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Sparen wir uns die Ökonomie
Glückliche Arbeitslose in Köln[edit]
Die Rheinischen Fundamentalisten hatten am 21. August zu einer Veranstaltung mit einigen der Glücklichen Arbeitslosen aus Berlin eingeladen. 30 Leute kamen in die Galerie 68elf, wo dann vielfältig über ihr Manifest und die Aktivitäten der "müßiggangster" erzählt und diskutiert wurde. Ihr Text "auf der Suche nach unklaren Ressourcen" ist als eine Mischung aus Kritik und frisch-frechen Provokationen zur öden Arbeitsgesellschaft entstanden. Zur ihrer eigenen Überraschung wurde er von vielen tatsächlich als ernsthafter Ausdruck eines neuen Lebensgefühls angenommen, nämlich als Befreiung von dem verinnerlichten Zwang, stets noch der Arbeit hinterherhecheln müssen zu wollen, trotzdem die Ökonomie immer mehr der Arbeitsmonaden ausspuckt. Warum, so die nur naiv scheinende Frage, sollen diejenigen, die "nichts tun" (im Sinne des Erwerbs) dürfen oder wollen, nicht auch gut leben können? Warum sollen sie finanziell darben? Dieser Tabubruch mit der Arbeit und der Arbeitsmoral blitzte immer wieder in der Geschichte der Moderne auf. Ich denke an Paul Lafargue, Marx' Schwiegersohn, welcher das "Recht auf Faulheit" verlangte. Oder an Guy Debord mit seiner Parole "Ne travaillez jamais", die 1968 die Pariser Häuserwände zierte. Heute mehren sich die Artikel gegen die Arbeit zusehends. Der Verdienst der Manifest-AutorInnen ist es nun gerade, dem bisher Kopflastigen eine gute Prise von Gefühl und Witz beigegeben zu haben, so daß die Inhalte für viele erst einmal verdaubar geworden sind. So transportieren sie den Tabubruch mit dem heiligsten unserer leistungsmanischen Gesellschaft in die beteiligten Köpfe. Dort sitzt nun der ständig bohrende Stachel und treibt das Überdenken des scheinbar Selbstverständlichen voran. Die innere Auseinandersetzung war auch in der Diskussionsrunde deutlich bemerkbar. Arbeit als Lohnarbeit stieß vielen auf. Doch die Glücklichen sehen den Arbeitsbegriff generell negativ - auch abgeleitet von dessen historischen Entstehung. Dies ging dann doch zu weit. Arbeit im Sinne von ernsthaftem Tun soll doch bitteschön weiter positiv zu besetzen sein. Demgegenüber traten die Glücklichen dafür ein, Nägel mit Köpfen zu machen, und auch solche Arbeit als Unwort zu streichen. So ist es ein Unterschied, wenn ich sage: "Ich gehe arbeiten!" ; "Ich gehe und arbeite an meinem Bild"; oder ob ich sage: "Ich gehe los und male mein Bild weiter". Am "Arbeiten" klebt das Lustfeindliche, das Müssen, das Aufgezwungene, was uns nur nicht mehr auffällt, weil wir es Tag für Tag leben müssen. Auch in diesem Sinne finde ich das Manifest für befreiend; sich erstens die verkniffene arbeitsprotestantische Sozialisation eingestehen zu können und zweitens eine gänzlich andere Perspektive denken zu können. So verstehe ich das Manifest als einen tiefgründigen Schrei nach gutem, eigenaktivem Leben - miteinander und für sich selbst. Die AutorInnen sagen selbst, sie hätten einen ersten Schneeball geworfen in der Hoffnung, daß daraus eine Bewegung werde von vielen, die nicht mehr arbeiten, sondern schlicht leben wollen. Und genau dies einfordern und umsetzen. So radikal die Glücklichen die geheiligte Säule der Arbeit umwerfen, bleibt doch der damit verknüpfte zweite Tabubruch - der mit dem Geld - im Manifest unscharf. Ist es nicht erbärmlich, Brot zu backen, um Preisschilder darauf zu kleben? Doch sie stellten klar, daß sie diesen zweiten Schritt ebenso vertreten. Die spannend-fröhliche und doch beschwerliche Reise ins Ungewisse eines Jenseits von Arbeit und Geld kann beginnen. Mitreisende gesucht.
Heinz Weinhausen
Institut für neue Arbeit – Mülheim, September 1998
[Dieser Text gehört zu dieser Text-Sammlung der Glücklichen Arbeitslosen.]