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Kollektive Selbstverwaltung

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Selbstverwaltung als gesellschaftskritischer Begriff bezeichnet die Kontrolle von Projekten und Betrieben durch basis- oder räte-demokratisch organisierte Gruppen, in der Regel Kollektive.

Arbeiterselbstverwaltung

Die Arbeiterselbstverwaltung wird nach anarchosyndikalistischer Theorie durch Fabrik- und Landbesetzungen und nach marxistischer Theorie durch die Überführung von privaten Betrieben in "gesellschaftliches" Eigentum (= "Vergesellschaftung") erreicht. Selbstverwaltete Betriebe nach Marx (Kapital) sind Übergangsformen zu einer selbstverwalteten Wirtschaft. Die "kapitalistischen Aktienunternehmen" werden ebenso als Übergangsformen aus der "kapitalistischen Produktionsweise" in die "assoziierte" betrachtet.[1]

Arbeiterselbstverwaltung in Katalonien (Spanien)

Während des Spanischen Bürgerkrieges wurde die Idee der anarchosyndikalistischen Sozialen Revolution der anarchistischen Gewerkschaft CNT auf breiter Basis umgesetzt. In der kurzen Zeitspanne von 1936-37 wurde fast die gesamte katalanische Agrarproduktion, die Schwerindustrie, das öffentliche Verkehrssystem und weite Teile des Dienstleistungssektors von den Arbeitenden selbstverwaltet. Diese Kollektivierung geschah spontan, sie wurde nicht von oben angeordnet. In einigen Wirtschaftszweigen wie der Schwerindustrie oder der Agrarproduktion konnten dabei zum Teil starke Produktionssteigerungen erzielt werden, was unter anderem zur Folge hatte, dass erstmals in der Geschichte Kataloniens die Versorgung der gesamten Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln sichergestellt werden konnte. Schwerpunkte der kollektiven Selbstverwaltung waren Aragonien, Levante, Kastilien, Estremadure und der freie Teil Andalusiens. Es wird geschätzt, dass ca. 3 Millionen Menschen den Kollektivwirtschaften angehörten.[2]

Kollektivierung von Betrieben in Katalonien
Betriebsgröße Bedingung für eine Kollektivierung
Über 100 Beschäftigte bedingungslose Kollektivierung
50-100 Beschäftigte wenn 3/4tel der Belegschaft dies wünscht
Weniger als 50 Beschäftigte wenn zwischen Belegschaft und Eigentümer Einvernehmen darüber besteht
E. Gerlach: Räte in der Spanischen Revolution, S. 42
Während das kollektive Wirtschaften auf der Betriebsebene erfolgreich war, kam es volkswirtschaftlich zu erheblichen Schwierigkeiten unter anderem, weil die Regierung unterschiedliche politische Konzepte vertrat und einen Plan zur Kollektivierung der gesamten Wirtschaft ablehnte. In Katalonien hingegen konnte die erste gesetzliche Verankerung der Arbeiterselbstverwaltung in der Geschichte durchgesetzt werden. Die Betriebe wurden nach diesem Gesetz in zwei Gruppen aufgeteilt: in den kollektivierten Betrieben wurden Betriebsräte gewählt, die ihrerseits einen Direktor wählten; den privaten Unternehmen wurden Arbeiterkontrollräte beiseite gestellt. Als übergeordnete Verwaltungseinheiten wurden die Industrieräte geschaffen, in denen je vier Betriebsräte, acht Gewerkschafter und vier vom Wirtschaftsministerium ernannte Fachkräfte zusamenarbeiteten. Das Auslandskapital, die Banken und der Handel wurden von einer Kollektivierung ausgenommen.

Wesentliche Bereiche der Kollektivierung, unter anderem die starke Rüstungsindustrie Kataloniens wurden unter Druck von stalinistischen Anhängern der PCE verstaatlicht und einige Landkooperativen sogar vom Militär besetzt. Zwar blieben viele Kollektive bestehen, doch diese wurden später unter der Diktatur Francos restlos zerschlagen.[3]

Arbeiterselbstverwaltung in Jugoslawien

Das System der sozialistischen Selbstverwaltung, auf Grundlage der Lehren von Marx, wurde nur im sozialistischen Jugoslawien ab 1951 angewandt und fortentwickelt. Dabei verzichtete der Staat auf detaillierte Planvorgaben und überließ den Unternehmen die Entwicklung, Distribution und zum Teil auch die Preispolitik ihrer Produkte. Die Werktätigen wählten in Eigenregie ihren Direktor und bestimmten über Lohn- und Investitionsquoten. In der Praxis kam es jedoch, auch wegen der Ungleichverteilung von fachlichem Wissen, zu Disparitäten und der Einflussnahme informeller Machtgruppen (Technokraten, politische Kader).

Arbeiterselbstverwaltung in Argentinien

Nach dem Zusammenbruch der Wirtschaft in Argentinien 2001 kam es dort landesweit spontan zu Fabrikbesetzungen, da die Fabrikeigentümer das Land verließen. Vier Jahre später, im Januar 2005, befinden sich noch immer 200 Fabriken in Arbeiterselbstverwaltung.

Selbstverwaltung in der Alternativbewegung

Selbstverwalteter Betrieb

In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre entstanden im Zuge der Alternativbewegung nach dem Vorbild der Genossenschaften zahlreiche wirtschaftliche Unternehmen, die ohne hierarchische Strukturen funktionieren und von allen Mitarbeitern gleichberechtigt verwaltet werden. "Betrieb in Selbstverwaltung" wurde zu einer Art Markenzeichen für solche Unternehmen, die nach den Prinzipien einer Alternativen Ökonomie arbeiten und oftmals als Kollektive strukturiert sind. Auch heute existieren solche Betriebe.

Seit einigen Jahren gibt es auch selbstverwaltete Kulturzentren (insbesondere in der linken Szene, Autonomes Zentrum). Diese lehnen eine Einflussnahme von außen durch Staat und Gesellschaft ab.

Quellen

  1. Wladimir I. Lenin: Ãœber das Genossenschaftswesen. Januar 1923 , in: Lenin Werke, Dietz Verlag Berlin, 1973, Band 33, Seite 453 bis 461 [1]
  2. E. Gerlach: Räte in der Spanischen Revolution, in: Politikon Bd.1: Klassenkämpfe, Selbstverwaltung & Räte in Europa Verlag Association, Hamburg 1974, S. 42
  3. E. Gerlach: Räte in der Spanischen Revolution, in: Politikon Bd.1: Klassenkämpfe, Selbstverwaltung & Räte in Europa Verlag Association, Hamburg 1974, S. 43

Literatur

Allgemein

Arbeiterselbstverwaltung

  • Arbeiterselbstverwaltung - Räte - Syndikalismus. (1973) (2. Aufl.) - Berlin (W.): Karin Kramer Verlag

Katalonien (Spanien)

  • Sam Dolgoff (Hg.): The Anarchist Collectives. Workers' Self-Management in the Spanish Revololution 1936-1939, Montréal 1974
  • Gaston Leval: "Das libertäre Spanien. Das konstruktive Werk der Spanischen Revolution (1936-1939)". Verlag Association, Hamburg 1976.
  • E. Gerlach: Räte in der Spanischen Revolution, in: Politikon Bd.1: Klassenkämpfe, Selbstverwaltung & Räte in Europa. Verlag Association, Hamburg 1974
  • Vivir la utopía Dokumentarfilm von Juan Gamero (1997) über den Anarchismus in Spanien.

Jugoslawien

  • Karl Heinz Jäger: Arbeiterselbstverwaltung und gesellschaftliches Eigentum. Ein Beitrag zum Status jugoslawischer Unternehmen (1969) Stuttgart
  • Harry Schleicher: Das System der betrieblichen Selbstverwaltung in Jugoslawien (1961) Berlin
  • Ekkhart Stein: Arbeiterselbstverwaltung. Lehren aus dem jugoslawischen Experiment (1980) Köln
  • Ernest Mandel (Hrsg.): Arbeiterkontrolle, Arbeiterräte, Arbeiterselbstverwaltung. Eine Anthologie (1971) Frankfurt am Main ISBN 3-434-10032-6
  • Milojko Drulović: Arbeiterselbstverwaltung auf dem Prüfstand. Erfahrungen in Jugoslawien (1977) Bonn - Bad Godesberg: Dietz
  • Hannelore Hammel (Hrsg.): Arbeiterselbstverwaltung in Jugoslawien. Ökonomische und wirtschaftspolitische Probleme (1974) München: C. H. Beck
  • Gudrun Leman: Arbeiterselbstverwaltung in Jugoslawien. Teil I: Probleme der demokratischen Unternehmenslenkung und der Einkommensverteilung im selbstverwalteten Betrieb (1973) Köln: Bundesinst. f. ostwiss. u. internat. Studien
  • Gudrun Leman: Arbeiterselbstverwaltung in Jugoslawien. Teil II: Neue Entwicklungen im System der betrieblichen Selbstverwaltung. (1973) Köln: Bundesinst. f. ostwiss. u. internat. Studien

Argentinien

  • Viviana Uriona: Fabrikbesetzung in Argentinien. Zwischen Ãœberlebensstrategie und Ideologie; in: CONTRASTE 259, 23. Jahrgang, April 2006, S.11.
  • Anne Becker: „Besetzen, produzieren, verteidigen!“ Interview mit Guillermo Robledo, Geschäftsführer der besetzten Aluminiumfabrik IMPA, in: Lateinamerika Nachrichten Nummer 367 - Januar 2005 [2]

Selbstverwaltung in der Alternativbewegung

  • Burghard Flieger: Gemeinsam mehr erreichen. Kooperation und Vernetzung alternativökonomischer Betriebe und Projekte (1995) Verein zur Förderung der sozialpolitischen Arbeit e.V. ISBN 3923126921
  • CONTRASTE - Monatsheft für Selbstverwaltung
  • Contraste (Hg.): Bunte Seiten 2002/2003 2002: Heidelberg ISBN 3-924085-06-4 (300 Seiten A 4)

Weblinks

Kategorie:Kooperation