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Ihr werdet's nicht schaffen!

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Helden des Alltags (II):


Der Außerirdische, der hier optisch nicht auffällt, vor 34 Jahren auf Terra gestrandet ist, vergessen bzw. ausgestoßen wurde, und nicht mehr zurück kann. Weil er um sich herum nur falsch genutze Genialität und Technik sieht, kriegt er zuviel, weil die Terraner sich in die völlig falsche Richtung "entwickeln". Eines Tages hält er es nicht mehr aus und kotzt sich in einem Buch aus. (Ist noch im Begriff, es zu tun, d. Red.)

In den letzten 16 Jahren habe ich den Wert von Zeit schätzen gelernt. Ich war in diesen Jahren nicht untätig, sondern habe mir im Learning-By-Doing-Verfahren Malen und das Komponieren auf Synthies beigebracht. Alles brotlose Kunst. Bisher. Ich war kreativ, auf Parties, aß selten aus der Mikrowelle und habe ein paar Frauen glücklich gemacht, sie mich dafür unglücklich. Würde jemand einmal im Monat zu mir kommen, mir für ein, zwei Bilder und ein neues Musikstück 1500 Mark und vielleicht noch ein bißchen Gras auf den Tisch knallen, hätte ich keinerlei Probleme und wäre wirklich glücklich. Leider gibt es erst seit etwa 3 Monaten einen Silberstreif, daß sich dies in irgendeiner nicht näher zu bestimmenden Zukunft tatsächlich ereignen mag. Außerdem brauche ich Zeit, weil ich eine Freundin in Düsseldorf habe und eine in Köln (doch, doch, unter zivilisierten Menschen geht das, die wissen voneinander). Ach ja, erschwerend kommt hinzu, daß ich seit 18 Jahren überzeugter und irreversibler Nachtmensch bin. Ihr kennt das sicher: Erzähl das mal einem Arbeits- oder Sozialamtsangestellten! Da lernt man, wo die letzten Abenteuer der Großstadt lauern! Ich habe im Juni zweieinhalb Wochen hinter mir, an die man gar nicht genug Griffe löten kann, um sie wegzuschmeißen. Wenn Ihr an unterhaltsamen Briefen und seltenen Blüten in puncto Arbeitskraftbesetzung und behördlicher Chaosforschung interessiert seid, dann lauschet den wahren Ereignissen, die sich seither zugetragen… Als ich den ersten Brief an Euch in den Kasten warf, war ich ziemlich verzweifelt. Nicht nur, daß dieser Staat mir ankündigte, mich verhungern zu lassen, nein, ich mußte mich auch noch gegen sog. Freunde wehren, die im Prinzip nur ein "Na endlich, wurd aber auch Zeit, daß Du auch mal ans Arbeiten kommst" als tröstende Lebenshilfe zu erwidern wußten. Fünf Tage nach Einwurf des Briefes an meine Sozitante, erhielt ich tatsächlich Post von ihr. Ein Satz: "Bitte sprechen Sie persönlich in Ihrem Sachgebiet bei mir vor." (Den Satz gibt es da auf 'ner Funktionstaste). (...) Also besorgte ich mir eine Aderlaßkarte der Telekomiker, steckte sie in jene blankpolierten, fast rasiert wirkenden Schlitze ihrer Zapfsäulen, und rief beim Sozi an. Ich erklärte nochmal die Sachlage. (...) "Kommen Sie doch morgen vorbei, Herr G.!" Herr G. (...) saß morgens um acht auf der örtlichen Bettelstelle. Ich versuchte, ihr verzweifelt zu erklären, daß man mir mit 5-Tage-Jobs, auch noch tagsüber, nicht zu kommen brauch, weil eine Kugel durch beide Hirnlappen schneller, billiger und vor allem humaner wäre. Das war O-Ton, und die zeigt sich doch etwas verunsichert. "Waren Sie damit schon mal beim Arzt?" "Womit bitte?" "Ja, haben Sie sich schon mal schriftlich geben lassen, daß Sie tagsüber nicht leben können?" "Wie, das geht?" "Das weiß ich nicht, aber das woll'n wir mal sehen!" Sprach's, griff zum Hörer, und keine 30 Sekunden später hatte ich einen Termin bei einem Neurologen. Erstellung eines Elektroenzephalogrammes, also ein simpler Fahrtenschreiber für Synapsen. Natürlich vormittags. Als ob man gegen Wände redet! "Wenn Sie dem Gericht nachweisen können, daß Sie sich in ärztliche Behandlung begeben haben, dann kann ich hier auf Enter drücken, und Sie erhalten nochmal einen ganzen Monatssatz! Die Leute sind ganz schön scharf geworden in der letzten Zeit!" meinte sie. Dann sollen sie meiner Meinung nach vögeln, bis die Lunte abfackelt, wenn sie scharf sind, aber mich mit ihrem Kinderkram in Ruhe lassen. "Aber ich bin doch nicht krank, nur Ihr!" verschluckte ich wohlweislich. Immerhin improvisierte die Frau in ihrem Tellerrandgebiet ganz schön crazy rum, und meinte es gut mit mir. Zwei Tage und noch eine durchgemachte Nacht später (langsam könnte ich allein von Nachtzulagen wegen Gesundheitsschädigung überleben, würde mir das alles bezahlt, entlohnt) steh' ich morgens um zehn beim Neurologen. "Das ist es also", dachte ich, "jetzt mußt Du beim Irrenarzt nachweisen, daß Du nicht von hier bist! Schlimmer kann's ja wohl nicht mehr kommen." Haha! Da die technologisch erschlossenen Terraner Sklaven ihrer einstigen Diener geworden sind, ist die erste Frage beim Arzt nicht mehr: "Was fehlt Ihnen denn?", sondern die Aufforderung: "Ihren Krankenschein bitte!" - "Ja - äh, ich bin nicht krankenversichert!" Habt Ihr schon mal Mitmenschen bei einer Ufo-Landung beobachtet? Ich meine, falls Ihr genügend Zeit hattet, mal ein paar Sekunden Eure eigenen Augen vom Ufo loszureißen? Kennt Ihr diese Unterkiefer, die hörbar auf dem Erdboden aufschlagen? Eine ähnliche Reaktion rufen übrigens auch Sätze wie: "Ich habe keinen Führerschein!" oder "Ich habe kein Telefon!" oder "Ich bin mit zwei Frauen zusammen." hervor. Terraner sind manchmal mit ganz banalen Sätzen aus der Fassung zu bringen, wirklich putzig. "Wie, Sie sind nicht krankenversichert?" "Ja, ich bin über das Sozialamt..." Ein Schimmer der Erleichterung huscht über drei eigentlich hübsche Gesichter junger Frauen, die in meiner Welt zu dieser Stunde maximal wach werden, um das erste Vögeln des neuen Tages zu genießen, statt hier ihre Lebenszeit mit Arzthelferin zu vergeuden. Die Phänomene konnten gerade noch mal gerettet werden. Keine Dateileiche, sondern über's Sozi isser versichert. "Ich hab' aber nur 'nen Schein vom November, die schicken mir keinen mehr zu, ich hoffe, das macht nix," warf ich ahnungslos ein. "Nein, das geht nicht, wir brauchen einen gültigen, vorher können wir keine einzige Zeile tippen und Sie in die Kartei aufnehmen!" "Dann schalt doch diese Windows-Nutte aus und schreib's mit Kuli, blöde Sau!" verkniff ich mir vorbildlich und sagte statt dessen, in der irrigen Ansicht, man käme auf Terra mit Vernunft weiter: "Rufen Sie doch beim Sozi an! Es ist dieselbe Datei- und Sozialversicherungsnummer und wasweißich!" - "Nein, wo kommen wir denn da hin, morgen ist Quartals-ende, ab morgen ist es kein Problem, da können Sie auch mit 'nem abgelaufenen hier auftauchen. Fahren Sie doch zum Sozialamt, holen Sie den Schein, wir haben noch bis 12 Uhr auf!" "Hömma, ich habe keine sechs Mark für Bus hin und zurück. Was ich habe, ist Kohldampf. Ich brauch eine Bestätigung, daß ich gaga bin, und zwar amtlich, vorher gibt's kein Geld!" Die Dämlichkeitsgrenze in Primatengesichtern wurde erneut weiter hinausgeschoben. "Wie, sonst gibt's kein Geld?" Bei Geld wird immerhin sofort Interesse gezeigt. "Warum sind Sie denn eigentlich hier?" Ahaaa, diese Frage wird tatsächlich noch gestellt. Das gibt Hoffnung. Ich versuchte, den Fall in zwei Sätzen zu beschreiben und merkte selber, daß das unmöglich war. Erst recht 5 Stunden nach meinem normalen Zubettgehen, mitten in der ersten Rem-Phase, "Hömma, ich bin hundemüde. Ich muß da zu Fuß hingehen. Das dauert 'ne Stunde. Wenn ich dann tatsächlich zurückkomme, habt Ihr hier für Eure Kiste nix mehr zum Messen, versteht Ihr mich!" - "Ja, tut uns waaaaahnsinnig leid, aber wir können auch nicht so ohne weiteres..." - "Hömma, was glaubt Ihr, wozu Euer Herrgott das Faxgerät erschaffen hat?" fahre ich die im Prinzip unschuldigen Computeranhängsel frustriert an. "Ihr seid doch so vernetzt, daß sich jeder Blöde mit Internetanschluß minderjährige asiatische Muschis in hoher Auflösung aus einem Rechner gottweißwo (runter)holen kann, da könnt Ihr doch 'nen simplen Zettel..." "Das ist kein Zettel, Herr G., das ist ein Dokument!" Daß das "Dokument" auf'm Sozi perforiert aus einem miesen 9-Nadeldrucker rattert, interessiert offenbar keine Sau. Aber was will man von einem System erwarten, daß einen Sozialhilfeempfänger alle drei Monate zur frühen Morgenstunde zum Arbeitsamt zwingt, nur um dort ein ebenfalls miesen 9-Nadlerausdruck bzw. eine Schwarzweißkopie zu besorgen, auf der steht, daß man da war, keine Knete bezieht und tatsächlich noch im Rechner ist? Nur, um den in einem Büro am anderen Ende der Stadt abzugeben, wo ein weiterer Rechner steht? Von dem behauptet wird, daß er aus Gründen des Datenschutzes nicht mit dem Rechner des Arbeitsamtes in Verbindung steht. Da lacht der Rasterfahnder lang und schmutzig! Mit dem Kernsatz meines Buches: "Ihr werdet's nicht schaffen!" auf den Lippen verabschiede ich mich, um kopfschüttelnd den Heimweg anzutreten.

Nach 28 Stunden Aufsein (...) stand ich vor dem selben Damentrio wie am Vortag. "Ahhh,. Herr G.!" Stempel, Unterschrift, bitte Platz zu nehmen. Eine mit den Jahren dort angegilbte 23jährige verstöpselt mich mit einer Maschine, die eine gelungene Mischung aus Lügendetektor und elektrischem Stuhl darstellt. So fühlt man sich dann auch. Aus beiden Ähnlichkeiten heraus. Ich erkläre der angegilbten Schönheit, warum ich hier bin, und kann ihr somit wenigstens diesen Arbeitstag etwas erhellen. Nach nur vier Stunden Kampf gegen den Schlaf im Wartezimmer endlich beim Arzt. "Ja, was soll denn das alles?" - Geduldig erkläre ich es ihm. "Ja aber, was soll denn hier gemessen werden?" - "Daß ich genau jetzt im Bett zu liegen habe, statt zu arbeiten oder hier zu delirieren!" - "Ja aber, was soll ich denn in die Akte schreiben?" Wozu hat der Kerl eigentlich studiert? Muß der Patient jetzt dem Arzt sagen, was er in seine Akte zu schreiben hat? "Schreiben Sie um Gottes Willen, daß in der Alpha-Kurve halbmondförmige Strukturen zu sehen sind, die eindeutig auf einen typischen Nachtmenschen hinweisen!" schütte ich dem verwirrten Neurosenklempner entgegen. Kein Witz, Leute, das ist alles O-Ton hier! - "Ja, ah, wann gehen Sie denn normal so schlafen? Wie lange leiden Sie denn schon darunter?" Leiden? Hilfe, beamt mich hoch, die spinnen doch! Leiden! Ich leide unter meinem Nachtleben etwa so stark, wie unter meiner Libido. - "Seit etwa 18 Jahren." - "Ja, äh, sagen Sie doch mal Ihrer Sozialbearbeiterin, sie möge sich bei mir melden!" - "Gerne, Chef, alles, aber geben Sie mir jetzt bitte eine Bestätigung, daß ich hier war!" - "Wieso?" - "Weil-mein-Geld-erst-überwiesen-wird-wenn-ich-diesen-Beleg-abgebe-Gump!" wollte ich ihn anschreien, und jede Silbe mit einer Kollision seines Hinterkopfes an der Wand würzen. Ich entschied mich dagegen. "Den kann Ihnen die Sprechstundenhilfe geben!" meinte ein zutiefst verwirrter und vergeblich grinsender Arzt. Eines der drei hübschen Gesichter füllt einen kleinen Din-A-6-Zettel aus, der im 50iger-Block an der Rezeption lag. "Na, den hätten Sie mir auch gleich ausstellen können!" meine ich zu ihr. Sie lacht, weil sie offenbar glaubt, ich wollte sie mit einem Scherz erheitern. Ich tapse nach Hause, lege den Zettel in einen Umschlag ans Sozi, werfe ihn ein und mich in die Falle.

Herr G. aus Aachen



[Dieser Text gehört zu dieser Text-Sammlung der Glücklichen Arbeitslosen]