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ito noe
ITO NOE
(21.01.1895-16.09.1923)
japanische Anarchafeministin
"Früher war die Frau die Sonne, war wahrer Mensch. Jetzt ist die Frau der Mond. der Mond, der bleichgesichtig ist wie ein Kranker, der durch einen anderen lebt und im Lichte eines
anderen glänzt."
Die offizielle Geschichte des japanischen Anarchismus wird von Männern wie Kotoku , Osugi und Tsuji dominiert.Die Frauen, wie Kanno Suga, die zusammen mit Kotoku hingerichtet wurde, sind Randnotizen. Über eine dieser Fußnoten, Ito Noe, berichtet die folgende Episode(s.dazu [1]
Die ersten Jahre ihres Lebens verbrachte sie in einer völlig verarmten Kaufmannsfamilie in einem kleinen Dorf auf der südlichen Insel Kyushu.Ihren Vornamen "Noe" - "wilder Ast" oder "wilde Blume" wählte sie selbst. Mit 10 Jahren wird sie von ihrem Onkel nach Nagasaki geholt. Sie besucht dort die Mittelschule, anschließend ein Mädchengymnasium in Tokio. Doch schon in dieser Zeit arrangieren ihre Eltern die übliche Zwangsheirat. Während der Verlobungsfeier kann Ito Noe aber flüchten und findet bei ihrem Englischlehrer - Jun Tsuji - Unterschlupf. Er wird ihr erster Geliebter. Jun Tsuji, Individualanarchist und späterer Übersetzer von "Der Einzige und sein Eigentum" wurde auf Grund dieser Beziehung von der Schule entlassen. Nun sorgte Noe, gerade 20 Jahre alt, für den Unterhalt der Familie.Sie suchte sich - ihr Kind auf den Rücken geschnallt - Arbeit in Redaktionen und Arbeitskreisen, hielt Vorträge und schrieb Artikel. Sie nahm nun mehr und mehr ihr Schicksal und das ihrer Kinder selbst in die Hand und trennt sich von Tsuji.
"Fünf Jahre lang wurde ich, die ich bis zur Ehe mit ihm ein unwissendes Kind war, von ihm geführt, von ihm ausgebildet und irgendwie von ihm erzogen... aber als ich begann, ihm allmählich wie ein selbständiger Mensch entgegenzutreten, wurde uns klar, dass wir zwei völlig verschiedene Menschen waren"
Schon während der Schulzeit hatte Noe die Schriftstellerin Hiratsuka Raicho kennen gelernt, die eine Zeitschrift namens „Seito“(Blaustrumpf) herausgab. Nun begann sie am Magazin mitzuarbeiten, schrieb sozialkritische Beiträge und Kurzgeschichten. Zwei Jahre später – 1914 – wurde sie Herausgeberin und Chefredakteurin. Ab Januar 1915 war sie praktisch die Gesamtverantwortliche. Ihr Name und ihre libertären Ansichten wurden ein Synonym für die Zeitschrift. Ihre Botschaft richtete sich nach Inhalt und Form weitgehend an die Frauen. Immer wieder beschrieb sie ihre eigene Lebenssituation und das Leben der Frauen, die Opfer von sozialen Spannungen waren, von Arbeiterinnen und allein stehenden Angestellten. . "Ich möchte ab nächsten Monat regelmäßig eine einseitige Frauenspalte einrichten, die , wenn möglich, die feurigen Reden von euch Arbeiterinnen bringen soll. Ich möchte sie alle bitten, wenn sie nur irgendetwas schreiben können, Artikel zu senden, um damit diese Spalte zu füllen."
Sie übersetzte auch die Schriften der amerikanischen Anarchistin Emma Goldmann. .
Ito traf auf Osugi Sakae zu einer Zeit, als die Repression gegenüber Anarchisten und Sozialisten sehr hart war. die Genossen und Genossinnen splitterten sich auf und suchten individuell Schutz gegen die Geheimpolizei. Osugi kämpfte gegen diese Vereinsamung an. Er gab mit zwei anderen eine Zeitschrift "Modernes" Denken" heraus und führte Diskussionen in kleinen Zirkeln. Ito wurde seine Geliebte und Frau Nummer Drei. War er doch verheiratet und lebte mit der Journalistin Kamichika Ichiko zusammen
Wirtschaftliche Unabhängigkeit, getrenntes leben, Respekt vor der gegenseitigen - auch der sexuellen - Freiheit - war seine Theorie, mit denen er seine verschiedenen vor allem sexuellen Beziehungen den libertären Anstrich gab.
Die Konstellation (3 Frauen ein Mann) war nicht ungewöhnlich.
Seine Theorie wich zwar von der sonstigen Praxis ab und sollte die traditionelle Vorstellung von der Überlegenheit des Mannes und der Minderwertigkeit der Frau in Frage stellen, In der Realität verhielt er sich aber ähnlich patriarchalisch wie die kritisierte Gesellschaft .Ließ sich finanziell aushalten und verreiste bei notwendigen Diskussionen zu wichtigen Konferenzen. .Dieses kehrte sich dann auch gegen ihn, als Kamichika versuchte ihn umzubringen.als versuch, ihren Zorn über dieses widersprüchliche Verhalten von Osugi auszudrücken.
"Viele Männer können sich nicht von dem Gedanken ihrer angeblichen eigenen Wichtigkeit trennen, und so benutzten sie die freie liebe, um ihr egoistisches verhalten zu legitimieren"
Kamichika vollzog ihren Versuch, eine reale Veränderung des hier anarchistischen Mannes nur individuell, machte ihn nicht öffentlich zum Thema.
Die nachfolgenden Angriffe vor allem gegen Noe kümmerte diese wenig.
Sie suchte nun vor allem den Kontakt zu den wirklichen Prostituierten, um über ihre grauenvollen Lebensverhältnisse zu berichten. In ihren Texten warb sie um Verständnis für diese Frauen.
„Eine Bekannte, die auch dieses ‚Gewerbe’ ausübte, erzählte mir, dass ihr betagter Vater krank wurde und ihre Mutter starb, als sie siebzehn Jahre alt war, sie mit zwei kleinen Brüdern von drei und fünf Jahren übrig blieb, sie weder aus noch ein wusste und deshalb in diese schmachvollen Lebensumstände herabsank.“
--- Die Einführung der kapitalistischen Produktionsweise ab 1880 bedeutete keine Aufhebung der leibeigenschaftlichen Abhängigkeit der Frauen von Familie, Fabrik oder Bordell. Die feudale patriarchalische Familie behielt die Schlüsselfunktion als Grundnorm sozialer Beziehungen zwischen oben und unten, Eltern und Kindern, Frau und Mann. da viele Bauern noch für ihren Eigenkonsum produzierten und wenig Zugang zu Geld ´hatten, verloren sie oft ihr Land an die Großgrundbesitzer, als die Regierung Bodensteuern erhob. Bis 1882 waren 70 Prozent der Fabrikarbeiter Frauen, bis 1905 60%. in der Textilindustrie gab es fast nur Frauen. Spezielle Anwerber zogen in die Dörfer und rekrutierten Bauernmädchen gegen eine bestimmt Summe, für drei bis fünf Jahre Fabrikarbeit. Die Arbeitsbedingungen waren drückend .Tag- und Nachtschichten von 10 -12 Stunden in feuchter Staubluft. Die jungen Frauen wurden kaserniert und überwacht. Die Einbeziehung der Frauen bedeutete also nicht die Befreiung sondern verstärkte ihre Abhängigkeit. Aus den gleichen Ursachen, Verarmung der Bauernhaushalte -- verkauften sich die Frauen in die Bordelle ---
Ihre weitere Geschichte bleibt mit Osugi verknüpft.Sie gaben gemeinsam die Zeitschrift "Kritik der Zivilisation" heraus, und die anarcho-syndikalistische Zeitung (Arbeiterbewegung).verfassten Biografien über Emma Goldmann und Kropotkin. Der Versuch, mit Arbeiter und Arbeiterinnen zusammenzuleben, scheitere allerdings kläglich.
1923 wurde sie, zusammen mit Osugi Sakae, von Militärs ermordet. Ito Noe wurde nur 28 Jahre alt. Nach dem großen Erdbeben am 1. September 1923 in der Umgebung von Tokio wurde die Bevölkerung in Katastrophenstimmung versetzt, die Stimmung gegen Koreaner und Chinesen geschürt, Aggressionen entluden sich in Pogromen. Kritische Zeitungsartikel wurden verboten, Sozialisten verhaftet. Osugi Sakae und Ito Noe(auf der schwarzen Liste der Geheimpolizei ganz oben) wurden am 16. September 1923 festgenommen und am gleichen Abend in einer Polizeiwache ermordet. Ihre Leichen wurden in einen Brunnen geworfen und erst am 19. September wieder hervorgeholt. Im Dezember fand trotz der Repressalien eine Trauerfeier statt, an der etwa 700 Personen teilnahmen. ***
Literatur:
Ito Noe: Wilde Blume auf unfreiem Feld (Berlin 1978)