Still working to recover. Please don't edit quite yet.
Bornholmer Tagebuch
Freitag: Habe die doofste Wohnung der Welt. Kein Strom, kein Wasser, kein Gas. Kann nicht renovieren, bevor Elektriker und Klempner da waren. Reißen ja doch wieder die Wände auf. Esse und trinke außer Haus, meist im Getränkespätverkauf Gotlandstraße. Gehe auf die City-Toilette vor der Tür. Kann nicht Duschen. Keiner liebt mich.
Sonnabend: Liege im Bett und träume von der Südsee. Uff eenmal Klops an der Tür. Meine Eltern. „Hallo Andi, wir wollen bloß mal gucken, wie Du so wohnst“, na schönen Dank auch. „Hier Blumen für Dich, musst Du aber gleich ins Wasser stellen.“ „Ihr wisst doch, dass ich kein Wasser habe!“, werfe ich ihnen vor. Ich bin überzeugt das sie mir die Blumen bloß mitgebracht haben, um Salz in meine Wunden zu streuen. „Dürfen wir uns mal umsehen?“ „Nein, dürft Ihr nicht!“, schreie ich, aber sie sind schon drin. „Hach, hier muss noch viel gemacht werden. Naja, Wir sind jetzt bei uns fertig geworden, mit Küche und Bad. Mikrowelle, Spülmaschine, Whirlpool..., na man lebt ja nicht mehr im Mittelalter.“ „Kann ich dann mal gleich mit zu Euch kommen, duschen?“, frage ich, um wenigstens einen kleinen Teil vom Wohlstandskuchen abzubekommen. „Klar, jederzeit. Komm einfach mal vorbei, wenn wir aus dem Urlaub zurück sind. Wir sind nämlich gerade auf dem Weg nach Tegel. 3 Wochen Südsee, man gönnt sich ja sonst nix.“ „He, soll ich nicht Eure Blumen füttern? Oder die Katze gießen? Gebt mir den Schlüssel! Gebt mir den Schlüssel!“ „Nein, nein, das wollten wir Dir nicht zumuten. Das macht Tante Gisela. Du hast hier in Deiner Wohnung ja genug zu tun.“ Na vielen Dank. Und weg sind sie. Gehe zur Suffluke in der Gotlandstraße, trinke Weinbrand.
Sonntag: Erwache mit Kopfschmerzen. Stelle fest, dass nicht mein Wecker geklopft hat, sondern Tante Gisela. „Ich wollte bloß mal gucken, wie Du so wohnst“, sagt sie und schiebt mich aus der Tür, „stell die Blumen ins Wasser, und zieh Dir mal was an.“ „Nicht die Küche betreten!“, will ich noch rufen, da ruft es auch schon aus der Küche: „Mein Gott, hier sieht es ja aus wie bei Onkel Horst.“ Onkel Horst lebt, seit er sich seine Lichtenberger Vollkomfortwohnung unter'm Arsch angezündet hat, im Trinkerheim. Solange es ihn gibt, bin nicht ich das Schwarze Schaf in der Familie. „Na, ich werd Dich mal nicht länger von der Arbeit abhalten“, flötet Tante Gisela und weht davon. In wenigen Stunden wird die Telekom viel Geld verdient haben, und halb Berlin wird wissen, wie ich wohne. Ich ziehe mich an und gehe zur Suffluke Gotlandstraße.
Montag: Andre und Micha stehen vor der Tür. Wollen mal sehen, wie ich so wohne, im Prenzlauer Berg. Können sich vor Lachen kaum halten. Hätte ich sie bloß nicht immer dafür verspottet, dass sie in Hohenschönhausen wohnen. Oder hätte ich sie wenigstens nicht reingelassen. Als sie weg sind, gehe ich in die Gotlandstraße zur Suffluke.
Dienstag: Verwandte und Bekannte geben sich die Klinke in die Hand. Hat sich rumgesprochen, das meine neue Hütte 'nen Blick wert ist. Lese abends im Zosch eine Geschichte über meine Wohnung, in der ich viel beschönige. Verdiene etwas Geld. Trage es sofort in die Gotlandstraße.
Mittwoch: So eine Überraschung, Besuch! Onkel Horst. Wenigstens hat er 'ne Pulle 10 vor 3 dabei und 'ne Praline. Erzählt, dass sie schöne helle und warme Zimmer haben, im Trinkerheim. Mit fließend Kalt- und Warmwasser. Wir gehen noch auf'n Schluck runter zur Suffluke.
Donnerstag: Habe meine neuen Freunde aus der Gotlandstraße zu mir eingeladen. Haben Blumen mitgebracht. Alle sind amüsiert aber keiner will lange bleiben. Stellen uns lieber wieder an die Luke. Dort gibt es wenigstens Radio.
Freitag: Es klopft an der Wohnungstür. Stelle mich tot. Ich kann mich nicht jeden Tag demütigen lassen. Mehrfache Wiederholung dieses Vorganges. Nehme abends eine Ansichtskarte aus dem Briefkasten: „Lieber Andi! Schöne Grüße aus der Südsee. Mama & Papa.“
Wie schmeckt eigentlich A&P-Klarer? Recherche in der Gotlandstraße.
Sonnabend: Habe mich von den Jungs weichklopfen lassen. LSD veranstaltet Führungen in meiner Wohnung. Gunnar und Klaus fahren abwechselnd mit ihren Mittelklassewagen Touristen vom Brandenburger Tor in die Bornholmer Straße. Tube kassiert Eintritt. Volker und Micha lotsen staunende Berlinbesucher durch meine Gemächer. Erwachsene 25 Euro, Kinder, Studenten und Krüppel zahlen nur 24.
1. Programmpunkt: Besichtigung des Bewohners in seinem Zimmer. Liege auf dem Bett und kratze mich am Sack. Besonders mutige dürfen an mir riechen.
2. Programmpunkt: Das Jahrhundert in Tapeten. Die Gründerjahre, 2 Weltkriege, Kaiserreich, die Weimarer Republik, das III. Reich, die DDR und die BRD. Alles vereint im Flur. Sonderschau in der Küche: Linoleum aus den finsteren Jahren.
3. Programmpunkt: Mit Grubenlampe und Sicherungsseil, sowie auf eigene Gefahr, wird das Bad besichtigt. Erklärung der historischen Installationen.
4. Programmpunkt: Besuch der City-Toilette auf dem Mittelstreifen der Bornholmer Straße.
5. Programmpunkt: Abschiedstrunk an der Suffluke Gotlandstraße. Garantierte Teilnahme des Bewohners.
Das Geschäft floriert, der Euro rollt, am Abend sind wir alle reich. Liebe meine Wohnung. Große Feier in der Gotlandstraße. Alles wird gut.
[Dieser Text hat seinen Ursprung hier: Spider - Im Arbeitslosenpark]