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Wirklichkeit
Objektiv oder subjektiv?
Ist Wirklichkeit unabhängig (Positivismus) oder abhängig (Konstruktivismus) vom Subjekt?
Parabel von Bertolt Brecht aus „Turandot oder der Kongress der Weißwäscher“:
- Der Lehrer
- Si Fu, nenne uns die Hauptfragen der Philosophie!
- Si Fu
- Sind die Dinge außer uns, für sich, auch ohne uns, oder sind die Dinge in uns, für uns, nicht ohne uns?
- Der Lehrer
- Welche Meinung ist die richtige?
- Si Fu
- Es ist keine Entscheidung gefallen.
- Der Lehrer
- Zu welcher Meinung neigte zuletzt die Mehrheit unserer Philosophen?
- Si Fu
- Die Dinge sind außer uns, für sich, auch ohne uns.
- Der Lehrer
- Warum blieb die Frage ungelöst?
- Si Fu
- Der Kongress, der die Entscheidung bringen sollte, fand, wie seit 200 Jahren, im Kloster Mi Sang statt, welches am Ufer des Gelben Flusses liegt. Die Frage hieß:
Ist der Gelbe Fluss wirklich, oder existiert er nur in den Köpfen? Während des Kongresses aber gab es eine Schneeschmelze im Gebirge, und der Gelbe Fluss stieg über seine Ufer und schwemmte das Kloster Mi Sang mit allen Kongressteilnehmern weg. So ist der Beweis, dass die Dinge außer uns, für sich, auch ohne uns sind, nicht erbracht worden.
Selbst wenn es eine objektive Realität gäbe, könnte sie also nicht objektiv als solche erkannt werden; daher ist Realität stets subjektiv.
Welche (subjektive) Realität ist wirklich?
Das Sprechen von "der Wirklichkeit" impliziert, dass es nur eine gibt. Diejenigen, die das nicht glauben (sic!), lesen bitte unter Realität; Realitäten gibt es viele.
- Unsichtbarkeit anderer Realitäten
Bei der Konstruktion der eigenen Realität sind Filter wirksam, die andere Realitäten ausblenden. Diese Filter haben gesellschaftliche Ursachen, und beruhen (insbesondere) auf dem Bedürfnis, ein stimmiges Bild der Realität zu besitzen, ohne alle Details einordnen zu können (Vereinfachung).
- Wirklichkeit als Prozess
Einen positiver Nachweis, dass es sich bei einer Realität um die Wirklichkeit handelt, gibt es nicht. Es lässt sich nur umgekehrt zeigen, dass eine Realität nicht wirklich ist, so wie das Ausschalten des Fernsehers zeigt, dass die momentan als real empfundene Situation imaginiert ist: Erst wenn mensch an den Grenzen der Realität verändernd wirkt, stellt sich möglicherweise heraus, dass die Realität sich auflöst und schliesslich wie ein Kartenhaus zusammenfällt (Emanzipation). (Falls dies nicht geschieht, könnte es sich um die Wirklichkeit handeln, oder auch nicht.)
- Methode zur Annäherung an die Wirklichkeit
Eine Realität ist wirklich, wenn ein handelndes Subjekt selbstbestimmte Veränderungen an dieser Realität vornehmen kann und sich die Wirkungen dieser Veränderungen auch umgekehrt auf das handelnde Subjekt in Form von unmittelbaren Sinneseindrücken auswirken. Diese Methode ist jedoch nur eine Näherung: etwa in interaktiven Computerspielen werden auch Sinneseindrücke simuliert. Oder noch drastischer: Wenn Soldaten im Krieg den Feind als real begreifen, auf ihn schiessen [tun sie allerdings meist nicht selbstbestimmt] und schliesslich selbst erschossen werden, ist damit noch nicht die Wirklichkeit des Feindes bewiesen (denn der konstruiert sich ja auch nur aufgrund der umgekehrten Imagination eines Feindes), sondern wenn überhaupt, dann nur die Wirklichkeit des Todes.
- Paradoxie
Das Paradoxe am Entlarven unwirklicher Realitäten ist, dass mensch die Realität erst gut genug kennen muss, um zu wissen, wo ihre Grenzen liegen. (Und die nachfolgende Realität erweist sich womöglich erst nach Jahren auch als unwirklich...)
- Existenz der Wirklichkeit
Nachdem Wirklichkeit sich nicht positiv nachweisen lässt, sondern mensch sich ihr nur nähern kann, ist die Frage berechtigt, ob es die Wirklichkeit gibt. Die Antwort darauf kann mensch sich selbst geben, indem mensch die eigene Realität als konstruiert entlarvt und sich fragt, ob die emanzipative Lust beim Abschütteln der unwirklichen Realität wirklich ist.