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APO-Calypse:Herrschaftsfreie Welt? (Seminar) Reader Subsistenz

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auch hier die Anmerkung: bitte ein Kurzfassung/einen Kurzüberblick zu dem Thema schreiben und hier reinstellen. Der untenstehende Text kann dann hier verlinkt werden, ggf. richte eine extra-Seite ein, wo dieser erscheint. Hier sollen nur kurze Überblicke zu einzelnen Ansätzen dargestellt werden, keine seitenlangen Artikel einzelner VertreterInnen aus dem Bereich...


Leben ist unwirtschaftlich - Subsistenz - Abschied vom ökonomischen Kalkül[edit]

von Claudia von Werlhof

Teil 1: Unterentwicklung und Knappheit - Ergebnis der Zerstörung von Subsistenz[edit]

Viele suchen heute nach einer neuen Politik im Sinne von etwas, das von oben und von außen kommt, während das, was hier vorgestellt werden soll, im Gegenteil dazu steht. Also keine neue Politik. Der Begriff ist längst besetzt. Gerade die griechische Polis ist sehr unrühmlich mit Sklavenhaltergesellschaft und Frauenunterdrückung im Hintergrund entstanden. Und so etwas sollte man vielleicht nicht noch einmal wiederholen, möglichst noch als angebliche "Alternative" in der Geschichte. Also gerade nicht Politik - der Begriff kommt ja von Polis - ist gemeint, sondern etwas, das von innen und von unten kommt. Es kommt eben da her - das haben wir nicht erfunden - und drängt sich nicht von außen und oben auf. Alle reden inzwischen von Subsistenz[1]. Man konnte ja sehen, daß z.B. in Kuba nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der entsprechenden ökonomischen Beziehungen ausgerechnet Fidel Castro zur Subsistenz aufrief. Er hat natürlich einen sehr eingeschränkten Begriff von Subsistenz. Aber daß am Ende die Subsistenz vor dem Proletariat kommt, verweist immerhin auf das, was Subsistenz eigentlich sein soll - im Grunde etwas ganz Einfaches: daß die Leute das machen, was sie tatsächlich im Alltag zum Leben brauchen.

Wir sind das ja vom Kapitalismus auch nicht gewöhnt. Im Grunde kommt der Kapitalismus aus einer "Luxusecke", war zunächst Luxusproduktion. Zu diesem Thema gibt es ein Buch von Werner Sombart: "Liebe, Luxus und Kapitalismus". Er beschreibt, wie der Kapitalismus sich an den Luxusbedürfnissen des Adels entlang entwickelt und eigentlich auch, wenn man das einmal weiterverfolgt, in seiner ganzen Geschichte niemals das getan hat, was er immer vorgegeben hat zu tun, nämlich per Industrialisierung die billige Befriedigung der Grundbedürfnisse der Menschen überall zu ermöglichen. Denn: wann war es billig, wo ging es um Grundbedürfnisse, und für wen hat das überhaupt gegolten? Es war so eine Art echte Ökonomie versprochen, wo es darum geht, daß die Menschen über die Arbeit sich am Leben halten können und zwar zunächst einmal bezogen auf ihre Grundbelange. Wie wir aber ja alle sehen, ist plötzlich mitten in dieser doch so hoch zivilisierten Gesellschaft der Hunger ausgebrochen, und die Leute fürchten um ihr Überleben, vom Krieg einmal ganz zu schweigen. Das ist doch merkwürdig. Das dürfte eigentlich in einer zivilisierten Gesellschaft, die die sogenannte primitive Gesellschaft ja immer verteufelt und lächerlich gemacht hat, gar nicht passieren. Das verweist darauf, daß diese Ökonomie und Gesellschaft, die ja inzwischen eine Weltgesellschaft geworden ist (oder von Anfang an war, wie Imanuel Wallerstein meint), sich eben gar nicht kümmert um das, was wir alltäglich brauchen. Oder sie tut es nur zufällig oder zugunsten derer, die im Zentrum dieses Systems leben: Sie haben das Geld, und die Produkte sind auch da, wenn auch in Warenform. Was das heißt, dazu kommen wir noch.

Das heißt, an diesem ganzen System stimmt doch etwas nicht. Ausgangspunkt unserer Analyse war: Wir waren alle in der Dritten Welt, in der sogenannten, also in den (Neo-) Kolonien. Und die Kolonien galten ja - zumal aus sozialistischer Sicht - immer als eine Art feudales Überbleibsel der Weltentwicklung, so wie eben der Sozialismus selber als eigene "Produktionsweise" galt, im Gegensatz zum Kapitalismus. Diese Dreiteilung der Welt ist der ideologische Ausgangspunkt, eine Dreiteilung, die quasi in Etappen verläuft und von der es die Fiktion gab - am brutalsten vielleicht bei Stalin ausgedrückt - wir kommen vom Feudalismus zum Kapitalismus und dann zum Sozialismus. Das ist allen bekannt. Was wir festgestellt haben, war im Gegensatz dazu aber etwas ganz anderes, nämlich, daß es nicht eine Ungleichzeitigkeit, sondern nur eine Gleichzeitigkeit von Entwicklung und Unterentwicklung gibt, daß Unterentwicklung immer das Ergebnis von Entwicklung ist und nicht sein Vorläufer. Unterentwicklung ist also überhaupt nichts "Altes", sondern etwas Neues, genauso neu wie der Kapitalismus selber, der sich nicht erst seit der Industrialisierung, sondern seit dem Kolonialismus, also mit Beginn des "langen" 16. Jahrhunderts, wie man das nennt, in der Welt ausgebreitet hat. Seitdem wird Unterentwicklung produziert, nämlich in Form der Zerstörung von Subsistenz in aller Welt. Denn das, was die nichtkapitalistische Gesellschaft in der Tat trägt, ist das, was wir Subsistenz nennen.

Subsistenz ist ebenso der Fall in der sogenannten primitiven Gesellschaft - die sich im Vergleich zu uns als gar nicht primitiv erweist - wie auch in den alten Hochkulturen, vor allem bevor sie patriarchal wurden. Sie alle sind Subsistenzgesellschaften. Manche nennen sie z.B. auch "Naturalwirtschaften" (vgl. Barbara Bradby). Ich finde das eigentlich irreführend, denn Naturalwirtschaft suggeriert - zumal wir einen merkwürdigen Naturbegriff haben - daß die Leute gewissermaßen wie Tiere leben oder nicht genau über das nachgedacht haben, was sie tun. Die "primitiven" Gesellschaften und die alten Hochkulturen, die vorzivilisierten und vorpatriarchalen, haben Subsistenz als etwas ganz anderes gesehen, nämlich als das Leben in Fülle. Was wir heute erleben, nämlich die Knappheit von allem, auch mitten im größten Überfluß und nicht nur daneben an irgendeiner Peripherie, ist eine ganz und gar neuzeitliche Erfindung. Es gab eigentlich in der ganzen Weltgeschichte nie Gesellschaften, deren Ökonomie, wenn man das überhaupt so nennen kann, zu einer solchen Knappheit geführt hätte. Das ist der Widerspruch. Man wirtschaftet ja, um eben nicht in Knappheit zu leben, z.B. hat man im Winter nichts mehr, wenn man nichts von der Ernte aufhebt. Das haben ja nun alle Gesellschaften fertiggebracht, daß sie sich über die Winterzeit oder in Wüstengegenden oder im Eis versorgt haben. Überall hat es Menschen gegeben. Wie haben die denn das gemacht? Und sie sind nicht gestorben an Hunger und Kälte oder eben Hitze. Aber heute befürchten wir die Knappheit, die Produktion von Knappheit. Wer sich damit besonders befaßt hat, ist Ivan Illich und speziell Marianne Gronemeyer. Wir müssen uns also einmal fragen, wieso die früheren Gesellschaften nicht in Knappheit gelebt haben. Marshall Sahlins ist einer der Autoren, der die Steinzeit rehabilitiert, indem er feststellt, zur Zeit der Steinzeit hätten die Leute vielleicht vier Stunden am Tag gearbeitet, und das in Gemeinschaft und plaudernd und lachend, und den Rest der Zeit haben sie getan, wonach ihnen war oder was ihrem Kult, ihrer Kultur entsprach: sich versammelt, gegessen, gefeiert, sich geliebt, ihre Kinder hin und her getragen und spirituellen Tätigkeiten ausgeübt. Das kann sich ja heute überhaupt niemand mehr vorstellen, bloß vier Stunden am Tag zu arbeiten. Also nichts von Knappheit oder von Hetze oder von ständigem Bedrohtsein. Das Gefühl "wir sind dauernd bedroht" hat nicht existiert. Es gibt einen Film, der ist von Gordian Troeller und heißt "Das Ende des Lachens". Den sollte man sich vielleicht einmal anschauen, um zu Sehen, wie eine solche Gesellschaft (ge)lebt (hat).

Der Osten als Kolonie des Westens und die neue Sklaverei

In der Tat leben wir jetzt in einer Situation, in der immer klarer wird, daß dieses kapitalistische Weltsystem ganz anders aussieht, als wir gemeint haben. Die, die im Osten leben, haben erfahren, daß eine Integration in dem Sinne, wie sich das viele vorgestellt haben, nämlich im positiven Sinn, in dieses System nicht möglich ist. Also nicht nur die Zentralverwaltungswirtschaft, also die sozialistische Planwirtschaft, sondern auch die Marktwirtschaft sind ungeeignet, um die Probleme, die jetzt anstehen, zu bewältigen. Warum sind sie dazu ungeeignet? Weil sie sie selbst hervorgerufen haben. Dieses System ist eben anders, als wir immer glauben, daß es sei. Die Kapitalakkumulation ist nicht etwas, was sich überall auf der Welt positiv niederschlägt, sondern nur in ganz bestimmten Teilen derselben und auch dort nur scheinbar. Der Rest der Welt ist dagegen das, was dieses vampiristische System zur Grundlage hat und aussaugt. Sie können also davon ausgehen, daß die Dritte Welt nicht eine eigene Produktionsweise hatte und nie gehabt hat, seit es dieses System gibt, sondern immer nur die Grundlage, die Ressource war, die dem Vampir Kapital zugeführt wurde. Auf Grund der Ausplünderung dieser Gegenden hat es die Kapitalakkumulation in den Zentren überhaupt erst gegeben. Das hat schon Rosa Luxemburg ganz genau analysiert. Deswegen gebt es auch keine "nachholende" Entwicklung, wie das immer genannt wird. Niemand kann diese Entwicklung als "positive" anderswo nachholen, weil sie ja durch dieses "Anderswo" als Unterentwicklung erst existiert. Man kann sie nicht ausdehnen, kann die positiv scheinenden Seiten dieses Systems nicht auf der ganzen Welt verbreiten, weil die ganze Welt ja schon "negativ" in das System einbezogen ist. Inzwischen haben auch die Leute im Osten gemerkt, in welcher Weise das der Fall ist, nämlich daß sie hier zur Kolonie wurden, zur "inneren" Kolonie. Das ist der alte Kampf, den ja schon die Sowjetunion bei ihrer Gründung führte, nämlich nicht zur Peripherie und zu den Kolonien gehören zu wollen, sondern zum Zentrum. Diese Lösung des Problems hat ja nicht stattgefunden, und man sieht, daß es jetzt tatsächlich seine Nichterfüllung oder eben Erfüllung im umgekehrten Sinne erfährt. Es gibt eine furchtbare Spaltung innerhalb der neuen Kolonien - wie auch sonst in Kolonien - in Reichere und Ärmere oder in Reiche und Arme. Und es kann einfach nicht gehen, daß alle Menschen im Osten, so nah sie auch sind - das ist kein Problem der geographischen Entfernung -, in die Warenparadiese einbezogen werden. Denn diese allein gelten als Entwicklung in "positivem" Sinne.

Man könnte sogar sagen, daß auch die Proletarisierung der Arbeit, die ja erst mit der Industrie stattfindet, also die Verwandlung von Arbeit in Lohnarbeit, eigentlich nie die erste Form der Verwandlung der Arbeitskraft in Ware überwunden hat, nämlich die Sklaverei. Die Sklaverei der Afrikaner in Amerika ist das Grundmodell für die Ausbeutung von Arbeit auch im proletarischen Sektor. Man könnte sagen, was der Osten seit zehn Jahren erlebt, ist eine Art Neosklaverei auf Zeit, und sogar ohne die Versorgung, die die Sklaven immerhin erfahren haben, weil man sie ja weiter als Arbeitskräfte ausbeuten wollte. Es bleibt so eine Art Wander- oder Wegwerf-Sklaverei, in der sich niemand darum schert, wer und wie viele dabei am Schluß wirklich auf der Strecke bleiben. Die Gleichgültigkeit des Systems den Menschen gegenüber wird da perfekt erkennbar (was wunder, denn ein "System" kann ja nichts empfinden, es ist eine Maschine). Das heißt, zur Industrialisierung gehört auch die Deindustrialisierung - das war immer schon so -, zur Entwicklung die Unterentwicklung, zur Lohnarbeit die nicht entlohnte (insbesondere die Haus-)Arbeit und zur Hightech die Lowtech. Wir sind also immer wieder darauf verwiesen, daß wir selber verantwortlich gemacht sind für das, was mit uns geschieht, weil der Staat und das Kapital sich sicherlich nicht darum kümmern werden. Sie können das auch gar nicht. Das haben wir nach dem GAU in Tschernobyl deutlich erfahren (vgl. Marina GAMBAROFF u.a.). Das kann jeden treffen, die Leute im Westen natürlich genauso. Von der Tatsache her die Welt zu betrachten, heißt, nicht immer von unten nach oben zu schielen und zu meinen, es ginge darum, so zu werden "wie sie" und "dazuzugehören".

Teil 2: Das ökonomische Kalkül als unser Innerstes, als das System in uns[edit]

  • Subsistenz ist nicht nur das Ernstnehmen der Versorgung. Es ist viemehr auch das Annehmen der grundlegenden Dinge im Leben.

Seit der Durchsetzung des modernen Systems im 16. Jahrhundert hat sich das, was Karl Marx "ursprüngliche Akkumulation" nannte, verallgemeinert. Das heißt die Menschen haben die Verfügung über die Möglichkeit, durch ihrer eigenen Hände, Köpfe und Bäuche Arbeit ein ihnen angemessenes Leben zu führen, das ihren Fähigkeiten und den örtlichen Möglichkeiten entspricht, entzogen bekommen. Sie sind in Abhängigkeit gekommen, sie sind geschickt worden zu einer Instanz, die sie versorgt. Das war der Staat oder das Kapital oder beide, und die Menschen selber haben die Eigenständigkeit vollständig aufgeben müssen. Viele haben sich an das Versorgtwerden gewöhnt. Sie benehmen sich infantil auch im Erwachsenenalter, weil sie an einer künstlichen Quasi-Mutter-Brust hängen. Mit anderen Worten: Es ist eine merkwürdige Situation entstanden, in der die alten Kulturen, Ökonomien und Organisationsformen der Gesellschaft zerstört worden sind und an ihre Stelle eine bloße und immer mehr wachsende Abhängigkeit von "patriarchalen Ersatz-Müttern" getreten ist, erst einmal eine Art Gegenteil von der drohenden Knappheit und von der Angst, die diese dauernd produziert.

Das Problem ist, daß dieses System uns nicht äußerlich geblieben ist, sondern daß wir in dieses System als Einzelne durch und allesamt hineingezogen sind, und zwar in einer Weise, die es uns zunächst einmal verunmöglicht, die Krise, die jetzt wirklich die ganze Welt umwälzt, aufzufangen, etwas damit zu tun, was nach einer neuen Chance aussieht. Wir setzen statt dessen praktisch voraus, daß dieses System, so wie wir es kennengelernt haben, das einzig mögliche ist. Wir negieren jede andere Möglichkeit. Wir diffamieren sie als primitiv, als unter- oder als zurückentwickelt, und wir wählen - wenn wir überhaupt in diesem System aktiv werden - Institutionen oder Wege, die schon vorgegeben sind von vornherein und vom System selber. Das heißt, wir wehren uns auf der Ebene des Systems und können es daher nie überwinden oder subversiv unterlaufen. Man könnte sagen, wir wählen eine abstrakte und damit durch und durch systemimmanente Form, wenn wir z.B. politische Forderungen stellen, Institutionen gründen, Forschungsprojekte durchsetzen und meinen, das sei ein Weg aus dem System. Das ist es natürlich nicht. Es ist alles längst vorgegeben, nämlich als die "formale Form", wie das Werner W. Ernst nennt. Vorgegeben ist eine inhaltsleere, prinzipielle Form, eine Hülle, man kann auch sagen: eine Maschine (vgl. Lewis Mumford), mit der scheinbar alles möglich(e) gemacht werden kann (vgl. Alex Suttner). Dabei ist dieses Mögliche dann am Ende immer nur das schon Vorgegebene. Man bewegt sich im Kreis. Neues, Konkretes, Inhaltliches kann so gerade nicht entstehen.

Arbeit! Arbeit! Arbeit!

Was für Arbeit?

Der Berliner Soziologe Prof. Peter Grottian hatte die Idee, die Leute sollten Geld bekommen und sich damit Arbeitsplätze selber schaffen. Aber er hat nie diskutiert, welche. Sie brauchen ja nicht irgendwelche Arbeitsplätze, z.B. zuhälterische oder kriegerische oder noch mehr Sondermüll produzierende. Das brauchen wir alles nicht. Es geht darum, was wir zum guten Leben brauchen, wobei wir unter "gutem Leben" nun einmal etwas anderes zu verstehen lernen sollten als ein bloßes Schwimmen in Waren. Denn alle, die in der Warenpracht gelebt haben, wissen, daß dieses Paradies ein sehr scheinbares ist, und die Bedürfnisse, die wir haben, nicht wirklich befriedigt, sondern nur zu Süchten macht. Die Suche nach der Befriedigung wird zur Sucht, weil die Befriedigung nie möglich ist. Das erfahren alle, die sich Waren kaufen. Wir kaufen uns die Ware, weil sie uns vorgaukelt, sie würde unsere Bedürfnisse befriedigen - dafür haben wir ja unseren Schweiß und ein Stück unseres Lebens gelassen im Arbeitsprozeß -, und in dem Moment, wo wir sie haben, zeigt sie sich in ihrer wahren Gestalt, nämlich in ihrer Inhaltsleere und Totheit, weil sie Ergebnis eines gewalttätigen, mörderischen Produktionsprozesses ist, den wir selber vorher durchgeführt haben. (Wir erleben also die Gewalt gleich doppelt: als Produzenten und Konsumenten, ja vierfach, weil außerdem als jeweilige Täter und Opfer).

Tausche Leidenschaften gegen Interessen

Indem wir also so denken und so sind, nämlich das ökonomische Kalkül, um das es hier geht, zu unserem Innersten machend, können wir aus dem System nicht heraus, sondern (re)produzieren es jeden Tag neu, in uns, um uns, überall (vgl. Alfred Sohn-Rethel). Genauso geschieht es bei den obengenannten "Gründungen", den von uns selbst in Gang gesetzten "Produktionen" (vgl. Werlhof 1990). Es braucht eigentlich gar keinen Staat mehr, weil die Leute schon von selber tun, was sie sollen, und das auch noch für schlau und geschickt halten. Das ist die Anthropologie des "homo oeconomicus" (vgl. Karl Polanyi, Ivan Illich und sinngemäß Alfred Sohn-Rethel, jüngst Marianne Gronemeyer). Was heißt "homo oeconomicus"? Man tauscht, um mit Albert Hirschman zu sprechen, seine "Leidenschaften" für "Interessen". Das Wort Interesse suggeriert, daß darin alles aufgehoben ist, was Menschen ausmacht. Es handelt sich um eine grauenvolle Reduktion allen menschlichen Wollens, Könnens und Wissens auf ein ökonomisches Kalkül. Nämlich: wer ist besser, wer ist schneller, als die Konkurrenz - was das heißt, das erleben Sie jetzt hier im Osten. Dieses Bild stammt eigentlich aus der sogenannten liberalen Phase des Kapitalismus á la Adam Smith, wo steht: Es ist gut, wenn die Leute sich egoistisch verhalten, also jeder nur seine egoistischen Interessen verfolgt, denn am Schluß kommt dann *paradoxerweise doch ein Nutzen für alle heraus. Wir haben dann ein Wirtschaftswachstum, das größtmöglich ist und auch noch zum Gleichgewicht tendiert. Der Mensch als "böser" Mensch wird idealisiert. Das ist auch der Gedanke des Humanismus. "Der Mensch" soll ruhig die Natur und die Kolonien ausplündern und die Frauen unterdrücken, alles das, was seinen "ökonomischen" Interessen nützt. Das ist das Individuum, das bürgerliche. Es nützt insgesamt diesem System, indem es "frei" ist, die staatliche Erlaubnis hat, sich die Natur, die Kolonien, die Frauen zu unterwerfen. Es ist immer der Mann ein "freier Mensch", weil und solange andere unfrei werden beziehungsweise bleiben. Nur gegenüber dem Staat verhält er sich als unfreier Untertan. Das gehört nämlich zur Freiheit dazu, das freiwillige Akzeptieren des Untertanendaseins, das wir ja alle insbesondere im deutschsprachigen Raum so gut kennen. Wir wissen sehr genau, was ein Untertan ist, ein gehorsamer. Das ist unsere Ethik, unsere Moral, unsere Sittlichkeit, daß wir diesem System dienen. Und es ist auch unsere Doppelmoral, daß wir uns einerseits in der Ökonomie austoben und dann andererseits gegenüber der Obrigkeit die braven "demokratischen" Lämmlein sind.

Gewaltige kulturelle Leistungen

Daß die Leute Angst kriegen, wenn sie dadurch dauernd gezwungen sind, an sich als nichtreduzierten Wesen vorbeizuleben, und wenn sie alle in ihrer Verschiedenheit nun über den Kamm einer einzigen Norm geschoren werden, ist völlig klar. Denn man kann sich ja leicht ausrechnen, wozu diese Form der Domestizierung, der Erziehung führt (vgl. Wolfgang Dreßen). Sie führt dazu, daß wir uns verlieren, unsere Souveränität, wie das Georges Bataille nennt, unsere Eigenmächtigkeit, unsere Erfahrung, unsere Selbstsicherheit. Wir werden ignorant, weil wir alles vergessen müssen oder nicht mehr beigebracht bekommen, was wir hätten wissen können oder einmal gewußt haben (vgl. Renate Ganser). Wir vergessen und verlieren die alten, wirklich menschlichen Errungenschaften wie Gastfreundschaft, Kult(ur), Freundlichkeit, Erotik, Neugier, das persönliche Sich-Erkennen, eine andere Art von Bildung. Als "Kulturnation" haben wir das alles verloren. Wir sind sogar feindselig gegeneinander, der andere ist eher die Hölle als der Himmel. Das ist das Ergebnis. Ich frage mich wirklich, wieso die Leute so erstaunt sind, daß Neurosen und Gewalt dabei herauskommen. Gewalt ist eben die Antwort auf ein gewalttätiges System, dessen "Domestikation" oder "Zivilisierung" des sogenannten "Männlichen" in der Erziehung zur Gewalt besteht (vgl. Klaus Theweleit). Dem entspricht ja nur der (neue) Rechtsradikalismus. Jeder versucht sich gegen den anderen durch Rassismus und Sexismus abzusetzen. Das ist ja seit der Kolonialzeit und der Hexenverfolgung eingeübt worden, diesen grauenvollen Vorgängen, in denen es zur hierarchischen Polarisierung der Welt-"Teile" und der Geschlechter im heutigen Sinne kam. Der Staatsbürger bei Fichte oder Hegel ist derjenige, der frei ist von der Mühsal und den Tätigkeiten im Alltag, gewissermaßen wie im Falle des römischen Patrimoniums oder des griechischen "Hausvaters" und "Politikers". Nur wer Eigentum hat, insbesondere auch an Menschen, darf wählen und gewählt werden.

Das System ist also für die Armen, Angeeigneten und "Besessenen" nicht sehr rühmlich. Dennoch versuchen zum Beispiel die Frauen zum Teil durch eine "nachholende Entwicklung" auf dasselbe Level wie die (sie) "besitzenden" Männer zu kommen, obwohl wir inzwischen ja sehen, daß die Männer von ihrem Thron schon längst wieder herunterkommen, da die System-Illusion für viele jetzt gänzlich zusammenbricht. Trotzdem wird dem Modell des angeblich möglichen und wünschenswerten "Aufstiegs" von der "Frau" zum "Mann", vom Proletarier bzw. Bauer zum Unternehmer oder von der "Dritten" zur "Ersten" Welt immer noch geglaubt. Das heißt, wir sind immerfort gezwungen bzw. zwingen uns selbst dazu, Herrschaft zu akzeptieren, andere zu beherrschen, und uns selber auch noch (Werner W. Ernst). Unter diesen Voraussetzungen ist es schwierig, die Chance zu nutzen, wie sie sich jetzt bietet, wo dieses System ins Wanken gerät, weil es die Kontrolle über weite Bereiche der Ökonomie und Politik auf der Welt verliert, in der "Dritten" Welt schon seit längerem sehr deutlich (vgl. Gustavo Esteva, Veronika Bennholdt-Thomsen, Vandana Shiva), dann im Osten und jetzt zunehmend auch im Westen. Nun fangen viele Leute an zu sagen: Na gut, dann machen wir etwas anderes, wir besinnen uns auf das, was wir früher auch immer schon gemacht haben. Wir betrachten die Weltgeschichte und die Ökonomie nicht mehr als eine Evolution in eine "höhere" Richtung oder als eine Notwendigkeit, sondern als einen Irrweg. Da ist eine falsche Kurve, die die Menschheit genommen hat, und die kommt jetzt zu ihrem Ende, und wir knüpfen wieder da an, wo wir den Weg verlassen haben - allerdings frei von jeder eventuellen Naivität.

Subsistenz - eine andere Art des Sehens

Das Problem, daß das geschieht und geschehen muß, ist jetzt bezeichnet. Es ist ja schwierig, uns das zumal als Einzelne überhaupt zugänglich zu machen. Deswegen ist Subsistenz heute (wie auch früher schon) nicht einfach nur das Ernstnehmen der Versorgung. Es ist viemehr auch das Annehmen der grundlegenden Dinge im Leben, der Kindererziehung, der Liebesverhältnisse, der Bande zwischen den Menschen, ihrer souveränen Begegnung, des repektvollen Umgangs mit der Natur in und um uns, des gegenseitigen Anerkennens und des Ablassens vom Streben nach immer mehr Macht über andere. Es geht darum, auf diesen Trick, Macht, Geld und Moral für sich beanspruchen zu müssen, nicht mehr hereinzufallen. Es ist ja angeblich immer das System "schuld" gewesen und nicht ich, immer sind die anderen schuld und nicht ich. Daß man das alles einmal aufgibt und sein läßt, das würde dazugehören, wenn man wirklich mit Subsistenz neu beginnen wollte. Wir können ja nicht einfach in die Steinzeit zurück. Das wäre vielleicht gar nicht so schlecht wie viele denken (vgl. Marshall Sahlins), aber den Weg gibt es nicht. Wir müssen Subsistenz heute wirklich neu entdecken, und die Frage ist, wie das geschehen soll. Deswegen ist für mich Subsistenz zunächst einmal eine andere Geisteshaltung, eine andere Art des Sehens. Deswegen haben wir das auch "Subsistenzperspektive" genannt, was bedeutet, daß wir alles, was wir tun, und den Ort, an dem auch immer wir sind, mit einem anderen Blick ansehen, und nicht mit dem Blick "wie komme ich nach oben", "wie werde ich wie sie", nebst allen diesen Kalkülen und Strategien, die dazugehören.

Es klingt heute paradox. Aber wir bräuchten eine Art von Gelassenheit. Es gibt wirklich eine Paradoxie in dem, was Subsistenz heute wäre. Wir müßten zum Beispiel auch die Liebe neu entdecken in allen ihren Formen, anstatt den Haß und die Feindseligkeit. Aber das kann man nicht propagieren. Man kann ja den Leuten ihre Gefühle nicht vorschreiben. Dieses Paradox hat damit zu tun, daß Subsistenz heute vor allen Dingen auch Opposition und Dissidenz zu dem ist, was erst einmal da ist (vgl. Werlhof 1992). Denn wir sind ja nicht in der Subsistenz groß geworden und darin trainiert, die Machtanhäufung oder die Erfindung von Herrschaft zu verhindern, was ja die sogenannten Primitiven, unsere Vorfahren, über lange Zeit gemacht haben (vgl. Pierre Clastres). Sondern heute stehen wir vor der Frage, wie wir das trotz dieses Systems und innerhalb desselben - denn es gibt kein Außen im physischen Sinne - in die Wege leiten. Das heißt, wir müßten gleichzeitig schon in Richtung Subsistenz gehen und uns noch wehren gegen das, was um uns herum und in uns drinnen ist. Und das finde ich ziemlich schwierig. Der Weg in die Subsistenz ist wirklich mit Steinen gepflastert, und es ist gar nicht so sicher, was jeweils dabei herauskommt. Deswegen verweise ich gerne auf den Ansatz von Georges Bataille mit seiner "Antiökonomie" oder seiner "allgemeinen Ökonomie", die er unter dem Aspekt der Fülle entwirft. Er erinnert uns wieder daran, daß die Natur ebenso wie die menschliche Natur eine Sache des Reichtums ist und nicht der Knappheit (vgl. auch Gerd Bergfleth). Wir haben viele Eigenschaften, wir haben viele Fähigkeiten, und wir brauchen sie eigentlich nur anzuwenden in ihrer Verschiedenheit und Vielfalt und werden damit eher das Problem haben, wie viel von allem da ist, und nicht, wie knapp alles ist. Bataille sagt, das Hauptproblem, das wir haben, ist: Was machen wir mit dem Überschuß? Wir verausgaben wir den Überschuß? Wir können wir ihn verschwenden? Er weist damit einen Weg aus dieser ungeheuerlichen Reduktion menschlicher Existenz auf die roboterhaften und seelisch abgemagerten Gestalten, die wir geworden sind.

Teil 3: Die "Einzelnen in ihrer Fülle" wieder sehen und anerkennen[edit]

Die letzte Fortsetzung schloß: Georges Bataille mit seiner "Antiökonomie" erinnert uns wieder daran, daß die Natur ebenso wie die menschliche Natur eine Sache des Reichtums ist und nicht der Knappheit. Wir haben viele Eigenschaften, wir haben viele Fähigkeiten, und wir brauchen sie eigentlich nur anzuwenden in ihrer Verschiedenheit und Vielfalt und werden damit eher das Problem haben, wie viel von allem da ist, und nicht, wie knapp alles ist. Bataille sagt, das Hauptproblem, das wir haben, ist: Was machen wir mit dem Überschuß? Wir verausgaben wir den Überschuß? Wir können wir ihn verschwenden? Er weist damit einen Weg aus dieser ungeheuerlichen Reduktion menschlicher Existenz auf die roboterhaften und seelisch abgemagerten Gestalten, die wir geworden sind.

"Die Fülle im Menschen war in allen patriarchalen Gesellschaften ein Tabu."

Es geht um die Rehabilitation des Einzelnen, um das Wieder-Anerkennen der Menschen in ihrer Verschiedenheit und Vollständigkeit. Das ist ja auch und gerade im Sozialismus immer verpönt gewesen. Es hat im Osten zwar nicht den "Individualismus" gegeben, aber diesen merkwürdigen anonymen Kollektivismus, eine andere Form, wie die Leute unter den Staat gerichtet - unter-richtet - werden. Aber im Grunde meint diese Form nicht wirklich etwas anderes als die, die die Leute im Westen erlebt haben. Denn die Menschen werden in jedem Falle daran gehindert, so zu sein, wie sie "von Natur aus" erst einmal sind. Denn wir haben ja wirklich eine ungeheure Fülle von Kräften zu unserer Verfügung. Die brauchen wir nur anzunehmen, einzuüben und anzuwenden. Vielleicht kennen Sie Sarah Haffner. Sie ist eine wunderbare Malerin. Dann soll sie doch um Gottes Willen malen. Ich schreibe immer schon wahnsinnig gern, also warum soll ich nicht schreiben. Es steht dem überhaupt nichts im Wege, daß die Leute ihre Neigungen nachgehen können und nicht immer zu dem gezwungen sind, was sie gerade nicht können. Die Frauen, die erkenntnishungrig sind, dürfen nicht in die Universität - es sei denn als Putzfrauen - und stattdessen nimmt man dann welche, die möglichst angepaßt denken. Das heißt man zwingt die Leute dauernd zu etwas, was ihnen eigentich gar nicht liegt, und dann kann natürlich auch dieser "Überschuß" - nicht der Mehrwert! - nie entstehen geschweige denn verwirklicht werden.

Wir müßten also lernen, in diese Möglichkeit wieder zu vertrauen und uns gegenseitig ernst zu nehmen, und gerade nicht miteinander zu konkurrieren und zu rivalisieren, indem wir dem anderen immer das absprechen und bei ihm unterdrücken, was wir selber sein wollen. In der Frauenbewegung heißt das die "Champignonkultur". Es geht zu wie in Prokrustes' Bett: was zu lang ist, wird abgeschnitten, was zu kurz ist, wird gestreckt. Die Homogenisierung als Gleichmachung. Diese Fülle im Menschen war immer ein Tabu, in allen patriarchalen Gesellschaften. Es geht überhaupt nicht darum, daß wir die Angst kultivieren, denn die haben wir schon kultiviert. Sondern im Gegenteil darum, daß wir lernen, uns auf uns selber zu besinnen und "uns" auszuprobieren. Im Alltag probieren wir aus, was wir tun können, wenn wir diese Perspektive auf uns selber einmal zulassen, und wenn wir die alltäglichen Dinge, Bedinungen, Verhältnisse und Zustände, das heißt das, was zum Leben erst einmal notwendig ist, so weit wie möglich und so unabhängig wie möglich hervorzubringen versuchen. Ich sage nicht "herstellen", denn das Her-Stellen und das Produzieren sind andere Vorgänge, nämlich die sonst üblichen. Das ist die Grundidee zur Subsistenz heute. Ihr Paradox ist, daß sie in Opposition und in Distanz zu einem bestehenden System geschehen müßte, also einen so bestimmbaren Doppelcharakter hat.

Warenproduktion kommt ohne Subsistenz nicht aus

Es ist außerdem nicht zu unterschätzen, daß Subsistenz auch nach ihrer Unterwerfung der Ökonomie immer noch zuarbeitet. Das heißt, sie ist Teil dieser Ökonomie geworden und kann sich von ihr nicht so leicht lösen. Sie alimentiert die kapitalistische Ökonomie, sie subventioniert sie (vgl. AG Bielefelder Entwicklungssoziologen 1978). Denn ohne Subsistenz, das heißt ohne die immer wieder neue Hervorbringung menschlichen Lebens und menschlicher Fähigkeit, überhaupt zu "arbeiten" und da zu sein, ist diese Ökonomie natürlich gar nicht möglich. Es gibt überhaupt keine Wirtschaft ohne Subsistenz (vgl. C. WERLHOF). Wir finden Subsistenz immer, aber inzwischen als unterworfene, als pervertierte, als verelendete, als immer mehr reduzierte (vgl. Veronika BENNHOLDT-THOMSEN). Das hatte im Osten und im Westen verschiedene Formen. Im Osten bedeutete Hausarbeit zum Beispiel Industrialisierung der Hausarbeit. Im Westen ist das Phänomen "Hausfrau" sehr viel prominenter gewesen. Man hat diese Dinge stärker den einzelnen Hausfrauen in der Privatsphäre überlassen, und damit auch einen größeren Anteil von Subsistenz in diesem Bereich. Gleichzeitig aber hatte die Subsistenz Zuarbeit zum System zu sein, zum Beispiel die Erziehung der Kinder zu geeigneten Warenproduzenten und -konsumenten, zum "homo oeconomicus" (vgl. Gertraude KITTLER).

... aber Subsistenz ohne Warenproduktion

Es ist der merkwürdige Doppelcharakter dieser Tätigkeit, daß sie einerseits das Leben sichert, das subsistenz-los nicht sein könnte, und dieses Leben andererseits immer wieder nachschiebt, Nachschub für das System ist. Das ist dieses seltsam Prostituierte und "Logistische" (als wären wir auch im Frieden im Krieg) auch an der modernen Subsistenz. Die ganze Gesellschaft beruht auf einer Art Zuhälterei und Kriegsökonomik ("Knappheit"). Alle diese Dinge verweisen darauf, wie sehr wir angepaßt worden sind, und wie schwierig es wäre, einerseits diese Alimentierung beizubehalten, es andererseits aber immer mehr herauströpfeln zu lassen aus diesem System, ihm seine Lebenskraft zu entziehen, es auslaufen zu lassen, sich woandershin zu orientieren, eine andere Perspektive einzunehmen. Jemand stellt sich nicht mehr zur Verfügung (vgl. Brigitte Menne). Er tut nicht das, was er soll. Er ist nicht mehr berechenbar. Er funktioniert nicht mehr wie eine Maschine. Dieser Widerspruch ist uns oft begegnet: Die Leute sagten, ja wie könnt ihr von Subsistenz im positiven Sinne reden, als Möglichket, erst einmal die Grundlagen überhaupt wieder herzustellen, wenn doch die Subsistenz gleichzeitig dieses System erhält, denn sonst wäre es längst zusammengebrochen. Dieser Widerspruch ist aufzulösen durch die Befreiung der Subsistenz von dieser Zuordnung und Zurichtung, die sie jetzt erfährt, von dieser Pervertierung und Verelendung.

Subsistenz ist kein Programm

Ein anderes Paradox ist, daß in der Subsistenzorientierung einerseits alles von der momentanen oder alltäglichen Situation auszugehen hätte, und zwar am besten durch viele und immer mehr Leute. Und doch geht es andererseits auch immer darum, über diese Situation hinauszugehen, und jeder Einzelne muß sich immer wieder neu und selber dazu entscheiden. Da ist kein Programm, das man vorschreiben oder befehlen und hinter dem sich der Einzelne verstecken kann. Sondern Subsistenz ist eine verdammte und immer neue und alltägliche und möglicherweise mehrmals am Tag zu treffende Entscheidung, eine andere Geisteshaltung, die jeder und jede letztlich mit sich selber auszumachen hätte und hat, wenn man sich auf diesen Weg begibt. Denn man steht immer wieder vor denselben Fragen, vor denselben Problemen, wo man auch ist, und muß sich dann entscheiden, ob man eine solche abweichende Perspektive wagt und wie man sich ihr entsprechend verhalten kann, auch wenn einen niemand unterstützt. Da hat man plötzlich viel zu tun, und das Leben ist gar nicht mehr langweilig. Hier geht es aber keineswegs um isolierte Privatmenschen, die irgend so einem Luxus frönen und sich unpolitisch verhalten. Das ist ja oft die Vorstellung vom Einzelverhalten: Als politisch förderlich gilt immer nur das, was wir kollektiv und innerhalb der Institutionen, organisiert und öffentlich tun. Das ist falsch. Denn wenn man sich "subsistent" verhält, und sei es in irgendeinem kleinen Viertel oder einfach nur für sich selber, dann merkt man als erstes: es hat eine Wirkung. Man muß das einmal ausprobieren und herumexperimentieren. Die Leute merken sofort, hier macht jemand etwas anderes. Wie kommt es, daß das nicht berechenbar ist, was der tut. Da reagiert einer nicht auf irgendein Angebot, für Geld alle möglichen Schweinereien zu machen. Das tut der einfach nicht, obwohl er das Geld dann nicht kriegt und es womöglich gut hätte gebrauchen können. Das erstaunt die Leute ungeheuer, und sie merken dann, das da etwas in Gang kommt, daß etwas ohne ökonomisches Kalkül läuft.

Gewisse Leute fangen an, einander zu erkennen. Sie fangen an, sich zu vertrauen. Sie merken, aha, das ist der und der. Sie "wissen" es plötzlich. Die sich gegenseitig erkennen, tun sich zusammen. Und das ist ein Zusammentun, das nicht eine mechanische Solidarität ist, sondern da wissen die Leute wirklich warum und mit wem sie es zu tun haben. Ein anderes Beispiel ist die Erziehung der Männer zu gewalttätigen Menschen, die "Ramboisierung" (vgl. Maria Mies 1993) als ihre Form der "Einfügung", der "Ruhigstellung". Die Männer fangen an, sich dagegen zu wehren. Es gibt eine Reie von jungen Männern, die sind dieses patriarchale Männerbild des Soldaten, Kriegers, Räubers, des Odysseus-Typus, der mit Lug und Trug, vergewaltigend, belügend, betrügend denkt und handelt, gründlich satt. Das sollte der ideale Mann sein? Die Männer sind also aufgerufen, ebenso wie die Frauen, sich aus ihrer Form der Einfügung in das System zu befreien. Das wäre wirklich Befreiung, wenn die Männer sagen: wie könnt ihr uns das zumuten? Das machen wir einfach nicht mit. Den Aufruf zur Gewalt lehnen wir ab. Diesen Stolz können sich die Mäner ruhig mal zulegen.

... und kein Modellprojekt

Bei dem, was hier jetzt vielleicht beginnt, geht es aber zunächst einmal um anderes. Was einige in der Sozialökologie und in der Kommune-Bewegung jetzt machen wollen, ist ein Projekt, also eine Sache, die irgendwo einen Anfang und ein Ende hat, in der bestimmte Leute sind und nicht alle möglichen, und die das auf bestimmte Weise verwirklichen wollen, nämlich mit der Landwirtschaft und vielleicht auch mit dem Handwerk. Sie gehen also auf einen Hof, und das Problem ist natürlich, daß das eine Art Modellcharakter hat, und Modelle sind eigentlich ungeeignet für Subsistenz. Modelle gehorchen dem Prinzip der Enklave. Die Enklave - ein Wort aus der Kolonialzeit - ist das Industrieunternehmen oder der Großgrundbesitz von reichen Ausländern irgendwo in der (äußeren oder inneren) Kolonie. Da sitzt einer plötzlich mittendrin und hat damit eigentlich überhaupt nichts im positiven Sinne zu tun. Die Enklave saugt vielmehr alles um sich herum aus.

Es kann nun passieren, daß dieses Modell, das sich immer wieder innerhalb dieses Systems quasi von allein herstellt, durch Subsistenz als "Projekt" neu auftaucht, zum Beispiel dadurch, daß man auf einmal als Arbeitgeber in der Region erscheint und sich möglicherweise "gezwungen sieht", andere Leute auszubeuten. Es ist wie mit der Diskussion über die Genossenschaften - auch eine alte Gemeinschaftsidee - daß irgendwann alle entweder zu kapitalistischen Unternehmen werden oder zu staatsähnlichen Unterdrückungsorganen. Was soll man tun, damit diese Entwicklung nicht eintritt? Es ist ja sehr schwierig zu verhindern, daß sich die bestehenden Mechanismen doch durchsetzen, und zwar durch niemand anderen als durch einen selbst. Das heißt, auch im Inneren einer Gruppe kann es zu so großen Schwierigkeiten kommen, daß nicht klar ist, wie man unter einer Subsistenzperspektive damit umgehen kann, zumal wenn ökonomische Not auftauchen sollte oder wenn es sonst einen Vorteil darstellt, auch vielleicht einen vetretbaren, gewisse Dinge wieder zu tun, die man schon hinter sich gelassen hatte. Dafür opfert man dann die Perspektive, und das rechtfertigt wieder irgendeine Moral. Anschließend mobilisiert man, um zu rechtfertigen, daß man nun doch wieder den "Systemweg" gegangen ist, wenn auch vielleicht nur ein Weilchen, und das wird dann schwierig, weil es Konflikte gibt, die das Ganze sprengen können. Das kann man dann nicht mehr einholen. Man kann es nicht wieder zurücknehmen. Moral demoralisiert.

Deshalb hier der Vorschlag, daß sich solche Projekte durch eine "Eigenforschung" und eine "begleitende Aktionsforschung" selber reflektieren und auch mit anderen austauschen, um so etwas möglichst zu vermeiden. Ich sehe da eine große Gefahr, daß etwas herausgehoben wird, ein "Projekt", das vielleicht auch noch in Isolation gerät zu seiner Umgebung, die ja auch nicht gefragt worden ist. Man hätte das ja mit den Leuten an Ort und Stelle genauer besprechen können, die sich schon wieder hintergangen fühlen. Alle diese Dinge müssen nach unseren Erfahrungen eigentlich geschehen, damit die Sache einen guten Anfang hat und sich auch gut entfalten kann und aus manchen dieser Widersprüche herauskommt. Andererseits ist es natürlich auch gut, daß erst einmal etwas Konkretes passiert, und es bleibt nicht so diffus wie die Einzelaktivitäten, die immer wieder verschwinden und eigentlich gar nicht so sichtbar sind, außer für die, die damit beschäftigt sind. Bei einem "Modell-Projekt" ist jedenfalls die Verführung groß, sich doch für etwas Besseres zu halten oder den institutionellen Mechanismen wieder auf den Leim zu gehen. Dies kann auch durch bestimmte Angebote von außen geschehen. Da soll zum Beispiel eine Dorfentwicklung passieren, und wir wissen alle, Dorfentwicklungspläne sind immer wieder die gleichen rund um die Welt. Sie zerstören erst einmal das, was an Subsistenz womöglich noch da ist. Dazu ist es ja ein großer Widerspruch, wenn das Projekt sich als Subsistenzprojekt versteht. Innerhalb einer Tätigkeit des Staates, der Subsistenz im Prinzip bisher vernichtet hat, ist Subsistenz eher eine Unmöglichkeit. Ich meine, das geht nicht. Vielleicht müßte dieses Projekt sich als erstes gegen die "Dorfentwicklung" und damit gegen seine eigenen Gründungsbedinungen stellen. Das kann sein. Und es ist dann schon sehr viel von den Leuten verlangt, daß sie das, zumal ohne Unterstützung von Gruppen außerhalb, tun sollen.

Blut und Boden?

Eins verträgt Subsistenz nicht, und das ist Herrschaft, sei sie innerhalb oder außerhalb entstanden. Die patriarchale Herrschaftsidee insgesamt, die schon viel früher als der Kapitalismus begann, ist es ja, an der Subsistenz immer wieder zugrunde geht oder pervertiert wird. Was Subsistenz allerdings gut verträgt, ist der berühmte Ungehorsam, den wir uns endlich einmal aneignen sollten: Abschied vom ökonomischen oder taktisch-strategischen oder moralischen Kalkül. Interessanterweise bekommt man dagegen immer den Faschismusvorwurf zu hören, wenn man über Subsistenz redet. Wenn es um die Grundlagen geht - denn wir müssen ja alle essen, irgendwo müssen die Menschen herkommen - dann wird gleich geschrien: Blut und Boden! Währenddessen scheren sich die wirklichen Faschisten überhaupt nicht darum. Würden die vielleicht in einem Subsistenzprojekt leben wollen? Da gibt es also auch auf der ideologischen Seite viel zu tun, zumal sich eine Subsistenzperspektive auch mit der linken Ideologie nicht verträgt. Es ist ja leider so, daß die Linke besonders bauern- und frauenfeindlich sowie naturzerstörerisch gedacht und gehandelt hat, indem sie immer die Arbeiterklasse, die ja durch die Industrie geschaffen wurde und von ihr abhängt, zum alleinigen "Subjekt" und alle anderen für unwichtig erklärt hat. Da muß man also auch Erfahrungen machen, wie man damit umgeht, und eine andere als die Links- Rechts-Perspektive entwickeln. Das findet ja auch schon statt.

Teil 4: Eine andere Gesellschaft: Landkultur, Frauenmacht und Feiern[edit]

Landbesetzung statt Entwicklungshilfe

Ich habe lange in Venezuela mit dortigen Bauern gelebt und geforscht (WERLHOF 1985). Die hatten ihre Subsistenz auch schon verloren bis auf die kläglichen Reste, die immer gerade zum Überleben reichten. Sie hatten das Programm der Industrialisierung der Landwirtschaft über sich ergehen lassen müssen, wie die Bauern hier auch, und haben dann irgendwann festgestellt, daß das in jeder Hinsicht kontraproduktiv war. Denn sie waren durch diese Maßnahmen noch schlechter gestellt als vorher, hatten sogar noch weniger Geld mit ihren großen Traktoren verdient - die waren immer größer als die Hütten, in denen sie wohnten. Da haben viele beschlossen, daß sie damit aufhören. Sie sind ausgestiegen. Die Maschinen haben sie zurückgegeben, Kredite wollten sie keine mehr haben, und das Land haben sie besetzt, um sich damit selber zu versorgen. Und zwar haben sie das Gemeindeland, die frühere Allmende, besetzt. Die gab es ja hier auch. Man hat ihnen das Land lassen müssen, weil es ein Gesetz gibt, daß ein Venezolaner zu seiner Staatsbürgerschaft ein Anrecht auf ein Stück Land hat. In Europa soll das der Arbeitsplatz sein. Also könnte man sagen, Arbeitsplätze gibt es nicht, her mit dem Land! Das ist ja das Tabu: die Produktionsmittel den Leuten zurückgeben, die ursprüngliche Akkumulation rückgängig machen, den Zugang zu den Mitteln, die die Leute brauchen, um überhaupt ihre Kräfte anzuwenden, wieder zu öffnen. Keine Agrarreform beabsichtigt so etwas, sie verhindert es gerade immer, weil sie - auch als Agrarrevolution - nur die Industrialisierung der Landwirtschaft meint. Die berühmten "Commons", wie das im Englischen heißt, die Allmende, das "Recht auf Gemeinheit", wie Ivan ILLICH das nennt, also die gemeinen Dinge, die allgemeinen Dinge, die uns zustehen, wieder einzufordern, darum geht es, nicht (nur) um ein Modell-Projekt. In Ostdeutschland bekam den Boden bekanntlich die Treuhand .

Es geht aber auch um Subsistenz in anderen Bereichen. Es gilt, viele neue Techniken zu erfinden oder aus den Patentämtern zu befreien, wo sie liegen, ohne angewandt zu werden, weil sie irgendwie nicht zu dieser Profitmaximierung passen, aber sehr viel besser für Menschen, Tiere, Pflanzen unnd alles drumherum wären. Dafür gibt es auch viele Beispiele aus der neokolonialen Welt, wo die Leute schon viel intensiver auf diesem Weg sind. Wir können viel daran sehen und brauchen uns überhaupt nicht zu schämen, daß wir von den Kolonien lernen. Viele Leute dort haben die Illusionen schon sehr lange verloren, daß diese "Entwicklung" zu irgendetwas führt, das für sie gut sein könnte. In Mexiko z.B. ist die Entwicklung ein Thema von Witzen geworden. Man macht sich darüber lustig. Man findet es unanständig, daß sich die Leute "entwickeln" sollen. Die Leute reagieren ja längst anders herum, nur wissen wir das hier meistens nicht, oder es wird nicht bemerkt, weil es uns peinlich ist.

Ist Liebe zur Erde reaktionär?

Die Venezolaner haben also das Land besetzt und es sogar unblutig zurückbekommmen, was in Lateinamerika so gut wie noch nie passiert ist. Aber was sie dann damit machten, und das ist die Gretchenfrage, die Nutzung selber - damit konnte der Staat überhaupt nichts anfangen. Die neuen Landbesitzer haben zunächst die alten Leute befragt, wie das eigentlich geht mit der Subsistenz in der Landwirtschaft, also mit der Agrarkultur. Sie haben dann nicht mehr von "Landwirtschaft" geredet, sondern von "der Liebe zur Erde". Zum Entsetzen der linken Kollegen sagten sie, die Erde müsse man "liebkosen", nicht industrialisieren. Viele haben damals keine Ahnung vom Land mehr gehabt, genau wie hier. Also ging es um das Wiederaneignen der Kenntnisse des Umgangs, der Erfahrungen. Das braucht ja Erfahrung, das kann man nicht einfach in Büchern lesen. Man muß das machen. Was macht der erfahrene Nachbar, das mache ich auch. So haben sie voneinander gelernt. Als Gipfel der Ironie haben sie am Schluß noch mehr Geld gehabt als jemals zuvor, weil sie immer Überschüsse hatten. Sie wußten gar nicht, wie sie das alles aufessen sollten. Da haben sie es verschenkt und auch verkauft, auf irgendeinem Markt. D.h. sie hatten nun immer Geld und Essen, und vorher keines von beiden. Es gab dann Versuche, diese Subsistenz wieder zu einem Geschäft zu machen, sie also wieder einer kapitalistischen Ausbeutung zuzuführen. Das ist aber schlecht gelungen. Es geht nicht. Wenn sich Leute wirklich unabhängig machen und in ihren Grundlagen frei sind von dieser Staatsbedürftigkeit, von den Bedürfnisssen der Herrschenden, dann ist es schwierig, sie wieder einzufangen. Denn es funktioniert dann nicht mehr mit dieser inneren Kolonisierung des homo oeconomicus (siehe Teil 2)*. Das war auf einmal sehr deutlich. Es blühte eine neue Kultur auf. Die Leute fingen an zu dichten und zu singen. Vorher waren sie eher traurig und depressiv gewesen. Das änderte sich ganz schnell.

Frauen denken bis zu Ende

Was besonders auffiel: die Frauen waren am stärksten. Deshalb müßten die hiesigen Männer sich auch schon mal mit dem Gedanken befassen, daß die Frauen die Initiativträger sind. Das ist überall auf der Welt zu beobachten. Manchen erschreckt das so, daß er überhaupt keine Sprache mehr dafür findet, z.B. Gustavo ESTEVA. Der hat das in Mexiko auch erlebt, aber in seinem Buch mit keinem Wort erwähnt. Er sagt, wenn man den Frauen irgendetwas gibt, und sei es nur eine Nähmaschine, dann haben sie innerhalb eines Monats die ganze umgebende Gesellschaft verändert. Sie bleiben nicht bei der Nähmaschine stehen, sondern da wird gleich alles neu organisiert. Die ganze Arbeit, die ganze Verteilung, wer was macht, und was da noch alles dranhängt, und was man nachher macht und wer und wohin. Das wird alles umgemodelt. Das ist typisch für Subsistenz. Sie bleibt nicht folgenlos. Die Frauen haben alles gleich umorganisiert und die Männer überhaupt nicht gefragt. Die Männer schauten und wunderten sich, weil sie so etwas nicht (mehr) können. Sie haben sich ja von solchen Erfahrungen abgeschnitten. Wenn überhaupt jemand Subsistenzkultur bewahrt hat, dann sind es Frauen, aber das ist dann eben auch von Vorteil, wenn es wieder um Subsistenz geht. Die Geschichte ist dann etwas gerechter mit den Frauen, aber das ist für viele Männer schwierig, weil sie nicht verstehen, wie das läuft. Sie verstehen das Zyklische nicht, wie der Stein, den man ins Wasser wirft, immer weitere Wellen auslöst. Ich wundere mich, warum Manager immer Männer sind. Das können Frauen eigentlich viel besser, weil sie bis zu Ende denken. Das hängt mit ihrer Lebenserfahrung zusammen. Man kann ja nicht ein Kind großziehen und es zwischendurch einfach vergessen. Das geht eben nicht, wenn es leben soll. Es geht nur permanent. Die Permanenz fehlt den Männern heute, sie sind es nicht mehr gewöhnt, sich dauerhaft ums Leben zu kümmern. Sie können schon mal eine halbe Stunde mit dem Baby auf dem Arm herumlaufen, aber dann sind sie meist schon ganz erschöpft. Auch bei den "neuen Vätern" soll das vorkommen.

Die Sache mit der Permanenz gehört also auch zur Subsistenz. Es ist ein Durchstehen-Können, auch das Elend, die Konflikte, die Krankheiten, ein Durchhalten auf einer ganz anderen Ebene als dies der Soldat tut. Es ist ein Durchgehen durch Lebensvorgänge. Die gehen gar nicht immer harmonisch und friedlich vor sich. Da gibt es Leidenschaften, die toben herum. Georges BATAILLE sagte, der Sinn des Lebens liegt im Toben, im Tosen. Was machen wir mit dem Toben in uns, dem "Brüllen" in uns, wie Susan GRIFFIN sagt? Der Umgang mit diesen Kräften ist das Entscheidende und nicht ihre Verleugnung, ihre Verunglimpfung und Unterdrückung. Das alles ist Subsistenz, und es ist auch Erinnerung an frühere Kultur, die wir durchaus in uns haben, meist verschüttet. Man muß "hell sehen", um zu merken, was eigentlich alles möglich ist, was wir längst in dieser albernen Grauheit unserer Existenz vergessen haben.

Verwandtschaft statt Herrschaft

Subsistenz führt dazu, daß nach und nach eine neue Gesellschaft entsteht, nicht bloß ein Projekt oder ein Sektor. Kultur bedeutet dann nicht mehr, sich einen Ersatz für oder die Rivalität zur Natur zu schaffen, sondern mit ihr zu kooperieren. Ich nenne das Natur als Kultur, also ein völlig neues Naturverhältnis, das nicht mehr auf Ressourcen, Ausplünderung und Beherrschung aus ist. Was bei letzterem herauskommt, ist ja nur Zerstörung. Ein völlig anderes Naturbegreifen ist nötig, und das nicht nur im Materiellen, sondern auch im Immateriellen. Das hat auch Karl MARX nicht gesehen. Auch er ging von der "Notwendigkeit" der Naturbeherrschung aus. Natur ist das, was wir selber sind. Aber das wissen wir nicht (mehr). Natur ist die Verwandtschaft der Lebewesen, auch mit den Tieren, den Pflanzen, ja den Steinen. Warum sollen wir uns denn als höher und besser begreifen als das Leben, das um und in uns ist: eine lebende, nicht hierarchisch geordnete Natur. Wir können sehen, wie Natur geordnet ist. Sie hat eine Ordnung, ist kein Chaos im Sinne von beliebigem Durcheinander. Daran erkennen wir, was wir auch gesellschaftlich zu tun haben. Die Naturwissenschaft, die das könnte, gibt es aber nicht, weil sie an der Naturbeherrschung orientiert ist. Dadurch zeigt sich, was wissenschaftlich zu tun wäre. Auch den Umgang mit Geld müssen wir verändern, weil das natürlich nicht ausgeschlossen werden kann. Geld ist nichts Neues, nur sein Charakter als Kapital, als "Geld gebärendes Geld" mit Zins und Zinseszins ist neu. Schulden- und Zinsabhängigkeit entstehen, weil dieses Gebären nur scheinbar natürlich, in Wahrheit aber durch Ausbeutung abgepreßt ist. Das müssen wir als Öbszönität von uns weisen. Also Abschaffung des Zinses (nachzulesen bei Margrit KENNEDY), Geld nur noch als Schmiermittel oder gar "Schwundgeld". Da wird Geld immer weniger und nicht mehr. Man muß es immer schnell verwenden, kann dadurch nichts anhäufen und keinem verleihen und dafür Zinsen nehmen. Das ist alles schon ausprobiert worden. Es gibt auch das Beispiel afrikanischer Frauen, die ihre Art von Sparkassen errichten. Die Frauen treffen sich einmal im halben Jahr, zahlen alle in eine gemeinsame Kasse, was sie haben, und die Summe kriegt dann die Frau, die es gerade am nötigsten braucht für Krankenhaus, Schule, irgendeine Investition, einen neuen Ofen usw. Das nächstemal kriegt es eine andere. Da braucht man keine Bank, keine Zinsen und keine langfristigen Überlegungen, wie man das Geld zurückkriegt oder wo man es herkriegt. Das sind ganz einfache Dinge, die man auch hier ausprobieren müßte.

Die gesellschaftliche Organisation insgesamt ist das größte Problem. Wie geht das ohne Herrschaft? Von Lettland bis Ex-Jugoslawien wollen alle neue Nationalstaaten und damit das ganze Herrschaftssystem reproduzieren. Wie wäre es dagegen mit "Verwandtschaft"? Verwandtschaft statt Staat ist die Organisationsform der alten vorpatriarchalen Gesellschaft gewesen. Was hieße das heute? Geistesverwandtschaft? Wir brauchen auch andere Städte, solche, die sich selber versorgen. Warum müssen denn die Städte das Land plündern? Früher waren Städte durchaus selbstversorgerisch. Als die Spanier nach Mexiko kamen und diese Riesenstadt eroberten, da war das eine Gartenstadt. Wer hindert uns daran, Gärten zu haben, die man nicht nur als Parks verwendet?

Die Produktion wäre keine Produktionsschlacht mehr, kein Her-Stellen, sondern ein gemeinsames Hervorbringen von dem, was sich selbst anbietet, was möglich ist, was sich findet. Also nicht dieses Dagegen-Durchsetzen, was wir als Produktion kennen. Außerdem könnte die Ware verschwinden, die Warenökonomie in ihrer Abstraktion. Es ginge um das Hervorbringen konkreter "Gebrauchswerte" bzw. Subsistenzmittel, Lebensmittel für die jeweiligen konkreten Menschen, nicht abstrakt für irgendeinen Markt, für irgendwelche Leute, die man noch nie gesehen hat und nie sehen wird. Überschüsse würden auch nicht akkumuliert, sondern verteilt, vergeben oder verschwendet, wie z.B. im "Potlatch" bei den nordamerikanischen Irokesen (vgl. Georges BATAILLE). Es gibt ein Verschenken, ein Tauschen von Geschenken, eine Gegenseitigkeit. "Reziprozität" heißt das in der Literatur.

Gleichheit ist keine Befreiung

Man müßte eigentlich bei jedem Begriff, den wir überhaupt verwenden, das, was wir wichtig finden, neu fassen. Natürlich gilt das auch für das Geschlecht. Gleichheit zwischen den Geschlechtern heißt immer Reduktion der Frauen auf "Männer". (Meistens wird das umgekehrt gesehen: die Frauen würden erhöht, wenn sie wie Männer werden.) Reduktion auf das männliche Niveau, so wie es jetzt ist, ist auch körperlich gemeint. In den sogenannten Schwellenländern, auch in Ostdeutschland, gibt es heute zahllose junge Frauen, die sich sterilisieren lassen, um dadurch einen Arbeitsplatz zu kriegen. Das ist Reduktion auf das männliche Niveau. Die Frauen verstümmeln ihren Leib und vernichten ihre spezifisch weibliche Natur-Fähigkeit des Gebärens nur wegen der Möglichkeit, damit vielleicht einen Arbeitsplatz für eine gewisse Zeit zu erhalten.

Wir Frauen müssen uns wieder daran erinnern, was es heißt, einen solchen Leib zu haben, einen, der so etwas kann. Männer haben uns immer darum beneidet und wollten uns das wegnehmen, um es selber zu machen - die Gen- und Reproduktionstechnologie spricht Bände darüber. Der schwangere Mann, wer kommt denn auf so eine Idee? Und Frauen wollen das gerne los sein, diese Fähigkeit. Sie sehen darin eine Emanzipation. Welch grauenvoller Irrtum! Es geht ihnen genau wie den Bauern, die angeblich stolz sind, daß sie ihr Land verlassen und in die Stadt in irgendeine Fabrik dürfen. Man hat sie doch dazu gezwungen! Das haben sie doch gar nicht freiwillig gemacht. Bei den Frauen ist das natürlich auch so. Aber hinterher wird das so dargestellt, als ob sie selber nichts anderes wollten. Zunächst einmal brauchen wir den Abfall von den Vorstellungen, was Männer und Frauen seien, ein Ende dieses Glaubens an die Machbarkeit, auch der Gleichheit. Es fehlt ein ganz anderer Zugang dazu, ein subsistenzartiger. Und dann muß etwas geschehen können, offen bleiben, nicht in Theorien eingehen, die alles gleich wieder zuschütten und eine bestimmte Herrschaft und einen bestimmten Staat, eine vorgestellte Ordnung definieren. Die Probleme sollen ruhig sein dürfen, aber die Fähigkeit zum Umgang damit ist zu schaffen, eine Konfliktkultur. Mit einem Wort: mit Subsistenz kann man nicht Unternehmer, Minister, berühmt oder reich werden, Staatschef womöglich oder Oberguru. Sondern Subsistenz ist die Rehabilitation des Einzelnen, der Natur und insbesondere der Frauen. Subversion statt Widerstand

Außerdem ist Subsistenz kein Kuchen, den man irgendwann aufgegessen hat. Sie hat nämlich die wunderbare Eigenschaft, mehr zu werden, je mehr man sie nutzt, und nicht weniger, sondern mehr, wenn sie "angewandt" wird, wenn man sie zuläßt. Mit der Muttermilch ist das auch so. Umso mehr das Kind trinkt, desto mehr Milch ist da. Und wenn es weniger trinkt, ist weniger da. Da ist gar keine "Grenze". Also die "Unendlichkeit" ist eigentlich auf dieser Seite und nicht auf der der Warenproduktion. Da ist sie nur eine Fiktion. Aber hier ist es wirklich so. Die Subsistenz ist kein Kuchen, der aufgeteilt werden muss und irgendwann alle ist, und deswegen braucht sich auch niemand zu sorgen um die ständige Möglichkeit dieser Fülle, wenn auch keine an Waren. Sie ist daher eben nicht mies, knickerig und kleinlich, asketisch, protestantisch, links oder rechts, sondern sie ist Subversion. Subsistenz ist schließlich auch kein "Widerstand", den das System dringend braucht, damit es sich weiterentwickeln, überall eindringen kann. Sondern Subsistenz ist die Überflüssigkeit von Herrschaft durch das Zulassen der Vielfalt und den Umgang mit der Fülle des Lebens.


  1. Der Begriff Subsistenz (wörtlich etwa "Selbstunterhalt", "Eigenarbeit") wird verwendet, um vorindustrielle, "primitive", "stagnierende" oder "naturalwirtschaftliche" Gesellschaften zu kennzeichnen. Heutige Subsistenz - etwa bei der landwirtschaftlich-gärtnerischen Produktion zur Selbstversorgung oder in der Hausarbeit - wird dementsprechend meist abwertend als "zurückgeblieben" oder "unterentwickelt" eingeordnet.



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