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APO-Calypse:Herrschaftsfreie Welt? (Seminar) Reader Freie Kooperation

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Begriff: Freie Kooperation[edit]

Politische Utopie jenseits der Utopien[1]

Der Entwurf der "Freien Kooperation" ist ein von Christoph Spehr entwickeltes Konzept, das in den letzten Jahren auf viel Zuspruch gestoßen ist. Die Freie Kooperation beschreibt ein Grundkonzept für die Art, wie Menschen miteinander in Interaktion treten können sollen. Alle Regeln in dieser Kooperation können von jedem und jeder hinterfragt, zurückgewiesen und neu verhandelt werden. Erzwungene Kooperationen - augenblicklich der Normalfall - sollen abgebaut, vermieden werden. Ein wichtiges Element ist die Möglichkeit von einer solchen Kooperation zurücktreten zu können, und zwar zum gleichen "Preis" wie die anderen beteiligten Personen. Diese Regel geht davon aus, dass gerade die unterschiedlichen Nachteile, die Personen davon haben, wenn sie solches tun wollen, eine Un-Gleichberechtigung herbeiführt.

Spehr entwickelte vor einigen Jahren das Konzept der „Freien Kooperationen“ als neue Utopie, die sich grundsätzlich von früheren Utopien unterscheidet. Viele der früheren Utopien waren auf eine solche Weise ausgearbeitet, dass sie selbst zu normativen Vorgaben für andere Menschen wurden und deshalb ihren freiheitlichen Charakter verloren. Christoph Spehr legt deshalb auf einige Prinzipien großen Wert:

  1. Eine politische Utopie darf nicht deskriptiv sein. Das heißt: Sie stellt keine fixen Modelle auf, wie die "gute Gesellschaft", das "richtige Leben", die "korrekte Beziehung", die "gesunde Lebensführung" etc. auszusehen hat. Sie versucht nicht, die Welt zu verbessern, sondern nur, den Menschen den Rücken zu stärken.“ (Spehr 2003: 56)
    • Für die Freien Kooperationen bedeutet das:
    • „Die Theorie der freien Kooperation macht keine Vorschriften. Sie erkennt an, dass Individuen und Gruppen Kooperationen ablehnen, verweigern, einschränken können, wenn sie damit nicht zufrieden sind, ohne dass sie von einer objektiven Instanz daran gehindert werden könnten. Sie erkennt allerdings auch an, dass Individuen und Kollektive bestimmte Verhaltensweisen und Regelungen zur Bedingung der Kooperation machen können; sie können dies aber nicht einseitig erzwingen oder diktieren. Die konkrete Ausgestaltung von Kooperationen ist Sache der Beteiligten; von außen kann man dazu eine Meinung haben, man kann sie auch äußern, aber das war's dann auch. Die Politik der freien Kooperation beschränkt sich darauf, Voraussetzungen durchzusetzen, unter denen das Scheitern der Kooperation (oder ihre Einschränkung) für alle Beteiligten zu einem vergleichbaren und vertretbaren Preis möglich ist. Sie weiß nicht, was bei Verhandlungen unter diesen Voraussetzungen im konkreten Fall herauskommt. Sie oktroyiert niemand etwas auf. Sie sagt lediglich denjenigen, die mit ihren Kooperationen nicht zufrieden sind: "Lasst euch nicht abspeisen!“ (ebd.: 55-56)
  2. Eine politische Utopie darf nicht elitär sein. Das heißt, sie „behauptet nicht, einen privilegierten Zugang zur Wahrheit zu haben. Sie erhebt keinen Anspruch, etwas zu wissen, was nicht jeder und jedem prinzipiell aus eigener Erfahrung zugänglich ist.“ (ebd.: 57)
    • Das Konzept der Freien Kooperation
    • „berät Individuen und Gruppen auf die Frage hin: "Wie werden wir frei und gleich?", indem sie strukturierte historische Erfahrungen in einer verstehbaren Begrifflichkeit und Systematisierung zur Verfügung stellt. Sie rät, das Recht zu verhandeln keinesfalls an irgendwelche Strukturen formalisierter Entscheidungsfindung, an irgendwelche übergeordnete Instanzen, an irgendwelche Chef- und Vordenker abzugeben. Sie rät zu Druck und realer Einschränkung von Kooperation im Konflikt und zu prinzipiellem Misstrauen gegenüber allen diskursiven Verfahren, die Individuen und Gruppen einreden, was sie wirklich wollen oder wem sie angeblich implizit zugestimmt haben.!“ (ebd.: 57)
  3. Eine politische Utopie darf nicht hierarchisch sein. Das heißt, es gibt „keine Orte in der Gesellschaft und keine Arten von Kooperation, die wichtiger wären als andere.“ (ebd.: 57)
    • „Sie verfolgt ein selbstähnliches Konzept, wonach politische Utopie darin besteht, eine andere Logik sozialer Beziehungen zu propagieren und durchzusetzen, und zwar für alle Arten sozialer Beziehung. Gesellschaftliche Veränderung ist ein komplexer Prozess ohne Vorher-Nachher-Effekt (nach dem Motto: erst den Staat ändern, dann die privaten Beziehungen; erst die Eigentumsverhältnisse ändern, dann die Formen der Organisation usw.).“ (ebd.: 57-58)
  4. Eine politische Utopie darf keine Form von politischem Eskapismus sein. Dies wendet sich gegen eine „Suche nach der "radikalen Aktion", der absoluten Nicht-Teilhabe am herrschenden System“ (ebd.: 59), gegen „die irrige Idee, es gebe eine "Abkürzung" bei der mühsamen Veränderung der Verhältnisse“ (ebd.).
    • „Radikal sein heißt im Sinne der freien Kooperation, keinen gesellschaftlichen Bereich, keine soziale Kooperation vom Anspruch der freien Kooperation auszunehmen; es bedeutet, sich diesen Anspruch nicht abkaufen zu lassen; und es bedeutet, ihn wirklich durchsetzen zu wollen und sich nicht mit symbolischen Gesten zufrieden zu geben.“ (ebd.: 58)

Der Text von Christoph Spehr ist u.a. nachzulesen unter http://www.thur.de/philo/polutopie.htm




AG Visionen Attac Dresden:
Das Prinzip der "Freien Kooperation"
Die Arbeit von Christoph Spehr "Gleicher als andere" (Gesamttext als pdf-Datei) beschreibt keinen Zustand, sondern einen Prozess. Wir werden nie frei und gleich sein, aber besser als heute kann es allemal werden. Christoph Spehr beschreibt das Prinzip der "Freien Kooperation". Wirklich "Freie Kooperation" ist das Ziel, das wohl nie erreicht wird, aber ohne eine Vorstellung davon ist es nicht möglich, zu handeln. Spehr geht davon aus, dass alles, was uns mit anderen verbindet, eine Art Kooperation ist, allerdings häufig eine erzwungene - also Herrschaft. Sei es die Zweierbeziehung, das Arbeitsverhältnis, die Demokratie ....

Erzwungene Kooperation ist Herrschaft:
Die Kooperation ist erzwungen, weil die eine Seite sich nicht aus ihr lösen kann, weil sie nicht darüber bestimmen kann, was sie einbringt und unter welchen Bedingungen, weil sie keinen oder nur geringen Einfluss auf die Regeln der Kooperation hat. Die Methoden der Herrschaftsausübung:

  1. Die Ausübung oder Androhung direkter, physischer Gewalt - die "militärische" Ebene von Herrschaft.
  2. Strukturelle Unterordnung, d.h. die Errichtung oder Aufrechterhaltung von Regeln und Verteilungen in einer sozialen Kooperation, die zu einer systematisch unterschiedlichen Anhäufung von Macht führen - die "ökonomische" Ebene von Herrschaft.
  3. Diskriminierung, d.h. ausschließende Solidarität einer Gruppe gegen den "Rest" - die "soziale" Ebene von Herrschaft.
  4. Kontrolle der Öffentlichkeit, d.h. der maßgebliche Einfluss darauf, wie in einer Kooperation geredet und gedacht wird, welche Interpretationen und Normen die vorherrschenden sind - die "institutionelle" Ebene von Herrschaft.
  5. Abhängigkeit, d.h. die Ausschaltung von Alternativen für die jeweils andere Seite in der Kooperation, so dass diese Kooperation für die Gegenseite möglichst alternativlos wird - die "existentielle" Ebene von Herrschaft.
Es ist nicht nur die Arbeit von Sklaven, was die Herrschaft am Leben hält. Es ist auch die Haltung von Sklaven: Was geschieht, geschehen zu lassen. Die Regeln zu befolgen, die andere gemacht haben. Zu akzeptieren, dass man Regeln vielleicht auf kompliziertem Wege ändern kann, bis dahin aber unter allen Umständen befolgt. Wir trainieren das. Wir lassen es alle lernen und scheiden die aus, die es nicht lernen. Wir schützen die nicht, die Regeln brechen. Wir schützen die Regeln. Wir erzwingen die Sklavenhaltung genauso wie die Sklavenarbeit. Der Reiche lebt nicht nur von der Arbeit derer, die für ihn schwitzen, sondern auch von der Ohnmacht der Besitzlosen, ihn zu bestehlen. Er lebt auch von der Struktur, die ihm Land, Kapital, Wissen zuwirft und anderen nicht. Sein Kommando erstreckt sich nicht nur darauf, dass Menschen etwas für ihn tun, sondern auch darauf, dass Menschen etwas gegen ihn unterlassen. Es ist die Erbsünde der demokratischen Moderne, diese Gewalt nicht prinzipiell bekämpft zu haben, sondern sich vorrangig damit zu beschäftigen, wie sie legitimiert und verregelt sein soll und wer darauf welchen Einfluss erhält.

Freie Kooperation, wie sie hier definiert wird, hat drei Bestimmungen. Freie Kooperation liegt vor, wenn

  1. die überkommene Verteilung von Verfügungsgewalt, Besitz, Arbeit und die überkommenen Regeln nicht sakrosankt sind, ihnen also kein "höheres Recht" zukommt, sondern sie vollständig zur Disposition stehen, d.h. von den Beteiligten der Kooperation jederzeit neu ausgehandelt werden können;
  2. alle Beteiligten frei sind, die Kooperation zu verlassen, ihre Kooperationsleistung einzuschränken oder unter Bedingungen zu stellen, und dadurch Einfluss auf die Regeln der Kooperation zu nehmen;
  3. alle Beteiligten insofern gleich sind, als sie dies zu einem vergleichbaren und vertretbaren Preis tun können; d.h. dass der Preis dafür, die Kooperation zu verlassen bzw. die eigenen Kooperationsleistungen einzuschränken oder unter Bedingungen zu stellen, für alle Beteiligten ähnlich hoch (oder niedrig), aber auf jeden Fall zumutbar sein muss.
Vereinfacht gesagt: In einer freien Kooperation kann über alles verhandelt werden; es dürfen alle verhandeln; und es können auch alle verhandeln, weil sie es sich in ähnlicher Weise leisten können, ihren Einsatz in Frage zu stellen. Die Freiheit zu verhandeln schließt die Freiheit ein, Verhandlungen scheitern zu lassen und zu gehen.

Freiheit und Gleichheit werden verwirklicht (und sind vereinbar, ja identisch) in der Freien Kooperation. In einer freien Kooperation werden keine überkommenen Rechte und Regeln an- erkannt (außer als vorläufiger Ausgangspunkt). In einer freien Kooperation sind die Beteiligten frei, sich der Kooperation zu entziehen, d.h. sie zu verlassen; sie sind frei, ihre Kooperationsleistungen einzuschränken oder unter Bedingungen zu stellen, um dadurch Einfluss auf die Regeln zu nehmen. Freie Kooperation hat zur Voraussetzung, dass alle Beteiligten diese Form der Einflussnahme (oder der Aufkündigung) auch praktizieren können, und zwar zu einem vergleichbaren und vertretbaren Preis. Diese Voraussetzung muss immer wieder neu hergestellt und durchgesetzt werden

  1. Die Theorie der freien Kooperation stellt keine fixen Modelle auf, wie die "gute Gesellschaft", das "richtige Leben", die "korrekte Beziehung", die "gesunde Lebensführung" etc. auszusehen hat. Sie versucht nicht, die Welt zu verbessern, sondern nur, den Menschen den Rücken zu stärken. Die Politik der freien Kooperation beschränkt sich darauf, Voraussetzungen durchzusetzen, unter denen das Scheitern der Kooperation (oder ihre Einschränkung) für alle Beteiligten zu einem vergleichbaren und vertretbaren Preis möglich ist. Sie weiß nicht, was bei Verhandlungen unter diesen Voraussetzungen im konkreten Fall herauskommt. Sie oktroyiert niemand etwas auf. Sie sagt lediglich denjenigen, die mit ihren Kooperationen nicht zufrieden sind: "Lasst euch nicht abspeisen!"
  2. Die Theorie der freien Kooperation behauptet nicht, einen privilegierten Zugang zur Wahrheit zu haben. Sie erhebt keinen Anspruch, etwas zu wissen, was nicht jeder und jedem prinzipiell aus eigener Erfahrung zugänglich ist. Sie führt keine Führerscheine für Emanzipation ein, wonach man sich das Recht zu verhandeln erst verdienen oder sich dafür qualifizieren müsste, sie setzt auch keine bestimmte Versprachlichung und Verregelung als Eintrittsticket voraus. Sie berät Individuen und Gruppen auf die Frage hin: "Wie werden wir frei und gleich?", indem sie strukturierte historische Erfahrungen in einer verstehbaren Begrifflichkeit und Systematisierung zur Verfügung stellt. Sie rät, das Recht zu verhandeln keinesfalls an irgendwelche Strukturen formalisierter Entscheidungsfindung, an irgendwelche übergeordnete Instanzen, an irgendwelche Chef- und Vordenker abzugeben. Sie rät zu Druck und realer Einschränkung von Kooperation im Konflikt und zu prinzipiellem Misstrauen gegenüber allen diskursiven Verfahren, die Individuen und Gruppen einreden, was sie wirklich wollen oder wem sie angeblich implizit zugestimmt haben.(21)
  3. Für die Theorie der freien Kooperation gibt es keine Orte in der Gesellschaft und keine Arten von Kooperation, die wichtiger wären als andere. Sie verfolgt ein selbstähnliches Konzept, wonach politische Utopie darin besteht, eine andere Logik sozialer Beziehungen zu propagieren und durchzusetzen, und zwar für alle Arten sozialer Beziehung. Gesellschaftliche Veränderung ist ein komplexer Prozess ohne Vorher-Nachher-Effekt (nach dem Motto: erst den Staat ändern, dann die privaten Beziehungen; erst die Eigentumsverhältnisse ändern, dann die Formen der Organisation usw.). Freie Kooperation befürwortet keine Zusammenbrüche. Sie hält es für rational, wenn Menschen vor raschen Umorganisationen der Gesellschaft Angst haben, weil sie nicht wissen, was das für die Gesamtheit ihrer Kooperationen für Folgen hat. (Sie hält es allerdings für irrational, wenn Menschen umgekehrt keine Angst davor haben, dass es ewig so weitergeht wie bisher.) Freie Kooperation lehnt es prinzipiell ab, Widerstände gegen geplante "Großveränderungen" zu brechen mit dem Hinweis, hinterher werde sich das für alle als segensreich erweisen. Der einzige Widerstand, den sie zu brechen rät, notfalls auch mit Gewalt, ist der, jemanden weder verhandeln zu lassen noch zu einem vergleichbaren und vertretbaren Preis gehen zu lassen.
  4. Die veränderte Blickrichtung (nicht die gute Gesellschaft schaffen, sondern die Möglichkeit freien und gleichen Verhandelns durchsetzen) bedeutet auch eine veränderte Vorstellung von Radikalität. Radikal sein heißt im Sinne der freien Kooperation, keinen gesellschaftlichen Bereich, keine soziale Kooperation vom Anspruch der freien Kooperation auszunehmen; es bedeutet, sich diesen Anspruch nicht abkaufen zu lassen; und es bedeutet, ihn wirklich durchsetzen zu wollen und sich nicht mit symbolischen Gesten zufrieden zu geben. Verabschiedet wird damit ein Pseudobegriff von Radikalität, der auf der Trennung von "politischem Menschen" und Alltagsmenschen beruht. Derartige Pseudoradikalität kennt keine Zwischenschritte, keine Kompromisse, sie lässt keine Einwände gegen die Zumutungen gelten, die ein "möglichst radikales" Vorgehen den Menschen auferlegt. Im Grunde sollten wir am besten erstmal alles in die Luft sprengen, um es dann gründlich richtig zu machen - was ein wenig alltagstaugliches Konzept ist. Derartige falsche Radikalität ist immer patriarchal und immer elitär, denn man muss sie sich leisten können. "Frauen können diese Notwendigkeit (der Reproduktion auch unter den gegebenen Bedingungen) nicht in gleicher Weise ignorieren, schon deshalb weil sie sich in höherer Weise für Kinder verantwortlich fühlen, aber auch deshalb, weil z.B. die meisten Männer unter Bedingungen Politik machen, unter denen die meisten Frauen weder leben noch arbeiten können. Die 'radikale Trennung' legitimiert die interne Vorherrschaft derer, die sich 'am radikalsten freimachen können', und das sind allemal Männer."(24)




Christoph Spehr: Gleicher als Andere. Eine Grundlegung der Freien Kooperation, zugleich -preisgekrönte! - Beantwortung der von der Bundesstiftung Rosa Luxemburg gestellten Frage: "Unter welchen Bedingungen sind soziale Gleichheit und politische Freiheit vereinbar?", Bremen 2000 auf www.thur.de:
Freie Kooperation hat drei Bestimmungen:

  • Freie Kooperation beruht darauf, dass die vorgefundenen Regeln und die vorgefundene Verteilung von Verfügung und Besitz ein veränderbarer Fakt sind und ihnen keinerlei höheres, objektivierbares Recht zukommt.
  • Freie Kooperation besteht darin, dass alle Beteiligten dieser Kooperation sie aufgeben, ihre Kooperationsleistung einschränken oder unter Bedingungen stellen können, um auf die Regeln der Kooperation in ihrem Sinne einzuwirken, und zwar zu einem vergleichbaren und vertretbaren Preis, und dass sie dies individuell und kollektiv auch wirklich tun.
  • Freie Kooperation bedarf einer Politik, die sie immer wieder aufs Neue realisiert, indem sie die Grenzen der Freiheit und die Realität der Gleichheit praktisch erprobt und indem sie die äußeren und inneren Voraussetzungen des "vergleichbaren und vertretbaren Preises" durchsetzt. (S. 11)

Freie Kooperation, wie sie hier definiert wird, hat drei Bestimmungen. Freie Kooperation liegt vor, wenn

  • die überkommene Verteilung von Verfügungsgewalt, Besitz, Arbeit und die überkommenen Regeln nicht sakrosankt sind, ihnen also kein "höheres Recht" zukommt, sondern sie vollständig zur Disposition stehen, d.h. von den Beteiligten der Kooperation jederzeit neu ausgehandelt werden können;
  • alle Beteiligten frei sind, die Kooperation zu verlassen, ihre Kooperationsleistung einzuschränken oder unter Bedingungen zu stellen, und dadurch Einfluss auf die Regeln der Kooperation zu nehmen;
  • alle Beteiligten insofern gleich sind, als sie dies zu einem vergleichbaren und vertretbaren Preis tun können; d.h. dass der Preis dafür, die Kooperation zu verlassen bzw. die eigenen Kooperationsleistungen einzuschränken oder unter Bedingungen zu stellen, für alle Beteiligten ähnlich hoch (oder niedrig), aber auf jeden Fall zumutbar sein muss.

Vereinfacht gesagt: In einer freien Kooperation kann über alles verhandelt werden; es dürfen alle verhandeln; und es können auch alle verhandeln, weil sie es sich in ähnlicher Weise leisten können, ihren Einsatz in Frage zu stellen.

Die Freiheit zu verhandeln schließt die Freiheit ein, Verhandlungen scheitern zu lassen und zu gehen - "den Baum zu wechseln", um es mit Rousseau zu sagen. Die Gleichheit der Beteiligten schließt dabei ein, dass sie nicht mit leeren Händen gehen, sondern einen Anteil an den bisherigen Früchten der Kooperation aus dieser herauslösen und in ihre eigene Verfügung zurückführen können. Auch dieser Anteil bemisst sich nicht mathematisch, sondern nach dem Prinzip der Gleichheit: Es soll für die einen nicht wesentlich schlimmer sein, die Kooperation zu verlassen oder sie scheitern zu lassen, als für die anderen.

Die Definition gibt keine formalisierten Verfahren des Verhandelns oder der Entscheidungsfindung vor. Für solche Verfahren gilt dasselbe wie für alle anderen Regeln auch: Sie genießen kein höheres Recht, sie sind der Verhandlung nicht entzogen. Verhandeln meint hier den realen Prozess, auf den alles immer wieder zurückgeht: "Nein, wenn nicht ..." (S. 22/23)

Freie Kooperation setzt nicht an der Regulierung des Verhandelns an, sondern bei den Akteuren. Ob eine Verhandlung frei und gleich ist, hängt nicht von den Regeln ab, sondern von den Akteuren: ob sie in der Lage - und notfalls auch bereit sind - zum "dann eben nicht", und ob dies zu einem vergleichbaren und vertretbaren Preis möglich ist. Auf dieser Basis können die Akteure auch über die Regeln der Verhandlung verhandeln. Sie können Regeln schaffen und ändern, sich daran halten oder dies nicht mehr tun. Freie Kooperation setzt nicht die Regeln, sie stärkt die gleiche Verhandlungsposition der Akteure. Die Aspekte "wissenschaftlicher Erkenntnis", "demokratischer Mehrheiten" oder "gesellschaftlicher Notwendigkeiten" werden demgegenüber in ihre Schranken verwiesen. (S. 53)

Die Faustregel realistischer Kooperation lautet: Für jeden Einzelnen muss es besser sein, dass er/sie an dieser Kooperation teilnimmt, als wenn er/sie es nicht tut; und für die Kooperation muss es besser sein, dass der/die betreffende Einzelne dabei ist, als wenn er/sie es nicht ist. Andernfalls ist die Kooperation entweder ausbeuterisch und erzwungen, oder moralisch überzogen und auf Dauer nicht haltbar. (S. 55)

Es geht immer um den Mechanismus, nicht für andere definieren zu wollen und zu können, wie ihre Kooperationen auszusehen haben, wie sie "richtig" sind, aber die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sie dies frei aushandeln können: den vergleichbaren und vertretbaren Preis. (S. 27)

Was man ... kann, ist, gemeinsam bessere Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass man in den verschiedensten Kooperationen frei und gleich wird. Und diese Voraussetzung zu verbessern, heißt immer wieder: den Preis zu verändern, zu dem man gehen oder einschränken kann.




www.freie-gesellschaft.de:
Freie Kooperation ist der Schlüsselbegriff in der von Christoph Spehr entwickelten Theorie der Freien Kooperation, die insbesondere in dem Text "Gleicher als andere: Eine Grundlegung der freien Kooperation" dargestellt wird. Ziel dieser Theorie ist es, den überkommenen Gegensatz zwischen Freiheit und Gleichheit zu überwinden. Im Begriff der Freien Kooperation fallen beide zusammen. Gemäß dieser Theorie kann eine Kooperation nur dann als frei (im Gegensatz zu erzwungen) bezeichnet werden, wenn sie drei Bedingungen erfüllt:

  1. Über alles kann verhandelt werden: überkommene Verteilung von Verfügungsgewalt, Besitz, Arbeit und überkommene Regeln sind nicht sakrosankt, sondern können bei Bedarf neu ausgehandelt werden (Verhandelbarkeit, siehe auch: Selbstorganisation).
  2. Alle dürfen verhandeln: alle Beteiligten sind frei, die Kooperation zu verlassen, ihre Kooperationsleistung einzuschränken oder unter Bedingungen zu stellen, und dadurch Einfluss auf die Regeln der Kooperation zu nehmen (Freiheit der Beteiligten).
  3. Alle können es sich leisten, zu verhandeln, weil niemand zu viel zu verlieren hat: der Preis dafür, die Kooperation zu verlassen bzw. die eigenen Kooperationsleistungen einzuschränken oder unter Bedingungen zu stellen, muss für alle Beteiligten ähnlich hoch (oder niedrig), auf jeden Fall aber zumutbar sein (Gleichheit der Beteiligten, siehe auch: Gesetz der zwei Füße).




Freie Kooperation auf coforum.de:
Die Theorie der freien Kooperation ist ein Versuch einer Antwort auf die Frage: Was ist Freiheit.

Freie Kooperation ist ein Konzept, das Christoph Spehr in seinem Buch "Die Aliens sind unter uns - Herrschaft im demokratischen Zeitalter" eingeführt und in seinem Text "Gleicher als Andere" verfeinert hat.

Eine kurze Einführung inklusive weiterführenden Links auch zum Originaltext gibt es hier: http://www.thur.de/philo/kooperation.htm

Nach Spehr liegt "Freie Kooperation" vor, wenn Verteilungsverhältnisse von allen Beteiligten "jederzeit neu ausgehandelt werden können". Zugleich müssten alle die Kooperation jederzeit verlassen und Einfluß auf die Regeln nehmen können. Sie seien gleich, indem sie zu einem vergleichbaren und vertretbaren Preis die Kooperation verlassen oder ihre eigenen Leistungen einschränken könnten. Linke Politik müsse sich zur Idee der Freien Kooperation bekennen und die Voraussetzungen für diese "immer wieder aufs neue durchsetzen". Politik und Antipolitik

  1. Die Theorie der freien Kooperation macht keinerlei Vorschriften. Jede Kooperation gibt sich ausschließlich selbst ihre Regeln und jeder einzelne wirkt mit an der Gestaltung dieser Regeln oder verläßt die Kooperation nach eigener Entscheidung.
  2. Die Theorie der freien Kooperation erhebt keinen Anspruch etwas zu wissen, was nicht jedermann aus eigener Erfahrung zugänglich ist. Jedermann muß sich selbst das Wissen aneignen, das er braucht. Nichts wird von ihm abgefordert.
  3. Keine Art von Kooperation ist wichtiger als eine andere. Jede Kooperation definiert sich selbst, ob es ein Skatverein oder eine Produktionsgenossenschaft ist, macht keinen Unterschied.
  4. Die Theorie der freien Kooperation hat nicht das Ziel, eine gute Gesellschaft zu schaffen. Sie weiß nicht, was ihr Ergebnis sein wird.
  5. Die Theorie der freien Kooperation ist nicht richtiger oder besser als andere. Jedenfalls kann sie das nicht behaupten oder beweisen. Sie fordert einfach die Realisierung von Freiheit und Gleichheit.
  6. Die Theorie der freien Kooperation enthält Widersprüche, aber diese sind nicht größer als die Widersprüche des Kapitalismus oder des Realsozialismus. Sie sind eben anders und eröffnen neue Möglichkeiten.
  7. Die Theorie der freien Kooperation kann nicht theoretisch begründet oder widerlegt werden, wie jede andere Theorie auch. Sie berät die Menschen, die Freiheit und Gleichheit wollen, in ihrer praktischen Tätigkeit und kann nur in der Praxis bestätigt oder widerlegt werden.
  8. Die Theorie der freien Kooperation geht davon aus, das alle sozialen Beziehungen sehr komplexer Natur sind, es gibt keine einfachen. In komplexen Systemen gilt aber das Prinzip der Selbstähnlichkeit. Deshalb kann man unterstellen, das große Gesellschaften im Prinzip ähnlich funktionieren könnten wie kleine Gruppen, Familien, Vereine, Genossenschaften usw., wenn man von den Prinzipien der Selbstorganisation ausgeht und die Selbstregulation der Untersysteme beachtet.
  9. Die Theorie der freien Kooperation fordert nicht die Herstellung einer bestimmten Ausgangssituation, wie etwa die revolutionäre Umwälzung und Herstellung sozialistischer Verhältnisse, sondern geht von der gegebenen Situation aus und erwartet die Befolgung ihrer Ratschläge zur Abwicklung der Herrschaftsverhältnisse in den praktisch existierenden Beziehungen und ihre fortschreitende Umwandlung in mehr oder weniger freie Kooperationen durch kontinuierliche linke Politik.




aus "Autonomie und Kooperation":
Kooperation – direkte und gesamtgesellschaftliche Kooperation ... und mehr!
Kooperation bedeutet die gemeinschaftliche Aktivität, die sich aufeinander bezieht und miteinander agiert. Das kann als Zwangsverhältnis geschehen oder als freie Vereinbarung bzw. – im komplexeren System – als freie Akzeptanz der Integration eigener Tätigkeit in umfassendere Vorgänge mit der Option der Verweigerung ohne Sanktionierung derselben. Diese Unterscheidung in freie und erzwungene Kooperation ist wesentlich,* um ein Verständnis von Herrschaftsfreiheit zu schaffen. Freie Kooperation ist dann gegeben, wenn Kooperation mit Autonomie verbunden ist.

Freie Kooperation entsteht auf zwei Wegen. Zum einen können Menschen oder Gruppen sie bewusst miteinander eingehen und jederzeit gestalten. Dieses sind die Fälle, die auch als Zusammenarbeit wahrgenommen werden. Ebenso ist es aber auch eine Kooperation, wenn die Tätigkeit von Menschen ohne ihr Zutun an anderer Stelle und von anderen Menschen oder Gruppen für ihre Zwecke genutzt, weiterentwickelt wird und umgekehrt die ursprüngliche Person in einem materiellen oder informellen Austausch mit anderen steht, d.h. neues Wissen oder die Veränderung von Rahmenbedingungen selbst wieder erfährt, nutzen kann u.ä. Dieses geschieht schon im Kleinen so. Wenn dort, wo Menschen zusammenwohnen, verschiedene Handlungen vom Abwaschen bis zur Nahrungsmittelbeschaffung, Streichen der Wände und Tausende von Handlungen mehr das Überleben und das Wohlbefinden fördern, so ist das eine Kooperation, auch wenn vieles niemals als solche gedacht wird oder gar abgesprochen ist in der Runde aller. Die einzelne Handlung, oft motiviert durch eigenes Interesse, wirkt sich auf alle Beteiligten aus, weil das Zusammenwohnen einen komplexen Rahmen abgibt mit komplizierten Wechselwirkungen. Ein freie Kooperation setzt nun die Autonomie voraus, d.h. die Beteiligten halten sich nicht gezwungenerweise in der Kooperation auf. Sollte ihnen die Kooperation nicht mehr gefallen oder nützen, so muss ein Ausstieg ohne Sanktionen möglich sein. Diese Situation zu verwirklichen, wäre Ziel von Emanzipation.



Christoph Spehr: Die Freiheit des Baumkänguruhs. Für einen erneuerten linken Natur- und Emanzipationsbegriff:
Es gibt keine Möglichkeit, an die Kooperation eine Analyse von außen herantragen zu wollen, wann sie gerecht oder richtig ist. Aus der Fülle von Beziehungen, die wir kennen, wissen wir das. Was wir dagegen erkennen können, ist, daß Gruppen wie Individuen Kooperationen aufgeben oder einschränken, wenn die Rechnung für sie nicht stimmt - außer, sie können das nicht. Daß sie es können, unterscheidet eine freie Kooperation von einer Herrschaftsbeziehung.

Emanzipation bedeutet, in allen Beziehungen und Zusammenhängen die Regeln der freien Kooperation durchzusetzen - das heißt, einerseits die Voraussetzungen dafür durchzusetzen, daß Gruppen und Individuen die Kooperation einschränken und aufgeben können, und andererseits dieses Prinzip auch wirklich in Anspruch zu nehmen, um auf die Art der Kooperation einzuwirken. Emanzipation hängt nicht davon ab, daß andere sie begreifen oder daß sie „objektiv vernünftig“ ist. Dies ergibt sich aus dem Begriff des berechtigten Eigensinns. Sie hängt natürlich davon ab, daß beide Seiten die Möglichkeit haben, die Kooperation sein zu lassen. An dieser Stelle kommt die Frage, wer die jeweiligen Produktionsmittel kontrolliert, ins Spiel. Aber es ist bei weitem nicht die einzige Frage. Kapitalistische Ordnung, wie andere Herrschaftsordnungen auch, stellt eine Fülle von Instrumenten zur Verfügung, um Kooperation zu erzwingen - von direkter Gewalt bis zur Gestalt der Dominanzkultur, der Kontrolle der Ideologie und der Kontrolle der Sozialnetze. Ob eine freie Kooperation vorliegt, erkennen wir daran, ob beide Seiten die Möglichkeit haben, sie sein zu lassen.

Dies ist eine faktische Frage. Kein Modell der gesellschaftlichen Kontrolle der Produktionsmittel kann sie ein für alle Mal lösen. Emanzipation beginnt von unten, aus dem Inneren der Gesellschaft heraus, aus ihren Kooperationen und Beziehungen. Sie ist nichts, was wir an irgendeinem fernen Punkt der menschlichen Geschichte vom Baum pflücken, sondern sie findet statt, hier und heute. Und unter den Bedingungen der sozial-ökologischen Krise des Kapitalismus, wie sie oben geschildert wurden, ist sie aktuell keine Frage von vernünftigen Globalregulierungen; sondern des kollektiven wie individuellen, wenn auch sehr unterschiedlichen, Durchkämpfens von Bedingungen, die ein Mehr an Entscheidungen erlauben. Emanzipation hat mit Nachdenken zu tun; aber sie beginnt beim Baumkänguruh in uns allen.




Sammelsurium[edit]

  • Was macht „Freie Kooperation“ aus ?
    • Alle Regeln in dieser Kooperation können von jedem und jeder hinterfragt, zurückgewiesen und neu verhandelt werden.
    • Alle an der Kooperation Beteiligten sind frei, Einfluss auf die Regeln zu nehmen – und zwar nicht nur durch Teilnahme an irgendwelchen formalen Entscheidungssystemen, sondern mit der materiellen Gewalt, die ihnen eigen ist, nämlich: die Kooperation zu verlassen, ihre Leistung in der Kooperation einzuschränken oder unter Bedingungen zu stellen.
    • Der Preis der Nicht-Kooperation muss für alle vergleichbar hoch und leistbar sein.

Gehen zu können, nützt nicht viel, wenn der Preis unvertretbar hoch ist. Dieser Aspekt ist zentral, denn sonst wäre es bloß Erpressung der weniger Mächtigen durch die Mächtigen.




Quellen[edit]


Fußnoten[edit]

  1. vgl. Christoph Spehr (Hrsg.): Gleicher als andere. Eine Grundlegung der freien Kooperation. Berlin: Karl Dietz Verlag 2003. S. 19-116



Kategorie:APO-Calypse:Herrschaftsfreie Welt (Seminar) Reader