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Paul interviewt Anne Aach vom Anti-Arbeits-Kreis Kiel

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[am 03.12.2005 in Berlin]

Paul: Was machst Du beruflich?

Anne: Beruflich? Nichts. Ich bekomme Arbeitslosengeld II und ich fühle mich prima damit.

Paul: Hast Du als Arbeitslosengeld-II-Bezieherin kein schlechtes Gewissen, weil Du auf Kosten der anderen lebst?

Anne: Du meinst, warum ich nicht auch den Drang verspüre, meinen Beitrag an notwendigen Tätigkeiten zu ...(äh)?

Paul: Möchtest Du nicht Dein eigenes Geld verdienen?

Anne: Eigenes Geld? “Verdienen”? Ach. Kaum ein Mensch bekommt doch so viel Geld, wie er “verdient”.

Paul: Liegst Du den anderen nicht auf der Tasche?

Anne: Freilich. Aber wenn ich nun arbeiten gehen würde um “mein eigenes Geld zu verdienen”, würde ich doch jemand anderem den Arbeitsplatz wegnehmen. Ich komme damit klar, arbeitslos zu sein, bekomme keinen Psychosen, muss nicht in Therapie. Warum soll ich dann Menschen, die unbedingt einen Job brauchen, nicht die Arbeit überlassen.

Paul: Du könntest Dir doch einen zusätzlichen Job schaffen, wobei Du niemanden den Job wegnehmen musst.

Anne: Klar, das ginge. Ich könnte einen Verein gründen, der meiner Meinung nach etwas sinnvolles als Ziel hat, mir dort eine bezahlte Stelle verschaffen ... und dann immer der Eiertanz zwischen dem, was wir gut und richtig finden, wofür wir aber wenig Geld bekommen oder das, wo wir zwar mehr verdienen, aber es wieder weniger unseren Zielen und Idealen entspricht. Bei der LEBENSHILFE zum Beispiel: Kümmere ich mich mehr um die Menschen, vergeht zu viel Zeit, ich komme nicht mehr auf meinen zum Überleben notwendigen Monatslohn. Mache ich aber schnell, schnell, um auf meinen notwendigen Monatslohn zu kommen, muss ich wieder woanders Abstriche machen. Ich bin froh, dass ich die zwei Sachen gerade trennen kann. Vom Job-Center bekomme ich das Geld und kann dann machen, was ich für sinnvoll halte, ohne mich zu verbiegen.

Paul: Was machst Du, wenn Du nicht arbeitest?

Anne: Ich kümmere mich mit anderen zusammen um mehrere Free-Boxen.

Paul: Free-Boxen?

Anne: Das kann ein Schrank oder Regal sein, wo Leute Sachen hinbringen, die sie selbst nicht mehr brauchen, aber die zum Wegschmeißen zu schade sind. Z.B. Klamotten, Bücher, Radio-Geräte, die andere noch gebrauchen können.

Paul: Wo stehen die Free-Boxen?

Anne: In unseren Wohngebieten, möglich dort, wo ein Dach drüber ist und sehr viele Menschen vorbeilaufen.

Paul: Wie klappt es?

Anne: Prima. Es gibt nur zwei Probleme. Es wird mehr gebracht als mitgenommen. Und beim Durchschauen hinterlassen manche ein Durcheinander. Wir sortieren das Zeug fast täglich und schmeißen weg, was keiner mehr haben möchte. Ich lege zusätzlich noch Sachen in Bushaltestellen oder auf dem Regional-Bahnhof aus. Ich mache einen Zettel ran, auf dem steht: “zu verschenken” und drunter noch ein bisschen Propaganda für eine Schenkungs-Ökonomie.

Paul: Noch mal zum Thema Arbeit: Was kritisierst Du an Arbeit?

Anne: Ich sehe es nicht ein, dass Menschen immer länger arbeiten sollen. 40-, 50-Stunden-Woche, wofür? Warum? Außerdem ... grundsätzlicher: Weltweit werden mehr als doppelt so viele Lebensmittel hergestellt, wie alle 6,5 Milliarden Menschen auf diesem Planeten essen könnten. Warum hungern und verhungern aber Menschen? Dank der Automatisierung gibt es immer weniger zu tun. Aber wer keinen Job hat, hat kein Geld und kann sich nichts zu essen kaufen.

Paul: Was schlägst Du vor?

Anne: Einfach produzieren, was notwendig ist, es verteilen und gut ist.

[An dieser Stelle mussten wir das Interview wegen eines Polizei-Einsatzes leider längere Zeit unterbrechen.]

Paul: Wir waren bei der Alternative stehengeblieben.

Anne: Ja. Ich produziere etwas, was ich für sinnvoll halte und bringe es in den Abhol-Markt, wo es sich jede und jeder einfach wegnehmen kann. Ich verschenke Alles, was ich selbst nicht brauche.

Paul: Viele sind skeptisch, dass das funktioniert.

Anne: Es gibt Kommunen mit hunderten Menschen, wo es so läuft.

Paul: Dann ist doch Alles prima. Alle, die wollen ziehen in Kommunen und so kann sich das immer mehr ausweiten.

Anne: Ja, die BRD lässt vieles zu. Allerdings sind diese Kommunen alle zu klein. Sie können nie Alles herstellen und anbieten, was gebraucht wird. Sie sind auf ihre Umgebung angewiesen. Innerhalb der Kommune können sie ohne Geld leben, aber mit der Umgebung müssen sie wieder über Geld vermittelt in Austausch treten. Jetzt wäre es toll, immer mehr Kommunen würden nebeneinander entstehen, bis – sagen wir mal das ganze Gebiet des Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern nur noch aus Kommunen besteht, dann könnte auf diesem ganzen Gebiet Alles ohne Geld ... es könnte eine Schenkungs-Ökonomie auf großem Gebiet stattfinden. Aber das lässt kein Staat zu: Zunächst verlangt er Grundsteuer für den Grund und Boden. Wenn die Menschen dort also ohne Warentausch und ohne Geld glücklich mit allem, was sie brauchen selbst versorgt, leben, dann brauchen sie doch Geld um die Grundsteuer zu bezahlen. Und dieses Geld bekommen sie nur, wenn sie Waren oder Dienstleistungen nach außen verkaufen. Da ist dann schon mal Schluss. Zweitens würde der Staat massenhaften Austausch von “geldwerten Leistungen” zugrunde legen und massenhaft Märchensteuer von den Bewohnern und Bewohnerinnen verlangen. Oder: Da die Menschen sich dort in Mecklenburg Alles schenken, verlangt der Staat auch noch Schenkungssteuer. Margret Thatchers “There is no alternative!” muss korrekt heißen: “Wir lassen keinerlei Alternative zu!”

Paul: Anne, ich danke Dir für dieses Gespräch.