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Geldübergabegeräte

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Geld ist wie Luft: man nimmt es erst wahr, wenn es knapp wird. Doch Wahrnehmen heißt nicht Verstehen. Wer kann schon behaupten, er hätte das Wesen des Geldes begriffen? Kapitalisten brauchen nicht weiter darüber nachzudenken, denn sie bestimmen den Geldumlauf. Und die Restbevölkerung hat keine Gelegenheit, darüber nachzudenken, denn ihr mühevolles Ringen nach dem monetären Sauerstoff lässt ihnen keine Zeit dazu. Hinzu kommt die allgemeine ideologische Verwirrung: Wer geldfixiert ist, dem wird "Materialismus" vorgeworfen, obwohl Geld die Antimaterie schlechthin, eine metaphysische Entität, darstellt. Oder man behauptet, "endlich konkret" zu werden, wenn man anfängt, von Geld zu sprechen, während doch in Wahrheit von einer reinen Abstraktion die Rede ist. Und noch ein Paradoxon: Kein Mensch, ob Existenzgründer, Künstler oder Krimineller, bleibt von der Geldsuche verschont. Also könnte man annehmen, dass dieser gemeinsame Nenner eine zwischenmenschliche Verbindung herstellt. Doch das Gegenteil ist der Fall. Geld bewirkt die absolute Vereinzelung, vor ihm ist jeder nur eine einsame Monade. Anders ausgedrückt: Wir schwimmen in einem Ozean aus Geld, doch solange es Geld gibt, wird es nicht genug für alle geben. Und es ist gleichgültig, ob man das goldene Kalb selber anbetet oder dies als pervertierenden Glauben verpönt: Jeder macht mit, so oder so. Wir haben keine Wahl, also versuchen wir, den schnellsten und einfachsten Weg zum Geld zu finden.


Die polizeiliche Wortschöpfung "Geldübergabegerät" bezeichnete die vom Aktionskünstler Arno Funke (alias Dagobert) liebevoll gebastelten Apparate, mittels derer er die von ihm erpressten Kaufhausgelder ernten wollte. Der Begriff kann aber in seiner Eindeutigkeit auch zum vollkommenen Sinnbild der gesamtgesellschaftlichen Beschäftigung erweitert werden: Ich stehe hier, Geld liegt irgendwo in der Ferne, also muss ich einen Mittler erfinden, der mir das Geld übergeben wird. Im Grunde genommen sind wir alle, wohl oder übel, mit dem Basteln von Geldübergabegeräten beschäftigt. Diese können auch immateriell sein, sie nennen sich dann "Projekte". In Agenturen, Galerien, Läden, Kneipen und Ämtern, in Funktelefon- und Computernetzen wimmelt es nur so von Projekten. Etymologisch heißt ein Projekt machen: "etwas vorwärts werfen". Doch wer sein Projekt vorwärts wirft, hofft schon, etwas zurückzubekommen, Knete natürlich. Bezogen auf diese Dynamik gibt es keinen Unterschied zwischen Erpresser und Projektemacher, zwischen Gauner und Unternehmer. Den Sammelbegriff für Geldübergabegeräte und sonstige Projekte nennen wir: Geldbeschaffungsmaßnahmen (GBM). Diese Bezeichnung ist moralisch neutral: Geld ist jenseits von Gut und Böse, so wie ethische Urteile jenseits von Geld sind. Nur kann festgestellt werden, dass bestimmte GBM zu ihrem Gelingen des Anscheins von Legalität oder Nützlichkeit bedürfen. Für Konzeptkünstler und gemeinnützige Vereine ist eine schlaue Benennung der erste Schritt zur Geldbeschaffung.


Wenn alles, was in dieser Gesellschaft unternommen wird, aus GBM besteht, woran liegt dann die Besonderheit einer Messe der GBM? Eben darin, dass sie sich zu einer solchen erklärt. Die Buchmesse, die Erotikmesse, die Kunstmesse, die Waffenmesse: Sie alle sind nichts anderes als GBM. Nur verstecken sie sich hinter einem Vorwand, besser gesagt, einem Verkaufsargument. Wir behandeln die Sache selbst. Wer sich ohne Schonung oder Ausrede mit der wesentlichen Brutalität des Geldprozesses befasst, kann andere Werte fördern, sei es einen Sinn für Ästhetik, für Philosophie oder für soziales Verhalten. Manche haben ihre Teilnahme an der GBM-Messe nicht ohne Vorbehalt zugesagt. Der Eine meinte, sein Ansatz sei weltverbessernd und menschenfreundlich, der Andere betonte, sein Ziel hieße nicht Geld, sondern Kommunikation. Das schlimmste, was dem Geldfetisch geschehen kann, ist, nicht mehr ernst genommen zu werden. Andererseits kann es einem wohl unheimlich vorkommen, dass die Geldbeschaffung widerstandslos als Unterhaltungsgegenstand hingenommen wird. Die Organisation dieser Messe war ein Testversuch: Inwieweit ist es heutzutage möglich, solche Gedanken ohne Umschweife in die Praxis umzusetzen? Ich ging zu allen möglichen Leuten und bat um Unterstützung oder Zusammenarbeit mit einem einzigen Argument: "Ihr betreibt sowieso nichts anderes als GBM." Vor ein paar Jahrzehnten wäre mir zweifelsohne gleich die Tür gewiesen worden. Doch jetzt wurde diese Feststellung ohne Zögern und ohne weitere Frage, ja mit einer gewissen Erleichterung hingenommen: "Klar, Geldbeschaffungsmaßnahmen, wir machen mit."


Vielleicht wird dieses Unternehmen als ein weiterer Fall des postmodernen Zynismus betrachtet werden. Man darf alles entblößen, sich über alles lustig machen, gerade weil nichts mehr wichtig oder gefährdend ist. Doch wer sich über den Verfall der sozialen Werte aufregt, sollte nicht die Zeugen dieses Verfalls anklagen, sondern die ungeheuerlichen Umstände, unter denen wir existieren. Wie ein vergessener Dichter einst behauptete: "Die Kritik hat die imaginären Blumen an der Kette zerpflückt, nicht damit der Mensch die phantasielose, trostlose Kette trage, sondern damit er die Kette abwerfe und die lebendige Blume breche." Das Rätsel muss gelöst werden. Geld gehört abgeschafft.


Guillaume Paoli

(Veröffentlicht in der FAZ, Berliner Seiten, 14.10.1999, anlässlich der Eröffnung der 1. Messe der Geldbeschaffungsmaßnahmen.)



[Dieser Text gehört zu dieser Text-Sammlung der Glücklichen Arbeitslosen.]