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Difference between revisions of "Errico Malatesta/Anarchie"

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Der Mensch, der in Sklaverei geboren und aufgewachsen ist, und von einer langen Reihe von Sklaven abstammt, glaubte, als er anfing zu denken, daß die Sklaverei ein unvermeidlicher Zustand des  Lebens sei; die Freiheit erschien ihm unmöglich. So geht es auch dem Arbeiter; seit Jahrhunderten ist er gezwungen, die Arbeit, das heißt das Brot, von der Laune eines Herrn zu erwarten; er ist daran gewöhnt, daß er fortwährend von der Gnade dessen abhängt, der den Boden und das Kapital besitzt; und am Ende glaubt er, daß es der Arbeitgeber ist, der ihm zu essen gibt. In seiner Leichtgläubigkeit sagt er: »Wie würde ich denn leben können, wenn es keine Herren gäbe.'«
 
Der Mensch, der in Sklaverei geboren und aufgewachsen ist, und von einer langen Reihe von Sklaven abstammt, glaubte, als er anfing zu denken, daß die Sklaverei ein unvermeidlicher Zustand des  Lebens sei; die Freiheit erschien ihm unmöglich. So geht es auch dem Arbeiter; seit Jahrhunderten ist er gezwungen, die Arbeit, das heißt das Brot, von der Laune eines Herrn zu erwarten; er ist daran gewöhnt, daß er fortwährend von der Gnade dessen abhängt, der den Boden und das Kapital besitzt; und am Ende glaubt er, daß es der Arbeitgeber ist, der ihm zu essen gibt. In seiner Leichtgläubigkeit sagt er: »Wie würde ich denn leben können, wenn es keine Herren gäbe.'«
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Außer der Macht der Gewohnheit müssen wir noch die Erziehung der Arbeiter durch die Arbeitgeber, die Priester, die Lehrer erwähnen, die alle ein Interesse daran haben, die Notwendigkeit der Obrigkeit und der Herren zu predigen; wir müssen den Einfluss der Richter und Polizisten in Betracht ziehen, die bestrebt sind, jeden, der anders denkt wie sie, und seine Gedanken verbreiten will, zum Schweigen zu bringen. Dann ist es leicht verständlich, wie in den ungebildeten Köpfen der Massen das Vorurteil über die Nützlichkeit und Notwendigkeit der Arbeitgeber und der Regierung Wurzel gefasst hat. –
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Denken wir uns, dass dem Menschen mit gefesselten Füssen, den wir erwähnt haben, der Arzt eine ganze Theorie entwickelt und tausend geschickt erfundene Beispiele erzählt, um ihn zu überzeugen, dass er mit freien Füssen weder gehen noch leben könnte, so würde dieser Mensch wütend seine Fesseln verteidigen und jeden als Feind betrachten, der dieselben zerschneiden wollte.
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Es ist also natürlich, dass, wenn man die Regierung für notwendig hält, und zugibt, dass ohne Obrigkeit alles nur Unordnung und Verwirrung wäre, das Wort Anarchie, das die Abwesenheit jeder Regierung bedeutet, auch das Fehlen der Ordnung bedeuten wird.
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Ändert die Ansichten, überzeugt die Massen, dass die Institution der Regierung nicht nur nicht notwendig, sondern äußerst gefährlich und schädlich ist für das soziale Leben, und dann bedeutet das Wort Anarchie, gerade weil es das Nichtvorhandensein einer Regierung ausdrückt, für alle Menschen die ''natürliche Ordnung'', ''Harmonie der Bedürfnisse'' und ''Interessen von Allen'', ''vollkommene Freiheit'' und ''vollkommene Solidarität.
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Es ist unrichtig zu sagen, dass die Anarchisten ihren Namen schlecht gewählt haben, weil die Massen diesen Namen missverstehen und falsch auslegen. Der Irrtum kommt nicht vom Wort, sondern von der Sache, und die Schwierigkeiten, mit denen die Anarchisten bei ihrer Propaganda zu kämpfen haben, ist nicht die Folge ihres Namens, den sie sich beilegen, sondern die Tatsache, dass unsere Anschauungen alle von Alters hergebrachten Vorurteile verletzen, die das Volk über die  Tätigkeit der Regierung oder, wie man gewöhnlich sagt, des Staates, hegt.
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So würde es einem Menschen ergehen, dessen Füße seit seiner Geburt gefesselt wären, aber so, daß er doch ein wenig gehen könnte; er würde vielleicht sagen, daß er sich darum bewegen kann, weil er Fesseln anhat, obgleich im Gegenteil die Fesseln ihn am. freien Bewegen hindern.  
 
So würde es einem Menschen ergehen, dessen Füße seit seiner Geburt gefesselt wären, aber so, daß er doch ein wenig gehen könnte; er würde vielleicht sagen, daß er sich darum bewegen kann, weil er Fesseln anhat, obgleich im Gegenteil die Fesseln ihn am. freien Bewegen hindern.  

Revision as of 12:37, 7 June 2011

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Anarchie ist ein griechisches Wort und bedeutet: Ohne Herrschaft. Es bezeichnet also den Zustand, in welchem ein Volk ohne festgesetzte Obrigkeit, ohne Regierung seine Angelegenheiten selbst besorgt. Ehe denkende Menschen diesen Zustand als möglich und wünschenswert erkannt haben, ehe derselbe das Ziel einer Bewegung wurde, die seitdem einer der wichtigsten Faktoren im sozialen Kampfe ist, faßte man das Wort »Anarchie« allgemein als Unordnung, Konfusion auf; und es wird noch heute so aufgefaßt von den unwissenden Massen, und von unseren Gegnern, in deren Interesse es liegt, die Wahrheit zu verheimlichen. Wir wollen hier nicht in das Gebiet der Sprach¬wissenschaft abschweifen, denn die Frage ist keine sprachwissenschaftliche, sondern eine geschichtliche. — Die allgemein angenommene Bedeutung des Wortes faßt den wirklichen, sprachlich begründeten Sinn desselben ganz richtig auf; das Mißverständnis entsteht aus dem Vorurteile, daß die Regierung, die Herrschaft notwendig zum Bestehen des gesellschaftlichen Lebens ist, und daß infolge dessen eine Gesellschaft ohne

Herrschaft der Unordnung anheimfallen muß, und zwischen der Allgewalt der Einen und der blinden Rache der anderen hin und herschwanken wird. Es ist leicht erklärlich, wie dieses Vorurteil entstanden ist, und wie dasselbe die Bedeutung des Wortes Anarchie in der Auffassung der Massen beeinflußt hat.

Wie alle Tiere, paßt sich der Mensch an und gewöhnt sich an die Verhältnisse, in denen er lebt; und die angenommenen Gewohnheiten vererbt er auf seine Nachkommen.

Der Mensch, der in Sklaverei geboren und aufgewachsen ist, und von einer langen Reihe von Sklaven abstammt, glaubte, als er anfing zu denken, daß die Sklaverei ein unvermeidlicher Zustand des Lebens sei; die Freiheit erschien ihm unmöglich. So geht es auch dem Arbeiter; seit Jahrhunderten ist er gezwungen, die Arbeit, das heißt das Brot, von der Laune eines Herrn zu erwarten; er ist daran gewöhnt, daß er fortwährend von der Gnade dessen abhängt, der den Boden und das Kapital besitzt; und am Ende glaubt er, daß es der Arbeitgeber ist, der ihm zu essen gibt. In seiner Leichtgläubigkeit sagt er: »Wie würde ich denn leben können, wenn es keine Herren gäbe.'«

Außer der Macht der Gewohnheit müssen wir noch die Erziehung der Arbeiter durch die Arbeitgeber, die Priester, die Lehrer erwähnen, die alle ein Interesse daran haben, die Notwendigkeit der Obrigkeit und der Herren zu predigen; wir müssen den Einfluss der Richter und Polizisten in Betracht ziehen, die bestrebt sind, jeden, der anders denkt wie sie, und seine Gedanken verbreiten will, zum Schweigen zu bringen. Dann ist es leicht verständlich, wie in den ungebildeten Köpfen der Massen das Vorurteil über die Nützlichkeit und Notwendigkeit der Arbeitgeber und der Regierung Wurzel gefasst hat. –

Denken wir uns, dass dem Menschen mit gefesselten Füssen, den wir erwähnt haben, der Arzt eine ganze Theorie entwickelt und tausend geschickt erfundene Beispiele erzählt, um ihn zu überzeugen, dass er mit freien Füssen weder gehen noch leben könnte, so würde dieser Mensch wütend seine Fesseln verteidigen und jeden als Feind betrachten, der dieselben zerschneiden wollte. Es ist also natürlich, dass, wenn man die Regierung für notwendig hält, und zugibt, dass ohne Obrigkeit alles nur Unordnung und Verwirrung wäre, das Wort Anarchie, das die Abwesenheit jeder Regierung bedeutet, auch das Fehlen der Ordnung bedeuten wird.

Ändert die Ansichten, überzeugt die Massen, dass die Institution der Regierung nicht nur nicht notwendig, sondern äußerst gefährlich und schädlich ist für das soziale Leben, und dann bedeutet das Wort Anarchie, gerade weil es das Nichtvorhandensein einer Regierung ausdrückt, für alle Menschen die natürliche Ordnung, Harmonie der Bedürfnisse und Interessen von Allen, vollkommene Freiheit und vollkommene Solidarität. Es ist unrichtig zu sagen, dass die Anarchisten ihren Namen schlecht gewählt haben, weil die Massen diesen Namen missverstehen und falsch auslegen. Der Irrtum kommt nicht vom Wort, sondern von der Sache, und die Schwierigkeiten, mit denen die Anarchisten bei ihrer Propaganda zu kämpfen haben, ist nicht die Folge ihres Namens, den sie sich beilegen, sondern die Tatsache, dass unsere Anschauungen alle von Alters hergebrachten Vorurteile verletzen, die das Volk über die Tätigkeit der Regierung oder, wie man gewöhnlich sagt, des Staates, hegt. -


So würde es einem Menschen ergehen, dessen Füße seit seiner Geburt gefesselt wären, aber so, daß er doch ein wenig gehen könnte; er würde vielleicht sagen, daß er sich darum bewegen kann, weil er Fesseln anhat, obgleich im Gegenteil die Fesseln ihn am. freien Bewegen hindern.


Kategorie:Texte