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KOMMUNISTISCHER ANARCHISMUS
 
KOMMUNISTISCHER ANARCHISMUS
  
John Most
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Johann Most
  
  

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KOMMUNISTISCHER ANARCHISMUS

Johann Most


DER KOMMUNISTISCHE ANARCHISMUS[edit]

In jeder Tasche eine Bombe, angefüllt mit Dynamit, den Mordstahl in der einen, die Brandfackel in der anderen Hand — so stellt sich ein Gegner des Anarchismus in der Regel einen Anarchisten vor. Er erblickt in einem solchen einen Menschen, der, halb Narr, halb Verbrecher, nichts weiter im Sinne hat, als die Ermordung eines Jeden, der nicht seiner Meinung ist, und dessen Ziel der allgemeine Wirrwarr, das Chaos, ist. Eine derartige Vorstellung kann nicht Verwunderung erregen, weil ja jahraus, jahrein die Blätter aller nichtanarchistischen Parteien die Anarchisten solchermaßen zeichnen. Selbst in gewissen Arbeiterorganisationen wird die Sache so dargestellt, als ob ein Anarchist nichts weiter sei, als ein Gewaltsmensch ohne jedes edle Streben; und die allerabsurdesten Angaben über die Ziele der Anarchisten finden sich gerade in diesen Blättern. ... Ganz abgesehen von dem Dynamit-, und Revolutions-Tatterich, die da zu hellem Zeter und Mordio wider die Gewaltstaktik der Anarchisten führten, wird hinsichtlich der anarchistischen Prinzipien in diesen Zeitungen geradezu wissentlich gelogen. Denn was kann es anderes sein als Lüge, wenn behauptet wird, dass der jetzige Kapitalismus identisch sei mit Anarchismus, oder wenn man gar den Anarchisten nachzureden sucht, dass sie die Rückkehr zur Kleinbürgerei erstrebten? Was zunächst die Gewalttäterei betrifft, von welcher man behauptet, dass sie das Streben der Anarchisten decke, so kann und soll nicht geleugnet werden, dass die meisten Anarchisten allerdings die Überzeugung hegen, die heutige Gesellschaft sei nicht durch friedliches Beginnen zu Fall zu bringen; allein diese ihre taktische Stellung hat, wie wir später sehen werden, an und für sich mit dem Anarchismus nicht mehr zu schaffen, als irgend eine Taktik mit irgend einem Prinzip. Der Anarchismus ist vielmehr zunächst der Inbegriff einer bestimmten Weltanschauung, einer speziellen Gesellschafts-Philosophie; ja, man kann geradezu sagen der Gesellschafts-Philosophie, denn wer die Welt und das menschliche Leben in ihrer ganzen Tiefe und bisherigen Entwicklung betrachtet und hinsichtlich der wünschenswerten Gestaltungen der menschlichen Gesellschaft konsequente Schlüsse zieht, der kann auch nicht verfehlen, einen Ruhepunkt für seine Folgerungen in nichts Anderem zu finden, als in der Anarchie, weil jeder sonstige Begriff nur eine Halbheit, Flick- und Stückwerk wäre.

Anarchie heißt Herrschaftslosigkeit, mithin ist im Anarchismus ein Streben gegeben, das darauf hinausläuft, einen sozialen Zustand herbeizuführen; bei welchem keinerlei Beherrschung der einen Menschen durch die anderen mehr stattfindet, so dass also von einem Staat, einer Regierung, von Gesetzen oder anderen Zwangsmitteln keine Rede mehr ist und wirkliche Freiheit für alle waltet. Es fragt sich nun zunächst: ist ein solches Verhältnis wünschenswert? Wer aber, der nicht etwa die heutigen Zustände für vorzüglich hält (was bei den Angehörigen der herrschenden Klassen mehr oder weniger, zutreffen dürfte), möchte wohl behaupten, dass er sich nicht nach Freiheit sehne? Wer, der sich nicht als Knechtsseele deklarieren will, möchte wohl irgend eine Art von Herrschaft als erstrebenswert bezeichnen? Nun wohl! Alle politischen Kämpfe, die sich im Laufe der Geschichte abspielten, waren Klassen-Kämpfe. Die einen suchten ihre Herrschaft (Archie) über die von ihnen unterjochten und ausgebeuteten Mitmenschen aufrecht zu erhalten, die anderen bemühten sich, das jeweilige System solcher Tyrannei zu zertrümmern. Und ob die Letzteren sich Anarchisten nannten oder nicht, so waren sie es doch; denn die Widersacher der Herrschaft können, wenn sie ohne Hintergedanken handeln, nichts Anderes wollen, als die Herrschaftslosigkeit (die Anarchie). Schon der Umstand, dass gegenwärtig das Ringen der Völker nach Befreiung ein viel gewaltigeres und klareres ist, als alle früheren derartigen Kämpfe es waren, dass heutzutage ganz andere Vorbedingungen für die Erreichung des diesbezüglichen Zieles gegeben sind als in früheren Zeiten, und dass wir mithin augenblicklich der Anarchie viel näher stehen als man ehedem auch nur zu ahnen vermocht hätte, beweist sonnenklar, dass in dieser Hinsicht eine fortschreitende Entwicklung jener menschheitlichen Strömungen stattgefunden hat, welche offenbar den Beruf haben, alles Unfreie, Herrschaftliche (Archistische), vom Erdboden hinwegzuschwemmen und der unbegrenzten Freiheit, der Herrschaftslosigkeit (Anarchie) die Bahn zu ebnen. Was ist demnach die Anarchie ? Etwa eine willkürlich ersonnene Idee, eine Art Utopia? Mitnichten! Wir haben et vielmehr in der Anarchie einfach mit dem vorläufig absehbaren Ideal aller humanitären Bestrebungen, mit dem logisch und konsequent gedachten Ziele kultureller Entwicklung zu tun. Wenn aber ein menschheitliches Verhältnis wünschenswert ist und sich logisch aus dem Tun und Lassen der Menschen von Vergangenheit und Gegenwart folgern lässt, so fällt eigentlich die Frage nach der Möglichkeit eines solchen Zustande«, wie sie ja von weniger scharfsinnig Denkenden oft genug gestellt wird, nur noch schwach ins Gewicht. Aus dem bisher Gesagten ergibt sich bereits, dass die Anarchisten weder „reaktionär" sind, wie Böswillige behaupten, noch, dass sie im Hintertreffen der Freiheitskämpfer marschieren, sondern geradezu deren Avantgarde bilden. Um so alberner klingt die ewig wiederholt werdende Behauptung, dass der Sozialismus und der Anarchismus unvereinbare Gegensätze seien. Unter Sozialismus im weiteren Sinne des Wortes versteht man alle jene Lehren und Strebungen, welche sich mit der menschlichen Gesellschaft befassen; im engeren Sinne des Wortes bedeutet Sozialismus ein System der Vergesellschaftung der Menschen. Ãœber die menschliche Gesellschaft denken jetzt aber gar viele Leute nach, und auch in Gesellschafts-„Verbesserung“ gemacht Es gibt königliche, aristokratische, christlich erdenklichen «Sozialisten«. Der „alte Lehmann" floss bekanntlich bei jeder Gelegenheit über von sozialen „Reformbestrebungen“, wie e r sie meinte. Bismarck nannte sich nicht minder zuweilen „Sozialist«, und der Pfaffe Stöcker hat ebenfalls schon verschiedene Rezepte zur Lösung der sozialen Frage aufgezeigt Das ist nachgerade eine sehr gemischte Gesellschaft geworden. Deshalb haben auch die meisten Sozialisten ernsterer Art längst das Bedürfnis empfunden, sich eine Bezeichnung beizulegen, weiche hinsichtlich der Grundlage der von ihnen erstrebten zukünftigen Gesellschaft keine Missdeutungen mehr zulässt Sie nennen sich bekanntlich Kommunisten. Damit deuten sie an, dass ihr Strebeziel die Gütergemeinschaft sei, der gemeinsame Besitz des Grund und Bodens mit allem, was drum und dran ist. Sie werden bei dieser ihrer Forderung nicht geleitet von frommen Wünschen oder willkürlich ersonnenen spekulativen Plänen, sondern von der Erkenntnis der gegenwärtigen wirtschaftlichen Verhältnisse, deren Konsequenzen förmlich zu einer Umgestaltung der Gesellschaft im Sinne des Kommunismus herausfordern. Die augenblicklich herrschende Klasse, die Bourgeoisie, organisiert willkürlich das ganze Gütererzeugungs- und Verkehrswesen. Die einzelnen Kapitalisten verdrängen die selbständigen Handwerker und werden ihrerseits wiederum von Aktiengesellschaften aufgesaugt. In weiterer Folge entstehen Monopole, Trusts, Pools usw., und man spricht sogar schon von einer wirtschaftlichen Generalisierung nicht nur einzelner Gewerkszweige, sondern ganzer Gruppen von Wirtschafts-Unternehmungen. Gleichen Schritt mit dieser Entwickelung der Dinge, welche doch an und für sich den Zweck haben soll, alle erdenklichen Gebrauchsgegenstände bei immer geringfügigerer Anstrengung der menschlichen Arbeitskräfte in schwellendem Ãœberfluss zu erzeugen, hält die Verelendung der Volksmassen, Solch ein Zustand, der, wenn er noch lange andauern würde, den physischen und moralischen Untergang des Menschengeschlechts inmitten einer Welt von Reichtümern, also den hellen Wahnsinn bedeutete, fordert, wie gesagt, ganz von selbst zu einer totalen Umgestaltung der Gesellschaft, zur Errichtung eines neuen sozialen Systems heraus. Und da man doch füglich nicht auf die Kleinbürgerei zurückgreifen kann, weil die Vorteile der Großproduktion und Betätigung der organisierten Arbeit überhaupt für jedermann viel zu auffällig sind, als dass sie auch nur einen Augenblick verkannt oder unterschätzt werden könnten, so bleibt offenbar nichts anderes übrig, als dass all dasjenige, was zur Gütererzeugung und zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse notwendig ist, zum Gemeingut, aller gemacht, als dass — mit anderen Worten — der Kommunismus proklamiert wird. Wenn sich alle jene, die mit dem Bestehenden unzufrieden sind, und welche einen Zustand erstreben, bei welchem alle gleich und frei und mithin glücklich sein könnten, in diesen Stücken klar und einig sind — wie kämen da gerade die Anarchisten dazu, diejenigen, welche bisher bei allen Freiheitskämpfen im Vordertreffen standen, in diesen Beziehungen eine gegensätzliche Stellung einzunehmen? Nur Bosheit oder Unverstand können ihnen solches anzudichten suchen. Die Anarchisten sind Sozialisten, indem sie eine Gesellschaftsverbesserung erstreben; sie sind Kommunisten, indem sie überzeugt sind, dass eine solche Umgestaltung nur in der Etablierung allgemeiner Gütergemeinschaft gipfeln kann. Weshalb aber begnügen sie sich nicht damit, sich Sozialisten oder Kommunisten zu nennen? Weil sie nicht verwechselt sein wollen mit solchen, die Missbrauch mit diesen Worten treiben, und weil sie dafür halten, dass auch das System des Kommunismus ein unvollkommenes wäre, wenn dasselbe nicht getragen würde vom Geiste der Anarchie. Sie können umso weniger darauf verzichten, ihre Ideale auch in ihrer Beziehung anzudeuten, als es merkwürdigerweise zahlreiche (wirkliche oder angebliche) Kommunisten gibt, welche sich nicht entblöden, die zukünftige Gesellschaft sich als „Volksstaat", „Zukunftsstaat" usw. vorzustellen und für die kommunistische Gesellschaft — gerade, als wollten sie damit jedem wirklichen Freiheitsfreunde einen abschreckenden Dämpfer aufsetzen — eine Regiererei ohne gleichen, den reinsten Mandarinismus, Hunderttausende von Gesetzen und Verordnungen, kurz eine Allerwelts-Vormundschaft einerseits und allgemeine Nullenhaftigkeit andererseits zu prophezeien. Hiervon wollen die konsequenten Sozialisten und Kommunisten nichts wissen. Sie machen darauf aufmerksam, dass der Staat nie etwas anderes war, noch ist, als ein Zuchtruten- und Unterjochungsinstitut, dessen sich die jeweilig herrschende Klasse bediente, ihre Privilegien zu schützen und die Volksmassen in der Knechtschaft zu erhalten, wie jeder sich überzeugen kann, der nur einige Augenblicke über die einzelnen Staatszwecke nachdenkt Was soll nun ein solches Tyrannisierungs-Instrument in einer freien Gesellschaft für einen Sinn haben? Welche Privilegien sollen da noch beschützt, weshalb sollen da irgend welche Volkskreise unterjocht werden? Die Etablierung des Kommunismus ist doch nur denkbar, wenn die heutige Sklaverei aufgehoben wird. Soll da etwa eine neue Knechtschaft eingeführt werden? Wenn nicht, so hat auch eine Herrschaft keinen Sinn, denn eine Herrschaft, die niemanden beherrscht, d. h. knechtet, ist ein Messer ohne Klinge, an welchem das Heft fehlt. Ist aber jegliche Herrschaft beim Kommunismus abwesend, existiert da völlige Freiheit und Gleichheit, so waltet eben die Anarchie (Herrschaftslosigkeit). Mit dem Staat und der Regierung fallen aber auch die Gesetze hin. Die Gesetze in der kommunistischen Gesellschaft, nimmt man vielleicht an, werden nur allgemeine Humanitäts- und Ordnungs-Grundsätze enthalten, die jeder gern befolgt In diesem Falle bediente man sich einer falschen Bezeichnung für die Prinzipien eines vernünftigen und edelsinnigen Handelns, die überhaupt unmöglich paragraphiert werden könnten. Sobald man jedoch unter Gesetzen irgend etwas zwingendes versteht, kann man sich dieselben Zwangs-Apparate vorstellen, und vor unseren Augen tauchen Polizisten, Richter, Kerkermeister und Henker auf — kurz die alten Büttel in neuer Uniform. Wer hat Lust, solches zu erstreben? Wenn die Anarchisten den Staat als solchen und nicht nur diesen oder jenen Staat für die kommunistische Gesellschaft als rein außer dem Bereich der Möglichkeit und Notwendigkeit liegend ansehen, so schwebt ihnen dabei nicht bloß vor Augen, dass mit den Ursachen der Laster und Verbrechen, wie sie im heutigen Gesellschaftssystem gegeben sind, auch die Wirkungen fortfallen müssen, derenthalben vor allein die Staatsmaschine bisher in Bewegung erhallen wurde, sondern auch die Ãœberzeugung, dass im Zeitalter des Kommunismus allen Menschen hinlänglich Zeit und Gelegenheit gegeben sein wird, sich gründlich auszubilden und zu veredeln, so dass jeder in seinem Tun und Lassen von einer gesunden Vernunft und nicht von starren Buchstaben-Satzungen und Machtgeboten geleitet wird. Was aber die wirtschaftlichen Betätigungen der Kommunisten in einer freien Gesellschaft anlangt, so brauchen sie dazu weder eine Regierung, noch könnten solche das in dieser Hinsicht Nötige besorgen. Die sich geltend machenden allgemeinen Bedürfnisse, die Nützlichkeit, die Notwendigkeit, die Erfahrung u. dgl. werden stärkere Triebfedern sein, allzeitig das Richtige bei dem diesbezüglichen Handeln zu suchen und zu finden, als irgend welche Zwangsgesetze. Die mitten im wirtschaftlichen Leben Befindlichen werden es besser verstehen, was und wie gearbeitet werden muss, als eine über dem ganzen sozialen Getriebe schwebende Bürokratie. Wenn man sich überhaupt vorstellt, dass im Zeitalter des Kommunismus die Menschen nur durch eine Art Zwangssystem angehalten werden können, das Rechte zu tun und das Schlechte zu lassen, und dass die Masse des Volkes für ewige Zeiten durch eine ausgesuchte Schar von Pfiffikussen bemuttert und bevormundet werden müsse, wenn nicht alles aus Rand und Band gehen soll, dann allerdings — ja dann ist es besser, man verzweifelt an der Menschheit und schlägt sich allen und jeden Kommunismus gänzlich aus dem Kopfe. So aber liegt die Sache nicht. Man kommt überhaupt nur zu solchen Vermutungen, wenn man die Menschen von heute mit denen in der Zukunft identifiziert, was doch ein ganz einfältiges Beginnen ist Wir brauchen nicht einmal zu reden von späteren Generationen. Selbst jene Menschen, welche auf dem Boden der heutigen Gesellschaft aufgewachsen sind, werden nach vollzogener Umgestaltung der sozialen Verhältnisse wie umgewandelt sein. Außerordentliche Ereignisse haben noch stets auf die dabei aktiv oder passiv beteiligten Menschen einen modifizierenden Einfluss ausgeübt Man nehme den Menschen das Joch der Knechtschaft ab und versetze sie in die Sphäre der Freiheit und sie werden nicht lange dazu brauchen, um zu lernen, sich brüderlich aufzuführen. Der Mensch ist Ja an und für sich ein ganz gutmütiges Wesen, nur als Eigentums-Egoist, als Glied einer Gesellschaft, wo jeder für sich und niemand für alle einsteht, konnte er zu dem werden, was er heute ist Mit der Institution des Privateigentums stehen und fallen alle jene schlechten Eigenschaften des Menschen, welche ihn heute verunzieren. Neid, Missgunst, Habgier, Herrschsucht usw. haben bei kommunistischen Verhältnissen keinen Sinn, anderseits sind da Brüderlichkeit, Solidaritätsgefühl und Wetteifer im Interesse des Gemeinwohls Selbstverständlichkeiten. Deshalb wird und kann das Leben in der kommunistischen Gesellschaft nur ein völlig ungezwungenes und doch harmonisches sein. Und ein solcher Zustand passt nicht in den Rahmen eines Staates, sondern nur in den der Anarchie. Die ganze Staatlerei, wie sie in manchen Kreisen kommunistischer Parteien noch gepflegt wird, ist überhaupt nur auf Denkfaulheit, Herkommens-Schlendrian und Vorurteile zurückzuführen. Zum Teil hervorgegangen aus den Reihen der bürgerlichen Demokratie trägt eben mancher noch die Eierschalen seiner Herkunft mit sich herum und hängt sich an althergebrachte politische Formen. Es ist aber an der Zeit, dass dieselben abgestreift werden. Viele haben sich auch bereits in dieser Hinsicht so weit emanzipiert, dass sie gegen das Wesen des Anarchismus wenig mehr einzuwenden haben, nur das Wort wollen sie noch nicht verschlucken. Die reinste Gespensterfurcht! Schließlich ist auch hinsichtlich der Taktik der Anarchisten gegenüber anderen Kommunisten eigentlich kein rechter Grund zum Hadern gegeben. Wer immer die heutige Gesellschaft negiert und die Einrichtung eines auf Gütergemeinschaft beruhenden sozialen Verhältnisses erstrebt, ist im Grunde seines Herzens Revolutionär. Der Unterschied zwischen den Anarchisten und den etwas zurückgebliebenen Mitstreitern derselben besteht in dieser Hinsicht hauptsächlich darin, dass die Letzteren sogenannte Opportunitätspolitik betreiben, während die Anarchisten eine solche Heuchelei verschmähen. So wenig dieselben betreffs ihrer Bestrebungen irgend Etwas hinter dem Berge halten, so wenig verheimlichen sie die Mittel, welche sie zur Erreichung ihrer Ziele in Anwendung zu bringen für notwendig erachten. Sie sind keine Bluthunde, welche aus Lust an Mord, Brand der Revolution das Wort zu reden pflegen sondern sie treiben revolutionäre Propaganda, weil sie wissen, dass noch niemals eine privilegierte Klasse auf friedlichem Wege gestürzt werden konnte, und weil sie fest überzeugt sind, dass die Bourgeoisie gleichfalls nur mittelst Gewalt wegzufegen ist. Deren Gebahren gegenüber allem und jedem Streben des Proletariats, beweist das zu Genüge. Und täuschen kann man dieselbe keineswegs. Was soll da noch das Versteckenspielen nützen? Den Gegner stimmt man damit nicht milder, die Arbeiter aber demoralisiert man, indem man ihnen falsche Hoffnungen hinsichtlich der Wirkung von friedlichen und gesetzlichen Agitationen erweckt, denen eine Enttäuschung nach der anderen auf dem Fuße folgen muss. Die Anarchisten halten es daher für absolut notwendig, das Proletariat stets und ständig darauf hinzuweisen, dass es einen Riesenkampf zu bestehen haben wird, ehe es an die Realisierung seiner Bestrebungen denken kann. Sie spornen zur Vorbereitung auf die soziale Revolution an und suchen mit allen Mitteln — durch Wort, Schrift oder Tat —, wie sie gerade da oder dort am zweckmäßigsten erscheinen mögen, die revolutionäre Entwicklung zu beschleunigen. Wer, der es ehrlich meint mit der Sache des Volkes, kann sie darob tadeln? Was man immer heute noch sagen mag, so viel steht jetzt doch schon fest: das Heil der Menschheit, wie es die Zukunft bringen wird und muss, liegt im Kommunismus. Dieses System schließt logischer Weise jede Herr- und Knechtschaft aus und bedeutet mithin Anarchie. Der Weg zu diesem Ziele führt durch, die soziale Revolution.

Dass uns Kapitalisten, Polizisten, Presse und Kanzel-Pfaffen, Mucker und Philister von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüte und mit allen ihren Kräften hassen — das können wir nur höchst begreiflich finden; und weil wir uns mit dieser sozialen, politischen und „himmlischen" Klerisei ohnehin das ganze Jahr herumschlagen, so brauchen wir hier in dieser Beziehung keine Extra-Peitsche zu schwingen. Unnatürlich aber kömmt es uns vor, dass wir auch innerhalb der Arbeiterbewegung auf Tritt und Schritt Feindseligkeiten begegnen, die oftmals von einer unglaublichen Bosheit, mitunter von vernageltem Fanatismus und in der Regel von mehr als bemitleidenswertem; geradezu verstocktem Unverstand getragen sind. Und weil der Kampf, welcher von dieser Seite aus gegen die Anarchisten geführt wird, unnatürlich ist, so muss selbstverständlich auch mancher Widerspruch dabei zu Tage kommen, übrigens ein Umstand, der die weniger in Voreingenommenheit Befangenen unter den Zuhörern der ganzen anti-anarchistischen Sophisterei gegenüber zum Zweifel verleiten und mithin mehr oder weniger mit Sympathie für die Anarchisten beseelen dürfte. So oft wir uns durch Wort und Schrift über den Anarchismus moderner d. h. kommunistischer Art eingelassen haben, wurde uns zugerufen, das sei nicht Anarchismus, sondern Sozialismus. Zeigen wir, wie wir bei jeder Gelegenheit getan, dass dieses „sondern" die reinste Eselsbrücke für Sophisten sei, weil ja der Anarchismus nichts weiter ist als der Inbegriff eines herrschaftslosen sozialen Zustandes, wie er doch jedem wirklichen Sozialisten, der nach Freiheit und Gleichheit strebt, vor Augen schweben müsse, so wird dieses unser Argument einfach unterdrückt und die Behauptung aufgestellt, Anarchismus und Sozialismus seien einmal zwei unversöhnliche und strikte Gegensätze; deshalb müsse auch jeder Sozialist die Anarchisten auf das Schärfste bekämpfen. Ist da auch noch ein Funken von Logik vorhanden? Andererseits wird uns heute nachgesagt, unsere Bestrebungen seien total reaktionärer Natur, weil wir dem Phantom eines kleinbürgerlichen Individualismus nachjagten, während man uns morgen zum Vorwurf macht, wir gingen in unseren Bestrebungen „zu weit", Übergangsstufen in der gesellschaftlichen Entwicklung, seien nicht zu vermeiden usw. Wie wir nun das Kunststück fertig Dringen sollen, einerseits der vorsintflutlichen Kleinbürgerei mit vollen Segeln zuzusteuern (theoretisch natürlich, da ja praktisch derartiges überhaupt ausgeschlossen wäre), und andererseits gleichzeitig solch' weitgehenden Zukunftsidealen nachzujagen, wie sie ein minder entwickelter Sozialist, wenn auch für wünschenswert, so doch für vorerst unrealisierbar hält — diesen Zwiespalt der Natur wünschten wir wahrhaftig gern einmal von irgend einem „wissenschaftlichen" Graf Oerindur uns erklären zu lassen.

Tatsächlich liegt nun die Sache so: Dass wir keine Kleinbürgerei treiben, das wissen unsere stiefbrüderlichen Widersacher ganz genau. Sie suchen lediglich ihren Anhängern das Gegenteil vorzulügen, und das ist jedenfalls kein rechtschaffenes Kampfmittel. Halten wir ihnen diese ihre — gelinde gesagt — Jesuiterei vor, so grinsen sie uns höhnisch an und deuten mit den Fingern auf — Benjamin Tucker. Sie tun das, obgleich sie wissen, dass dieser Mann ganz und gar außerhalb der modernen Klassenbewegung, des Proletariats steht, dass derselbe weiter nichts ist, als ein verspätet erschienener Ideal-Manchestermann... Zuweilen wird uns auch Kropotkin als „echter" Anarchist (im Gegensatz zu uns, die wir zur Abwechslung wieder einmal „unecht" sein sollen) vorgehalten, versteht sich mit der Voraussetzung, dass auch dieser Mann, gleich Tucker, nichts vom Kommunismus, dem angeblichen Gegensatz des Anarchismus, wissen wolle. In dieser Beziehung scheint uns nun allerdings mehr Unwissenheit als Bosheit obwaltend zu sein; allein damit gestaltet sich die Situation für unsere Widersacher nicht besser. Denn wer so ignorant ist, nicht zu wissen, welcher Art die Bestrebungen eines Mannes wie Kropotkin sind, und der gleichwohl das große Wort im Kampfe zwischen den Anarchisten und sonstigen Sozialisten führt, der gibt sich als dummdreist und muss beschulmeistert werden, wie sogleich geschehen soll. Kropotkin ist nämlich nicht bloß ein Kommunist schlechthin, sondern geradezu der allerüberschwänglichste Kommunist, welcher je existiert hat. Ihm ist es auch zuzuschreiben, dass in verschiedenen Ländern — so namentlich in Frankreich, Italien, Spanien und Belgien — die Anarchisten ihren kommunistischen Standpunkt ostentativ bei jeder Gelegenheit hervorgekehrt haben. Da ihm der Kommunismus die Hauptsache ist und dass er, gleich uns im Anarchismus nur ein notwendiges Ergänzungsmoment der kommunistischen Gesellschafts-Auffassung erblickt, geht schon aus der Tatsache hervor, dass er bereits vor Jahren auf dem Anarchisten-Kongress der Jura-Föderation, welcher in St. Imier tagte, den Antrag stellte, man möge den bestehenden Vorurteilen insofern ein Opfer bringen, als man sich künftighin nicht mehr Anarchisten, sondern „freiheitliche Kommunisten“ benenne. Der Antrag fiel durch, ist aber doch wohl unzweifelhaft als Beweis dafür stehen geblieben, dass Kropotkin vor allem Kommunist ist. Ja, von dem soeben erwähnten Kongress ging auch die Anregung dazu aus, dass sich fortab alle Anarchisten, die Anspruch darauf machten, auf der Höhe ihrer Zeit und innerhalb der Kreise .des revolutionären Proletariats zu stehen, kommunistische Anarchisten nannten, Kropotkin ist also — weit entfernt, in Opposition zu den kommunistischen Anarchisten zu stehen (die ja „nicht Anarchisten sondern Sozialisten" sein sollen), geradezu als deren Vater anzusehen. So ist also die Stellung, welche unsere Gegner innerhalb der Arbeiterbewegung wider uns einnehmen, buchstäblich eine bodenlose, teils auf ganz direkten Lügen, teils auf Ignoranz beruhend, jedenfalls auf die Dauer nicht haltbar. Unsere feindlichen Brüder sollten einmal ernstlich alle diese Dinge in Erwägung ziehen; und wenn sie, was ja nicht ausbleiben kann, nach ruhigem aber eingehendem Studium der Sachlage herausgefunden haben, dass wir in allen diesen Beziehungen recht haben, dann sollte sie kein falsches Schamgefühl bewegen, wider besseres Wissen am Althergebrachten festzuhalten. Sie sollten vielmehr bereit sein, vereint mit uns, frisch und froh in den Krieg zu ziehen wider Kirche, Staat und Börse, jene heilige Dreieinigkeit, welche entthront werden muss, wenn für Freiheit, Gleichheit und Brudersinn der Weg geebnet werden soll.

Den größten Stein des Anstoßes der anarchistischen Doktrin bildet bei den nicht-anarchistischen Sozialisten der „freie Vertrag". Weil die Anarchisten der Ansicht sind, dass in einer freien Gesellschaft die Menschen ihre Beziehungen zu einander auf Grund unauferzwungener Vereinbarungen regeln werden, glauben ihre Widersacher darob Ursache zum Lächeln zu haben. Die Letzteren stellen sich aber damit nur. auf den Standpunkt sozialer Gewalttäterei und sind mithin von irgend einem freiheitlichen System so weit wie irgend denkbar entfernt. Sie können höchstens behaupten, das ihr Zwangs- und Zucht-System auf allen gleichmäßig laste und mithin von keinem besonders empfindlich verspürt werden dürfte; allein das ist eine sinnlose Phraseologie, denn ein allgemeiner und auf Gegenseitigkeit beruhender Zwang hebt sich auf und ist mithin null und nichtig. Ist wirklich etwas Derartiges unseren missverständnisvollen Freunden vor Augen schwebend, so erstreben sie, genau so wie wir, die Zwanglosigkeit, und sie müssen mit uns schließlich im „freien Vertrag" als gesellschaftlichem Regulator einen Ruhepunkt finden. Wenn nicht, so bleibt der Vorwurf auf ihnen lasten, dass sie höchstens dem bestehenden System politischer Herrscherei und sozialer Vormundschaft der einen über die anderen eine mildere Form zu geben bemüht seien. Im Übrigen braucht man sich gar nicht, erst in das Bereich einer noch unbekannten neuen Welt zu versetzen — weder auf den Mars, noch in ein sonstiges Utopia — um sich zu veranschaulichen, wie freie Verträge wirken. Da ist z. B. der Weltpostverein. Die einzelnen Postorganisationen treten demselben ganz nach freiem Ermessen bei und können auch wieder ihren Rücktritt bewerkstelligen. Diese Kontrahenten vereinbaren gegenseitig, welche Dienste sie einander leisten wollen, um einen möglichst praktischen und wohlfeilen Postverkehr zu erzielen. Es gibt da keine internationale Rechtsinstanz, bei welcher ein Vertragsbrüchiger eingeklagt oder exekutorisch zur Pflichterfüllung gepresst werden könnte. Dennoch wird da der „freie Vertrag" eingehalten — einfach, deshalb, weil jeder Vertragsbruch mit einer Selbstschädigung verknüpft wäre, und weil es mithin das Interesse einer jeden der vertragschließenden Parteien erheischt, nicht kontraktbrüchig zu werden. Stellen sich doch Unregelmäßigkeiten oder sonstige unvorhergesehene Übelstände ein, so finden Konferenzen statt, und es werden die nötigen. Verbesserungen frei vereinbart. Diese Institution, welche allein schon ein Musterbild für die künftigen freien Gruppierungen der Menschen zu den verschiedenartigsten Lebenszwecken abzugeben geeignet ist, steht indessen in dieser Beziehung nicht isoliert da. Die Trust- und Pool-Bildungen kommen z.B. zwischen Leuten zustande, welche im allgemeinen mit verteufelt wenig Gemeinsinn ausgestattet sind; sie sind fast in allen Ländern sogar gesetzwidriger Natur, und es können mithin die einzelnen Kontrahenten, falls sie die eingegangenen Verpflichtungen nicht erfüllen sollten, rechtlich nicht dazu gepresst werden. Alles, was da im Sinne des geschlossenen Vertrages geschieht, passiert nur unter dem Sporn der damit verknüpften Vorteilhaftigkeit. Überhaupt gibt es ja hunderterlei Dinge, die heutzutage schon auf Grund freier Verträge, hinter denen keine Gesetze und keine Regierungen stehen, welche deren Einhaltung erzwingen könnten, ins werk gesetzt und durchgeführt werden. Gesang-, Turn-, Schützen-, Bildungs- und politische Vereine, Partei-Organisationen, Verbände zur Hebung von Kunst und Wissenschaft etc. sind überall vorhanden, und oftmals schließen die betreffenden lokalen Verbindungen solcher Art unter einander freie Verträge ab, denen zufolge hunderte, ja tausende von solchen Korporationen national und sogar international behufs Erreichung gemeinsamer Zwecke zusammen wirken. Nirgends macht sich aber ein anderer als ein rein moralischer Zwang geltend, um die Einhaltung der fraglichen Verträge herbeizuführen. Und absurd würde man es finden, wenn jemand behaupten wollte, dass diese ganze Maschinerie ohne Einmischung einer höheren Gewalt, einer staatlichen oder sonstigen gesetzlichen Autorität nicht zu arbeiten vermöchte. Im Gegenteil hat es sich von jeher und überall gezeigt, dass jede Einmischung in diese Dinge, welche sich da oder dort die Staatsgewalt vermittelst ihrer Gesetzgebung und Exekutive anmaßte, nur störend und hemmend gewirkt hat; und allenthalben, wo derartiges im Gange ist, agitieren die davon betroffenen Organisationen ganz energisch für Abschaffung der staatlichen Bevormundung. Wenn sich nun aber solches schon in der heutigen Gesellschaft zeigt, in einer Welt voll Egoisten, um wie viel leichter muss sich das Organisationswesen zu allen erdenklichen menschlichen Zwecken auf Grund freier Vereinbarungen in einer Gesellschaft regeln, wie wir sie anstreben, in einer Gesellschaft, die auf Gütergemeinschaft basiert ist, und bei welcher mithin alle jene erbärmlichen Eigenschaften in Wegfall kommen, die mit der Institution des Privateigentums aufs engste verknüpft sind. In einer Gesellschaft von Freien und Gleichen kann es nichts weiter geben als den freien Vertrag; denn ein zwangsweises Zusammenwirken verstieße ja geradezu gegen die Grundbegriffe von Freiheit und Gleichheit. Kurzsichtige Leute wenden mitunter ein, in wirtschaftlicher Beziehung walte ja heutzutage auch eine gewisse Freiheit, indem sich keine Staatsgewalt in das Geschäftsgebahren der Produzenten, mische, man könnte aber doch bemerken, zu welch heillosen Verhältnissen diese Regellosigkeit geführt habe. Wir greifen dieses Argument unserer Widersacher auf und belehren die letzteren eines Besseren. Wenn nämlich das freie Walten auf ökonomischem Gebiete innerhalb der heutigen Gesellschaft dahin geführt hat, dass wir jetzt vor einer sozialen Frage stehen, die kategorisch auf ihre Lösung dringt, so hat das mit dem wirtschaftlichen gehen- und machenlassen an und für sich nichts zu tun, sondern einzig und allein mit dem Institut des Privateigentums, hinter welchem der Staat als Schutzpatron steht. Das Privateigentum hat es mit sich gebracht, dass die Armen zu Sklaven der Reichen wurden, dass die ersteren von den letzteren einer immer schärferen Ausbeutung unterzogen werden konnten, und dass dieserhalb die Volksmassen immer weniger in die Lage kamen, das von ihnen Erzeugte zu verbrauchen. Würde nicht die Staatsgewalt alles aufbieten, dieses Verhältnis aufrecht zu erhalten — das Volk ließe es sich gewiss nicht lange gefallen. Wir haben es eben da nur scheinbar mit einer ökonomischen Freiheit zu tun, in der Tat liegt die Einmischung des Staates klar zu Tage. Ja, der Staat ist gar nichts anderes als die organisierte Macht der Eigentümer, welche die Habenichtse unter der Botmäßigkeit der ersteren zu halten bestrebt ist Aus diesem Grunde sind auch die besitzlosen Volksmassen gezwungen die Staatsmaschine zu zertrümmern, wenn sie das Institut des Privateigentums aufbeben und die Gütergemeinschaft an dessen Stelle setzen wollen. Die Gegenwart kennt nur Menschen mit Interessen-Verschiedenheiten die Zukunft hingegen, welcher wir zusteuern, kennt nur Menschen mit gleichmäßigen Interessen. Wo solche obwalten, hört die Solidarität auf, eine soziale Tugend zu sein, sie versteht sich geradezu von selbst. Welch ein Grund läge da noch vor, die menschheitlichen Zwecke durch ein System der Unter- und Überordnung, also der Unfreiheit auf der einen und der Überhebung und des Vorrechts auf der anderen Seite, erzwingen zu wollen, statt alle diese Dinge der freien Vereinbarung, wie sie die Notwendigkeit, die Nützlichkeit und das Gemeinwohl, welches in einem solchen Zustande gleichzeitig auch das Wohl jedes Einzelnen bedeutet, provozieren müssen, zu überlassen? Nur derjenige, welcher in die Zukunft blickt und dabei sich von dem Bestehenden nicht gänzlich emanzipieren kann und infolgedessen den künftigen Menschen alle jene schlechten Eigenschaften andichtet, welche dieselben unter dem Einfluss jetzt bestehender Verhältnisse notwendigerweise erlangen mussten, kann zu der Annahme gelangen, dass auch die kommunistische Gesellschaft der Gesetzgebern, Regiererei, also Staatlerei und Zwängerei nicht entbehren könne. Hält man sich vollends noch vor Augen, dass in einer kommunistischen Gesellschaft jedem nur eine sehr geringe Arbeitslast zufällt, weil kein Arbeitsfähiger sich des Tadels der öffentlichen Meinung — der einzig denkbaren moralischen Gewalt, die wider etwaige Unholde in das Spiel kommen mag — wegen hartnäckiger Verweigerung der Erfüllung allgemeiner Arbeitspflicht aussetzen würde, dass also jedem ungemein viel Zeit und Gelegenheit zur Erweiterung seines Wissens und zur Veredelung seines Charakters zur Disposition steht, so wird man begreifen, dass die Kommunisten der Zukunft vernünftig genug sein werden, um allgemein und von Fall zu Fall auszufinden, was zu tun und was zu lassen ist, ohne dass sie irgend ein staatlicher Weltweiser am Leitseil des Gesetzes von der Wiege bis zum Grabe durch das Leben schleift.

Wer sich überhaupt über das ganze Wesen aller bisherigen Gesetzgeberei bisher noch nicht klar gewesen ist, der sollte sich doch einmal die absolut unbestreitbare Tatsache vor Augen halten, dass jede Generation die Gesetzgeber der ihr vorangegangenen Generation mindestens für verrückt, wenn nicht für schlimmeres gehalten hat. Die Geschichte der Gesetzgeberei darf mit Fug und Recht als die Geschichte des schauderhaftesten Wahnwitzes bezeichnet werden. Oder halten wir etwa die Gesetze wider Hexerei und Ketzerei, die Gesetze gegen alle erdenklichen Dinge, welche seiner Zeit mit raffinierter Grausamkeit bestraft wurden und welche heute für straflos angesehen werden, nicht für Wahnwitz? War es keine Verrücktheit, die Menschen Feuer-, Wasser- usw. Proben machen oder foltern zu lassen, um deren Schuld oder Unschuld auszufinden? Nun wohl! Ein späteres Geschlecht wird die Gesetze unserer Tage mit ihren Galgen, Henkerbeilen, Kerkern und Ketten für nicht minder unsinnig halten, als wir dies gegenüber den Gesetzen vergangener Jahrhunderte als ausgemacht ansehen. Wer objektiv, d.h. ohne Vorurteil und Aberglauben, an das Wesen aller und jeder Legislatur herantritt, der kommt mit dem Kulturhistoriker Buckle zur Überzeugung, dass die besten Gesetze diejenigen waren und sind, vermöge welcher-frühere Gesetze abgeschafft wurden. Und da sollten wir uns noch lange betreffs einer Zukunfts-Gesetzgebung die Köpfe zerbrechen? Es gehört ein gut Teil Naivität dazu, uns solches zuzumuten. Was nun noch als Gegenstand des Disputes zwischen uns und unseren Widersachern bleibt, das ist die Frage, ob die verschiedenen (auf Grund freier Verträge zu Stande zu bringenden) Organisationen in der künftigen Gesellschaft zentralistischer oder föderalistischer Natur sein sollen. Wir halten dafür, dass das letztere der Fall sein werde und müsse — nicht weil wir uns um „ungelegte Eier" bekümmern, sondern weil uns die Erfahrung gelehrt hat, dass der Zentralismus unter allen Umständen früher oder später in einer ungeheuren Vollmachtsanhäufung in wenigen Händen, damit im Missbrauch der Macht, also in Herrschaft einerseits und Unfreiheit andererseits enden muss. Außerdem sehen wir nicht ein, warum und wieso eine Zentralisation ökonomischer Organisationen oder gar der ganzen menschlichen Gesellschaft an sich nötig oder dienlich sein solle. Wenn wir annehmen und sogar hoffen, dass die soziale Frage im kommunistischen Sinne schließlich nicht nur in diesem oder jenem Lande, sondern in der ganzen Welt gelöst werden wird, so wird jeder Gedanke an Zentralismus ganz von selbst zur reinsten Monstrosität. Man denke sich eine in Washington tagende Zentralkommission von Generalbäckern, die den Gewerksgenossen von Peking oder Melbourne vorschreibt, in welcher Fasson oder Menge sie Semmeln backen sollen! - - Dieses Bild des weiteren auf die verschiedenartigsten Gewerke angewendet, gibt — das wird kein Mensch bestreiten können — die schönste Chineserei, welche je ein Mandarin ersonnen hat Und da die Menschen der Zukunft höchstwahrscheinlich keine Zopfmichel sind, werden sie auch auf einen solchen Unsinn nicht verfallen. Sie werden einfach ihre verschiedenartigen Verhältnisse so regeln, wie das die Bedürfnisse und die Notwendigkeiten, dieselben zu befriedigen, mit sich bringen. Praxis und Erfahrung regulieren das alles ganz von selber. Ein solches Verhältnis nennen wir aber das System der Herrschaftslosigkeit oder Anarchie. Darum, ihr feindlichen Brüder: hinweg mit. allen Vorurteilen, mit allem Dogmenglauben! Studiert die anarchistischen Prinzipien und helfet mit, dieselben zu verwirklichen. Es lebe die soziale Revolution!

Die Erörterungen, welche wir hinsichtlich der kommunistischen Anarchisten angestellt haben, sollen keineswegs bezwecken, dass die Kluft, welche zwischen denselben und den mehr nach rechts hinneigenden Arbeiterparteien gähnt, erweitert wird, wie manche vorurteilsvollerweise annehmen mochten, sondern sie sind im Gegenteil der Absicht entsprungen, diesen Riss im Boden der sozialen Revolution zu überbrücken. Um dies zu erzielen, mussten zu allernächst die landläufigen Konfusionen, die über Anarchismus und Kommunismus bisher kursierten, einer entsprechenden Kritik unterzogen und durch klare und objektive Definitionen dieser beiden Begriffe ersetzt werden. Den Kommunismus stellte man sich gewöhnlich als ein System vor, bei welchem die Individuen in der Gesamtheit völlig aufgehen und mithin gar kein eigenartiges Dasein führen — ein Gedanke, der nur zu sehr geeignet war, nicht nur originellere Charaktere förmlich zurückzuschrecken, sondern selbst ganz gewöhnliche Spießer, welche überhaupt keine Individualität zu verlieren hatten, ins Bockshorn zu jagen. Umgekehrt wurde dem Anarchismus unterschoben, dass er die Menschen isolieren resp. die ganze menschliche Gesellschaft »auflösen" würde. Unsere Erörterungen deuteten indessen an, dass das System der Gütergemeinschaft keineswegs die einzelnen Menschen zum bloßen subjektiven Anhängsel der stofflichen Welt degradiere, sondern vielmehr dazu geeignet sein werde, jede einzelne Individualität vollkommen frei zu entwickeln und zur Geltung zu bringen. Ebenso haben wir auseinandergesetzt, dass und wieso die Anarchie (Herrschaftslosigkeit) das Zusammenwirken mehrerer, vieler oder aller — je nachdem sich das als wünschenswert erweisen mag — zur Erreichung gemeinsamer Zwecke keineswegs ausschließe. Wir haben die Streitpunkte, welche zwischen den sozialdemokratischen und anarchistischen Kommunisten existieren, auf ihren wahren Wert zurückgeführt, indem wir zeigten, dass die Differenzen großenteils auf Zukunftsspekulationen beruhen, welche in das Bereich der Philosophie gehören... Und um dazutun, wie wenig Ursache selbst diese Sphäre unter denkenden Sozialisten (Sozialdemokraten wie Anarchisten) Anlass zu größeren Streitigkeiten geben sollte, zergliederten wir die falschen Voraussetzungen, unter welchen es einzig und allein möglich war, dass solche Zwistigkeiten ausbrachen, wie sie nun schon seit vielen Jahren gerade denjenigen Teil der Arbeiterbewegung verunzieren, welcher die fortgeschrittensten, intelligentesten und energischsten Proletarier umfasst. Wir haben denen, welche unter dem Einfluss bürgerlich-liberaler Traditionen noch immer an die Staatsidee — auch im Hinblick auf eine kommunistische Gesellschaft — festhielten, nachgewiesen, dass der Kommunismus zur Durchführung und Aufrechterhaltung seines freiheitlichen und gleichheitlichen Grundprinzips nicht nur keiner Staatsgewalt bedarf, sondern auch, dass eine solche gegenüber dem Kommunismus nur störend und hemmend wirken könne, ja, wir haben dargetan, dass der „Staat" („Volksstaat", „Zukunftsstaat" usw.), von welchem in kommunistischen Kreisen sozialdemokratischer Art noch häufig die Rede ist, eigentlich gar kein Staat ist, und mit F. Engels kamen wir zu dem Schlüsse, dass der Staat in der Zukunft neben das Spinnrad und die Streitaxt in das Antiquitätenkabinett verwiesen werden müssen. Es blieb nach unserer Darlegung höchstens noch die Frage offen, ob die Menschen der Zukunft den Organisationen, die sie zur Erreichung ihrer verschiedenen Lebenszwecke ins Werk setzen dürften, eine zentralistische oder eine föderalistische Gestalt geben werden. In dieser Beziehung glauben wir bewiesen zu haben, dass die Zentralisationsidee gleichfalls nur der angeborenen Vorliebe für das Hergebrachte geschuldet sei, während eine vorurteilsfreie Betrachtung gerade des bisher üblich gewesenen Zentralismus denselben für die Zwecke einer freien Gesellschaft als untauglich erscheinen lasse, also das föderalistische System zu einem erstrebenswerten stempele. Nach solcher Feststellung wird es einleuchten, dass eine schließliche prinzipielle Verständigung zwischen den sozialdemokratischen und den anarchistischen Kommunisten kein Ding der Unmöglichkeit ist. Unsere Stellung gegenüber den ersteren kann also keine feindliche sein, ja, sie ist es gar nie gewesen, obgleich es den Anschein haben mag, als hätte man es bisher mit dem strikten Gegenteil zu tun gehabt. Diese letztere, sehr beklagenswerte Auffassung der Dinge verdankt man wesentlich dem Umstande, dass die Streitigkeiten, welche zwischen diversen Personen innerhalb der fortgeschrittenen Arbeiterbewegung sich entwickeln, wie das ja im öffentlichen Leben niemals ganz vermeidlich ist, viel zu sehr zur Parteisache auffasste und in der Masse dementsprechend behandelte. Verschärft wurde dieses Missverhältnis noch dadurch, dass sich innerhalb der kommunistischen Parteien, wie bei jedem Parteileben, allerlei Demagogen einzunisten wussten, die es verstanden, förmliche Verderber der ganzen Bewegung zu werden, und die infolgedessen wohl oder übel von den einsichtigeren Elementen auf das Entschiedenste bekämpft werden mussten, welchen Kampf jedoch die Massen leider nicht immer sogleich verstanden und zu würdigen wussten. Durch teilweise, falsche Stellungnahme der letzteren wurde unsäglich viel Unheil angerichtet und heute noch ist diese Misere da und dort in vollem Gange. Aber, um zur Hauptsache zurückzukommen — mit den eigentlich prinzipiellen Streitpunkten der verschiedenen Spielarten des Kommunismus haben alle diese Dinge wenig oder gar nichts zu schaffen. Hinsichtlich der Taktik, welche die verschiedenen kommunistischen Parteien in Anwendung bringen zu müssen glauben, um zum Ziele zu gelangen, scheint es stärker zu hapern. Da wird von Friede und Gesetz auf der einen und von Revolution auf der andern Seite — vom Stimmkasten als Erlösungsmittel hier und von der Propaganda der Tat da gesprochen; und ein hitziges Gefecht ist unter den feindlichen Brüdern wegen dieser Kampfesmethoden beständig in vollem Gange. In dieser Beziehung haben wir gezeigt, dass der Streit, ob Revolution oder nicht, eigentlich ein recht kindischer sei, indem nicht nur die Logik der Geschichte, sondern mehr noch die Haltung der herrschenden Klassen gegenüber allen und jeden Bestrebungen der Arbeiter eine friedliche Lösung der sozialen Frage völlig ausschließe. Der ganze diesbezügliche Streit ist daher opportunistischer Natur; und weil sich die Bourgeoisie keineswegs durch irgend welche Vorstellungen und sanfte Redensarten über die Natur der proletarischen Klassenbewegung täuschen lässt, so ist auch die ganze Opportunitätspolitik innerhalb der Arbeiterbewegung bereits zu Schanden geworden. Sie wird früher oder später aufgegeben werden müssen, und was zurückbleibt, das ist selbstverständlich die revolutionäre Taktik. Was speziell die Stimmkästnerei anbelangt, so kann man dieselbe von vornherein nur als ein agitatorisches Experiment auffassen. Dasselbe hat sich nicht bewährt Es führte die Massen auf Abwege der Nebensächlichkeit und Oberflächlichkeit und viele gute Kräfte in allerlei Versuchungen, denen sie nicht immer zu widerstehen vermochten. Mancher gute Revolutionär ist durch seine Teilnahme am Parlamentarismus und durch seine Berührung mit den Parlamentariern total verdorben worden. Wir Anarchisten sind daher dafür, dass man sich mit der Wählerei nicht befasse, sondern stets und ständig rein prinzipielle Propaganda mache und dabei gerade Wege wandele. Wenn wir auf der andern Seite die Überzeugung hegen, dass durch eine revolutionäre Tat mitunter mehr Propaganda gemacht werden kann, wie durch hunderte von Agitationsreden und tausende von Broschüren oder Zeitungen, so sind wir noch lange nicht der Meinung, dass jede beliebige Gewalttat, verübt an irgend einem Repräsentanten oder Beschützer der herrschenden Klasse, eine solche Wirkung haben werde. Wir werden vielmehr nie müde, zu erklären, dass nur die richtige Tat am rechten Ort und zur passenden Zeit einen solchen Effekt haben könne; und es fällt uns gar nicht ein, die nächsten besten dummen Streiche, wenn sie auch in guter Absicht von revolutionär gesinnten Leuten ausgeführt wurden, unbesehen gutzuheißen. Im übrigen ist ja die Propaganda der Tat ohnehin keineswegs ein ausschließliches Steckenpferd für uns geworden, das wir beständig reiten und über welchem wir jede sonstige Propaganda, vergessen. Wir wirken durch Wort und Schrift, wo und wie wir nur immer können. Wenn wir uns einerseits nicht der Illusion hingeben, dass man erst das ganze Proletariat aufklären müsse, ehe es berufen sei, die Schlachten der sozialen Revolution zu schlagen, so misskennen wir andererseits nicht im geringsten, dass man wenigstens in Bezug auf mündliche und Drucksachen-Agitation tun müsse, was nur irgend möglich ist gleich unseren sozialdemokratischen Parteiverwandten betreiben wir also Aufklärung so gut wir können, wenn wir uns auch dabei nicht verhehlen, dass ein möglichst kräftiger Ton angeschlagen und das Salz der Aufreizung beigemischt, die Verwässerung der Abwieglung vermieden werden müsse, wenn der gewünschte Erfolg erzielt werden soll. Haben unsere Stiefbrüder in dieser Beziehung mitunter allerlei „wissenschaftliche" Seitensprünge und Einschläferungen sich zu Schulden kommen lassen, so wird sie der dabei erzielte Misserfolg alsbald wieder zum richtigen Takt veranlassen, wie er in allen sozialistischen, resp. kommunistischen Bewegungen von Hause aus angeschlagen wurde. Unter allen diesen Umständen scheint uns — zwar keine augenblickliche Verschmelzung, wohl aber eine Art Aneinander-Gliederung der sozialdemokratischen *) und anarchistischen Kommunisten denkbar und möglich zu sein. Eine solche müsste in der Bekämpfung des gemeinsamen Feindes ausgezeichnete Früchte tragen. Ist der gute Wille beiderseitig zu einer solchen Vereinbarung da, so wird sie auch bald genug ins Leben treten. Solange freilich von der einen, wie von der anderen Seite ein förmlicher Parteibeitritt mit dazu gehöriger Programm-Unterzeichnung verlangt wird, kann in dieser Beziehung nichts erreicht werden. Eine Notwendigkeit zu solcher Dogmenreiterei existiert nicht, vielmehr muss sie gerade vor allem aufhören, wenn es in der angedeuteten Richtung besser werden soll. „Zerstörung der bestehenden Klassenherrschaft mit allen Mitteln, d.h. durch energisches, revolutionäres und internationales Handeln." „Errichtung einer auf genossenschaftlicher Organisation der Produktion beruhenden freien Gesellschaft" So oder ähnlich sollte die Devise lauten, unter welcher die Sozialdemokraten und Anarchisten gemeinsam kämpfen. Alles Übrige besorgen jene, welche als siegreiche Revolutionäre an den Aufbau der freien Gesellschaft gehen können. JOHN MOST

Aus: Johann Most, Der Kommunistische Anarchismus; Berlin 1921 („Der Rote Hahn", Nr. 53/54)

Die anarchistischen Kommunisten an das Proletariat[edit]

Wir fuhren Krieg gegen das Privateigentum, den Staat und die Kirche - einen Krieg, dessen Ziel die völlige Zerstörung dieser Institutionen ist. Wir erstreben eine kommunistisch-anarchistische Gesellschaft, d.h. einen sozialen Zustand, der die unbeschränkte Entfaltung der individuellen Freiheit eines jeden Menschen ermöglicht. Dem gemäß reklamieren wir das Recht auf Lebensgenuss je nach individuellem Bedürfnis, ermöglicht dadurch, dass jeder nach Neigung, Kraft und Fähigkeit sich nützlich tätig zeigt, d.h. teilnimmt an der Industrie, der Landwirtschaft, dem Verkehrswesen, der Belehrung, der Kunst oder Wissenschaft und die Resultate seines Schaffens der Gesamtheit zur Verfügung stellt. Das Mittel, das zu diesem Ziel führt, erblicken wir in der sozialen Revolution, durchgekämpft von den Arbeitern aller Länder - einer allgemeinen Volkserhebung, die wir für unvermeidlich halten und auf die wir durch Wort, Schrift und Tat das Proletariat vorzubereiten suchen. Hinsichtlich der Organisation empfehlen wir die freie Gruppenbildung, unbeengt durch jede Zentralisation, autonom in jeder Hinsicht, föderiert nach freiem Ermessen und je nach den damit zu erzielenden speziellen Zwecken der Propaganda. Wir verwerfen die Institution des Privateigentums, weil dessen Geschichte die Geschichte aller menschlichen Leiden ist. Solange es ein Privateigentum gibt, wird es Arme und Reiche geben und werden sich die ersteren den letzteren gegenüber in einem Verhältnis der Unabhängigkeit befinden, was auf der einen Seite zu einer ungeheuerlichen Güteranhäufung, zu unerträglichem Hochmut, zu wahnwitziger Habsucht, Herrschgier und Barbarei, auf der anderen Seite zur immer entsetzlicheren Massenverelendung mit allen Zeichen geistiger und leiblicher Verkommenheit führt. Die Gesellschaft hat im Laufe von Jahrtausenden manchen Wandel durchgemacht - vom System der Zwangsproduktion durch Sklaven oder Hörige bis zum System angeblich «freier Arbeit» -, da sie aber immer und immer wieder das Privateigentum zur Basis ihrer sogenannten Ordnung machte, hat sich an der Lage der Völker nichts geändert, nichts gebessert. Ja es ist sogar erwiesen, dass dieselbe im großen und ganzen desto ungeheuerlicher sich gestaltete, je großartiger durch Entdeckungen und Erfindungen die Reichtümer der Natur der Menschheit erschlossen und deren Verarbeitung erleichtert wurden. Die ganze bisherige Kulturentwicklung hat sich für die Volksmassen als blutiger Hohnerwiesen und lediglich einer kleinen Minderheit zu Riesenreichtümern verholfen, für die dieselbe keine vernünftige Verwendung hat. Das ist der Fluch des Privateigentums. Derselbe wird in Wirkung bleiben, so lange dieses existiert. Wer das allgemeine Menschenglück erstrebt, muss mitbin mit uns einstimmen in den Ruf:

Nieder mit dem Privateigentum!

Der Staat, weit [davon] entfernt, eine Versicherungsanstalt für das allgemeine Volkswohl zu sein, wie viele wähnen, ist nichts weiter als ein Schutzmittel, das die Besitzenden wider die Nichtbesitzenden errichtet haben. Je kleiner die Zahl der ersteren und je größer die der letzteren wurde, desto großartiger hat sich die Protektionsmaschine entfaltet, bis sie zu jenem Monster ausartete, das heute vor uns steht mit seinen unzähligen Händen in unseren Taschen, mit seinen gesetzlichen Schnüren und Stricken, an denen wir befestigt sind, mit seihen Hunderttausenden von Flinten, Säbeln und Knüppeln, die über unseren Häuptern geschwungen werden, mit seinen Kerkern und Schafotten, die uns Verderben drohen. Wer daher Krieg führen will gegen das Privateigentum, kann nicht dessen Schutzpatron, den Staat, um Beistand angehen, wie viele in bodenloser Verblendung zu tun versuchen. Das Privateigentum kann nur um seine Herrschaft gebracht werden, wenn dessen Wächter, der Staat, vernichtet wird. Beide Institutionen stehen und fallen sozusagen miteinander. Daher muss die Losung eines jeden konsequenten Freiheitskämpfers lauten:

Nieder mit dem Staat!

Die Kirche jeglicher Spielart ist die Zusammenfassung des ungeheuerlichsten Schwindels, den die Menschheit bisher gesehen hat . Sie kontrolliert mehrere Millionen abgefeimter Schufte (Pfaffen), die jahrein, jahraus in allen Ländern auf die Bevölkerung losgelassen werden, damit sie deren Gehirne mit dem größten Blödsinn füllen, den nur je ein absoluter Menschenfeind ersinnen konnte. Wer zu Verstand kommen will, was er namentlich dann sehr nötig hat, wenn er sich von sozialer Ausbeutung (Ungleichheit) und staatlicher Tyrannei (Unfreiheit) loszumachen gedenkt, der muss gegen diese Brut mit allen denkbaren Mitteln zu Felde ziehen. In einer freien (künftigen) Gesellschaft kann es keine Kirche und keine Pfaffen geben, weil niemand mehr ein Interesse daran hat, seinen Mitmenschen um den Verstand zu bringen, damit er ihn leichter auszubeuten vermag; und heute, wo das geschieht, erweist sich die ganze Pfaffenbrut nur als eine Bande von moralischen, resp. unmoralischen Hypnotiseuren, die ihre Opfer (das Volk) versimpeln und somit willenlos der Ausbeutung durch die besitzende Klasse und der Knechtung durch den Staat überliefern. Wenn daher das Feldgeschrei erhoben werden soll gegen alles, was die Menschheit in Sklaverei, Untertänigkeit und Unverstand zu erhalten sucht, darf der Ruf nicht fehlen:

Nieder mit der Kirche – mit allem Glaubensschwindel und Pfaffentrug!

Da wir, wie gesagt, das Privateigentum verwerfen und nicht bloß, wie zahlreiche sogenannte Sozial- «Reformer», daran herumflicken wollen, so ergibt sich daraus unser Standpunkt als Kommunisten ganz von selbst. Für uns ist klar, dass die Menschheit nicht eher zu einem ruhigen und vernünftigen Lebensgenus gelangen kann, als bis die Erde mit allem, was sie bietet und was Menschenhände aus ihren Gaben gemacht, allen Menschen zur freien Verfügung steht. Schon jetzt kann nicht bestritten werden, dass mit Leichtigkeit alles, was den Bedürfnissen der Menschen entspricht, mit Leichtigkeit in eben solchem Überfluss allen dargeboten werden kann, in dem gegenwärtig Wasser, Licht und Luft jedem zur unentgeltlichen Verfügung stehen. Aus diesem Grunde sehen wir davon ab, gleich den Kommunisten älteren Schlages Systeme auszuklügeln, nach denen die Genussmittel je nach den individuellen Leistungen zugemessen werden sollen - zumal es ja unter hochentwickelten Produktionsverhältnissen ohnehin so gut wie unmöglich ist, die Leistung eines einzelnen abzuschätzen, und weil es weniger der Gerechtigkeit entspräche, wenn die weniger Begabten ihrer körperlichen oder geistigen Schwächen halber, für die sie nicht verantwortlich sind, besser Gearteten gegenüber zu kurz kommen sollen. Da wir andererseits das unbeschränkte Genussrecht einem jeden zugestanden wissen wollen, kann sich selbst der größte Geistesriese oder physische Arbeitstitan über Benachteiligung nicht beklagen. Niemand kann mehr haben wollen als das, was geeignet ist, ihm alle erdenklichen Genüsse zu bereiten. Aufhäufung von Gütern hat nur unter der Herrschaft des Besitzeigentums einen Sinn und ist selbst da bis zur hellen Verrücktheit ausgeartet; in einer Gesellschaft mit Genussfreiheit ist das Verlangen nach solcher Hamsterei einfach ausgeschlossen. Bleibt noch das Gespenst der Faulheit zu verscheuchen, das gerade diejenigen am eifrigsten wider uns zu zitieren pflegen, die nie etwas Nützliches geleistet haben. Es mag sein, dass deren Nachkommen in ererbter Neigung zum Nurverbrauch eine Zeitlang lediglich schmarotzen wollen. In diesem Fall wäre aber ein solches Übel doch leichter zu ertragen als irgendein System des Zwanges, der Bürokratie und mithin der Unfreiheit mit allen ihren erfahrungsgemäßen Konsequenzen. Im übrigen sind die Notwendigkeit und das Ehrgefühl sicherlich hinreichende Stachel zur Arbeit, ganz abgesehen davon, dass es schon an und für sich wenig Menschen geben dürfte, die nicht ein Verlangen danach tragen, sich in irgendeiner Weise zu beschäftigen, zumal in einer Gesellschaft, die nicht nur alle erdenklichen Bildungsmittel jedem zugänglich macht, sondern auch durch ihr ganzes Wesen dazu geeignet ist, in jedem das Bewusstsein zu wecken, dass er unrecht handeln würde, wenn er gar keinen Anteil an jenen Tätigkeiten nähme, deren Ergebnisse ihm Wohlsein, Genuss und Glück gewähren. Der Kommunismus, den wir erstreben, ist also ein vollkommen freies Verhältnis. Er kennt keine Über- noch Unterordnung, keinerlei Schabionisierung; er ist identisch mit dem Begriff der Herr- und Knechtschaftslosigkeit der Anarchie. Weil aber alle früheren kommunistischen Bestrebungen auf die Errichtung eines komplizierten Wirtschaftsstaates hinausliefen, ist es notwendig geworden, unsere diesbezügliche total verschiedene Auffassung der Dinge schon in der Bezeichnung, die wir uns gegeben, festzustellen, und wir nennen uns daher anarchistische Kommunisten. Wir kündigen die soziale Revolution an - nicht weil wir Freude an wildem Kampfund Blutvergießen haben, sondern weil es uns täglich klarer vor die Augen tritt, dass die Zustände, unter denen sich die Menschheit jetzt befindet, einerseits immer unerträglicher werden und dass sich andererseits jeder Änderung oder Milderung derselben die herrschenden Klassen immer schroffer, rücksichtsloser und grausamer widersetzen. Damit ist festgestellt, dass schließlich die Dinge von der Masse des Volkes für absolut unerträglich befunden werden, dass es zwischen dieser und der besitzenden Minderheit und deren Staatsgewaltträgern zum Zusammenstoß kommt und dass mit der Waffe in der Hand ausgefochten werden muss, was leider friedlich nicht zu erreichen war - die Vernichtung aller jener Einrichtungen, die der Entwicklung von Freiheit und Gleichheit, von Bildung und Glück im Wege standen, und die Etablierung gerechter Verhältnisse, wie sie im Kommunismus und [in] der Anarchie gegeben sind. Wir fördern daher jede Volksbewegung, die geeignet ist, diesen Kampf möglichst bald herbeizuführen und möglichst gründlich zum Austrag zu bringen. Wir unterstützen jeden unmittelbaren Kampf der Arbeiter wider die besitzende Klasse, verwerfen hingegen alle Palliativmittel und Blendwerke, wie die Beteiligung am Parlamentarismus, die Hoffnung auf Arbeiterschutzgesetze usw. All unser Dichten und Trachten ist darauf gerichtet, das Proletariat auf die soziale Revolution vorzubereiten und dasselbe mit Grundsätzen zu beseelen, die geeignet sind, ihm auch die Früchte des Kampfes dauernd zu sichern. Eine kirchenartige Organisation, wie andere Arbeiterparteien, haben die anarchistischen Kommunisten nicht. Sie halten jede Zentralisation mit Exekutive, Beamten, Steuern und sonstigen Imitationen des Staatswesens für verwerflich, weil sie die einzelnen lähmen, sie im selbständigen Denken stören und das Ganze der Korruption und Versumpfung zuführen. Freie Gruppierung der einzelnen und freie Föderation der Gruppen halten wir für genügende Bindemittel, [um] die gemeinsamen Ziele mit vereinten Kräften zu erstreben. Schließt euch uns an! So rufen wir den Arbeitern zu. Was wir im Sinne haben, ist in dem Vorstehenden kurz und bündig dargetan. Nähere Informationen bieten unsere Organe, unsere Bücher und Broschüren, nicht minder die Reden und Debatten unserer Versammlungen, zu denen jeder Zutritt hat. Arbeiter, rafft euch auf! Erkennt das Joch, unter welchem ihr schmachtet; strebt danach, es zu zerbrechen! Unter unserem Banner, der roten Fahne, unter der Flagge des Kommunismus und der Anarchie, unter dem Emblem der sozialen Revolution ist euer Sammelplatz. Da schart euch zusammen, um euch zu verständigen über den Feldzugsplan zum Sturze des Bestehenden, an dessen Stelle ihr eine Gesellschaft von Freien und Gleichen zu setzen berufen seid. Arbeiter aller Länder, emanzipiert euch!


Der Kommunismus, den wir erstreben, ist also ein vollkommen freies Verhältnis. Er kennt keine Über- noch Unterordnung, keinerlei Schabionisierung; er ist identisch mit dem Begriff der Herr- und Knechtschaftslosigkeit der Anarchie.

JOHN MOST

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