis zur Natur mit ein (vgl. Bookchin 1981). Die feministische Forderung nach der Befreiung der Frauen, der Beseitigung der patriarchalischen Herrschaft, ist also für den Anarchismus nichts Neues. Seine These ist allerdings auch, daß eine Situation immer nur konkret auch von den konkret Betroffenen verändert werden kann. Deshalb ist ihm der Feminismus nicht einfach einzuverleiben, sondern er muß eine autonome, kämpferische Bewegung von Frauen bleiben. Doch der Feminismus wie auch der Anarchismus bedarf der anarcha-feministischen Kritik.
Zwar wird der Kampf gegen Frauenfeindlichkeiten immer wieder hervorgerufen, doch darf dies nicht den falschen Eindruck erwecken, es ginge den Anarcha-Feministinnen nur um diese Form der Unterdrückung. Der"Kampf gegen alle Formen von Unterdrückung in unserer Gesellschaft" (A-Kurier 1994, S. 7) ist und bleibt das oberste Prinzip dieser Bewegung. Sie als Frauen reagieren natürlich besonders stark auf sexistische Unterdrückungsmechanismen und betonen diese deshalb auch immer wieder. Der Anspruch, in allen Lebensbereichen für die Abschaffung der Unterdrückung zu streiten, erfordert einen permanenten Kampf, eine "fortwährende Konfrontation mit der Macht" (A-Kurier 1994, S. 8). Anarcha-Feministinnen streben danach jedes Machtverhältnis und jede Situation zu beenden, in der Menschen andere unterdrücken. Ihr Ziel ist nicht die Eroberung der Macht, sondern die Abschaffung dieser. Wenn Anarcha-Feministinnen von der Abschaffung der Macht sprechen, dann meinen sie die Befreiung des Menschen von allen Institutionen und allen Formen der autoritären Sozialisation.
Die soziale Revolution kann nicht nur durch eine radikale Wandlung der äußeren Mechanismen (Abschaffung der staatlichen und ökonomischen Unterdrückung) erreicht werden. Die Bewußtseinsveränderung des Individuums ist dafür eine ebenso wichtige Voraussetzung. Dieser Aspekt hat in der anacha-feministischen Bewegung einen zentralen Stellenwert. Es gilt, "den Sozialisationsprozeß der Integration und Anerkennung" (Ehrlich 1979, S. 105) aufzudecken und zu zerstören, damit das Individuum selbstbestimmt und selbstbewußt leben kann. Nicht nur die von außen an das Individuum herangetragene Unterdrückung, sondern vor allem auch die verinnerlichte Form der Unterdrückung muß bekämpft werden. Eine ständige Überprüfung aller Handlungen und Beziehungen auf autoritäre, diskriminierende Elemente ist dafür notwendig. Bewußtseinsbildung wird also als lebenslanger Prozeß verstanden. Erst durch eine Änderung des Bewußtseins wird es, wie schon gesagt, möglich, daß die Menschen selbstbestimmt handeln. Frauen und Männer sollen ihre eigenen Angelegenheiten selbst entscheiden und auch die Verantwortung dafür übernehmen; individuell in persönlichen Angelegenheiten und kollektiv bei Angelegenheiten die mehrere betreffen. Individualität und Kollektivität werden nicht als sich jeweils ausschließende Gegensätze verstanden, sondern als sich ergänzend und bereichernd. Anzustreben ist die völlige Einheit der beiden.
Wie zu sehen ist, diskutieren Anarcha-Feministinnen nicht mehr nur die Herrschaft des Mannes über die Frau sondern auch das Prinzip der Hierarchie überhaupt, was ich kurz am Beispiel der gerade in Deutschland verdrängten Herrschaft der Erwachsenen über die Kinder verdeutlichen möchte. Das Schlagen, Verbrühen, Verstümmeln und zu Tode quälen von Säuglingen und Kleinkindern, der sexuelle Mißbrauch an Mädchen und Jungen, oft hinter der wohlanständigen Fassade eines 'gutbürgerlichen' Elternhauses, die geschlechtsspezifische Heranzüchtung von Gefühlskälte und brutalem Egoismus bei vielen kleinen Jungen, von gefühlsmäßiger Überforderung und ängstlicher Selbstbeschneidung bei vielen kleinen Mädchen, die ihre persönlichen Rechte nicht erkämpfen lernen, das Überbehütetsein oder Vernachlässigt werden, ist Herrschaft in ihrem umfassendsten Sinn. Dies alles findet mitten unter uns statt. Die Menschenrechte enden hinter verschlossenen Haustüren des Eigenheims oder der Mietwohnung. Dieser von der bürgerlichen Männergesellschaft als Familienidyll gepriesene Schonraum birgt noch immer genügend Möglichkeiten der totalen Verfügungsgewalt von Menschen über Menschen, ohne die Chance zur Flucht. Allgemein setzt sich die Verformung von Kindern und Jugendlichen im Dienste des Herrschaftssystems in den Schulen, Betrieben, Universitäten, Militärkasernen etc. fort. Die wachsende Zahl derjenigen, die es nicht 'geschafft' haben, landen in Erziehungsheimen, Psychiatrien, Suchtkliniken, Knästen - oder auf der Straße. Diese bekanntlich garnicht so demokratischen öffentlichen Institutionen wirken gemeinsam mit den allgegenwärtigen Medien auf das sogenannte 'Privatleben' zurück. Die radikal feministische Perspektive ist nahezu identisch mit dem Anarchismus. Die grundlegende Theorie setzt die einzelne Familie als Basis für alle autoritären Systeme voraus. Die Lektion, die das Kind lernt, vom Vater zum Lehrer, zum Boß, zu Gott ist: der großen anonymen Stimme der Autorität zu gehorchen. Von der Kindheit in das Erwachsenenalter zu kommen, bedeutet ein ausgewachsener Automat zu werden, unfähig zum Nachfragen, unfähig sogar zum klaren Denken. Wir glauben alles, was wir in den Medien hören oder lesen und akzeptieren betäubt die Zerstörung des Lebens um uns herum. Die traditionelle männliche Politik reduziert den Menschen auf den Status eines Objektes, beherrscht und manipuliert ihn dann für abstrakte 'Ziele'. Meine eigenen Erfahrungen zeigen mir, daß langsam an vielen Orten die Leute beginnen, die Art und Weise zu hinterfragen, durch die sie zu Gehorsam und Passivität gebracht wurden. So könnte die gleichberechtigte Verbindung anarchistischer und feministischer Herrschaftskritiken den Blick darauf lenken, wie als privat und öffentlich geltende Machtverhältnisse einander unentbehrlich sind und sich ergänzen, um das vorherrschende System am Laufen zu halten.
Somit beinhaltet der Anarcha-Feminismus keine neue akademische Theorie, kein politisches Programm und kein allgemeingültiges Rezept zur Lösung der Weltprobleme, sondern in ihm vereinigen sich eine gleichberechtigte Vielfalt von Lebensentwürfen und -philosophien, soziale Lernprozesse, die Freude am Ausbrechen der 'Normalität', an der Entdeckung der eigenen Kreativität und Kraft, an der Wiedererlangung von Alltagskompetenzen, am gemeinschaftlichen Miteinander ohne Zwang, am Üben von Leben ohne Herrschaft. Anarcha-Feminismus ist das, was die/der Einzelne aus ihm macht.
Die Anarcha-Feministinnen haben als Feministinnen vor allem Interesse daran: - die Kontrolle über den eigenen Körper zu erlangen; - Alternativen zur Kleinfamilie und zur Heterosexualität zu entwickeln; - nach neuen Methoden einer befreienden Kinderbetreuung zu suchen; - ökonomisch unabhängig zu sein; - die geschlechtsspezifischen Rollen in der Erziehung, den Medien und am Arbeitsplatz zu zerstören; - repressive Gesetze und die männliche Autorität und Besitzherrschaft über die Frau abzuschaffen; - Mittel zu beschaffen und bereitzustellen, die es den Frauen ermöglichen, ihre eigenen Fähigkeiten zu entwickeln; - Gefühlsbeziehungen mit Unterdrückungscharakter zu überwinden.
Hier geht es vorwiegend um die Zerstörung der offensichtlichen patriarchalischen Strukturen innerhalb der Gesellschaft.
Als Anarchistinnen streben die Anarcha-Feministinnen danach:
- jedes Machtverhältnis und jede Situation zu beenden, in der Menschen andere unterdrücken; Sie glauben nicht, - daß die Eroberung der Macht durch die Frauen zu einer Gesellschaft ohne Zwänge führen würde; - daß aus einer Massenbewegung unter der Führung einer Elite irgendetwas 'Gutes' entstehen würde. Nach Meinung der Anarcha-Feministinnen bereitet weder der Arbeiterstaat, noch das Matriarchat der allgemeinen Unterdrückung ein Ende. So liegt das Ziel dieser nicht in der Eroberung der Macht, sondern in der Abschaffung der Macht. Oder anders ausgedrückt: Keine Macht für niemand!
Damit ist der Anarcha-Feminismus ein Anarchismus, der die grundsätzlichen Erträge der feministischen Bewegung und ebenso die vom traditionellen Anarchismus erdachten und reflektierten nicht-hierarchischen Prinzipien integriert. Wozu die traditionelle anarchistische Utopie nicht in der Lage war, nämlich in den zwischenmenschlichen Beziehungen die theoretisch klar herausgearbeiteten nicht-hierarchischen Prinzipien anzuwenden, haben feministische Autorinnen in ihren utopischen Entwürfen umgesetzt.
In der Synthese einer klassischen politischen Theorie - der organisierten Dezentralisation und Anti-Staatlichkeit des Anarchismus - und eines aktuellen feministischen Diskussionsstandes - das anarcha-feministisch kritische, anti-dualistische und nicht-hierarchische Politik- und Weltverständnis - stellt sich mir die feministische Utopie dar. Besonders deutlich ist dies vor allem in den komplexen basisdemokratisch organisierten heterosozialen utopischen Gesellschaftsentwürfen zu erkennen, die beide Ansätze zu einer Vorstellung von zukünftiger gesellschaftspolitischer Organisierung literarisch verarbeitet haben.
Auf den Spuren einer Utopie[edit]
Anarchafeminismus - Auf den Spuren einer Utopie
Der Anarchismus umfaßt von seinem Anspruch her die Befreiung der Frau ebenso wie die des Mannes. Wie die Analyse klassischer anarchistischer Theorie gezeigt hat, bedeutet das jedoch nicht automatisch die Berücksichtigung eines frauenspezifischen Blickwinkels; im Gegenteil: die anarchistische Theorie des 19. Jahrhunderts geht davon aus, daß die Frauenbefreiung automatisch aus der Befreiung des Volkes folgen werde. Weder Bakunin noch Kropotkin ist es gelungen, den von ihnen formulierten Anspruch konsequent umzusetzen, obwohl die Ansatzpunkte dazu bei ihnen durchaus zu finden sind.
Mit ihrer Analyse, die autoritär-patriarchalen Kleinfamilienstrukturen bildeten den Kern der Frauenunterdrückung, befinden sie sich in Übereinstimmung mit der feministischen Theorie. Jedoch gelingt es ihnen nicht, aus ihrer Sozialisation so weit auszubrechen, daß sie sich eine Gleichberechtigung von Frauen auf allen Gebieten vorstellen können. Aus diesem Grund bleiben sie in ihren konkreten Entwürfen traditionellen Geschlechterbildern verhaftet. Besonders deutlich wird das bei Kropotkin: Die Ansätze seines Gesellschaftsentwurfs sind für seine Zeit sehr fortschrittlich - die Zuständigkeit der Frauen für den Reproduktionsbereich ist für ihn aber scheinbar ein Naturgesetz.
In Bakunins Theorie sind patriarchale Denkstrukturen in dieser Form nicht nachzuweisen - seine Utopie beruht auf einer faktischen Gleichstellung der Geschlechter. Dennoch: Die Notwendigkeit, Frauenrechte in seiner gesellschaftlichen Realität zu erkämpfen, sieht er nicht - er spricht sich sogar dagegen aus, die Frauenfrage in seine politische Praxis einzubeziehen und läßt damit seine revolutionäre Konsequenz auf diesem Gebiet vermissen. Insofern hat sich meine Eingangsthese, der Anarchismus blende die Formen sexistischer Herrschaft in seiner Analyse aus, bestätigt.
Es bedurfte erst des Kampfes anarchistischer Frauen, um den Anarchismus auf der theoretischen wie der praktischen Ebene um einen weiblichen Blickwinkel zu erweitern. Das ist das Verdienst von Frauen wie Louise Michel, Emma Goldman oder den Mujeres Libres. Obwohl sie innerhalb der libertären Bewegung ihrer Zeit mit ihren feministischen Positionen alleine standen, haben sie - durch ihre persönlichen Beispiele ebenso, wie durch ihre theoretischen Analysen - den Anarchismus mit seinen patriarchalen Strukturen konfrontiert und damit die Grundlage für seine feministische Weiterentwicklung geschaffen. Mit ihrer Weigerung, frauenspezifische Forderungen von einer umfassenden linken Theorie zu trennen, isolierten sie sich dabei auch von den politisch aktiven Frauen ihrer Zeit. Die dahinterstehende Überzeugung trifft sich jedoch mit Erkenntnissen, die Strömungen innerhalb der neuen Frauenbewegung formulieren: Die Konzentration auf reformistische Forderungen kann zwar eine Gleichstellung der Frauen innerhalb bestehender Strukturen erreichen, für deren Befreiung sind aber weiter reichende Konzepte erforderlich.
Solche Konzepte liefern die feministischen Beiträge zum Anarchismus. Sie gehen von zwei Prämissen aus: der konkreten Veränderung der Lebenssituation von Frauen durch ihre eigenen, direkten und selbstbestimmten Aktionsformen, und von der Vision einer Gesellschaft ohne Hierarchie und Herrschaft. Die Unterdrückung der Frau wird als Bestandteil der allgemeinen Unterdrückung gesehen und kann deshalb nicht isoliert angegangen werden. Damit beziehen sich die anarchafeministischen Ansätze direkt auf die Analysen der vorgestellten Anarchistinnen.
Anarchafeministinnen verbinden feministische Analysen mit einer linken Herrschaftsanalyse. Sie ergänzen den Anarchismus, indem sie ihm eine Komponente hinzufügen, die bisher in der Theorie und Praxis nur am Rande berücksichtigt wurde. Durch ihre Verwurzelung im Feminismus gehen sie auch über die Vorstellungen Goldmans und der Mujeres Libres hinaus.
Der ökologische Aspekt, den der soziale Ökofeminismus betont, fügt der Analyse des Beziehungsgeflechts aller Herrschaftsstrukturen einen weiteren Baustein hinzu. Er ist zudem unerläßlich für die konkretere Ausgestaltung einer gesellschaftlichen Utopie, weil ein verantwortungsvoller Umgang mit den natürlichen Lebensgrundlagen erst die Basis für ein Fortbestehen der Menschheit auf der Erde schafft.
Meiner Überzeugung nach ist der Anarchismus Bakunins und Kropotkins geeignet, das Gerüst für eine feministische Utopie zu bilden. Eine Einordnung feministischer Theorie in einen weiter gefaßten politischen Zusammenhang ist sogar notwendig. Feministische Forderungen, die sich nicht in einer gleichberechtigten Teilhabe von Frauen an kapitalistischen Unterdrückungsstrukturen erschöpfen, müssen das Ziel einer Abschaffung jeglicher Herrschaft umfassen, wie es der Anarchismus beschreibt. Die dargestellten anarchafeministischen Ansätze bieten eine Grundlage dafür. Ihre Zielrichtung muß aber ebenso eine Orientierung auf die feministische wie die anarchistische Bewegung beinhalten.
So, wie Feministinnen überprüfen müssen, inwieweit ihre Forderungen tatsächlich die Lebensrealitäten und Bedürfnisse aller Frauen repräsentieren, muß die anarchistische Bewegung permanent damit konfrontiert werden, daß ein Anspruch der Frauenbefreiung einer ständigen Reflexion verinnerlichter patriarchaler Strukturen und Unterdrückungsmechanismen bedarf, also auch eine Veränderung der Männer zur Voraussetzung hat. In diesem Sinne halte ich eine Erweiterung anarchistischer Theorie in Bezug auf eine fundierte Analyse sexistischer Herrschaft für unverzichtbar.
Die Voraussetzung ist jedoch, daß Feminismus und Anarchismus als gleichwertige Theorien betrachtet werden, die sich gegenseitig ergänzen können, und der Feminismus nicht als natürlicher Bestandteil des Anarchismus gesehen wird. Diese Sichtweise entläßt Anarchisten aus der beschriebenen Verantwortung und birgt die Gefahr in sich, Sexismus doch wieder als Nebenwiderspruch abzutun, der mit der sozialen Revolution automatisch verschwunden sein werde.
Die feministische Erweiterung des Anarchismus darf sich aber nicht in der Theorie erschöpfen. Eine anarchafeministische Praxis (vergleichbar der, wie sie Michel, Goldman und die Mujeres Libres in ihren Zusammenhängen vorgelebt haben), setzt sich notwendigerweise von der anarchistischen Revolutionstheorie ab. Denn obwohl die Befreiung der Frauen einer grundlegenden Neustrukturierung gesellschaftlicher Zusammenhänge bedarf, darf patriarchale Herrschaft nicht solange hingenommen werden, bis sich die strukturellen Ursachen dafür durch eine Revolution verändert haben. Ein konsequent verstandener Anarchismus muß diese Analyse in seine Praxis integrieren.
Ein linker feministischer Kampf muß sich aus den hier ausgeführten Gründen immer auf mehreren Ebenen abspielen: Er muß die Orientierung auf Männer als Teil der Gesellschaft genauso einschließen wie autonome Frauenzusammenhänge. Gleichzeitig muß er an gesellschaftlichen Realitäten ebenso ansetzen w ie an der Umsetzung von Utopien. Das beinhaltet nicht zuletzt ein Angreifen geschlechtsspezifisch sozialisierter, psychischer Strukturen, die in der Gegenwart bestehen und relevant sind. In diesem Sinn sehe ich den Anarchafeminismus als eine guten Ansatzpunkt, um einen linken, emanzipatorischen Feminismus im Zusammenspiel theoretischer und praktischer Arbeit ständig weiter zu entwickeln.
eine darstellung[edit]
anarchafeminismus - eine darstellung
was bringt der anarchismus dem feminismus? ziele und wege individualitãt und kollektivitãt das persønliche und das politische kultur organisation
anarchafeminismus eine darstellung
wir fûhlen ein großes bedûrfnis, eine anarchafeministische ideologie zu entwickeln, weil die verbindung des anarchismus mit dem feminismus eine vollkommene vereinigung von prinzipien und idealen wãre. keine der beiden lehren wûrde sich verãndern oder gegen die andere verwehren mûssen, denn sie entsprechen einander. beide wûrden sich durch ihre integration gegenseitig bereichern.
da gibt es viel zu lernen, neue konzepte mûssen entwickelt werden, nach denen wir auch handeln. viele feministinnen suchen nach einem gerûst, um in diesem die revolution zu aktualisieren. der feminismus alleine beinhaltet fûr viele frauen viele dinge. allerorts suchen frauen nach besonderen politischen ideologien, mit deren hilfe sie die verhãltnisse angreifen kønnen, die alle menschen unterdrûcken. aufgrund ihrer zuneigung zu nichthierarchischen beziehungen, ihrer vorliebe fûr arbeit in kleinen gruppen und ihrer fãhigkeit, aus der kraft der massen einen nutzen zu ziehen, werden die feministinnen natûrliche anarchistinnen genannt. obwohl dies alles stimmt, ist es an der zeit, diese verbindung genauer zu untersuchen. der anarchismus kommt ihr am nãchsten, da er eine eindeutige analyse der politischen, økonomischen und staatlichen unterdrûckung liefert, und er sollte eigentlich aufgrund seines inhalts den feminismus miteinschließen, doch das war bisher nicht der fall.
die meisten anarchisten und feministinnen sprechen die gleiche sprache; eine der aufgaben, die den anarchafeministinnen zukommt, ist, das zu ãndern, was im traditionellen anarchistischen gedankengut dem feminismus entgegengesetzt ist. einer der hauptgrûnde, warum anarchismus und feminismus sich so gut entsprechen, ist, daß beide gesellschaftliche grundkonzepte sind, die menschlich genug bewegung und verãnderung førdern, indem sie in ihrer lehre an die notwendigkeit der permanenten revolution erinnern. die idee der freien verbindung, die in beiden lehren enthalten ist, bietet frauen und mãnnern ein gerûst zur totalen persønlichen, politischen und sozialen revolution.
anarchafeminismus was bringt der anarchismus dem feminismus
der anarchismus basiert auf dem freien zusammenschluß. dies bedeutet ein klares verstãndnis von hierarchie und autoritãt und deren funktion zur politischen und økonomischen unterdrûckung. der anarchismus gibt uns eine økonomische analyse, er schlãgt uns ein organisationssystem vor und einen møglichen plan fûr die revolutionãre aktion.
an dieser stelle mûssen wir darauf hinweisen, das der anarchismus ûber den wir sprechen, der kommunistische anarchismus ist, der einzige anarchismus, der mit unseren feministischen prinzipien und unserer geschichte der zusammenarbeit und der teilnahme vereinbar ist.
revolution ist ein andauernder prozess im anarchistischen gedankengut. er nimmt die geistigen, emotionalen und individuellen aspekte der menschlichen natur ernst, die auch fûr den feminismus grundlegend sind.
der anarchismus beruht auf der ûberzeugung, daß menschen ungeachtet ihrer geistigen und kørperlichen fãhigkeiten im grunde konstruktiv sind, wenn man ihnen nur eine chance dazu gibt.
der anarchismus bestãrkt das gefûhlsmãßige verstãndnis des feminismus nach der notwendigkeit einer massenbewegung und der notwendigkeit einer revolution, die von den massenbewegung und der notwendigkeit einer revolution, die von den massen getragen wird, anstelle einer elitãren gruppe von berufsrevolutionãren.
anarchafeminismus was bringt der feminismus dem anarchismus
der revolutionãre feminismus ist die erste politische ideologie, die alle arten der unterdrûckung ablehnt, egal ob sie sich auf geschlecht, klasse, alter, hautfarbe oder geistige und kørperliche eigenschaften begrûndet. da viele frauen unterdrûckung nicht nur auf sexuellen gebieten erleiden, sondern auch aufgrund ihrer klasse und hautfarbe, haben wir ein interesse und eine handfeste basis, um alle unterdrûckten menschen miteinander zu vereinigen.
der feminismus sieht im patriarchat, im kapitalismus und in der staatlichkeit die wurzeln aller unterdrûckung. der feminismus erkennt, daß alle arten der unterdrûckung miteinander in beziehung stehen, daß sich die persønliche, økonomische und politische unterdrûckung in dem leben von uns allen manifestiert. der feminismus bietet den anarchistischen mãnnern aufschluß ûber ihr maskulines erbe, welches ihre emotionen und ausdrucksfãhigkeiten verkrûppelt. der feminismus gibt dem anarchismus den sinn fûr das kreisførmige, fûr verbindungen, die das existierende anarchistische bewußtsein abrunden und vervollkommnen und fûr die menschlichen bedûrfnisse nach schønheit, freude und ausdruck.
anarchafeminismus ziele und wege
was meinen wir nun, wenn wir von kommunistischem anarchafeminismus reden? es sollte betont werden, daß hierbei viele aspekte wichtig sind. wir wollen damit beginnen, daß wir ûber die einheit von zielen und mitteln sprechen. unter revolution verstehen wir einen andauernden prozeß. die werte, die wir uns fûr die zukunft ersehnen, mûssen wir schon heute anwenden. was wir machen und wie wir es machen, legt fest, was wir einmal erreichen werden. wir glauben nicht, daß die menschen zwangslãufig durch eine magische revolution eine befreite gesellschaft erlangen werden, sondern wir sind der meinung, daß diese nur durch die direkte und allgemeine teilnahme, also bewußt und revolutionãr erreicht werden kann.
anarchafeminismus individualitãt und kollektivitãt
als einen teil unseres fortschritts verstehen wir die einheit von individualitãt und kollektivitãt. wenn wir von individualitãt reden, reden wir nicht ûber den individualistischen wettkampf, den die hierarchische gesellschaft heranzûchtet. wir reden von der freiheit der individuen, sich in alle richtungen zu entwickeln, auf die ihre wahl gefallen ist. diese freiheit kann durch kollektive oder gemeinsame arbeit beim zusammentreffen der individuellen und allgemeinen bedûrfnisse erreicht werden. durch kollektive analysen und rúckkoppelungen werden individuen ein besseres verstãndnis fûr die krãfte erlangen, die ihre persønlichkeit und ihr leben geformt haben und sie weiterhin beeinflussen. unsere vorstellung vom leben fûhrt direkt zu der erkenntnis, daß das persønliche das politische ist, eine basis, auf der sich menschen tãglich ihr vertrauen und ihre bedûrfnisse bestãtigen.
anarchafeminismus das persønliche und das politische
der anarchafeminismus erkennt die einheit zwischen dem persønlichen und dem politischen. unsere analyse muß auf das tãgliche leben angewandt werden - wir mûssen unser leben auf revolutionãre weise fûhren. unsere art zu denken, zu handeln und die wirklichkeit wahrzunehmen, muß sich gemeinsam mit der sozialen und økonomischen grundlage der gesellschaft verãndern. mit hilfe anderer mûssen wir uns zu selbstbewußten individuen entwickeln, wir mûssen die kontrolle ûber unser leben und unsere schwierigkeiten ûbernehmen und uns selbst von unseren verinnerlichten hindernissen befreien, die zwischen uns und der freiheit stehen. dies setzt eine haltung gegenûber der revolution voraus, die ein verstãndnis fûr das bedûrfnis nach freude und festivitãt beinhaltet. die erneuerung unserer energien durch das spiel und die feier ist unbedingt notwendig fûr die revolution. unser persønliches leben ist die bûhne der revolution. wir mûssen uns immer bewußt sein, daß die revolution eine soziale ist, und wir mûssen uns bemûhen, das freiheitliche ideal zu einem ideal zu machen.
anarchafeminismus kultur
die kunst ist vielleicht eines der deutlichsten beispiele fûr die veschmelzung des persønlichen mit dem politischen, obwohl diese verbindung oft mißbraucht oder verschleiert wurde. kunst ist mehr als nur eine art genuß fûr diejenigen, welche sich daran erfreuen. fûr viele revolutionãre frauen ist die kunst eine art, zu leben und zu arbeiten. der anarchafeminismus sieht in der kulturellen vielfalt und in der freiheit der auswahl wichtige aspekte einer befreiten gesellschaft, zu denen wir schon jetzt ermutigen sollten. (...)
anarchafeminismus organisation
der anarchafeminismus ist sich der notwendigkeit von organisation bewußt. es ist wichtig, daß die organisation freiwillig ist. mit anderen worten, die organisation sollte selbst geschaffen und zweckorientiert sein. die organisation darf nicht hierarchisch sein. keine person oder gruppe darf die kontrolle ûber andere haben. (...)
Unterdrückung der Frauen[edit]
Überall auf der Welt haben Frauen keine Rechte, wichtige Entscheidungen, die ihr Leben betreffen, selbst zu fällen.
Frauen erleiden eine zweifache Unterdrückung: 1. Die generelle soziale Unterdrückung der Menschen von oben 2. zweitens Sexismus ~ Unterdrückung und Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts.
die fünf zentralen Arten von Unterdrückung sind:
~ideologische Unterdrückung, Gehirnwäsche durch bestimmte kulturelle Traditionen, Religion, Werbung und Propaganda. Manipulation von Konzepten und das Spielen mit den Gefühlen von Frauen, da wo sie am leichtesten getroffen werden können. Verbreitete patriarchale und autoritäre Sichtweisen und kapitalistische Mentalität auf allen Ebenen.
~Unterdrückung durch den Staat durch Befehlsketten von oben nach unten in den meisten Beziehungen zwischen Menschen, auch im sogenannten Privatleben.
~wirtschaftliche Ausbeutung und Repression als Konsumentin und Arbeiterin im Haushalt und in schlecht bezahlten "Frauenjobs".
~sowohl indirekte Gewalt durch das "keine andere Wahl lassen" als mitzumachen als auch körperliche Gewalt. Gewalt - geduldet und unterstützt von der Gesellschaft und Gewalt in der Privatsphäre.
~Fehlen von Organisationsformen, Tyrannei der Strukturlosigkeit, was die eigene Verantwortung ausblendet und Schwäche und Starrheit mit sich bringt.
Diese Faktoren wirken zusammen und stützen sich gegenseitig, aus ihnen entsteht ein Teufelskreis. Es gibt keine Patentlösung, wie der Kreis zu durchbrechen ist, aber es ist nicht unmöglich.
Anarcha-feminismus ist eine Sache des Bewußtseins. Ein Bewußtsein, welches Wächter arbeitslos macht. Die Prinzipien einer libertären Gesellschaft sind für uns so geklärt:
Anarcha - feminismus bedeutet Unabhängigkeit und Freiheit für Frauen, in einer mit den Männern gleichberechtigten Art. Eine soziale Organisation und ein gesellschaftliches Leben wo niemand höher steht als eine andere Person, wo alle Leute zusammenarbeiten, Frauen wie Männer. Dies betrifft alle Ebenen des Zusammenlebens, auch die Privatsphäre.
Anarchafeminismus heißt, daß Frauen sich um Frauenangelegenheiten selbst kümmern und darüber entscheiden, alleine in persönlichen Angelegenheiten, mit anderen Frauen wo es mehrere Frauen betrifft. In Angelegenheiten, die Frauen und Männer konkret betreffen und angehen, entscheiden Männer und Frauen gleichberechtigt.
Frauen müssen über ihre Körper selbst entscheiden, alle Enscheidungen über Verhütung und Kinder gebären treffen Frauen selbst.
Gegen männliche Dominanz, Besitzansprüche und Kontrolle über Frauen muß kollektiv vorgegangen werden, gegen repressive Gesetze und für die soziale und wirtschaftliche Eigenständigkeit und Unabhängigkeit von Frauen.
Krisenzentren, Tagesstätten, Studien- und Diskussionskreise, kulturelle Frauenprojekte usw. müssen eingerichtet und von den Frauen selbstbestimmt geführt werden.
Die traditionelle patriarchale Kleinfamilie soll abgeschafft und durch freie Zusammenschlüsse von Frauen und Männern ersetzt werden, auf der Basis gleicher Entscheidungsrechte für Frauen und Männer und mit Rücksicht auf die Eigenständigkeit und Integrität der einzelnen Person.
Geschlechter - Klischees in der Bildung, den Medien udn den Arbeitsplätzen müssen abgeschafft werden. Radikales Teilen (nicht AUFTEILEN) der Aufgaben in Jobs, zuhause und in der Erziehung ist ein geeignetes Mittel.
Die Organisation der Arbeitslebens muß radikal verändert werden, mit mehr Teilzeit - Jobs und (flat cooperation?) gleichmäßig organisierter Zusammenarbeit zuhause wie auch in der Gesellschaft. Der Unterschied zwischen Frauen - und Männerarbeit muß abgeschafft werden.
Pflegen und Betreuen von Kindern muß Männer im gleichen Maße wie Frauen betreffen.
Macht in Frauenhänden oder weibliche Premierminister werden weder die Frauen irgendwohin bringen noch werden sie Unterdrückung abschaffen. Marxistische und bürgerliche Feministinnen führen den Kampf um Frauenbefreiung in eine falsche Richtung. Für die meisten Frauen ist der Feminismus ohne Anarchismus nichts wert. In anderen Worten, Anarcha-feminismus steht nicht für weibliche Macht oder weibliche Staatschefs, Es steht für Organisation ohne Herrschaft und ohne Staatschefs. Die doppelte Unterdrückung von Frauen verlangt einen doppelten Kampf und eine Organisation in zwei Richtungen: Zum einen in feministischen Zusammenschlüssen, zum anderen in anarchistischen Organisationen. Diese doppelte Organisation von Anarchafeministinnen fördert eine Verbindung: Ein richtiger Anarchismus muß auch feministisch sein, sonst ist er ein patriarchaler Halb-Anarchismus, kein echter Anarchismus.
Es gibt keinen Anarchismus ohne Feminismus.
Ein unverzichtbarer Punkt im Anarchafeminismus ist es, daß die Veränderungen heute beginnen müssen, nicht morgen oder nach der Revolution.
Eine Revolution soll permanent sein. Wir müssen heute anfangen indem wir die Unterdrückung im täglichen Leben bemerken und hier und jetzt aktiv werden.
Wir müssen autonom handeln, ohne unser Recht, über unsere Handlungen und Wünsche zu entscheiden an irgendwelche Führer zu delegieren.
Wir müssen ganz alleine über unsere persönlichen Angelegenheiten entscheiden, zusammen mit anderen Frauen über Dinge, die uns betreffen und über alles andere zusammen mit männlichen Mitmenschen. *g*
Literatur[edit]
Schwarzer Faden, Sondernummer Feminismus - Anarchismus: Ron Hayley "Eine Geschichte des Anarchafeminismus", S. 51 ff
Schwarzer Faden, Sondernummer Feminismus - Anarchismus: Friederike Kamann "Macht 'Macht' Frauen mächtig?", S. 15ff
Peggy Kornegger "Der Anarchismus und seine Verbindung zum Feminismus", Libertad Verlag, Berlin, 1979
Schwarzer Faden, Sondernummer Feminismus - Anarchismus: L. Susan Brown "Warum Anarcha-Feminismus?", S. 20ff
Aktuelle Buchempfehlung:
Silke Lohschelder u. a.
AnarchaFeminismus: Auf den Spuren einer Utopie
Unrast Verlag Münster 2000
Dieses Buch gibt im ersten Teil eine gute Einführung in die anarchistischen Theorien, das Geschlechterverhältnis und Frauenrollen in diesen Theorien. Im zweiten. Teil werden verschieden Anarchistinnen und deren Bewegungen dargestellt. Der dritte Teil beschreibt den Anarchafeminismus auch im Zusammenhang mit der feministischen Bewegung.
Überall auf der Welt haben Frauen keine Rechte, wichtige Entscheidungen, die ihr Leben betreffen, selbst zu fällen. Frauen erleiden eine zweifache Unterdrückung: 1. Die generelle soziale Unterdrückung der Menschen von oben 2. zweitens Sexismus ~ Unterdrückung und Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts.
Dieser Text stammt ursprünglich von der Site des Düsseldorfer >Eine Welt und libertären Infolades ZAPATA<