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Busy doing nothing

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"Wenn ich beschäftigt bin, schaut mich der Berg an Wenn ich müßig bin, schaue ich den Berg an Beide Dinge mögen gleich erscheinen Doch gleich sind sie nicht Da Beschäftigung der Muße unterlegen ist" Tsai Wen


Im Sommer 2000 fand in Hannover die erste „Internationale Frauenuniversität“ (ifu) für Postgraduierte statt. Das dafür zuständige Kunstkomitee hatte u.a. die Glücklichen Arbeitslosen für eine Intervention im „Projekt Arbeit“ (sic!) vorgesehen. Nachdem Widersacherinnen ihren Kampf gegen unsere Teilnahme an dem Prestigeobjekt aufgegeben hatten, hielten wir auf dem Universitätsgelände Einzug und durch bis zum bitteren Ende.

Im Nachhinein entstand folgendes Resümee.


Immer nur Arbeit[edit]

Auf Arbeit von Menschenhand wird aus technologischen und finanziellen Gründen immer noch nicht verzichtet. Je mehr Geld zu einem allumfassenden Kommunikationsersatz wird, desto stärker wird die Abhängigkeit davon und die Gier danach.

Die manuelle Produktion wird in Billiglohnländer ausgelagert, wo sich schon Kinder um diese neokolonialistischen Jobs reißen müssen, weil sie so ihre Familien ernähren können. Aufrichtig stolz auf den so erworbenen materiellen Reichtum, in dem der Westen lebt, kann wohl niemand sein.

Rein moralisch hat der aufgeklärte westliche Mensch keine Bedenken mehr, mit seiner Kaufkraft um sich zu werfen. Die Kaufkraft hat sich zu einer gern gesehenen Charaktereigenschaft herausgeputzt. Man kauft „fairen“ Kaffee heutzutage schon im Supermarkt und freut sich, den ehrlich schuftenden Campesino auch ehrlich zu unterstützen, denn für seine Plackerei bekommt er jetzt mindestens einen Dollar mehr pro Monat.


Über die Muße[edit]

Muße kann als Anachronismus bezeichnet werden. Nach Forschungen [Hierzu gab es 1998 eine Befragung mit anschließender Auswertung im Pavillon der Volksbühne im Rahmen einer Veranstaltung der „Initiative Kunstpause“ aus Hamburg.] der Glücklichen Arbeitslosen mussten wir feststellen, dass ein großer Teil der europäischen Bevölkerung „Muße“ nicht kennt oder gar mit „Muse“ verwechselt. Aus diesem Anlass soll hier eine verkürzte Begriffserläuterung folgen:

„Muße ist das tätige Nichtstun, Möglichkeit und zugleich Grundbedingung der Selbstfindung, der Selbstverwirklichung, des Selbstseins wie auch der Partizipation an und Verwirklichung von Kultur, Kunst und Freizeit. Muße war z.B. in der griechischen Polis durch die Arbeit der Sklaven ein ermöglichtes Privileg der >freien< Bürger, und galt bis in die Neuzeit hinein auch als humanistisches Ideal und Statusmerkmal bestimmter Klassen (...)“

Weiter: die durch die „zweite industrielle Revolution möglich gewordene Neubestimmung des Verhältnisses von Arbeit und Muße [könnte] zu einer Verhinderung neuer Abhängigkeiten in Gesellschafts- und Konsumzwängen, von Stress (...) und zur Ausweitung menschlicher Freiheit (...) beitragen.“ (Meyers Lexikon, ohne Ort und Datum)

Es entstand die Idee, die vernachlässigte Muße theoretisch und praktisch zum Gegenstand eines Projekts auf internationaler Ebene zu machen – einen gemeinsamen Versuch durchzuführen zur Entökonomisierung des Alltags, auf der Grundlage der antiken Differenzierung von „otium“, der feien Tätigkeit oder auch Muße, und „negotium“, der nicht freien, also verkäuflichen Tätigkeit.


Busy going nothing – Das Konzept[edit]

Zunächst ging es darum, die Position der Glücklichen Arbeitslosen darzulegen. Dem Konzept von „Busy doing nothing“ lag der internationale Vergleich von Menschen ohne Arbeit zu Grunde, eine Einladung in das Reich der Muße und des Nichtstuns – fernab vom Reich der Notwendigkeit. Eine Forschungsreise, auf der nicht unbekannte Subjekte, sondern die eigene Lebensweise, die eigene Muße untersucht und erlebt werden. Die jahrhundertealten geographischen Gegensätze sollten Gegenstand der gemeinsamen Annäherung an diese von Kunst und Wissenschaft immer wieder vernachlässigten Themen sein. Experimente sollten die Muße lebendig werden lassen und ihre Einbindung in die Lebensplanung der Teilnehmerinnen anregen. Natürlich gehörten dazu historische und linguistische Ausflüge, aber das Praktizieren von Muße sollte stets im Vordergrund stehen. Damit sollte sich „Busy doing nothing“ klar von Arbeit und Arbeitskritik absetzen, um der Muße den Raum einzuräumen, der ihr gebührt.

Die Schärfe der hiesigen Kritik am Untätigsein offenbart die verführerische Kraft dieser Facette des Seins. Weil er sich das Farniente im eigenen Umfeld selbst nicht zubilligt, sucht es der moderne Mensch in der Ferne – die westeuropäische Bevölkerung beschreibt diesbezüglich eine eindeutige Nord-Süd-Kurve und gibt gern der mangelnden Sonne die Schuld dafür. Gibt es diese starken geographischen Gegensätze außerhalb von Europa und wie stellten sie sich dar? Welche kulturellen Ursachen liegen der weitverbreiteten Schizophrenie zu Grunde, sich nicht guten Gewissens dem Nichtstun hingeben zu können, obwohl doch dieser Zustand sehr erstrebenswert ist?

„Busy doing nothing“ war eine praktische Aufforderung, einen exakt durchorganisierten Zeitplan und die simple Unterteilung der Zeit in Arbeit und Freizeit zu durchbrechen. Hier sollten die ganz persönlichen Erfahrungen vor dem Hintergrund kultureller Gemeinsamkeiten und Unterschiede zum Tragen kommen.


Die Taten und die Nicht-Taten[edit]

Aus „Busy doing nothing“ entwickelte sich vor Ort mehr als nur „Muße unter Anleitung“ Meistens stellte sich die Muße von ganz allein ein. Es entstand eine Art heimlicher Wettbewerb, bei dem viele sich für die Mußekönigin hielten. Eine Teilnehmerin aus Bahia behauptete, die Faulheit der Einwohner dieser nordbrasilianischen Stadt wäre nicht zu übertreffen. Muße und Faulheit vermischten sich häufig. Doch im Rahmen der ifu musste, wer Muße praktizieren wollte, zunächst Faulheit ermöglichen.

Da der (halb)öffentliche Raum der Universität ein mußefeindlicher Ort ist, waren wir (die Performancekünstlerin Anja Ibsch führte das Projekt mit mir gemeinsam durch) zunächst damit befaßt, eine Mußetempel zu errichten. Er bestand aus einem großen Zelt, in dem mehrere Sofas dazu einluden, die Dinge aus einer bequemeren Lage heraus zu betrachten – eine Idee, die regen Zuspruch fand. Diese aufblasbaren Ein-Personen-Sofas hatten unter anderem die günstige Eigenschaft, einfach nach hinten umzufallen, wenn sich die darauf sitzende Mußefreundin zu sehr bewegte.

erlebte Muße kann nicht Gegenstand einer theoretischen Abhandlung sein. Es geht hier vielmehr um Anregungen, über die die Teilnehmerinnen von „Busy doing nothing“ auch reichlich verfügten. Der Kampf um freie Zeit und zwar solcher Art, dass sie auch Muße tatsächlich zulässt, ist ein Thema, das auf internationaler Ebene für Aufregung sorgen kann. Die Muße-Interessierten kamen vor allem aus Indien, Brasilien, Sierra Leone, Uganda, Russland, Kirgisistan, Philippinen und der Türkei.

Die Teilnehmerinnen bemerkten schnell aufgrund ihrer Alltagserfahrung in Deutschland, dass der westeuropäische notorische Zeitmangel durch Vereinzelung verstärkt wird. In vielen anderen Kulturen ist Zeit vielmehr ein kollektives Gut und erfährt dadurch eine Wertsteigerung. In dem Moment, in dem Zeit kollektiv empfunden wird, tritt das Überwachen der eigenen Zeiteinteilung in den Hintergrund. Ein Beispiel dafür lieferte eine Inderin, die ausführlich verschiedene Zeremonien beschrieb, bei denen Zeit kollektiv verschwendet wird. Sich diesen Traditionen mit der Begründung zu entziehen, keine Zeit dafür zu haben, hieße, sich freiwillig ins soziale Aus zu begeben. Diese traditionell geprägten Umgangsformen setzten europäische Teilnehmerinnen Erfahrungen entgegen, die von kleineren, aber doch weitverbreiteten Bewegungen gegen ein immer schnelleres und arbeitsreicheres Leben zeugen. Dazu gehören sowohl die Slow-food-Bewegung, als auch das Institut für Anti-Streß-Strategien, die Kunstsportgruppe der Umgehungstechnik, der Verein zur Verzögerung der Zeit und das Institut praktische Philosophie in Hannover, bei dem „Busy doing nothing“ zu Gast war. Doch viel stärker als der kollektive Widerstand gegen ein Leben in Hochgeschwindigkeit auf europäischer Ebene, setzt sich der Rückzug in das Private durch, was hier mit Familie gleichzusetzen ist.

Einen großen Anteil daran leistet die moderne Informations- und Kommunkationstechnologie. Auch an der ifu konnte diese Entwicklung beobachtet werden. Während ein Raum für einen Austausch von Angesicht zu Angesicht nur mangelhaft zur Verfügung gestellt wurde, nahm die virtuelle Kommunikation einen überhöhten Stellenwert ein. Hier steuerte „Busy doing nothing“ aktiv und passiv gegen und bestätigte sich als notwendiger Kontrapunkt.

Unterschiedlich war auch die diskursive Annäherung an das Thema „Muße“ im Allgemeinen, denn wo Muße gelebt wird, erübrigt sich das Erörtern derselben. Außerdem betrachten Frauen, deren Umfeld stark von kollektiven Regeln und Zwängen geprägt ist, eine Diskussion über ein vereinzeltes Ausscheren als gegenstandslos.

Die vereinzelte Muße und die Klage über ihren Verlust spielt eine geringe Rolle dort, wo traditionelle familiäre Strukturen den Lebensweg der Einzelnen stark vorzeichnet. Der Zugang zur Thematik variierte auch mit den verschiedenen philosophischen Traditionen der Kulturen. Während Europäerinnen sich vor allem darauf ausrichten, den Ist-Zustand der Welt auf den von ihnen vorgestellten Soll-Zustand hinzubewegen, entsteht das Handeln in anderen Kulturen mit dem Realen im Realen, ohne dass ein Abstand dazu gesucht würde.


Rückblickende Gedanken[edit]

Unser Projekt ließ sich auf eine starke Spaltung innerhalb des sich angeblich annähernden und zusammenschließenden Europas schließen. Außer Türkinnen, Griechinnen, Portugiesinnen, und Russinnen zeigten europäische Teilnehmerinnen kaum Interesse an „Busy doing nothing“. Bemerkenswert engagiert waren hingegen die indischen, philippinischen, west- oder ostafrikanischen sowie brasilianischen Teilnehmerinnen.

In Ländern, die traditionell von einer ausgedehnten Geldstruktur beherrscht werden, (etwa Deutschland, USA etc.) ist bereits nur die Vorstellung, nicht permanent für Geld, Dienstleistung oder Warenproduktion in Bewegung zu sein, anstößig. Durch diese Fixierung werden gegenläufige Modelle – in diesem Fall „Busy doing nothing“ - als störend oder gar bedrohlich empfunden und abgelehnt. Auch die ifu war nicht in der Lage, konventionelle Arbeits- und Lebensverhältnisse auf den Kopf zu stellen, im Gegenteil.

Es zeigt deutlich, dass der strukturelle Aufbau privater Lebenssysteme in den Materiell reichen Ländern zu einer Armut an Spontanität, Wahrnehmungsfähigkeit und menschlicher Kommunikation führt. Unsere eigenen Erwartungen wurden weit übertroffen, als wir feststellten, mit welcher Herzlichkeit und Würde die Teilnehmerinnen einander und uns begegneten.

Durch die Sehnsucht nach dem Sich-Fallen-Lassen wurde unser Projekt zu einer Oase für die Teilnehmerinnen, die von dem streng reglementierten System der ifu teilweise überfordert waren. Die Wahrnehmungsfähigkeit wurde bei den Teilnehmerinnen von „Busy doing nothing“ eher wieder hergestellt oder unterstützt als relativiert.

Es ging darum, einen Halt in der Zeit zu erschaffen. Das Mußezelt diente dabei als Kulisse für den eigentlichen künstlerischen Prozess, der sich letztlich in den Köpfen und Herzen der Teilnehmerinnen abspielte. Eine brasilianische Studentin teilte uns mit, „Busy doing nothing“ sei das gelungenste Kunstprojekt der gesamten ifu. Überrascht erwiderte ich, ich hätte sie noch nie im Zelt gesehen. Daraufhin erklärte sie mir, unsere visuelle Präsenz allein hätte sie von Anfang an sehr positiv beeinflusst und der von uns geschaffene Ruhepunkt wäre eine Art Seelenbalsam für sie gewesen.

Wir denken, dass alle, die sich darauf einließen, es nach dem Ende der ifu nicht vergessen werden, und darüber berichten und diskutieren.

Durch unsere überraschende und verfremdete Kombination von Zeit- und Sozialstrukturen konnten wir breite Irritationsfelder erzeugen. Diese verhalfen einerseits unserem Projekt vor Ort zu einem größeren Bekanntheitsgrad, werden aber auch sicherlich die Teilnehmerinnen über die ifu hinaus in ihren Lebensumfeldern beschäftigen.

Das eigentlich soziale Kunstwerk vollendete sich da, wo die Teilnehmerinnen selbst die Muße inszenierten.

In der Abschlusspräsentation von „Busy doing nothing“ bestiegen neun Mußefreundinnen die Bühne eines mit etwa 300 Zuschauerinnen besetzten Saales, um es sich auf ihren Sofas bequem zu machen. Eine nach der anderen ließ sich auf ein Sofa fallen und verharrte in der bequemsten Stellung. Das Publikum erwartete offenbar ein wichtiges und gut durchdachtes Resümee. Minutenlang geschah jedoch nichts. Dann begann sich die innere Gelöstheit von der Bühne auf das Publikum zu übertragen und verwandelte sie ständige Anspannung, die an der ifu zu spüren war, in entspanntes Gelächter.

„Durch Nichtstun die Welt erobern“ - empfiehlt das Taoteking. Das sein möglich, weil in der Passivität Ruhe liege und „wenn die Ruhe wieder zur Tätigkeit wird, ist jede Tätigkeit richtig... Untätigkeit bedeutet, mit sich selber im Frieden zu sein und wenn einer mit sich selbst im Frieden ist, können ihm Kummer und Sorge nichts anhaben, und er hat ein langes Leben.“

Mila Zoufall

2002



[Dieser Text gehört zu dieser Text-Sammlung der Glücklichen Arbeitslosen.]