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Ein entscheidendes Kriterium für Gewalt ist die Illegitimität des Zwangseinsatzes: Repressive Gewalt, zwangsweise ohne oder gegen den Willen der "Unterworfenen" ausgeübt, gilt als nichtlegitim (violence); begegnet Macht der freiwilligen Zustimmung, so hat sie die Gestalt der Autorität bzw. von Herrschaft. Legt die Autorität ihren Willen von außen zwingend fest, hat sie die Form der Gewalt. Wird Macht ohne Rücksicht auf den Konsens der Beherrschten ausgeübt, gewinnt sie den Charakter des Zwangs. In der öffentlich-politischen Diskussion gilt als Gewalt gerade der Einsatz von Zwang durch den dazu nicht legitimierten Bürger. Dahinter steht, dass in modernen Gesellschaften der Staat das Monopol zur legitimen Ausübung von körperlichem Zwang beansprucht (Machtstaat). | Ein entscheidendes Kriterium für Gewalt ist die Illegitimität des Zwangseinsatzes: Repressive Gewalt, zwangsweise ohne oder gegen den Willen der "Unterworfenen" ausgeübt, gilt als nichtlegitim (violence); begegnet Macht der freiwilligen Zustimmung, so hat sie die Gestalt der Autorität bzw. von Herrschaft. Legt die Autorität ihren Willen von außen zwingend fest, hat sie die Form der Gewalt. Wird Macht ohne Rücksicht auf den Konsens der Beherrschten ausgeübt, gewinnt sie den Charakter des Zwangs. In der öffentlich-politischen Diskussion gilt als Gewalt gerade der Einsatz von Zwang durch den dazu nicht legitimierten Bürger. Dahinter steht, dass in modernen Gesellschaften der Staat das Monopol zur legitimen Ausübung von körperlichem Zwang beansprucht (Machtstaat). | ||
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(Johan Galtung, Kulturelle Gewalt; in: Der Bürger im Staat 43, 2/1993, S. 106) | (Johan Galtung, Kulturelle Gewalt; in: Der Bürger im Staat 43, 2/1993, S. 106) | ||
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Die Gewalt ohne einen Akteur wird als strukturelle oder indirekte Gewalt bezeichnet. Sie ist in das System eingebaut und äußert sich in ungleichen Machtverhältnissen und folglich in ungleichen Lebenschancen. | Die Gewalt ohne einen Akteur wird als strukturelle oder indirekte Gewalt bezeichnet. Sie ist in das System eingebaut und äußert sich in ungleichen Machtverhältnissen und folglich in ungleichen Lebenschancen. |
Revision as of 11:35, 6 May 2005
Gewalt allgemein
Gewalt bedeutet von der sprachlichen Wurzel her das Verfügenkönnen über innerweltliches Sein, ohne dass damit schon ein Urteil über dessen Rechtmäßigkeit gefällt ist. Es kann in sehr vielen Weisen genutzt werden: Zum einen die geistige Gewalt, die den Geist durch psychische Angriffe schädigt und zum anderen die körperliche Gewalt, die die Physis eines Menschen schädigt, sowie drittens deren Androhung, die ebenfalls eine Form der Gewalt darstellt. Im Sprachgebrauch ist der Begriff sehr ambivalent. Gleichbedeutend können Macht (englisch power, lateinisch potentia) oder Herrschaft im legitimen Sinne verwendet werden. Die Vielfältigkeit von Gewalt kann am deutlichsten im Rahmen seiner möglichen Konnotationen Macht, Autorität und Zwang bestimmt werden.
Ganz allgemein ist Gewalt Handeln, oft auch soziales Handeln. Daher ist es für den Akteur, also den Täter, subjektiv mit Sinn verbunden. Dieser Sinn kann einmal instrumentell sein – der Akteur versucht, z. T. auch mangels anderer Mittel durch den Gewalteinsatz ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Ein Beispiel ist die Gewalt in der Erziehung. Zum anderen kann der Sinn expressiv bedingt sein, wenn der Gewalteinsatz der Selbstdarstellung und Selbstvergewisserung dient wie beispielsweise bei der Hooligan-Gewalt.
Gewalt ist ein Moment von Macht: es wird Zwang eingesetzt, um den eigenen Willen gegen den Willen eines anderen durchzusetzen. Dies kann sowohl ein Einzel- als auch ein Gruppenwillen sein, der versucht, in einem gemeinsamen Lebensraum bestimmte Ziele zu verwirklichen. Auf jeden Fall entsteht dabei eine Asymmetrie in der Beziehung: Eine Seite (Einzelperson oder Gruppe) hat keine Möglichkeit, die Zwangsanwendung zu verhindern. Damit ein Handeln als Gewalt bezeichnet werden kann, muss sich der Zwang gegen ein Bewusstsein oder gegen ein zu Bewusstsein fähiges Wesen richten: Nur ein Bewusstsein kann sich willentlich gegen die Zumutung von Zwang wehren. Durch den Zwang erfolgt die (absichtliche) Schädigung anderer Menschen. Zur Gewalt gehört also ein Opfer: eine Person, der objektiv ein Schaden entsteht und die sich subjektiv geschädigt fühlt.
Ein entscheidendes Kriterium für Gewalt ist die Illegitimität des Zwangseinsatzes: Repressive Gewalt, zwangsweise ohne oder gegen den Willen der "Unterworfenen" ausgeübt, gilt als nichtlegitim (violence); begegnet Macht der freiwilligen Zustimmung, so hat sie die Gestalt der Autorität bzw. von Herrschaft. Legt die Autorität ihren Willen von außen zwingend fest, hat sie die Form der Gewalt. Wird Macht ohne Rücksicht auf den Konsens der Beherrschten ausgeübt, gewinnt sie den Charakter des Zwangs. In der öffentlich-politischen Diskussion gilt als Gewalt gerade der Einsatz von Zwang durch den dazu nicht legitimierten Bürger. Dahinter steht, dass in modernen Gesellschaften der Staat das Monopol zur legitimen Ausübung von körperlichem Zwang beansprucht (Machtstaat).
"Ich begreife Gewalt als vermeidbare Beeinträchtigung grundlegender menschlicher Bedürfnisse oder, allgemeiner ausgedrückt, des Lebens, die den realen Grad der Bedürfnisbefriedigung unter das herabsetzt, was potentiell möglich ist. Die Androhung von Gewalt ist ebenfalls Gewalt."
(Johan Galtung, Kulturelle Gewalt; in: Der Bürger im Staat 43, 2/1993, S. 106)
Strukturelle Gewalt
Der Begriff wurde von Johan Galtung geprägt. Nach seinen Darlegungen gäbe es drei unterschiedliche Formen von Gewalt (direkte oder persönliche Gewalt, kulturelle und strukturelle Gewalt), die von einander abhängig sind und gemeinsam auftreten. In diesem »Dreieck der Gewalt« kann in jeder »Ecke« Gewalt ausbrechen und wird dann leicht auf die anderen Formen übertragen.
Die Gewalt ohne einen Akteur wird als strukturelle oder indirekte Gewalt bezeichnet. Sie ist in das System eingebaut und äußert sich in ungleichen Machtverhältnissen und folglich in ungleichen Lebenschancen.
"Um die Kategorien struktureller Gewalt diskutieren zu können, benötigen wir eine Vorstellung von einer Gewaltstruktur und ein Vokabular, um ihre einzelnen Aspekte identifizieren und feststellen zu können, wie sie zu den Bedürfniskategorien in Beziehung stehen. Meines Erachtens ist die Ausbeutung das Kernstück einer archetypischen Gewaltstruktur. Dies bedeutet nichts anderes, als dass manche, nämlich die sogenannten topdogs, aus der innerhalb dieser Struktur stattfindenden Interaktion einen wesentlich höheren Gewinn ziehen (...) als andere, die sogenannten underdogs (...).
Es besteht ein 'ungleicher Austausch', was allerdings einen Euphemismus darstellt. Die underdogs mögen in der Tat derart benachteiligt sein, dass sie davon sterben (verhungern oder aufgrund von Krankheiten und Seuchen dahinsiechen): Dies wird hier als Ausbeutung A bezeichnet. Die zweite Art der Ausbeutung (B) bedeutet, die underdogs einem permanenten ungewollten Elendszustands zu überlassen, der normalerweise Unterernährung und Krankheit mit einschließt. All dies geschieht innerhalb komplexer Strukturen und am Ende von langen, verzweigten Kausalketten und Zyklen.
Eine Gewaltstruktur hinterlässt ihre Spuren nicht nur auf dem menschlichen Körper, sondern auch in seinem Gedächtnis und in seinem Geist. Die nächsten vier Begriffe können als Bestandteile der Ausbeutung oder als in der Struktur enthaltene verstärkende Komponenten verstanden werden. Ihre Funktion ist es, die Bewusstseinsbildung und die Bewusstseinsmobilisierung, zwei Bedingungen für einen erfolgreichen Kampf gegen die Ausbeutung, zu verhindern.
Erstes wird erreicht mit Hilfe der Penetration des Bewusstseins des underdogs mit Elementen der topdog-Ideologie und der Verbindung dieser Penetration mit der Segmentierung, die dem underdog nur einen beschränkten Blick auf die Wirklichkeit erlaubt. Letztes ist das Ergebnis zweier Prozesse, der Marginalisierung und der Fragmentierung. Dabei werden die underdogs zum einen immer mehr an den Rand gedrängt und zur Bedeutungslosigkeit verurteilt sowie zum anderen gespalten und voneinander ferngehalten.
Diese vier Begriffe beschreiben an sich bereits Formen struktureller Gewalt. Sie alle kommen auch im Zusammenhang mit der Geschlechterfrage zur Anwendung - auch dann, wenn Frauen nicht immer höhere Sterbe- und Krankheitsraten aufweisen, sondern in der Tat höhere Lebenserwartungen haben mögen als Männer. Kurz gesagt, als Formen von Gewalt gehen Ausbeutung und Unterdrückung Hand in Hand: Sie sind jedoch nicht identisch."
(Johan Galtung, Kulturelle Gewalt; in: Der Bürger im Staat 43, 2/1993, S. 107)
Beispiele
- ungerechte Verteilung des global erwirtschafteten Einkommens
- unterschiedliche Lebenserwartungen
- ungleiche Arbeitsverteilung
- digitale Spaltung der Weltbevölkerung
Sein Ansatz unterscheidet unter anderem zwischen (direkter) interpersonaler und (indirekter) struktureller Gewalt. Unter interpersoneller Gewalt wird die von einem einzelnen Menschen einem anderen einzelnen Menschen unmittelbar zugefügte Gewalt verstanden.
Gewalt wird hier auf Gewaltverhältnisse und systembedingte Gewaltphänomene hin befragt. Eingeschränkte Lebenschancen, wie sie durch Armut oder Hunger hervorgerufen werden, sind in diesem Sinne Ausdruck einer strukturellen Gewalt. Diese muss von den Opfern nicht einmal direkt so empfunden werden, weil die eingeschränkten Lebensnormen bereits internalisiert sein können.