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Im Arbeitslosenpark

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Montags gehe ich immer zur Montagsdemo. Das muss sein, steht so im Vertrag, ist auch gut so. Da komme ich mal ein bisschen raus, an die frische Luft. Sonst bin ich ja meist zu Hause. Playstation, Video, Fernsehen, das Üblicher eben. Wenn ich mal rausgehe, dann eben zur Videothek oder zu ALDI oder zur Schnäppchenjagd. Sonderangebote, Baumarktjubiläen, Schlussverkäufe. Ich weiß eigentlich gar nicht, was ich mit dem ganzen Krempel soll. Na ja, die wollen so was sehen. Alltag eines Arbeitslosen. Ist schon ein eher einseitiger Job. Arbeitslosendarsteller. Meist mach ich aber Playstation. Oft kommen Schulklassen, da kann ich ja nicht den Erotikkanal anmachen. Das dürfte ich schon wegen der muslimischen Schülerinnen nicht. Zeichentrickfilme gehen. Fernsehen geht eigentlich alles. Ich wird mal nicht so viel jammern. Man soll ja nicht so viel jammern. Im Grunde kann ich froh sein, über meinen Job. Ich bin Arbeitslosendarsteller, wie gesagt.


Das muss man sich mal vorstellen, früher, vor dem Aufschwung, gab es fünf Millionen Arbeitslose. Aber 2006 war damit Schluss. Da kamen diese ganzen Reformen. Ruckzuck war Vollbeschäftigung. Das ist einfach mal eine ungeheure historische Leistung. Nur vergessen die Leute so etwas ja schnell. Gib ihnen ein paar Jahre Konjunktur und sie werden undankbar. Dann wählen sie plötzlich irgendwelchen Schnickschnack, aber nicht die Parteien, die sie und das Land aus der Krise geführt haben. Das ist nun mal so.


Also musste man sich etwas einfallen lassen, damit sich die Menschen erinnern. Erinnern, wie es früher war, vor den Reformen, zu Zeiten der Krise. Also wurden, mit Staatsgeldern, in allen Städten und Gemeinden Museumsviertel eingerichtet. Als Mittel zur lebendigen Anschauung. Wie so eine Art Skansen oder Erlebnispark. Da können die Leute hingehen und sich ansehen, wie die Arbeitslosen zur Jahrtausendwende gelebt haben. Das sind sehr großzügige Viertel im Stil des sozialen Wohnungsbaus. Dort sind manchmal Hunderte von Familien untergebracht. Alles professionelle Arbeitslosendarsteller: Einer von denen bin ich. Wir führen den Leuten den Alltag von Arbeitslosen vor und erklären auch alles. Geöffnet ist rund um die Uhr, [der] Eintritt ist frei. Es kommen so vieler Touristen, auch Wochenendausflüger, meist Familien aus dem Mittelstand, und natürlich Schulklassen und Kitagruppen. Unsere Arbeitslosenparks sind so beliebt, das ist schon ein richtiger Wirtschaftszweig. Mittlerweile gibt es rund fünf Millionen Arbeitslosendarsteller. Ein gewaltiges Museum des Lebens um die Jahrtausendwende und ein lebendes Denkmal für die, die diesen Zuständen ein Ende bereitet haben, für die mutigen Politiker und für die entschlossenen Reformer. Es gibt auch so eine Fernsehserie, wo das Leben der Arbeitslosen um die Jahrtausendwende nachgestellt wird. Viele unserer Besucher kennen die Materie also schon ein bisschen aus dem Fernsehen. Diese Sendung ist eine hervorragende Werbung für unsere Arbeitslosenparks. Mittlerweile läuft, glaube ich, die vierte Staffel.


"Onkel, darf ich auch mal spielen?", fragt so ein Knirps, und ich lasse ihn natürlich an die Playstation. Seine Fingerchen umklammern den Joystick und ich lege meine Hände über seine und helfe ihm, mit der Steuerung zurecht zu kommen. Seine Klassenkameraden, die kleinen Racker, sind ganz ungeduldig, jeder will mal. Natürlich kommt auch jeder mal ran. Danach gehen wir zusammen in das originalgetreu nachgebildete Arbeitsamt und jeder darf eine Nummer ziehen. Es ist Wandertag in der Angela-Merkel-Gesamtschule. Morgen werden sie darüber einen Aufsatz schreiben. Ich beantworte eine Menge Fragen. Zum Schluss bekomme ich einen Blumenstrauß, den mir das fleißigste Kind gemalt hat. Ein paar sagen, dass sie auch Arbeitslosendarsteller werden wollen, wenn sie mal groß sind. So was höre ich natürlich jeden Tag, aber ich bin trotzdem gerührt und natürlich auch stolz. Aus den Busfenstern winken mir die Kleinen noch lange nach. Ich wird mal nicht jammern, ist schon ein ganz erträglicher Job. Ich wollte sowieso immer schon was mit Menschen arbeiten. Am Nachmittag gehe ich mit ein paar japanischen Touristen zu Humana.


Fünf Millionen Arbeitslosendarsteller gibt es, wie schon gesagt. Die Ausbildung ist kurz, eigentlich wird man nur vierzehn Tage eingearbeitet. Besondere Voraussetzungen muss man nicht mitbringen. Allerdings ist es bloß ein Ein-Euro-Job. Aber ich will mal nicht jammern, besser als wie arbeitslos zu sein. Durch diese Ein-Euro-Jobs ist es schließlich gelungen, die Arbeitslosigkeit zu beseitigen. Arbeitslosigkeit gibt es bloß noch als Simulation, als Schauspiel, im Museum.


Am beliebtesten bei den Besuchern ist natürlich der Montag, da stellen wir immer eine Montagsdemonstration nach. So richtig mit Transparenten und Sprechchören und allem drum und dran. Da komme ich dann auch mal ein bisschen raus, an die frische Luft. Eigentlich ganz okay, mein Job. Ich habe wirklich keinen Grund zum jammern.



[Dieser Text hat seinen Ursprung hier: Spider - Im Arbeitslosenpark]