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abstrakte Arbeit
Abstrakte Arbeit: Realabstraktion und Geltungsverhältnis
Marx unterschied zwischen "konkreter" und "abstrakter" Arbeit. Um zu verstehen, was es mit dem spezifisch gesellschaftlichen Charakter Waren produzierender Arbeit auf sich hat, müssen wir uns mit der Unterscheidung von "konkreter" und "abstrakter" Arbeit auseinandersetzen. Marx selbst bezeichnete dies als den "Springpunkt ist, um den sich das Verständnis der politischen Ökonomie dreht". (MEW 23, S. 56)
Worum geht es? Wenn Ware etwas Doppeltes ist, Gebrauchswert und Wert, dann muss auch die Waren produzierende Arbeit einen Doppelcharakter besitzen, es ist die Arbeit, die nicht nur Gebrauchswert, sondern auch Wert produziert (wichtig: nicht jede Arbeit besitzt einen Doppelcharakter, sondern nur Waren produzierende Arbeit).
Die qualitativ verschiedenen "konkreten Arbeiten" produzieren qualitativ verschiedene Gebrauchswerte: Tischlerarbeit produziert einen Stuhl, Leinweberarbeit produziert ein Leintuch etc. Wenn wir "eine Arbeit lernen", lernen wir die Besonderheiten einer konkreten Tätigkeit, wenn wir eine Person arbeiten sehen, dann sehen wir sie eine konkrete Arbeit ausführen.
Wert wird aber nicht von einer bestimmten konkreten Arbeit gebildet, oder durch einen bestimmten Aspekt der konkreten Arbeit. Jede Arbeit, deren Produkt (das auch eine Dienstleistung sein kann) getauscht wird, produziert Wert. Als Werte sind die Waren qualitativ gleich, daher müssen auch die verschiedenen Arbeiten, die Werte produzieren, als qualitativ gleiche menschliche Arbeit gelten. Tischlerarbeit produziert nicht als Tischlerarbeit Wert (als Tischlerarbeit produziert sie einen Stuhl), sondern sie produziert Wert als menschliche Arbeit, deren Produkt mit dem Produkt von anderer menschlicher Arbeit getauscht wird. Tischlerarbeit produziert Wert also gerade in Abstraktion von ihrer konkreten Gestalt als Tischlerarbeit, Marx spricht daher von Wert produzierender Arbeit als "abstrakter Arbeit".
Abstrakte Arbeit ist demnach keine besondere Art der Arbeitsverausgabung, etwa eintönige Fließbandarbeit im Unterschied zu handwerklich gehaltvoller Tischlerarbeit. Als Gebrauchswert bildende Arbeit ist monotone Fließbandarbeit genauso konkrete Arbeit wie Tischlerarbeit. Wert bildend ist Fließbandarbeit (ebenso wie Tischlerarbeit) nur als gleiche menschliche Arbeit, also in Abstraktion von ihrem konkreten Charakter, oder kurz: Wert bildend ist Fließbandarbeit ebenso wie Tischlerarbeit nur als abstrakte Arbeit.
Abstrakte Arbeit ist nicht sichtbar, sichtbar ist immer nur eine bestimmte konkrete Arbeit. Genauso wenig ist "Baum" sichtbar, sehen kann ich immer nur ein konkretes Gewächs. Bei abstrakter Arbeit handelt es sich zwar um eine Abstraktion wie bei "Baum", allerdings um eine ganz andere Art von Abstraktion. Normalerweise werden Abstraktionen im menschlichen Denken gebildet. Wir beziehen uns auf die Gemeinsamkeit der individuellen Exemplare und bilden dann einen abstrakten Gattungsbegriff (wie z.B. "Baum"). Bei abstrakter Arbeit handelt es sich aber nicht um eine solche "Denkabstraktion", sondern um eine "Realabstraktion", d.h. um eine Abstraktion, die im wirklichen Verhalten der Menschen vollzogen wird, unabhängig davon, ob sie dies wissen oder nicht.
Im Tausch wird vom Gebrauchswert der Waren abstrahiert, die Waren werden als Werte gleichgesetzt (der einzelne Käufer kauft natürlich nur, weil er an diesem Gebrauchswert interessiert ist, bzw. er unterlässt den Tausch, wenn er diesen Gebrauchswert nicht will; kommt es aber zum Tausch, dann werden die Waren als Werte gleichgesetzt). Erst indem die Waren als Werte gleichgesetzt werden, wird faktisch von der Besonderheit der sie produzierenden Arbeit abstrahiert, diese gilt jetzt nur als wertbildende "abstrakte" Arbeit. Die Abstraktion findet also real statt, unabhängig davon, was sich die beteiligten Warenbesitzer dabei denken.
Demnach ist es also erst der Tausch, der die Abstraktion vollzieht, die abstrakter Arbeit zugrunde liegt (unabhängig davon, ob sich die tauschenden Personen über diese Abstraktion im Klaren sind oder nicht). Dann kann sich abstrakte Arbeit aber auch nicht einfach durch Arbeitsstunden messen lassen: Jede mit der Uhr gemessene Arbeitsstunde ist eine Stunde einer ganz bestimmten konkreten Arbeit, verausgabt von einem bestimmten Individuum (und unabhängig davon, ob das Produkt der Arbeit getauscht wird oder nicht). Abstrakte Arbeit kann dagegen überhaupt nicht "verausgabt" werden. Abstrakte Arbeit ist ein im Tausch konstituiertes Geltungsverhältnis: Im Tausch gilt die verausgabte konkrete Arbeit als ein bestimmtes Quantum Wert bildender Gesamtarbeit.
Diese Geltung der privat verausgabten konkreten Arbeit als ein bestimmtes Quantum Wert bildender abstrakter Arbeit schließt drei verschiedene "Reduktionen" ein:
(1) Individuell verausgabte Arbeitszeit wird auf gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit reduziert. Als Wert bildend zählt nur die Arbeit, die unter durchschnittlichen Bedingungen zur Produktion eines Gebrauchswerts notwendig ist. Wie groß die durchschnittliche Produktivität aber ist, hängt nicht vom einzelnen Produzenten ab, sondern von der Gesamtheit der Produzenten eines Gebrauchswerts. Dieser Durchschnitt ändert sich beständig, sichtbar wird er erst im Austausch; erst jetzt erfährt der einzelne Produzent, inwieweit seine individuell verausgabte Arbeitszeit der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit entspricht.
(2) Im traditionellen Marxismus wurde eine technologisch bestimmte „gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit†meistens als die einzige Determinante Wert bildender Arbeit aufgefasst. Ob den produzierten Gebrauchswerten auch eine entsprechende zahlungsfähige Nachfrage gegenübersteht, schien für ihre Wertbestimmung keine Rolle zu spielen. Allerdings erinnerte Marx auch daran, dass man, um Ware zu produzieren, nicht einfach nur Gebrauchswert, "sondern Gebrauchswert für andere, gesellschaftlichen Gebrauchswert" produzieren muss (MEW 23, S. 55). Wurde insgesamt von einem Gebrauchswert z.B. dem Leintuch über den in der Gesellschaft vorhandenen (zahlungsfähigen) Bedarf hinaus produziert, dann heißt das, "dass ein zu großer Teil der gesellschaftlichen Gesamtarbeitszeit in der Form der Leinweberei verausgabt wurde. Die Wirkung ist dieselbe, als hätte jeder einzelne Leinweber mehr als die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit auf sein individuelles Produkt verwandt" (MEW 23, S. 122).
Wertbildend ist nur diejenige Arbeitszeit, die sowohl unter den durchschnittlich vorhandenen Produktionsbedingungen verausgabt wurde, als auch zur Befriedigung des zahlungsfähigen gesellschaftlichen Bedarfs notwendig ist. Inwiefern die privat verausgabte Arbeit zur Deckung des Bedarfs tatsächlich notwendig war, hängt einerseits von der Größe dieses Bedarfs ab, andererseits vom Produktionsumfang der anderen Produzenten – beides wird erst im Tausch sichtbar.
(3) Die einzelnen Arbeitsverausgabungen unterscheiden sich nicht nur in ihrem konkreten Charakter (als Tischlerarbeit, als Schneiderarbeit etc.), sie unterscheiden sich auch hinsichtlich der Qualifikation der dafür benötigten Arbeitskraft. "Einfache Durchschnittsarbeit" ist "Verausgabung einfacher Arbeitskraft, die im Durchschnitt jeder gewöhnliche Mensch" besitzt (MEW 23, S. 59). Was als Qualifikation der einfachen Arbeitskraft gilt und ob etwa Lesen und Schreiben oder Computerkenntnisse dazugehören, wechselt in den einzelnen Ländern und Kulturepochen, steht aber in einem bestimmten Land zu einer bestimmten Zeit fest. Die Arbeit höher qualifizierter Arbeitskraft ist "komplizierte" Arbeit. Sie gilt in höherem Maß wertbildend als einfache Durchschnittsarbeit. In welchem Ausmaß eine bestimmte Menge komplizierter Arbeit mehr Wert bildet als dieselbe Menge einfacher Arbeit wird auch wieder erst im Tausch sichtbar. Für das quantitative Verhältnis spielt allerdings nicht nur die von Marx betonte Qualifikation der Arbeitskraft eine Rolle (vgl. MEW 23, S. 211 f.); entscheidend sind auch gesellschaftliche Hierarchisierungsprozesse, die sich z.B. darin niederschlagen können, dass "Frauenberufe" einen geringeren Status als "Männerberufe" haben, wodurch wiederum beeinflusst wird, welche Tätigkeiten als "einfach" oder "kompliziert" gelten.
Inwieweit die privat verausgabte, individuelle Arbeit als Wert bildende abstrakte Arbeit gilt, ist das Resultat dieser drei im Tausch gleichzeitig erfolgenden Reduktionen.
Als Ergänzung noch mal einige Stichpunkte:
• Abstrakte Arbeit ist ein nur im Tausch existierendes gesellschaftliches Geltungsverhältnis.
• Es ist nicht das Geld, das die Waren vergleichbar macht, sondern dieser gemeinsame Bezug auf abstrakte Arbeit.
• Geld ist die "unmittelbare Existenzform" der abstrakten Arbeit (MEW 13, S. 42).
• Arbeit – genau gesprochen: abstrakte Arbeit – ist Substanz und immanentes Maß des Werts. Arbeit schafft Wert, hat aber selbst keinen.
• Konkrete Arbeit produziert Gebrauchswerte, abstrakte Arbeit Tauschwert.
• Die Menge abstrakter Arbeit lässt sich nicht vor, sondern nur im Tausch messen.