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Johannes Holzmann (Senna Hoy)

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Am 28. April 1914 starb der erst 29-jährige Anarchist Johannes Holzmann in einem Warschauer Gefängnis an Tuberkulose. Sein Leichnam wurde durch einige Freunde nach Berlin zurückgebracht und am 14. Mai in Weißensee beerdigt. Franz Pfemfert und Else Lasker-Schüler befanden sich unter den Trauernden. Der 1. Weltkrieg brach aus und der "Fall Senna Hoy" wurde fast 50 Jahre lang vergessen. Im Nachhinein ist es sehr schwer, sein Leben zu rekonstruieren, aber sicher ist, dass er zwei, drei Jahre lang einen großen Einfluß auf die anarchistische Bewegung in Deutschland ausübte.

Er wurde am 30.10.1882 im preussischen Tuchel in einer jüdischen Familie als Johannes Holzmann geboren, als begabter Schüler erhielt er 1902 eine Lehrerstelle im Fach Theologie, überwarf sich aber aufgrund seiner Unterrichtsmethoden schnell mit seinem Vorgesetzten und gab den Lehrerberuf auf. 1903 wird er erwähnt, als Mitglied des theosophischen Zirkels von Helen Blavatsky. 1904 nahm er das Pseudonym Senna Hoy an, das ihm die Dichterin Else Lasker-Schüler gegeben hatte, - seinen Vornamen rückwärts buchstabiert. Unter diesem Namen begann er das wöchentliche libertäre Blatt "Kampf. Neue Folge" herauszugeben. 1903 wurde er Mitarbeiter der Wochenschrift Kampf. Blätter zur Bekämpfung der öffentlichen und geheimen Mißstände. Diese Zeitschrift vereinigte er mit der Zeitschrift von A. Berstein.Sawerski "Die Peitsche. Halbmonatszeitschrift für Kritik und Satire". Aus dieser Zusammenarbeit entstand die "Montags-Post" mit der Beilage "Kampf! Blätter für Freiheit und Menschenrechte". Ab dem 6.Februar 1904 erschien dann "Kampf. Neue Folge" gegen das Wilheminische Deutschland und gegen die halbherzige Oppositionspartei SPD. Senna Hoy schrieb zahlreiche Beiträge, u.a. benutzte er auch das lateinische Pseudonym "Catulus" (junger Hund).

Der "Kampf" erwies sich als weitsichtig, bereits 1904 prophezeite er einen Krieg mit England und dass die SPD einem solchen Krieg zustimnen würde und dass Deutschland den Konflikt schüren würde. 1905 warnte er davor, dass die Universitäten zu Studentenfarmen würden, und die Studenten als Polizeispitzel eingesetzt werden. Wenn man sieht, wer 1919 die Münchner Räterepublik zerschlagen hat, lag er auch darin nicht verkehrt. Sein Urteil über die Deutschen: "Soldat sein hier bedeutet, seinen eigenen Vater zu erschießen, sobald es befohlen wird." (KAMPF, 26.02.1905, Nr.15) Wenn die Utopie in der Arbeiterselbstverwaltung zu suchen sei, müsse den SPD-Gewerkschaften ausgewichen werden, weil sie bürokratisch lahmgelegt seien. Die Zeitschrift war bei der Zensur beliebt, wenige Nummern konnten unbehelligt vertrieben werden, genauer gesagt 11 von 25 Heften wurden beschlagnahmt oder verboten, trotzdem kletterte die Auflage auf 10.000 im Jahr 1905! Erich Mühsam und Gustav Landauer gehörten zu den gelegentlichen Mitarbeitern, obwohl Landauer die Zeitschrift nicht besonders schätzte; auch Franz Pfemfert, der spätere Herausgeber der expressionistischen und rätekommunistischen Zeitschrift "Die Aktion" schrieb seine ersten Beiträge im KAMPF. Künstlerische Beiträge von Peter Hille, Paul Scheerbart und Else Lasker-Schüler prägten die zweite Qualität des Blatts, das deshalb durchaus als Vorläufer und Ideengeber für die späteren, berühmter gewordenen Zeitschriften (AKTION, STURM, FACKEL, KAIN etc.) bezeichnet werden kann. Der "KAMPF" war ein gelungenes Projekt, aber die Direkte Aktion bedeutete für Senna Hoy noch mehr. Am 14. April 1905 erschien die letzte Ausgabe der Zeitschrift. 1905 beteiligten sich einige Anarchisten aus dem KAMPF-Kreis an den Ruhrkämpfen. Nach Polizeischwierigkeiten verließ auch Hoy Berlin. Er hatte dem Berliner Polizeipräsidenten einen Brief geschrieben, dass er jeden, der ihn weiter bespitzeln und beschatten würde, "mit der Faust ins Gesicht schlagen" würde; dies brachte ihm ein Urteil wegen "Nötigung einer Amtsperson" über 4 Monate Gefängnis ein, so dass er sich aus Berlin absetzte. Ab 1905 arbeitete er beim Zürcher WECKRUF als "Dr. Ritter" oder als "Ernst Meyer" mit und trat unter diesen Namen in öffentlichen Versammlungen auf, wurde inhaftiert, ausgewiesen und reiste illegal wieder ein. Vermutlich um ruhiger politisch agitieren zu können, lancierte im Februar 1906 eine gefakte Meldung im WECKRUF über seinen Tod in Russland. Dies brachte ihm in anarchistischen Arbeiterkreisen heftige Kritik ein, so dass er zusammen mit seinem Genossen Frick Zürich verließ; während sich Frick nach Ascona begab, verließ Hoy die Schweiz und wandte sich nach Paris. Im April 1907 ging Senna Hoy wirklich nach Polen, Litauen und Russland, um an der Revolution teilzunehmen. Er wurde nach Exprobriationen (Enteignungsaktionen) bereits am 30. Juni verhaftet, gequält und gefangenen gesetzt. 1908 wurde er wegen der Expropriationen zu 12 Jahren verurteilt, dann wegen Zugehörigkeit zu den Anarchisten mit 23 weiteren Genossen zu 15 Jahren; er kam 3 Jahre in die berüchtigte "Zitadelle" in Warschau, danach nach Moskau in die Einzelhaft, "Katorga". Im März 1912 wurde er in die Abteilung für kriminelle Geisteskranke verlegt, dort starb er 1914 an TB infolge von Unterernährung. Seine Mutter und sein Bruder Heinrich versuchten etwas für ihn zu bewirken; sein "Offener Brief" aus dem Jahr 1912 über die Zustände in der Katorga wurde jedoch nirgendwo veröffentlicht. Die Schriftstellerin Else Lasker-Schüler besuchte ihn und versuchte über die deutsche und russische Botschaft, die russische Malerin Marianne von Werefkin, ihren "Prinz von Moskau" oder "Senna Pascha" (so benannt in ihren Gedichten) zu befreien. Sie erreichte im November 1913 die Zusicherung der Russen, Senna Hoy ans Reich auszuliefern, aber die deutsche Botschaft stellte sich quer. Das deutsche Kaiserreich hatte keinerlei Interesse einen deutschen Staatsbürger zu befreien, der Anarchist war. Else Lasker-Schüler beklagte später die mangelnde Unterstützung bei ihren Versuchen. Viele bezweifelten andererseits bis in die 60er Jahre, dass sie wirklich in Warschau gewesen war, doch Franz Pfemfert und Karl Kraus hatte Postbelege dafür. Else Lasker-Schüler arbeitete ihren Besuch in ihren Roman "Malik" ein, der mit folgender Passage beginnt: "Als der Malik hörte, dass sein verschollener Liebesfreund schon acht Jahre im Kerker von Metscherskoje im Land des Pogroms schmachtete, strich er das Gold von seinem Augenlide. Er vergaß zu regieren in Theben, sann, den teuren Gefangenen zu befreien."

Franz Pfemfert veröffentlichte 1914, DIE AKTION Nr.19 als Senna Hoy-Sondernummer und nannte Holzmann: "Ein 20-Jahre altes politisches Gewissen in Berlin. Er ging nicht vergeblich in den Kampf für die Freiheit." Das Titelbild zeichnte Richter (Berlin) und zeigt ein Senna Hoy Portrait; Franz Pfemfert schrieb: Senna Hoy ist gestorben; von Senna Hoy wurden "Verse aus einem Moskauer Gefängnis" und eine Erzählung "Blutstropfen" veröffentlicht, die er aus dem Gefängnis schmuggeln konnte, weitere Beiträge stammten von Else Lasker-Schüler und Ludwig Rubiner. Auch Erich Mühsam schrieb einen Nachruf im KAIN und Karl Liebknecht stellte posthum parlamentarische Anfragen an die Reichsregierung, vor seinem Tod hatten sie allesamt jedoch nichts unternommen. Einen Monat vor seinem Tod schmuggelte er eine Nachricht nach Berlin: "Ich bedaure bloß jedes Verbrechen, das ich nicht fähig war zu begehen."

Werke

  • KAMPF. Neue Folge 1904/05, Reprint der Zeitschrift, Topos-Verlag, Vaduz 1988
  • Brief von Senna Hoy an Pierre Ramus, Citadelle Warschau, 17./30.08.1909, unveröffent., im Archiv IISG Amsterdam, Nachlaß Pierre Ramus 16 B (dort weitere Briefe, nach Angaben von W. Fähnders)
  • Marusja. Erinnerungen an die russische Revolution, in: DIE AKTION 4, 1914
  • Essay (Moskau 1912), in: DIE Aktion, 17.04.1915
  • Gaben von Else Lasker-Schüler, in: Die Aktion (Nautilus), Februar 1989; (Manuskript im IISG Amsterdam, datiert v. 30.02.07)


Literatur

  • Franz Pfemfert: Senna Hoy ist gestorben, in: DIE AKTION 4, 1914, Sp. 399-403
  • Erich Mühsam: Bemerkungen, in: KAIN 4, 1914, Nr.2, S.29f.
  • Pierre Ramus: Ein Kämpfer ist gefallen, in: Wohlstand für Alle, 1914, Nr.9, S.2-4
  • Bertold Cahn: Zur Würdigung eines Eigenen, in: Der Freie Arbeiter 11, 1914, Nr.20
  • Ulrich Linse: Organisierter Anarchismus im Deutschen Kaiserreich von 1871, Berlin 1969, S.205ff.
  • Wolfgang Haug: Senna Hoy - 100. Geburtstag eines vergessenen Anarchisten, in: SchwarzRoter KAIN Kalenda, Berlin 1983
  • Wolfgang Haug: Franz Pfemfert - Ich setze diese Zeitschrift wider diese Zeit, Darmstadt, 1985, S.13
  • Walter Fähnders: Anarchismus und Literatur, Stuttgart, 1987
  • Walter Fähnders: Ein romantischer Rowdy, in: Die Aktion (Edition Nautilus), Heft 47/49, Februar 1989
  • Walter Fähnders: Else Lasker-Schüler und Senna Hoy, in: Meine Träume fallen in die Welt. Ein Else Lasker-Schüler-Almanach, Hg.: S. Kirsch/J. Serkc/H. Jahn, Wuppertal 1995, S. 55-77.
  • Walter Fähnders: Anarchism and Homosexuality in Wilhelmine Germany; Senna Hoy, Erich Mühsam, John Henry Mackay, in: Journal of Homosexuality 29,1995, Nr. 3/3, S. 117-133 (auch in: Gay Men and the Sexual History of the Political Left, Hg. G. Hekma/H. Oosterhuis/J. Steakley, Harrington Park Press 1993, S. 117-153).

Kategorie:AnarchistInnen (20. Jh.)