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Wie kann eine anarchistische Wirtschaft aussehen?
AnarchistInnen lehnen sowohl den gegenwärtigen marktwirtschaftlichen Privat-Kapitalismus, als auch den planwirtschaftlichen Staatskommunismus ab, da in diesen Systemen stets Menschen unterdrückt werden. Zu allen Zeiten wurden deshalb Alternativen entwickelt. Grundsatz aller anarchistischen Wirtschaftsformen sind: Selbstbestimmung und Herrschaftsfreiheit.
Freie Selbstverwaltung in großem Stil.
Was gibt es also konkret für Alternativen?
Anarchisten wollen das Geld bekanntlich abschaffen,
Der freiheitliche Sozialismus strebt eine Wirtschaft an, in der Waren ohne Geld produziert und verteilt werden. Kollektive sollen die Verteilung der Arbeit gemeinschaftlich regeln. „Alle nach ihren Fähigkeiten - alle nach ihren Bedürfnissen.“ ist einer seiner Grundsätze.
Eine ganz praktische Umsetzung ist der Anarchosyndikalismus. ArbeiterInnen organisieren sich dabei in „Syndikaten“ (Basisgewerkschaften), die die Betriebe übernehmen sollen, um Arbeit gemeinschaftlich und selbstorganisiert zu verrichten.
Verschiedenste Richtungen des libertären Sozialismus gab und gibt es, die auf verschiedene Weise die Ideale praktisch umsetzen: Kommunebewegung, Einkaufsgemeinschaften u. a.
Daneben gab und gibt es verschiedene kleinere Bewegungen, wie den sogenannten Primitivismus. Er strebt eine ‚Rückkehr zur Natur’ in eine bäuerliche Selbstversorgung an.
Contents
Horst Stowasser über anarchistische Ökonomie[edit]
(frei verfügbar, kein Urheberrecht in guter anarchistischer Tradition), public domain, nun frei downloadbar unter mama-anarchija.net und frei verfügbar zum lesen für jedermann/frau unter [[1]]
Anarchistische Wirtschaft beruht auf einer dezentralen Bedürfnisproduktion. Was heißt das? Zunächst mal, dass Produzenten und Konsumenten selbst bestimmen, was sie produzieren, wie sie produzieren und wie sie die Produkte verteilen. In staatlich-kapitalistischen Strukturen wäre das kaum durchführbar – in dezentral-anarchischen Strukturen hingegen bietet es sich geradezu an. Dort wäre ja die Gesellschaft ohnehin dezentral und selbst verwaltet organisiert, dort wären Produzenten und Konsumenten größtenteils identisch und dort bestünden günstige Voraussetzungen für einen verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen, Arbeitsprozessen und der Auswahl dessen, was wirklich gebraucht wird. Da in einer an-archischen Gesellschaft die Arbeiter gleichzeitig auch Besitzer ihrer Produktionsmittel wären, könnte zum Beispiel die Belegschaft eines Konzerns wie Daimler-Benz darangehen, die Produktionskraft dieses Giganten ›umzubauen‹. Etwa für ökologisch verträgliche Verkehrssysteme, alternative Energien, sanfte Technologie. Dort, wo benzinfressende Nobelkarossen, Panzermotoren, Raumfahrttechnik oder Kampfflugzeuge gebaut werden, kann man ja auch andere Dinge herstellen. Es war niemals die Belegschaft, die entschieden hat, was bei der Daimler-Benz AG hergestellt wird, sondern der Konzern. Und der richtete sich hierbei nach dem Profit, und Automobil- und Rüstungstechnologie versprachen nun mal hohe Profite. Der einzelne Arbeiter dort baut Autos oder Panzer nicht unbedingt aus innerer Überzeugung, sondern weil er einen Arbeitsplatz braucht, um Geld zu verdienen. Was er produziert, bekommt er gesagt. In einer Gesellschaft, die in allen Bereichen auf freier, bewusster Entscheidung aufbaut, dürften nach Meinung der Anarchisten gute Chancen bestehen, dass auch im wirtschaftlichen Bereich die Produzenten andere Entscheidungen treffen als heute die Konzerne. Das gleiche gälte natürlich für Landwirtschaft, Konsumgüter und Dienstleistungen. Genau betrachtet wäre erst in dieser Bedürfnisproduktion das verwirklicht, was der Liberalismus fälschlich für sich in Anspruch nimmt – dass sich nämlich ›der Markt‹ frei entfaltet und gemäß den tatsächlichen Bedürfnissen der Verbraucher produziert. Durch die dezentrale Vernetzung einer solchen Gesellschaft würden viele Waren, Produkte und Lebensmittel in der näheren Umgebung erzeugt und verbraucht. Das könnte ganz beträchtliche Transport-, Lager- und Logistikkosten einsparen. Es reduzierte den ökologischen Wahnsinn, daß viele Produkte aus reinen Gründen eines Handelsgewinns um die ganze Erde hin- und her transportiert werden. Gleiches ließe sich für die Weiterverarbeitung von Rohstoffen erreichen, die sich heute – ebenfalls aus Gründen des Profits – überwiegend die reichen Industrieländer gesichert haben. Eine Veredelung könnte ebensogut dezentral an den Orten erfolgen, wo die Rohstoffe vorkommen. Import und Export wären dann nur noch für Produkte nötig, die etwa nur in bestimmten Klimazonen gedeihen oder an bestimmten Plätzen hergestellt werden können. Daher dezentrale Bedürfnisproduktion. Anarchistische Wirtschaftstheoretiker gehen davon aus, daß in einer solchen Wirtschaft am Ende nur noch das hergestellt würde, was alle Menschen der Erde zum Leben, zum Vergnügen und zur Bequemlichkeit brauchen. Nicht mehr und nicht weniger. Einigen mag das jetzt bedenklich nach ›DDR-Wirtschaft‹ klingen: grau, phantasielos, knapp und einheitlich. In den Augen der Libertären ist das allerdings barer Unsinn: Gerade in einer an-archischen Gesellschaft gibt es viel Raum für Individualität, Vielfalt und Phantasie, und auch ›Luxus‹ ist kein Tabu – sofern es sich dabei nicht um Protzerei auf Kosten anderer handelt, sondern um Freude am Genuss. In den verschiedenartigsten Mikro-Gesellschaften könnten sich verschiedene Menschengruppen auch nach verschiedenen Konsumbedürfnissen und Lebensgewohnheiten zusammenschließen: von bedürfnislos-grau bis genussvoll-schrill. Wer mehr konsumieren will, hat durchaus das Recht, sich diesen Mehrkonsum zu erarbeiten. Was jedoch nach anarchistischer Meinung verschwinden soll, ist die Ausbeutung anderer Menschen, denn libertäre Wirtschaft muss eine Solidarwirtschaft sein, die nicht auf parasitärer Lebensweise aufbauen darf. Das bedeutet aber auch, dass wir nicht nur an ›uns‹ denken können, sondern auch an den ›Rest der Menschheit‹. Eine solche Solidarwirtschaft muss weltweit wirken, oder sie hätte ethisch versagt. Heute lebt der kleinste Teil der Menschen im Überfluss, während der größte Teil nicht einmal genug zu essen hat. Heißt das, dass wir Verzicht üben müssen und verdammt wären, zu verarmen? Nein. Verzicht üben müssen wir ganz sicherlich, aber nicht etwa deshalb, weil es nicht möglich wäre, allen Menschen ein lebenswertes Leben zu bieten, und wir darum ›unseren‹ Reichtum zu verschenken hätten. Wir werden so oder so gezwungen sein, unseren manischen Konsumgalopp zu bremsen, weil uns die Verschwendungsorgie, in der wir leben, geradewegs in katastrophale Sackgassen führt. Das hat wirtschaftliche und ökologische Gründe, und mit Anarchie nichts zu tun. In beiden Fällen konsumieren wir mit ungedecktem Kredit, sowohl dem Geld gegenüber als auch der Natur. Diese Gründe werden immer augenfälliger, und sie bestehen mit oder ohne Solidarwirtschaft. Auf den hemmungslosen Verbrauch von Energien und Ressourcen, auf Prestige-Luxus und Konsumrausch als Ersatzbefriedigung für wirkliches Leben wird die Menschheit auf jeden Fall verzichten müssen, weil die Reserven, aus denen wir uns bedienen, früher oder später erschöpft sein werden.Ob das aber eine Verarmung bedeutet, ist zu bezweifeln. Man könnte auch das Gegenteil vermuten. Mir scheinen eher diejenigen, die für ihr persönliches Glück computergesteuerte Tischfeuerzeuge, elektronische Zahnbürsten oder Luxuslimousinen brauchen, verarmte Persönlichkeiten zu sein. Befriedigt er uns wirklich, der Kauf neuer Möbel im Fünfjahresrhythmus, den uns die hingepfuschten Spanplattenteile vorgeben, weil sie dann nämlich anfangen aus dem Leim zu gehen? Auch Manni Schmitz macht nicht gerade einen glücklichen Eindruck, wenn er seinen ratenfinanzierten, rallyegetunten, tiefergelegten Turboladermanta schampooniert, mit dem er anschließend bei Wuppertal-Elberfeld im Stau stehen wird … Dabei habe ich gar nichts gegen die schönen Dinge im Leben und verachte niemanden, der sich etwa für Motorsport begeistert – es geht um Anderes: die Verödung unseres Lebens. Die Sinnleere des Alltags, der Trend zu Vereinzelung, Entfremdung und Vermassung treibt immer mehr Menschen dazu, eine Art Ersatzbefriedigung im Konsum zu suchen. Dabei wird die Qualität des Konsums immer zweifelhafter, und die erwartete Befriedigung hält fast nie, was man sich von ihr verspricht.[1]
Die Frage, vor der wir heute stehen, ist also nicht, ob wir so weiterleben können wie bisher, denn das können wir ganz eindeutig nicht. Die Alternative lautet, ob wir mit unserer Luxusyacht stilvoll in den Fluten eines bescheuerten Systems untergehen, oder ob wir unser Schiff umtakeln und einen neuen Kurs einschlagen. Dieser neue Kurs bedeutet zwar einen Verzicht auf einige Dinge und Gewohnheiten, aber nicht eine Verarmung unseres Lebens. Wir könnten stattdessen eine völlig neue Lebensqualität gewinnen, die man nirgends für Geld kaufen kann, und vermutlich wären bei entsprechender Organisation nicht einmal Abstriche beim Lebensstandard hinzunehmen.Wie das? Durch Einsparung und Umverteilung. Folgen wir der anarchistischen Wirtschaftsvision, so dürfen wir annehmen, daß in einer Gesellschaft der konsequenten Bedürfnisproduktion die Menschen solche Dinge herstellen werden, die sie tatsächlich brauchen und haben wollen. Diese Gesellschaft brauchte keine Rüstung mehr, keine Raumfahrttechnologie, keine Werbung, keine künstlichen Modetrends, keine gewollt konstruierten Verschleißprodukte, keine Prestigeausgaben, keine staatliche Repräsentation, keine Kriege, keinen Superluxus für die Superreichen, keinen unnützen Transport, keine Spekulationsgeschäfte und so weiter. Sie stünde, wie wir noch sehen werden, auch nicht unter dem Zwang, um jeden Preis Arbeitsplätze zu schaffen. Ebenso käme sie ohne Bürokratenheere aus, weil sie sich selbst verwalten könnte, ohne Sozialhilfe und Arbeitslosengelder, weil sie ein Solidarsystem kleiner Gruppen wäre, und auch – wie noch zu zeigen ist – ohne den teuren Repressionsapparat von Justiz, Polizei, Strafvollzug. Auch im aufgeblähten Medienbereich würden die Menschen vermutlich auf einiges verzichten wollen.[2]
All das aber bindet heute unglaubliche Mengen an Arbeitskraft, Kreativität, Ideen, Ressourcen, Werten und Geld. Für die Herstellung und Verteilung von Waren, Lebensmitteln und Dienstleistungen wird schon heute der geringere Teil menschlicher Arbeit aufgewendet – der größere Teil wird verschwendet und verpufft in ›Leistungen‹, die entweder niemand wirklich braucht, oder die auf andere Weise besser organisiert werden könnten. Alle Jahre wieder gibt es Studien amerikanischer und europäischer Universitäten, die ausrechnen, wieviel Arbeitsstunden der Mensch bei einer konsequenten Bedürfnisproduktion noch leisten müßte, um den Bedarf aller Menschen der Erde zu befriedigen. Zur Zeit liegen diese Zahlen zwischen drei und fünf Stunden täglich, manche Anarchisten kommen mit ihren Rechenkunststücken sogar auf die phantastische Vision einer Fünf-Stunden-Woche Darwin Dante … Wie dem auch sei, die Welternährungsexperten der Vereinten Nationen sind sich darin einig, dass allein der weltweite Wegfall der Rüstung genügend Kräfte und Mittel freisetzen würde, um mit dem Hunger in der Welt sofort Schluss zu machen.[3]
Geld:[edit]
Warum aber tut man es dann nicht? Die Antwort ist einfach: Wegen des Geldes. Es lohnt sich nicht, den Hunger zu besiegen, und ist deshalb unvernünftig. Die hungernden Menschen stellen keinen ›Markt‹ dar: sie sind zu arm, um zu bezahlen. Rüstung hingegen ist ein vernünftiges Geschäft, und der Supercoup, von dem jeder Rüstungsmanager träumt, ist der Krieg, weil sich dabei nämlich die teuren Waffensysteme selbst vernichten, so dass sie anschließend wieder neu gekauft werden müssen.Geld ist die ›flüssige‹ Form des Kapitals und mithin das charakteristische Merkmal kapitalistischer Ökonomie. Es ist die genialste Erfindung zur Aufrechterhaltung von Reichtum und Armut, von Hoffnung und Ungerechtigkeit. In einer anarchistischen Gesellschaft soll es – zumindest in seiner jetzigen Form – verschwinden. Warum eigentlich?[4]
Viele Menschen meinen, Geld sei eine sehr praktische Einrichtung, verhindert es doch erfolgreich, dass wir mit einer Gans unterm Arm herumlaufen müssen, um sie etwa gegen fünfeinhalb Brote und ein paar neue Sandalen einzutauschen. Geld sei ein Tauschäquivalent, das den Gegenwert von Arbeit, Leistung oder Waren repräsentiere. »Geld ist geronnene Arbeit« behaupten einige Ökonomen. Schön, wenn es so wäre. Dann wäre in einer Gesellschaft, die nach wie vor auf dem Prinzip des Tausches basiert, ein solches Geld durchaus vernünftig. Leider aber ist Geld eben mehr als nur ein Warenersatz. Es hat in den fünftausend Jahren, seit es von den Sumerern erfunden wurde, unerhörte Eigenschaften entwickelt, die absolut nichts mit Tausch zu tun haben. So kann sich Geld wundersamerweise ohne eigenes Zutun vermehren, und je mehr Geld jemand hat, desto leichter bekommt er noch mehr, ohne dafür arbeiten zu müssen. Geld kann man im Gegensatz zu Waren unbegrenzt aufbewahren und horten; man kann damit erpressen, spekulieren, es knapp halten oder massenhaft in Umlauf bringen und damit gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Reaktionen hervorrufen, die nicht das Geringste mit dem Austausch von Leistungen oder Waren zu tun haben. Mit ihm kann man Menschen und Meinungen kaufen, Krisen und Kriege provozieren. Es ist ein abstrakter* Wert, der weit mehr kann, als alle Gänse, Brote und Sandalen der Welt zusammen. Mit einem Wort: Geld kann sich in einer kapitalistischen Wirtschaft verselbständigen. Genau das ist seine Funktion in der modernen Wirtschaft. Kein Wunder, dass Anarchisten das Geld abschaffen wollen.Wäre es aber nicht ganz praktisch, irgendein anderes Tauschäquivalent zu haben, das nicht die negativen Eigenschaften des Geldes besäße? Die Antwort hängt davon ab, ob in der angestrebten Gesellschaft nach wie vor getauscht werden soll, oder ob alles allen frei zur Verfügung steht. Was die Anarchisten angeht, so gingen die Meinungen hierüber schon sehr früh auseinander.[5]
Bakunin hielt einen ziemlich direkten Tausch für nötig, da nicht unbegrenzt Waren zur Verfügung stünden, und erst geleistete Arbeit das Recht auf Konsum begründe. In seinem System des »kollektivistischen Anarchismus« aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ging er davon aus, dass jeder, der von der Gesellschaft nehmen will, der Gesellschaft auch geben müsse – sonst würde am Ende niemand mehr arbeiten. Er fordert, vereinfacht gesagt: »Jedem nach seiner Leistung«. In diesem System wäre kein Platz für Leute, die auf Kosten anderer leben, ausgenommen Kinder, Alte, Kranke und Schwache. Kropotkin entwickelte schon wenige Jahrzehnte später eine weit kühnere und modernere Vision der libertären Gesellschaft, den »kommunistischen Anarchismus«. Er geht davon aus, dass jeder Mensch ein Recht auf Leben hat, und dass die Gesellschaft auch den ernähren muss, der nicht arbeitet. Seine Devise lautet, ebenfalls vereinfacht: »Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen«. Angesichts des technischen Fortschritts und der Chance, körperlich schwere Arbeit zunehmend von Maschinen verrichten zu lassen, schätzte Kropotkin die Möglichkeit der Warenproduktion einer vom Kapitalismus befreiten Gesellschaft sehr hoch ein. Die Frage, ob Bakunin nicht eher der Realist und Kropotkin ein zu großer Optimist gewesen sei, hat seither immer wieder die Gemüter erhitzt. Tatsächlich haben Anarchisten aber unabhängig von dieser theoretischen Auseinandersetzung immer wieder auch praktische Ansätze und Modelle entwickelt, in denen beide Varianten auftauchten. Wir können sie hier nicht im Einzelnen vorstellen, aber es gab sowohl völlig geldlose Experimente von Solidargemeinschaften, als auch Theorien und Experimente für eine andere Art von Geld. [6]
Man probierte es mit Arbeitsgutscheinen, Tauschbons oder Warencoupons, die mit Erfolg in Kooperativen, Kommunen oder Gewerkschaften eingesetzt wurden. Sie alle waren nur als Tauschäquivalente zu gebrauchen; es machte keinen Sinn, sie zu horten, man konnte mit ihnen nicht spekulieren, und Zinsen brachten sie auch keine. Natürlich waren sie außerhalb der engen Grenzen solcher sozialen Experimente nichts wert – da gab es nach wie vor die staatliche Währung, und viele Bedürfnisse mußten dort befriedigt werden. Aber auch für solche Mischformen wurden Lösungen entwickelt, die beim Übergang von einer kapitalistischen in eine anarchistische Wirtschaft helfen sollten. Der große Pionier libertärer Ökonomie war – lange vor Bakunin und Kropotkin – Pierre Joseph Proudhon. Ihm verdanken wir neben umfangreichen Schriften zur anarchistischen Wirtschaftstheorie auch ein sehr frühes Experiment, das als Übergangsform innerhalb des Kapitalismus gestartet wurde. Seine 1848 initiierte Tauschbank sollte insbesondere Arbeitern und Genossenschaften die Möglichkeit geben, gegen bei einer Tauschbörse einzubringende Sachwerte zinslose ›Umlaufmittel‹ in Form von ›Tauschnoten‹ zu erhalten, die von allen Mitgliedern anstelle von Geld akzeptiert werden mußten. Auch Kredite waren vorgesehen, und das Experiment zielte darauf ab, Projekte der Arbeiter unabhängig vom Kapitalmarkt zu finanzieren. Wie so viele libertäre Versuche, wurde die Tauschbank kriminalisiert: Das Experiment endete damit, dass Proudhon ins Gefängnis wanderte …[7]
Eine andere Idee, die bei Anarchisten sehr populär war, ist die sogenannte ‚Freigeldtheorie‘ des Deutsch-Argentinischen Anarchisten Silvio Gesell, in dem viele den Erben der Lehren Proudhons sehen. Sie entstand um die Jahrhundertwende und fand auch in bürgerlichen Kreisen großen Anklang, die darin ein Mittel zur Sanierung der Wirtschaft erblickten. Der Clou an dieser Idee war, dass durch einen ›negativen Zins‹ der Währung jeglicher Anreiz zu spekulativem Horten genommen werden sollte. Wenn jemand Geldmengen ansammelte, sollten diese anstatt monatlich Zinsen zu bringen, einen gewissen Prozentsatz an Wert verlieren. Spötter nannten diese Währung deshalb auch abschätzig »Schwundgeld«. Sicher aber wäre so jeder bestrebt, Geld möglichst rasch wieder auszugeben, und solange Geld zirkuliere, sei es sozial nützlich, da es zu gesellschaftlich nötiger Arbeit anrege. Ein solches System hätte den Vorteil, daß es schon in einer Zeit angewandt werden könnte, in der eine Gesellschaft noch nach den Prinzipien des Geldverkehrs funktioniert. Es wäre aber imstande, dem Geld sofort einige seiner schlimmsten ›Nebenwirkungen‹ zu nehmen und könnte schließlich in dem Maße, wie sich ein System der Solidarwirtschaft durchsetzt, abgeschafft werden. Wie die meisten libertären Experimente fand auch die praktische Erprobung des Freigeldes unter ungünstigen Vorzeichen statt. Auf Anregung Gustav Landauers, der enge Verbindung zu Gesell hatte, wurde er als Finanzminister in die Münchner Räterepublik berufen, aber bevor das bereits gedruckte Schwundgeld in Umlauf gebracht werden konnte, wurde die Revolution bereits militärisch niedergeschlagen und Landauer ermordet. Später erlebte Gesells Idee noch zweimal die praktisch Erprobung: 1932/35 im österreichischen Wörgl, wo es mit großem Erfolg offizielle Währung wurde und 1961/62 im brasilianischen Porto Alegre, wo es in Zusammenarbeit mit Genossenschaften, Banken und Supermärkten als Parallelwährung zirkulierte. Beide Versuche wurden nach kurzer Zeit vom Staat, der auf sein Geldmonopol pochte, verboten – in Österreich bezeichnenderweise, nachdem immer mehr Städte und zuletzt die Gemeinde Wien das Freigeld einführen wollten. Während Gesells »Schwundgeld« noch umständlich auf Papiercoupons gedruckt wurde, von dem monatlich ein Stück abgeschnitten werden mußte, eröffnen die Möglichkeiten moderner Computervernetzung viel weitreichendere Perspektiven beim Übergang von der Tausch- zur Solidarwirtschaft. Manche Anarchisten sehen beispielsweise in den sogenannten Barter-Clubs ein modernes Modell, in dem die Ideen Proudhons, Kropotkins oder Gesells ungeahnte Anwendungsmöglichkeiten finden könnten. Diese Vereinigungen, die sich vor allem in den USA großer Beliebtheit als Mittel eleganter Steuerhinterziehung erfreuen, bieten in einem Computernetz Waren und Dienstleistungen an, die jeder Teilnehmer in Anspruch nehmen darf. Sie können aber nicht gekauft werden. Je nach der Absicht der Betreiber könnte es ein reines Tauschsystem sein, man könnte sich eine imaginäre ›Verrechnungseinheit‹ als Alternativwährung schaffen, Kredite einräumen oder auch ein freies Solidarsystem installieren, in dem jeder gibt, was er kann und nimmt, was er will. Jeder Teilnehmer kann jederzeit seinen ›Kontostand‹ von Geben und Nehmen abrufen, und alle anderen können wiederum kontrollieren, ob jemand etwa zuviel entnimmt und damit das System gefährdet. Alle Möglichkeiten anarchistischer Wirtschaftsethik sind in einem solchen System technisch angelegt, und es würde sich durchaus als Instrument eignen, um den heiklen Übergang von einer Tauschwirtschaft zu einer Solidarwirtschaft zu begleiten. Denn schließlich müßten Menschen auch erst einmal die tugendhafte Zurückhaltung, die Kropotkin ihnen netterweise zugesteht, in der alltäglichen Praxis trainieren … Belassen wir es bei diesen drei Beispielen in der Hoffnung, daß sie die Phantasie anzuregen vermochten und zeigen konnten, daß es neben der uns geläufigen Geldwirtschaft mehr als nur eine Alternative gibt. [8]
Tauschen oder geben ?[edit]
Stehengeblieben waren wir bei dem Gegensatz zwischen Bakunin und Kropotkin, zu dem erfreulicherweise anzumerken ist, daß er sich in der Praxis bisher wohl eher als ein Streit um die Bärte dieser beiden ›Propheten‹ entpuppte: In den wenigen großen anarchistischen Experimenten, die ganze Gesellschaften umfassten, hat sich nämlich gezeigt, daß sie sich in Wirklichkeit weniger widersprachen, als anzunehmen war. Das reale Leben brachte meist Mischformen hervor, bei denen sich grob gesagt herausstellte, dass im internationalen Wirtschaftsverkehr und in Großstädten Geld vorerst notwendig blieb, im Tauschverkehr zwischen Industriezweigen oder Gewerkschaftssektionen eine simple Verrechnungseinheit genügte, und in kleineren Zusammenhängen wie Dörfern, Belegschaften oder Stadtteilen auch reine Solidarwirtschaft funktionierte. Heute neigen wohl die meisten Anarchisten zu der Ansicht, dass Bakunins Modell am Beginn einer anarchistischen Umwälzung die nahe liegendere Lösung ist, Kropotkins Vision hingegen das ethische und praktische Ziel anarchistischer Wirtschaft sein sollte. Gerade darum sind Modelle und Experimente, die Antworten auf die Frage nach den Übergängen geben, so wichtig. Übergänge von »Kapitalismus« zu »Bakunin« und von »Bakunin« zu »Kropotkin«, oder, anders ausgedrückt, von Geld zu Tausch und von Tausch zu Solidarität. Nun erscheint uns, als Kindern dieser Gesellschaft und von ihr geprägt, die Idee eines Tausches sicherlich plausibler als die Idee einer Solidarwirtschaft. Kropotkin kommt uns gegenüber Bakunin eher wie ein etwas weltfremder Idealist vor.Ist das anarchistische Endziel, wo jeder gibt was er kann und nimmt was er braucht, vielleicht nur Spinnerei? Zunächst einmal muss gesagt werden, daß ja auch das Kropotkinsche Ideal ein Tausch ist. Nur wird in einer geldfreien Wirtschaft nicht aufgerechnet, nicht unmittelbar und direkt getauscht und nicht systematisch kontrolliert. Stattdessen wird alles ›in einen großen Topf geworfen‹, aus dem jeder nimmt, solange da ist, und in den jeder aus wohlverstandenem Eigeninteresse hinein gibt, damit er nicht leer wird. Hierzu ein Beispiel: Ein Bäcker produziert Brötchen und ein Elektrotechniker baut Lichtanlagen. Der Techniker wird sich jeden Morgen beim Bäcker soviel Brötchen holen, wie er braucht. Sobald er beginnt, einen ganzen Sack abzuschleppen, wird der Bäcker protestieren. Einen ganzen Sack abzuschleppen wäre aber sinnlos, denn Brötchen schimmeln, und zum Tauschen gegen andere Dinge taugen sie nicht, weil jeder andere Mensch ebenfalls Brötchen nehmen kann, und der Elektrotechniker jeden anderen Gegenstand, sofern vorhanden, ebenfalls gratis mitnehmen könnte. Mehr zu nehmen als man braucht, würde einfach absurd, und das Horten von Gegenständen eine sinnlose Plage. Auch der Warenbesitz als Ausdruck einer Klassenzugehörigkeit, Luxus als Symbol für Status und Macht, würde in einer klassenlosen Gesellschaft seinen Sinn verlieren und zunehmend lächerlich wirken. Nun muss der Elektrotechniker aber keinesfalls jeden Morgen beim Brötchenholen eine Lichtanlage oder ein Stück davon oder einen Trafo dalassen. Es wird nicht direkt getauscht. Hingegen kann sich der Bäcker, wenn seine Installation nicht mehr taugt, sich eine neue einbauen lassen, ohne dafür etwa mit einem Lastwagen voll Brötchen zu ›bezahlen‹. Es kann auch sein, daß der Bäcker niemals eine Lichtanlage braucht, aber trotzdem stehen Bäcker und Elektrotechniker in einem Tauschverhältnis miteinander, und zwar in einem indirekten: Der Bäcker beliefert das Reisebüro, wo der Techniker seinen Urlaub bucht, das wiederum von der Druckerei beliefert wird, in die der Techniker die gesamte Elektrik installiert hat … und tausend Verflechtungen mehr. Das ist nicht anders als heute auch und wäre auch für die Wirtschaftsbeziehungen von Großfirmen und ganzen Branchen denkbar – nur mit dem Unterschied, dass in der dezentralen Bedürfniswirtschaft sich im Vergleich zur kapitalistischen Geldwirtschaft die Ungerechtigkeiten des Reichtums und die ökologisch-sozialen Schäden minimierten. Es handelt sich also auch bei Kropotkin um einen Tausch – Tausch auf Kredit im positiven Sinne dieses Wortes, das vom lateinischen credere kommt, was soviel wie vertrauen oder glauben heißt. Dieser ›Kredit‹ gilt zwischen allen Teilnehmern einer solchen Gemeinschaft gegenseitig. Jeder von ihnen hat ein Interesse daran, diesen Kredit nicht zu mißbrauchen, damit seine Gemeinschaft und somit seine wirtschaftliche Existenz nicht gefährdet wird. Die geldlose Solidar- und Bedürfniswirtschaft könnte die Menschen auch von einer Geißel der modernen Volkswirtschaft befreien, dem Arbeitsplatzargument. Der größte Unsinn und die schlimmste moralische Verwerflichkeit werden heute mit dem Vorhalt gerechtfertigt: »Aber das schafft doch Arbeitsplätze!« In Debatten über Wirtschaft ist es das mit Abstand beliebteste ›Totschlagargument‹, mit dem sich alles rechtfertigen lässt. Konsequente Ökonomisten müßten mit ihm eigentlich die Schließung der Konzentrationslager 1945 bedauern – schließlich wurden dort Arbeitsplätze vernichtet …! Das Arbeitsplatzargument verliert in einer Solidarwirtschaft aber jeden Sinn. Ein ›Arbeitsplatz‹ an sich ist ja ein inhaltsleerer Blödsinn. Er ist nur deshalb so wichtig, weil damit das Recht auf Verdienst = Leben gekoppelt ist. Eigentlich bedeutsam ist ja nicht der Arbeitsplatz, sondern die Arbeit, das Produkt. Diese können sinnvoll oder sinnlos sein. In der Solidarwirtschaft aber müßte nichts mehr um seiner selbst oder um des Profits wegen hergestellt werden. Es ist nicht einzusehen, warum beispielsweise Militärs, die eine gesellschaftlich sinnlose Tätigkeit verrichten, nicht sinnvolle Arbeiten übernehmen könnten. In einer Übergangsphase könnte man sie dafür ja durchaus genauso entlohnen wie zuvor, aber immerhin fielen die Kosten für die Waffensysteme sofort weg; das ist lediglich eine Frage der richtigen Umbaumodelle. Irgendeine Arbeit aber, die niemand braucht, nur deshalb zu verrichten, weil ich zum Leben einen Arbeitsplatz brauche – das ist schon eine ziemlich merkwürdige Idee, wenn man mal drüber nachdenkt. Und da es am Ende für derart viele Menschen gar nicht mehr genug sinnvolles zu tun gäbe, dürfte der Mensch getrost etwas langsamer treten und weniger arbeiten – ohne deshalb wirtschaftliche Nachteile befürchten zu müssen.[9]
Faule Menschen und eklige Arbeit[edit]
Bleiben wir noch einen Augenblick bei der Theorie einer anarchistischen Idealgesellschaft: Dort sollen nach Kropotkin diejenigen, die sich an diesem ›indirekten Tausch‹ nicht beteiligen, nicht dem Hungertod überlassen werden. Auch Menschen, die den Kredit missachten indem sie beispielsweise nicht arbeiten, sollen das Recht haben, zu nehmen. Das kommt vielen von uns absurd vor, dabei ist es gar nicht so ungewöhnlich. Das kann sich sogar unser Wirtschaftssystem leisten, obwohl es soviel Kraft verschwendet und soviel Überflüssiges produziert. Schließlich zahlt es Sozialhilfe, ohne daran zu zerbrechen. Mehr noch: Wir ernähren heute – was gerne vergessen wird – zigtausende von Parasiten mit, die nicht nur nichts herstellen, sondern überdies auch noch super reich sind: die Kapitaleigner mit ihrem arbeitslosen Einkommen. Trotzdem geht unser System daran nicht zugrunde …Ob sie tatsächlich funktionieren würde, hängt von zwei Fragen ab: Wie viele Menschen werden sich tatsächlich weigern zu arbeiten und etwas ›in den Topf‹ zu geben? Und: Kann eine gut organisierte Wirtschaft in einer freiheitlichen Gesellschaft genügend Leistung erbringen, um alle Menschen – auch die ›Faulenzer‹ – zu versorgen? Gewiss können wir über beide nur spekulieren, aber Spekulation kann durchaus fundiert sein. Was die zweite Frage angeht, so haben wir schon gesehen, dass moderne Wirtschaftsstudien genau in diese Richtung weisen: Es scheint heute unter seriösen Soziologen, Politologen und sogar vorausdenkenden Ökonomen keine Frage zu sein, dass eine Bedarfsproduktion allen Menschen Nahrung und Wohlstand bieten könnte. Allerdings halten sie ihre Verwirklichung angesichts der tatsächlichen Machtstrukturen und Kapitalinteressen für eine Utopie und machen zu Recht den Vorbehalt geltend, dass das ungebremste Bevölkerungswachstum solche Hoffnungen jederzeit durchkreuzen könnte. Manche Anarchisten sind da optimistischer: Der bekannte amerikanische Ökologe Murray Bookchin geht in seinen Schriften von einem ›Anarchismus der Nach-Mangelgesellschaft‹ aus. Mangel wie wir ihn heute kennen sei ein künstlicher Zustand, der in unserem Wirtschaftssystem begründet liege. Bookchin zweifelt nicht daran, dass – auch in ökologisch verträglicher Form – mehr erzeugt und besser verteilt werden könnte als dies heute der Fall ist. Auch der Rückblick auf historische Erfahrungen kann bei der Beantwortung dieser Frage helfen. Wie produktiv war beispielsweise die libertäre Mischwirtschaft während der spanischen Revolution? Zum großen Erstaunen besonders der Wirtschaftstheoretiker geschah 1936 in den befreiten Gebieten etwas, was es nach allen Gesetzen der Ökonomie gar nicht hätte geben dürfen: Bei gleichzeitiger Lohnerhöhung, Reduzierung der Arbeitszeit und Verbesserung sozialer Leistungen wurde die Produktion gesteigert. Und das, obwohl ›nebenbei‹ noch ein Krieg geführt werden musste, also denkbar ungünstige Bedingungen herrschten. Kein verantwortungsvoller Mensch wird allein aus einem so kurzen Experiment Rückschlüsse für eine künftige Gesellschaft ziehen wollen. Ohne Frage spielte die große Anfangseuphorie eine Rolle, und wir wissen nicht, wie sich diese Wirtschaft in zehn oder zwanzig Jahren entwickelt hätte. Tatsache ist aber, dass nicht die Wirtschaft scheiterte, sondern die Politik: Das Experiment wurde zunächst durch zahllose Schikanen der republikanischen Regierungen torpediert und schließlich vom siegreichen Faschismus zerschlagen. Die Gründe, die in Spanien ein solches ›anarchistisches Wirtschaftswunder‹ ermöglichten, führen uns zu der Beantwortung jener anderen Frage: Wie viele Menschen würden sich für die Gesellschaft engagieren und wie viele würden sich ihr verweigern? [10]
Siehe auch[edit]
Kategorie:Fragen und Antworten- ↑ Horst Stowasser, Freiheit Pur, Eichborn-Verlag
- ↑ Horst Stowasser, Freiheit Pur, Eichborn-Verlag
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- ↑ Horst Stowasser, Freiheit Pur, Eichborn-Verlag
- ↑ Horst Stowasser, Freiheit Pur, Eichborn-Verlag