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Libertalia

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Das Entstehen der maritimen Utopie von Libertalia stellt einen in der Geschichte der Piraterie ungewöhnlichen Vorgang dar, während in der Arbeiterbewegung freiheitliche Gegenmodelle häufiger anzutreffen sind. Es handelt sich dabei wahrscheinlich um einen fiktiven Ort des Schriftstellers Daniel Defoe.

Die Ursprünge Libertalias[edit]

Es dauerte lange, bis die Seeleute Entscheidungsmacht über sich selbst erhielten. Lange hatten die Piraten vor allem den Bedürfnissen des Staates und der Handelsgesellschaften gedient. Im Lauf der Jahrhunderten verlagerte sich die Kontrolle über die Seeräuberei allmählich von der oberen zu den unteren Gesellschaftsschichten, von den höchsten Funktionären des Staates (Ende 16.Jh.), zu bedeutenden Kaufleuten (Anfang des 17 Jh.), dann kleineren Kaufleuten (im späten 17. Jh.) und schließlich dem gemeinen Mann aus dem Volk (Anfang des 18. Jh.) Am Ende dieser Entwicklung, als die Piraten ihre eigene Gesellschaft abseits des Diktats merkantiler und imperialer Autorität organisierten und dazu nutzten, sich die Besitztümer der Kaufleute anzueignen (etwa um 1690) griff der Staat zu massiver militärischer und strafrechtlicher Gewalt, um die Seeräuberei auszurotten. Libertalia symbolisiert den Prozess, durch den die maritime Arbeiterklasse Kontrolle über die Piraterie erlangte. Die Quellen Libertalias waren vielfältig und hatten eine lange Tradition. Sie reichen bis zu den alten, bäuerlich geprägten Utopien des Land of Cockaygne, in der die Arbeit abgeschafft, das Eigentum neu verteilt, soziale Unterschiede eingeebnet, die Gesundheit aller wiederhergestellt sowie Nahrung in Hülle und Fülle für alle bereitgestellt wird. Als die Oberschichten Englands, Frankreichs und der Niederlande die Piraterie als Instrument in ihrem Kampf gegen den gemeinsamen Feind Spanien diente, schufen die einfachen Seeleute eigene Traditionen. Eine davon wurde Jamaica Discipline oder Gesetz der Freibeuter genannt, ein Kodex von Verhaltensregeln, der auf die Bukanier zurückgeht, die von etwa 1630 bis 1680 die Karibik unsicher machten. Dieser Kodex rühmt sich eines eigenen Gerechtigkeitsbegriffs und einer Art Klassenbewusstsein, das sich gegen die Großen (Kapitän, Schiffseigner) richtet. Darüber hinaus schrieb er eine demokratische Kontrolle der Macht und die Versorgung der Verletzten und Verstümmelten vor.

Der Piratenkapität Misson folgte mit seinen Kameraden einem hehren utopischen Ziel: Macht sollte nicht lebenslänglich verliehen werden, nicht erblich sein, sondern nach Ablauf von drei Jahren enden. Sie beschränkten die Befehlsgewalt ihrer Anführer, die sich selbst nie für besser als seine Kameraden halten sollten und ihre Macht, die ausschließlich für das öffentliche Wohl eingesetzt werden sollte. Der Rat, die höchste Autorität, setzte sich aus den Fähigsten zusammen, ohne Unterschied der Nationalität oder Hautfarbe. Missons Piraten waren Antikapitalisten und Gegner der Armut, welche den Anstieg von Lohnarbeit und Kapitalismus begleitete. Sie bestanden darauf, dass jeder Mensch frei geboren werde und ein Recht auf Nahrung habe, wie auf die Luft, die er atmet. Den Frevel, mit dem Verbrecher und mitleidlose Gläubiger unglaubliche Reichtümer anhäuften, während andere ins Unglück stürzten, verachteten sie und sprachen von einem natürlichen Recht auf einen Teil der Erde, der groß genug sei, um für den eigenen Unterhalt zu sorgen. Die Piraterie war für sie ein Kampf zur Selbsterhaltung. Menschen, die ihres Geburtsrechts und der Freiheit beraubt waren, sollten in Libertalia ihre verlorene Freiheit und ihr Recht auf ein erträgliches Leben wiedergewinnen. Um das zu erreichen, definierten sie die Beziehung von Reichtum und Armut neu.

Dort, wo alles allen gehörte und keine Hecken und Zäune den Besitz des Einzelnen abgrenzten, war Geld überflüssig. Sie beschlossen, dass die Reichtümer und das Vieh, dass sie besaßen, zu gleichen Teilen unter ihnen aufgeteilt werden sollten. Diese Piraten, ehemalige Seeleute und Lohnarbeiter, würden endlich einen Ort ihr eigen nennen können, wo die Luft gesund war, der Boden fruchtbar, das Meer reich an Fischen und sie alle Notwendigkeiten des Lebens vorfanden. Wenn Alter oder Verletzungen es ihnen unmöglich machten, sich der Mühsal zu stellen, würden sie in Libertalia die Früchte ihrer Arbeit ernten und in Frieden ins Grab sinken können. Das Streben nach einem Geburtsrecht, der Wohltat der Freiheit und den Früchten der Arbeit war aufrichtig genug, um auch die Abschaffung der Sklaverei zu fordern. Denn kein Mensch habe Macht über die Freiheit eines anderen. Deshalb nahmen Misson und seine Männer die Sklaven auf den von ihnen gekaperten Sklavenschiffen als freie Menschen in ihre Gesellschaft auf. Misson und seine Männer schufen eine radikal demokratische Utopie, in der man Enteignung, Kapitalismus, Sklaverei und Nationalismus verdammte und für Gerechtigkeit und Freiheit eintrat. Die Historiker vertreten den Standpunkt, der Autor der General History of the Pyrates sei in Wirklichkeit Daniel Defoe, der unter dem Pseudonym Kapitän Charles Johnson geschrieben habe. Doch in einem historischen und politischen Sinn waren Misson und Libertalia nicht nur eine Erfindung eines Autors, denn Piraten haben sich nachweislich auf Madagaskar niedergelassen und haben ihrerer Siedlung den Namen Ranter Bay gegeben.

Der Krieg gegen Libertalia[edit]

Die utopischen Züge des Piratenlebens waren für die Rekrutierung neuer Mannschaftsmitglieder und die Ausweitung der Piraterie von zentraler Bedeutung. Sie führten aber auch zu deren Vernichtung, denn nicht nur die Piraten, sondern auch die herrschenden Klassen erkannten die Macht Libertalias und der alternativen Gesellschaftsordnung. Einige sorgten sich, die Piraten könnten dort, wo keine Staatsmacht in der Lage wäre, sie zu kontrollieren, eine Art Gemeinwesen errichten. Kaufleute und Repräsentanten des Staates glaubten, erste Anzeichen des Separatismus von Libertalia in Madagaskar, Sierra Leone, den Bermudas und der Bucht von Campeche erkennen zu können. Wenn Libertalia für die Arbeiterklasse ein Traum war, so war sie ein Alptraum für die Herrschenden. Die englischen Machthaber, Whigs wie Tories reagierten darauf. Kaufleute riefen nach immer schlimmeren Strafen. Zugleich entwickelte Premierminister Robert Walpole ein persönliches Interesse an der Vernichtung der Piraterie und mit ihm Dutzende von Beamten, Zeitungskorrespondenten und Geistlichen. Sie schrieben Berichte, Artikel und predigten über die blutrünstigen Monster, die sich auf See das Eigentum anderer aneigneten. Die von Gewalt geprägte Rhetorik forderte und legitimierte den Einsatz des Galgens und der Traum Libertalia wurde vernichtet.

Kategorie:Utopie