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Décroissance

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Décroissance - etwa nachhaltige Wachstumsrücknahme ist ein politisches Konzept, das auf dem Argument basiert, dass sich ein ständig zunehmendes Wirtschaftswachstum generell nicht mit den Grundsätzen nachhaltiger Entwicklung vertrage, etwa hinsichtlich der Belastbarkeit der Erde und den Rechten und der Versorgungssicherheit zukünftiger Generationen. Vertreter dieses Konzepts, wie beispielsweise die franzosen Serge Latouche, Paul Ariès, Geneviève Decrop, Agnes Sinaï, Vincent Cheynet... oder der italiener Mauro Bonaiuti, richten sich gegen einen aus ihrer Sicht aktuell vorherrschenden Kompromiss zwischen Entscheidungsträgern aus Politik und Wirtschaft aus, der als einzige Zielsetzung einer modernen Gesellschaft die Steigerung des Lebensstandards in Form des Bruttoinlandsprodukts (BIP) vorsehe. Die Kennzeichnung nachhaltig besagt, die Abnahme der Güterproduktion so zu organisieren, dass sie nicht in neue soziale Konflikte mündet. Vielmehr könnten durch eine behutsame und aufklärende Umsetzung bestehende Konflikte, z.B. steigende Armut, durch eine bessere Umverteilung gemildert werden. Somit ist Wachstumsrücknahme im Grunde der Leitbegriff einer radikalen Kritik, die Ansätze für eine Strategie „nach der Entwicklung“ skizzieren soll. Sie ist als solche nicht als konkrete Alternative zu verstehen, sondern als Matrix mit einer Fülle an alternativen Ansätzen.[1]

Vorstellung

Herkunft und Motivation

Die Wachstumsrücknahme entspringt einer Kontroverse über das Wirtschaftswachstum, welches eine kontinuierliche Steigerung des Bruttoinlandsproduktes (Konsumwachstum) vorsieht. Erste Zweifel an der Kompatibilität zwischen Wirtschaftswachstum und endlichen Ressourcen wurden in der Studie „Die Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome vorgestellt. Das Konzept der Wachstumsrücknahme fußt zum einen auf den dort gemachten Annahmen, schlägt aber des Weiteren schon konkrete Maßnahmen vor, um einen gesellschaftlichen und ökologischen Kollaps zu verhindern.

Das Konzept unterscheidet prinzipiell zwischen einem quantitativen (ökonomischen) Wachstum, gemessen am BIP, und einem qualitativen Wachstum, welches eine Vielzahl von Faktoren[2] berücksichtigt und beispielsweise mit dem Index der menschlichen Entwicklung gemessen werden kann. Daneben entstand 1989 die Idee, den Wohlstand eines Landes über einen Index of Sustainable Economic Welfare zu bestimmen.

Neben der Unverträglichkeit eines unendlich zunehmenden quantitativen Wachstums und einer endlichen, also begrenzten Welt kritisiert das Konzept, dass das ökonomische Wachstum, da es einzig die Produktion und den Verkauf von Gütern berücksichtigt, sowohl zum wirtschaftlichen Ungleichgewicht innerhalb ökonomisch entwickelter Staaten (Arm und Reich) sowie zwischen Nord und Süd beitrage, allgemein die soziale Polarisierung bis zur Zersetzung fördere und zu vermeidbarer Umweltverschmutzung führe. Hieraus wird geschlossen, dass die derzeitige Zielsetzung westlicher Gesellschaften auf ökonomisches Wachstum den humanitären Werten und Bedürfnissen, die unseren Gesellschaften zugrunde liegen, widersprechen.

Zur Begründung der Kritik an einem ewig anhaltenden Wirtschaftswachstum dient das Argument, dass sich die Ökonomen, seien sie nun liberal, marxistisch oder malthuistisch, noch nicht aus dem Denken des 19. Jahrhunderts befreit haben, welches die Natur als unerschöpflich ansah. Ihre ökonomischen Modelle seien deshalb idealisiert und aus der Wirklichkeit herausgeschnitten.

Da vor allem in westlich geprägten Staaten sowie in den fernöstlichen Tigerstaaten und in Japan der ökologische Fußabdruck längst überschritten ist, bedeutet dies für deren Bewohner, ihren Konsumverbrauch hinsichtlich physischer Güter und Energie zu reduzieren. Dies bedeute aber keine Verschlechterung der Lebensqualität oder der „Freude am Leben“ (Nicholas Georgescu-Roegen), nach der jeder Mensch trachtet. Im Gegenteil würde die Reduzierung des Konsums und damit der Produktion die Arbeiter von überflüssigen Aufgaben befreien und den Arbeitsstress vermindern. Hierin knüpft das Konzept an die Ideen der New Work-Bewegung an, die in der Befreiung von Lohnarbeit neue positive Kräfte zu freiwilliger, erfüllender Arbeit erkennt. Langfristig würde dies allen erlauben, in einer gesunden, saubereren Umwelt zu leben. Eine notwendige Vorbedingung dieser Rücknahme wird die Einführung eines Wirtschaftssystems sein, das kein ständiges Konsum- und Produktionswachstum benötigt, um sein Überleben abzusichern.

Wachstumsrücknahme und Entwicklung

Die Wachstumsrücknahme begreift sich als Alternative einerseits zur (neo)liberalen ökonomischen Lehre als auch zum Begriff der nachhaltigen Entwicklung. In der Tat diene die Formel Nachhaltiges Wachstum oder Nachhaltige Entwicklung vielen wirtschaftlichen Unternehmen als pässliche Formulierung, um vorzugeben, die Auswirkungen ihres Handelns auf die Umwelt bei entsprechenden Entscheidungen zu berücksichtigen. So erklärte Michel de Fabini, Präsident von BP Frankreich, laut Protokoll des vierten Treffens von Parlamentariern zu Fragen über die Energie am 11. Oktober 2001: „Das nachhaltige Wachstum bedeutet in erster Linie, mehr Energie in Form von Öl, Gas und, vielleicht, Kohle und Nuklear und natürlich erneuerbarer Energien zu produzieren. In der gleichen Zeit muss man absichern, dass dies nicht zu einer weiteren Schädigung der Natur führt.“ Die weitverbreitete und fälschliche Verwendung des selben Ausdrucks durch Ökologen und Naturschutzverbände legitimiere ihn und lenke von seinem Widerspruch ab.

Wachstum um des Wachstums willen

Eine wichtige Komponente der Wachstumsrücknahme stellt die Inventur der technischen Erfindungen dar, die unser Leben vereinfachen sollen. Der Nutzen eines überwältigenden Teils technischer Neuerungen stelle laut Kritikern keinen Fortschritt im Sinne eines besseren und einfacheren Lebens dar, sondern diene lediglich der Aufrechterhaltung eines stetigen ökonomischen Wachstums. Ein augenscheinliches Beispiel ist das Mobiltelefon mit integriertem Fotoapparat. Dieses Produkt stelle an sich keine Steigerung des Lebensstandards dar, erzeuge jedoch, gestützt von massiver Werbung, eine künstliche Nachfrage. Sei der Kauf eines Mobiltelefons mit integriertem Fotoapparat noch eine relativ freie Entscheidung des Konsumenten, so werde in anderen Bereichen nach Meinung der Kritiker eine künstliche Nachfrage erzwungen. Ein Beispiel hierfür sei der Zwang irakischer Bauern, gentechnisch manipulierte Saat einzukaufen, statt ihr traditionelles kostenloses Saatgut zu verwenden[3]. Neben den ökologischen Risiken geben Wachstumsgegner zu bedenken, dass solche Eingriffe in die Gesellschaft einzig dem Ziel dienten, Umsatz und Gewinne der Produzenten zu steigern und die Konsumenten, in diesem Fall die Bauern, in die Abhängigkeit zu treiben. Da laut Herstellern gentechnisch verändertes Saatgut nicht fortpflanzungsfähig ist, muss es jährlich neu eingekauft werden. Das Ziel solcher Handlungen sei in solchen Fällen das Wachstum an sich.

Ein weiterer Kritikpunkt ist die zunehmende Automatisierung bei den Herstellungsverfahren. Eine effizientere Herstellung führt zu höheren Gewinnen und zu Wachstum bei den Unternehmen, die Gesellschaft jedoch sei gezwungen, die negativen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt zu tragen. Gestützt durch technische Entwicklungen würden zunehmend auch Arbeiten mechanisiert, die traditionell von Handwerkern ausgeführt wurden. Diese Automatisierung und Mechanisierung vermindert die Nachfrage an Arbeitskräften und erzeugt Zwänge, ständig neue Bedürfnisse zu erfinden (siehe oben), die zu neuen Arbeiten führen, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, da hohe Arbeitslosigkeit das herrschende System in Frage stellen könnte. Somit wird ökonomisches Wachstum zur Voraussetzung der Vermeidung von Arbeitslosigkeit (siehe auch Zitat J.K. Galbraith). Gerade diesen Teufelskreis gälte es zu durchbrechen. Der theoretische Standpunkt der Wachstumskritiker in diesem Punkt ist, dass eine von Rechnern und Maschinen geschaffene Welt nicht lebenswerter sein könne als eine von Menschenhand geschaffene. Die im Zuge des Effizienzdenkens zwangsläufige Übertragung von immer mehr Arbeiten vom Menschen auf die Maschine müsse durch ein Umdenken und eine neue Wertschätzung menschlicher, körperlich zumutbarer Arbeit aufgehalten und umgekehrt werden.

Wachstum und Effizienz

Die derzeitigen wirtschaftspolitischen Programme sehen die Lösung des Problems hauptsächlich in der effizienteren Nutzung nicht erneuerbarer Rohstoffe, wenn auch ein langsames Umschwenken von Investitionen auf erneuerbare Energien zu beobachten ist. Einige Expertengruppen sind der Meinung, die aktuelle Effizienz um den Faktor 4 steigern zu können. Andere sprechen sogar von einem Faktor 10[4]. Wachstumskritiker richten sich gegen solches Denken, da bei exponentiellem Wachstum jede verbesserte Effizienz in kurzer Zeit wieder ausgeglichen wird und die gleiche Verschmutzung und Zerstörung wie vor der Effizienzerhöhung entsteht (siehe dazu auch Jevons' Paradoxon). Außerdem geben sie zu bedenken, dass jegliche technische Verbesserungen, die zu mehr Effizienz führen, auf der so genannten Flucht nach vorn basieren, was bedeutet, dass jedes Problem einer aktuellen Technik mit einer neuen Technik behoben wird und deren Probleme wiederum mit einer neuen usw. Des Weiteren ist für die Befürworter einer Wachstumsrücknahme mehr Effizienz insofern keine Lösung, da jeder Fortschritt in diese Richtung der derzeitigen Logik zufolge sofort genutzt werden muss, um die Güterproduktion zu steigern und somit erneut zu verschmutzen. Darüber hinaus verschlingt die Forschung für diese neuen Technologien riesige finanzielle Summen, und das notwendige Geld müsse auch erstmal mit der aktuellen technischen Effizienz erwirtschaftet werden, was zu zusätzlicher Zerstörung der Umwelt führt.

Diskussion

Versagen der negativen Rückkopplung

Gegner der Wachstumsrücknahme argumentieren, dass der technische Fortschritt die Probleme der Umweltverschmutzung irgendwann lösen werde. Die Wachstumskritiker verweisen jedoch auf die verstärkende Rückkopplung (Teufelskreis) vieler Fortschrittstechnologien, was an folgenden Beispielen erläutert werden soll:

  • Die Einführung der Informatik und Netzwerke ließ in ihrer Anfangsphase hoffen, sich des Mediums Papier als Informationsträger zu entledigen. Statt einer Abnahme des Papierverbrauchs hat die Einführung des Druckers und die somit einfache und oft unnötige Vervielfältigung zu einem Anstieg des Papierverbrauchs geführt (verstärkende Rückkopplung). Auch viele Bücher über Informatik sind am Tag ihrer Erscheinung meist schon überholt und ihr Wissen ist kostenlos im Internet abrufbar. Somit hat die Informatik dazu beigetragen, den Papierverbrauch zu erhöhen.
  • Ein weiteres Beispiel ist das Auto: Heute ist man in der Lage, Autos mit niedrigerem Spritverbrauch zu konstruieren. Da jedoch ihre Anzahl (und die zurückgelegten Kilometer) wächst, wächst auch die Verschmutzung (auch durch zusätzliche Staus). Weitere Faktoren sind das ständig steigende Gewicht und Leistung vieler Fahrzeuge, welche den Verbrauch zusätzlich in die Höhe treiben.
  • Auch bei der Wiederverwertung und Entsorgung reicht der technische Fortschritt nicht, dem ständig wachsenden Müllaufkommen zu begegnen (ein Zahlenbeispiel aus Québec[5]).

Die Befürworter einer Wachstumsrücknahme bringen dieses Schema auf folgenden Nenner: Wenn wir es schaffen, weniger belastendere Güter mit einem geringeren Einsatz von Rohstoffen zu produzieren, so führt dies zwangsläufig zu einer Steigerung produzierter Einheiten. Dies führt im Endeffekt zu einer erhöhten Verschmutzung (siehe oben Wachstum und Effizienz). Die verstärkende Rückkopplung widerlege auch die Theorie, derzufolge es ein erhöhtes Wachstum gestatten werde, bestimmte verschmutzende Produktionsweisen zu verringern oder gänzlich zu beseitigen. Da jede neue Technologie, die sauber produziert, auf Wachstum beruht, führe dies zwangsläufig zu einem steigenden Bedarf an Energie und Rohstoffen, der immer größer ist, als es die aktuelle Technik hergibt.

Wachstum und Neuer Markt

Eine große Hoffnung auf sauberes Wachstum wurde in den Neuen Markt und die IT gesteckt. Dank der Schaffung von Arbeitsplätzen, die ausschließlich einen Rechner und eine Internetverbindung benötigen, sei es möglich, Wachstum ohne Umweltzerstörung zu erzeugen. In der Praxis stellte sich jedoch heraus, dass die neuen Technologien die alte, verschmutzende Industrie lediglich ergänzten und die Schädigung des Ökosystems durch ihre effizientere Nutzung nur noch weiter beschleunigten. Hinzu kommt, dass ohne eine verschmutzende Industrie als Fundament keine Informatik und keine weltweiten Netzwerke funktionieren. Oft werde bei dieser Argumentation übersehen, welch massive Infrastruktur bei dem Versenden einer einzelnen E-Mail in Anspruch genommen würde (Satelliten, Unterseekabel, Zentralrechner, etc.). Diese Infrastruktur muss geschaffen und unterhalten werden, was die saubere Bilanz moderner Kommunikationswerkzeuge erheblich trübe.

Kapitalismus als Regelungswerkzeug?

Einer Theorie zufolge werden die kapitalistischen Mechanismen dafür sorgen, knappe Rohstoffe durch andere zu ersetzen, die reichlicher vorkommen. Die Signale zum Wechsel werden durch den Preis gesetzt, welcher ansteige, sobald ein Rohstoff nicht mehr ausreichend vorhanden ist. Dieser Idee entgegnen Wachstumskritiker, dass der Ersatz eines Rohstoffes durch einen anderen das Problem nicht löse, sondern es nur verlagere (der einzige beinah unbegrenzt vorhandene Rohstoff ist die Energie der Sonne). Außerdem nehme der erzwungene Wechsel eines Rohstoffes durch den Preis keine Rücksicht auf die Schäden, die bis zum Ausgehen dieses Rohstoffes entstehen. So führt beispielsweise die allmähliche Knappheit von Rohöl zu steigenden Preisen und zur Erforschung alternativer Energieträger. Nur ist es ungewiss, ob ein Wechsel noch rechtzeitig kommt, um irreversible Schäden am Klima zu verhindern, denn die Triebfeder ist nicht der Wille, drohende Katastrophen abzuwenden, sondern einzig der Preis.

Wachstum und Dienstleistungen

Als mögliche Lösung aus dem umweltzerstörenden Wachstum gilt die Entwicklung, derzufolge das Wachstum des BIP mehr und mehr an den nicht so verschmutzenden und keine Rohstoffe verbrauchenden Dienstleistungssektor gebunden ist. Von Wachstumskritikern wird diese Entwicklung jedoch mit Sorge betrachtet, da die Dienstleistung als Vermarktung von ehemals zwischenmenschlichen Beziehungen angesehen wird. Die zunehmende zwischenmenschliche Entfremdung würde das einzelne Individuum nicht etwa freier und unabhängiger machen, sondern lediglich aus traditionellen Bindungen herauslösen und in institutionelle Abhängigkeiten treiben. Diese Institutionen, immer mehr in privater Hand, funktionieren nach den Gesetzen der Ökonomie und müssen somit effizient betrieben werden. Da nun der finanzielle Gewinn über den Erfolg der Institution bestimmt, entstehen teilweise unerträgliche Situationen beispielsweise in Altersheimen[6]. Aber auch nach Gesundheitszustand wählbare Krankenkassenbeiträge zeugten von einer sinkenden Solidarität innerhalb einer Gemeinschaft. Zusammen mit der durchdringenden Technisierung der Gesellschaft und der fortschreitenden Spezialisierung eines jeden ihrer Mitglieder führten solche institutionalisierten und effizienzgesteuerten Umgangsformen zu einer sterilen und gefühlskalten Wirklichkeit innerhalb solcher Gesellschaften.


Décroissance als Faktum akzeptieren

Die Finanz- und Wirtschaftskrise seit 2008 stellt die Vertreter der Wachstumsrücknahme ebenso wie deren Gegner vor ganz neue Fragen: Wachstum endet faktisch bzw. geht in Schrumpfung über. Shrinking Cities schrumpfen nicht auf Grund eines Imperativs, dem Rückgang der Geburtenraten entspricht kein vorangehendes Konzept, das Schrumpfen der Wahlbeteiligung will eigentlich niemand. Noch mehr trifft dies auf die vorherrschende Wirtschaft und Wirtschaftswissenschaft zu. Es kommt dann, anders als in bisherigen Konzepten, auf das Konstatieren und Einordnen von Fakten des Schrumpfens an. Das Imperative muss aber nicht wegfallen zugunsten von Resignation (bei den einen) bzw.Genugtuung (bei den anderen). Sondern aus dem Feststellen soll ein Akzeptieren, aus diesem ein Steuern und Meistern werden. So der Ansatz von Hans-Peter Gensichen 2008 und 2009. Die bekannte Formulierung von Antonio Gramsci, der "die versteinerten Verhältnisse zum Tanzen bringen" wollte, spricht Gensichen um: Das Taumeln der Verhältnisse in ein Tanzen verwandeln. Das drückt nichts anderes als einen Paradigmenwechsel aus.

Umsetzung

Theorie

Die Befürworter einer Wachstumsrücknahme argumentieren, dass eine Wachstumsverlangsamung mit folgender Abnahme zwangsläufig bevorstünde, da die Belastbarkeit der Erde sowie die Akzeptanz in der Gesellschaft kein weiteres Ausbeuten zuließen. Beispielsweise werden aufgrund des nahenden bzw. schon eingetretenen Ölfördermaximums jegliches weitere Wirtschaftswachstum ausgeschlossen und Verteilungskämpfe und Hungersnöte vorausgesagt, falls die Wachstumsideologie nicht durch zukunftsfähige Gesellschaftssysteme ersetzt werde. Die Frage sei also nur, wie und nicht ob eine Wachstumsrücknahme umzusetzen sei. Ohne eine komplette Neuorientierung insbesondere der westlichen Gesellschaften und ihrer Ziele müsse ein wirtschaftliches Minus- oder Neutralwachstum in Konflikte münden, da dies bei den bestehenden Arbeitszeit- und Einkommensregelungen zu Verlusten von Arbeitsplätzen und der Verarmung breiter Schichten führe.

Erste notwendige Schritte wurden 1992 im Forum der Nichtregierungsorganisationen in Rio de Janeiro vorgestellt. Demzufolge ließe sich die Voraussetzung in sechs Ziele packen: Neubewerten, Umstrukturieren, Umverteilen, Reduzieren, Wiederverwenden, Recyclen. Diese sechs miteinander verwobenen Ziele seien imstande, einen circulus virtuosus [dt. tugendhafter Kreis, im Gegensatz zum engl. „vicious circle“, Teufelskreis] auszulösen, der in seiner Folge zu einer drastischen Arbeitszeitverkürzung führen werde. Jacques Ellul, einer der Vordenker der Wachstumsrücknahme, nennt eine theoretisch angemessene Zeit von zwei Stunden täglich[7]. Außerdem seien eine Relokalisierung der Wirtschaft und deren weitgehende Befreiung von internationalen Abhängigkeiten[8] notwendig. Auch das Konzept des Nationalstaats wird in Frage gestellt, die lokale Organisation könne nicht von nationalen Parteien von oben befohlen werden, sondern müsse sich regional entwickeln. Latouche nennt eine Grenze von 30.000 Menschen, die so unabhängig verwaltet würden[9].

Aktionen

  • Um für die Umsetzung dieser Änderungen im Denkmuster ihrer Mitbürger zu werben, organisierte das Institut für ökonomische und soziale Studien für nachhaltige Wachstumsrücknahme vom 7. Juni bis 3. Juli 2005 einen sogenannten Marsch der Wachstumsrücknahme, der von Lyon bis nach Magny-Cours führte[10].
  • Alljährlich findet meist einen Monat vor Weihnachten der weltweite Kauf-Nix-Tag statt. Teilnehmer sollen einen Tag lang nichts kaufen und sich stattdessen über die Auswirkungen des eigenen Konsumverhaltens Gedanken machen. Außerdem finden auf der ganzen Welt verschiedenste Aktionen statt, von der Straßenprotestaktion, über Tauschbasare bis hin zu Diskussionsrunden[11].

Zitate

  • „Wer glaubt, dass ein stetiges Wachstum in einer begrenzten Welt ewig dauern kann, ist entweder verrückt oder ein Ökonom.“ ( Kenneth Boulding)
  • „Deutschland, es geht um Wachstum.“ Angela Merkel, DIE WELT, 13. Juli 2005, in Antwort auf die Aufforderung, das 38seitige Regierungsprogramm der Union auf einen Satz zu verkürzen
  • „Die Wachstumsrücknahme bietet kein schlechteres Leben, sondern ein besseres mit weniger Gütern und mehr Beziehungen.“(... moins de bien, plus de lien ..., Charte de la décroissance)
  • „Niemand muss Ökonom sein, um zu begreifen, dass ein Individuum oder eine Gemeinschaft, welche die Mehrheit seiner Ressourcen aus seinem Kapital und nicht aus seinen Einkünften zieht, zum Bankrott verurteilt ist. Genau dies jedoch tun westlichen Gesellschaften, da sie aus den natürlichen Ressourcen des Planeten schöpfen, ohne sich über die Zeit klar zu sein, die diese brauchen, um sich zu erneuern. Nicht zufrieden mit der Plünderung dieses Kapitals verleitet unser ökonomisches Modell, basierend auf dem Wachstum, zu einem konstanten Anstieg dieser Entnahme.“ (Bruno Clémentin und Vincent Cheynet)
  • „Wenn man von Rom nach Mailand mit dem Zug fahren will und merkt, dass dieser in Richtung Neapel fährt, nutzt es nichts, die Geschwindigkeit zu verlangsamen, man muss aussteigen und in einen Zug mit entgegengesetzter Richtung umsteigen.“ (Serge Latouche)
  • „Wachstum um des Wachstums willen ist die Ideologie der Krebszelle.“ (Edward Abbey)
  • „Jeder Tag weiter bestehenden exponentiellen Wachstums treibt das Weltsystem näher an die Grenzen des Wachstums. Wenn man sich entscheidet, nichts zu tun, entscheidet man sich in Wirklichkeit, die Gefahren des Zusammenbruchs zu vergrößern.“ Dennis L. Meadows, Die Grenzen des Wachstums, 1972
  • „In neuerer Zeit ist Wachstum zum wichtigsten Heilmittel gegen Arbeitslosigkeit geworden.“ John Kenneth Galbraith in Die moderne Industriegesellschaft
  • „Der Grund für dieses verzweifelte Sichblindstellen liegt in einem Wirtschafts- und Finanzsystem, das inzwischen alle Merkmale einer veritablen Karzinombildung angenommen hat: Es muß ständig wachsen, um zu existieren. Dieses Prinzip gilt für den ehemaligen Staatskapitalismus ebenso wie für dennoch existierenden Privatkapitalismus.(...) es hat keinen Zweck, an den erschreckenden Folgesymtomen herumzuflicken: Das ganze Wirtschaftssystem muß eben geändert werden. Aber das kann man nicht, oder man will es auch gar nicht.
    Ich bin überzeugt, daß die großen Wirtschaftsleute und die verantwortlichen Politiker aller Lager dieses Problem längst sehen - aber sie schweigen. Sie wagen nicht darüber öffentlich zu sprechen. Denn eine Partei, die ernsthaft eine Alternative, das heißt nichtkapitalistische Wirtschaftsform auf ihr Programm setzen würde, wäre aus mancherlei Gründen sehr schnell weg vom Fenster. Sie würde wohl nicht einmal Wähler finden. Also werden es, wie ich fürchte, die Ereignisse sein, die uns belehren.
    Auf einem Dampfer, der in die falsche Richtung fährt, kann man nicht sehr weit in die richtige Richtung gehen.“ Michael Ende 1994
  • „Das politische System unseres Landes beruht auf Annahmen, die mit der Lebenswirklichkeit nicht länger vereinbar sind; auf der Annahme nämlich, daß ein stetes exponentielles Wachstum der materiell verfügbaren Ressourcen, des materiellen Bruttosozialproduktes, dauerhaft möglich ist. Sämtliche seiner wesentlichen Grundlagen, Strukturen, Verhaltensweisen und Erwartungen sind durch diese Annahme inhaltlich geprägt. Sein Geldsystem und die Marktwerte der Güter- und Dienstleistungen beruhen auf ihr...
    Wer die Möglichkeit dauerhaften exponentiellen Wachstums leugnet, gefährdet deshalb das gegenwärtig reale demokratische Herrschaftssystem ebenso wie die Beweise Galileis das damalige Herrschaftssystem der Kirche gefährdeten.“ Kurt Biedenkopf auf der 56. Physikertagung Berlin, 1992

Einzelnachweise

  1. S. Latouche, Minuswachstum: Die falsche Kritik der Alternativökonomen in der TAZ
  2. Hartmut Bossel: Indicators for Sustainable Development (Theory, Method, Applications), 1999, ISBN 1895536138
  3. A. Bauer, Patente statt Bomben in FREITAG
  4. Institut des Faktor 10 (Englische Seite)
  5. Bilanz der Abfallverwaltung in Québec im Jahr 2002 (PDF in französischer Sprache)
  6. Verein Menschenrechte SCHWEIZ: Tatort Altersheim
  7. S. Latouche, Circulus virtuosus in Le Monde Diplomatique Deutschland
  8. Positionspapier des BUND: Zukunftsfähig wirtschaften, Alternativen zu einer wirtschaftlich dominierten Globalisierung (PDF, 125 kB)
  9. S. Latouche, Nachdenken über ökologische Utopien in Le Monde Diplomatique Deutschland
  10. Institut d'études économiques et sociales pour la décroissance soutenable (Französische Seite)
  11. Deutsche Internetseite zum Kauf Nix Tag

Literatur

Deutsch

Französisch

  • Michel Bernard, Vincent Cheynet, Bruno Clémentin: Objectif décroissance, vers une société harmonieuse, Edition Parangon, ISBN 2-84190-121-1
  • René Coste, Jean-Pierre Ribaut: Les nouveaux horizons de l'écologie - Dans le sillage de Rio, Colloque organisé par Pax Christi, Centurion, Paris 1993, ISBN 2-227-31585-7
  • Nicholas Georgescu-Roegen: La décroissance Entropie-Écologie-Économie Zum kostenlosen Herunterladen mit Genehmigung des Rechteinhabers
  • Serge Latouche: Justice sans limites. Le défi de l’éthique dans une économie mondialisée. Fayard, 2003, ISBN 2-213-61499-7
  • Serge Latouche: Survivre au dévéloppement, Mille et une nuits, Paris 2004, ISBN 2-84205-865-8

Weblinks

Siehe auch

Tiefenökologie

Kategorie:Ökologie Kategorie:Globalisierungskritik Kategorie:Politologie