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Aufstand in Patagonien

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Der Aufstand von Patagonien (1921-1922)

[Zum gleichen Thema haben wir* auch den Beitrag Kurt Gustav Wilckens: »El vindicator« veröffentlicht].

Ganz im Süden des amerikanischen Kontinentes fand 1921/22 eine Streikwelle statt, die als »Aufstand von Patagonien« in die Geschichte der internationalen ArbeiterInnen-Bewegungen eingegangen ist. Zugleich ist die Unterdrückung des Streiks ein Beispiel dafür, zu welchen Massakern »demokratisch gewählte Regierungen« bereit sind, wenn die Besitzenden ihre Macht bedroht sehen.

Patagonien ist der Name der riesigen Landfläche im Süden Amerikas, die sich von den Anden hin zum atlantischen Ozean zieht. Der argentinische »wilde Süden« war lange Zeit eine Art Niemandsland, für das sich keiner interessierte, weil es dort nichts zu holen gab. Das änderte sich ab etwa 1879, als vornehmlich englisches Kapital riesige Flächen aufkaufte, um dort in großem Stil Schafzucht für die – den Weltmarkt beherrschende, britische Textilindustrie – zu betreiben. Die Folge war die Ausrottung der indigenen Tehuelches durch »Indianerjäger« im Auftrag der Großgrundbesitzer (Estancieros).

Auf den riesigen Großgrundbesitzen fand sich binnen weniger Jahre eine multikulturelle Landarbeiter-Klasse zusammen, die sich aus Kreolen aus dem nördlichen Argentinien, aber auch vielen Einwanderern, die dem Elend in Europa den Rücken gekehrt hatten, zusammensetzte. So konnte man in den Massenquartieren auf den Großgrundbesitzen (Estancias) neben Spanisch auch Italienisch, Polnisch, Deutsch und andere Sprachen hören.

Das wachsende Selbstbewusstsein der Landarbeiter (Frauen befanden sich kaum unter ihnen) und die Wut über ihre Lage äußerte sich 1920 in einem Generalstreik, den die Gewerkschaft »Sociedad de Oficios Varios de Rio Gallegos« in allen Estancias des riesigen Territoriums ausrief. Zu den Forderungen gehörten neben einer Lohnerhöhung, dass die großen Baracken, in denen bis zu hundert Arbeiter schliefen, durch Schlafräume für maximal drei Personen ersetzt werden sollten. Außerdem verlangten die Streikenden, dass die Estancias – im Versuch, Frauen von den Gütern fernzuhalten – nicht nur ledige Arbeiter einstellen sollen, sondern auch verheiratete.

Der Gouverneur Patagoniens wandte sich, ebenso wie die britischen Großgrundbesitzer, sofort an die Regierung in Buenos Aires. Hipólito Yrigoyen, der erste demokratisch gewählte Präsident Argentiniens, schickte daraufhin Truppen in den Süden. Ihr Befehlshaber, Oberstleutnant Varela, handelte ein Übereinkommen zwischen den Gewerkschaften und den Großgrundbesitzern aus.

Kaum waren die Truppen wieder in die Hauptstadt zurückgekehrt, weigerten sich die Estancieros, das Abkommen umzusetzen. Die Antwort war ein weiterer Generalstreik. Arbeiter zogen von Estancia zu Estancia, eine nach der anderen schloss sich dem Streik an. Die Besitzer flohen an die Küste oder nach Buenos Aires und forderten erneut Hilfe von der Regierung. Diese setzte wieder Varelas Truppen in Marsch, dieses Mal mit einer Generalvollmacht zur Verhängung der Todesstrafe. Varela forderte nun nicht etwa die Einhaltung des von ihm vermittelten Vertrages durch die Estancieros, sondern fiel mit einem systematischen »weißen Terror« Ã¼ber die Städtchen, Dörfer und Estancias der Region her. Alleine auf der Estancia »La Anita« wurden 610 Arbeiter, unter ihnen der deutschstämmige Anarchist Paul Schultz, erschossen und in einem Massengrab verscharrt. Binnen weniger Wochen hinterließ die Soldateska eine Blutspur von mehr als 1.500 ermordeten Streikenden, laut Militärakten allesamt »auf der Flucht erschossen».

In Argentinien versuchte die Bourgeoisie jahrzehntelang, jede Erinnerung an diese Massaker zu unterdrücken. Dennoch waren sie durch die Lieder der Payadores und durch Erzählungen stets in der untergründigen Klassengeschichte präsent. Ende der sechziger Jahre holte Osvaldo Bayer mit einer vierbändigen Veröffentlichung, die als Vorlage für den Film »La Patagonia Rebelde« diente, die brutale Unterdrückung in das Licht einer breiten Öffentlichkeit zurück. Während der Militärdiktatur ab Anfang der 70er Jahre musste Osvaldo fliehen, seine Bücher wurden in Argentinien verbrannt, der Film verboten. [Artikel aus SyndiKal* 2011, Taschenkalender für das Ende der Lohnarbeit. Moers 2010].

Siehe auch[edit]

Literatur[edit]

  • Osvaldo Bayer: "Aufstand in Patagonien". Trotzdem Verlag bei Alibri, Frankfurt, 2010. 423 Seiten mit Fotos. ISBN 978-3-86569-910-7. "Das Buch ist eine Fundgrube für die Geschichte Patagoniens und die zu jener Zeit dort aktiven anarchistischen und linken Immigranten aus Europa. Bayer macht mit seiner Geschichtsschreibung der Hütten deutlich, worauf die Paläste von Estancieros und Oligarchie gebaut sind". (Eberhard Falcke in Zeit Literatur, September 2010)

Film[edit]

Radio[edit]

  • "Anarchisten am Rio de la Plata", (zum Anarchismus in Argentinien) SWR-Radiosendung vom 03.01.2014 von Karl-Ludolf Hübener.

Ihr "Glück in Argentinien zu machen" hofften in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts viele verarmte und politisch verfolgte Europäer. Mit ihnen kamen auch ihre politischen Ideen über den Atlantik an den Rio de la Plata. Vor allem Anarchisten haben die Geschichte der argentinischen Arbeiterbewegung zeitweise entscheidend beeinflusst. Mit Streiks wollten sie nicht nur bessere Löhne erkämpfen, sondern auch eine Gesellschaft "ohne Herrschaft von Menschen über Menschen", ohne Hierarchien und staatliche Zwangsjacke. Eine Mehrheit entschied sich für den gewaltlosen Weg, eine Minderheit beharrte dagegen auf gewaltsame "direkte Aktionen". So die sogenannten "Enteigner", die mit Bank- und Fabriküberfällen die Revolution finanzieren wollten. Einige gewaltfreie Ideen der Anarchisten haben bis heute überlebt. So in selbst verwalteten Fabriken am Rio de la Plata. Quelle: SWR, hier die Datei zum nachhören: http://mp3-download.swr.de/swr2/wissen/sendungen/2014/01/swr2wissen-20140103-anarchisten-am-rio-de-la-plata.12844s.mp3 Manuskript der Sendung: [2]