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Erich Mühsam/Judas/vierter Akt
Dasselbe Zimmer. Mittags gegen 1 Uhr. Die Rosen stehen vor dem Fenster. Am Tisch sitzt Frau Schenk und näht. Bei ihr Flora, die Mütze auf dem Kopf, näht sich eine Rosette ans Jackett.
FRAU SCHENK: Das hätt' ich aber doch nicht gedacht, dass Sie auch so geschickt mit Nadel und Zwirn umgehen können.
FLORA: Sie haben mich wohl für einen rechten Blaustrumpf gehalten?
FRAU SCHENK: Das gerade nicht, — aber wo Sie doch so viel mit dem Kopf arbeiten.
FLORA: Deshalb schneidere ich mir meine Kleider doch selber zusammen.
FRAU SCHENK: Nicht möglich! — Die Bluse haben Sie selbst gemacht?
FLORA: Freilich, selbst entworfen, selbst zugeschnitten und selbst gearbeitet. (Beißt den Faden ab.) — So, der Revolutionsorden sitzt fest.
FRAU SCHENK: Ach kann ich das Kleid mal ansehen? (Stehen auf und gehen ans Fenster.)
FLORA: Der Stoff ist hübsch, nicht wahr? Eine Tante hat ihn mir zu Weihnachten geschenkt.
FRAU SCHENK: So einfach ist das gemacht und so geschmackvoll. (Nimmt Floras Gesicht zwischen die Hände.) Nicht wahr, liebes Kind, Sie sind meinem Ralf gut?
FLORA: Ja, ich habe ihn sehr gern.
FRAU SCHENK: Er ist mein Ein und mein Alles. Sie glauben nicht, wie gut er ist.
FLORA: Doch, das weiß ich.
FRAU SCHENK: Nur mit seiner Krankheit, — er hat sie vom Vater geerbt. Aber ich denk' immer, er kann doch noch gesund werden.
FLORA: Natürlich. Warum denn nicht? Er ist ja noch jung.
FRAU SCHENK: Nicht wahr, sie werden ihn nicht verlassen wegen seines Leidens?
FLORA: Behüte! Wie können Sie das denken?
FRAU SCHENK: Ja, sehen Sie — er hat das schon mal erlebt. Es ist schon über ein Jahr her. Da hatte er einen Schatz, — es war ein nettes Mädel soweit, die Annie. Er hat sie auch heiraten wollen, und mit einem Mal hat Sie ihn stehen lassen und ist mit einem andern gegangen. Einen kranken Mann, könne Sie nicht brauchen, hat sie gesagt.
FLORA: Aber das ist abscheulich.
FRAU SCHENK: Oh, er wurde so schlimm danach. Er hat sich so aufgeregt, dass er wochenlang gehustet hat.
FLORA: Augenblicklich ist es nicht arg mit seiner Brust, glaube ich.
FRAU SCHENK: Heute morgen war es gar nicht gut — Professor Seebald war hier. —
FLORA: War hier?
FRAU SCHENK: Ja, — und da muss er sich schrecklich erregt haben. Er hat ihm nicht einmal Adieu gesagt. Ich kam gerade heim, und nachher sprach der Professor noch mit mir. Ich soll Ralf vor Ihnen in Acht nehmen.
FLORA: Das ist alles Mögliche.
FRAU SCHENK: Und wie ich ihm dies erzählt habe, hat er einen schrecklichen Anfall bekommen. Und nachher war noch einer von der Polizei da. — und das muss ihn auch ziemlich mitgenommen haben.
FLORA: Von der Polizei? — Ach so, wahrscheinlich wegen Klagenfurter.
FRAU SCHENK: Ich weiß nicht. Der Mann war lange da, — und dann ist Ralf gleich fort. Er macht's immer so, wenn es ihm eng auf der Brust wird. Dann läuft er ein paar Stunden in den Park, — und das hilft ihm. — Jetzt muss er aber wohl bald zurück sein.
FLORA: Um eins wollten ja doch die Genossen schon hier sein. Ach, da kommen sie wohl schon. (Es läutet.)
FRAU SCHENK: Aber Trotz und Dietrich schellen doch bei
uns nicht. Na, ich sehe nach. (Geht hinaus und kommt mitLecharjow zurück.)
LECHARJOW: Ist der Genosse Schenk nicht zu Hause? — Ah,
guten Tag, Genossin Severin! Ich bin gelaufen, was ich können hab', zu treffen den Genossen Schenk.
FLORA: Wir erwarten ihn jeden Augenblick. — Gibt es etwas Besonderes?
FRAU SCHENK: Setzen Sie sich doch, Herr — Herr--
LECHARJOW: Danke. Ich werde nicht bleiben, wenn Schenk nicht da ist.
FLORA: Aber mir können Sie doch erzählen.
LECHARJOW: Ob's was Besonderes gibt? — Freilich sehr etwas
Besonderes. Die Revolution verläuft programmwidrig — es scheint.
FLORA: Was soll das heißen?
LECHARJOW: Bei der Motorengesellschaft prügeln sich die Arbeiter untereinander, statt zu prügeln die kapitalistische Gesellschaft.
FLORA: Wer prügelt — wen?
LECHARJOW: Soweit man mir hat erzählt, hat es angefangen damit, dass man hat verhindern wollen die Streikposten zu versehen ihren Dienst
FLORA: Hat die Polizei sie verhindert?
LECHARJOW: Ach wo. Die Polizei ist gar nicht zu sehen, und noch weniger das Militär. — Wozu auch? Wenn ihnen die Herren Proletarier selbst abnehmen ihr Geschäft?
FLORA: Können Sie nicht im Zusammenhang erzählen, was vorgefallen ist?
LECHARJOW: Kann ich auch. — Werd' ich mich erst setzen, erlauben Sie!
FRAU SCHFNK: Wollen Sie nicht ablegen, Herr--?
LECHARJOW: Lecharjow, bitte. — Wir haben uns schon kennen gelernt früher.
FRAU SCHENK: Ich weiß — gewiss. Nur der Name war so schwer zu merken.
LECHARJOW (legt ab, setzt sich auf den Liegestuhl, will eine Zigarette nehmen.)
FLORA: Wir wollen hier nicht rauchen. Schenk kommt gleich nach Hause. — Sie wissen — seine Lunge —
LECHARJOW: Ist wahr. Lassen wir. — Also werd' ich erzählen. Ich bin gegangen durch die Stadt gegen 11 Uhr, um zu sehen: Was ist mit dem Streik? Was werden machen die deutschen Arbeiter? — Zuerst ist mir gewesen wie im Bad. Als wenn es in der Welt keinen Krieg gäbe.
FRAU SCHENK: Wie das?
LECHARJOW: Nu — wenn man sonst geht, ist alles feldgrau. Soldaten von allen Graden und Waffengattungen. Heute keine Uniform auf der Straße. Als ob das Militär wäre abgeschafft worden.
FLORA: Also wohl ein Straßenverbot für alle Soldaten und Offiziere.
LECHARJOW: Jedenfalls. Dann bin ich gegangen zur Wachsmannschen Fabrik. Alles still. Kein Schlot raucht. Ein paar Streikposten mit Rosetten.
FLORA: Und Schutzleute nicht?
LECHARJOW: Nicht ein Schutzmann, nicht ein Soldat. Wie ausgestorben.
FRAU SCHENK: Das ist aber komisch.
LECHARJOW: Bin ich weiter gegangen zu Bartels und Moser. War das Bild schon anders. Auch Streikposten, auch keine Polizei, — aber konnt ich deutlich erkennen, dass gearbeitet wird. Vor dem Eingang Proletarier, Männer und Frauen — und disputierten mit den Streikposten. Hab' ich mich erkundigt: Die Hälfte arbeitet, die Hälfte streikt.
FLORA: Das wusste ich. Da sind viele Christliche und Gelbe.
LECHARJOW: Gut. Die Leute haben geglaubt, nach der Mittagspause werden noch wegbleiben. — Bin ich weiter zur Motorengesellschaft. War grade Mittag gepfiffen worden. Und Leute heraus genau wie jeden andern Tag. In Arbeitskitteln, mit geschwärzten Gesichtern. Haben sich Gruppen gebildet und
aufgeregt hin und her geredet. Schließlich habe ich gesehen einen Haufen Menschen stehen um ein paar Leute und haben geschlagen einen Proletarier mit rotem Abzeichen.
FRAU SCHENK: Geschlagen? — Aber das ist doch schändlich.
LECHARJOW: Wie ich hinkam, hat er am Boden gelegen und geblutet. Ich kenne ihn. Es war der Genosse Braun. Er kommt auch in den „Bund Neuer Menschen".
FLORA: Natürlich. Braun ist ein ausgezeichneter Genosse.
FRAU SCHENK: Er kommt oft zu Ralf.
LECHARJOW: Dann hab ich gesehen, wie einer hat gesprochen zur Menge. Es war der Redakteur vom „Volksboten".
FLORA: Strauß?
LECHARJOW: Strauß. Hat er abgemahnt von Gewaltätigkeiten, und gesagt, die Hetzer und Schürer werden schon ihre Strafe finden, sie sollen sich nur nicht verleiten lassen und ruhig ihre Arbeit tun. Dann hat sich die Menge verlaufen, und ich hab gelesen einen von den gelben Zetteln, die angeschlagen waren an der Fabrik: „Wer eigenmächtig von der Arbeit fern bleibt, ist entlassen."
FLORA: Das würde ihnen schwer werden, wenn die ganze Fabrik streikte.
LECHARJOW: Was soll ich weiter sagen? Ich bin gegangen. Mittag essen in den „Schwan". Unterwegs hab ich gesehen: Von zwanzig Proletariern hat gehabt einer die rote Schleife. Hab ich mir. beim Essen überlegt: Was soll geschehen? — und bin hierher.
FLORA: Was geschehen soll? — Das steht doch fest denke ich.
LECHARJOW: Ja — auf dem Programm. Aber wie wollen Sie aufführen ein Theaterstück, wenn die Schauspieler nicht auftreten?
FLORA: Sie wollen doch nicht sagen, dass die Demonstration nicht zustande käme. Wenn bei Wachsmann alles feiert, bei Bartels und Moser die Hälfte, — dann rechnen Sie noch die kleineren und ganz kleinen Betriebe.
LECHARJOW: Gewiss wird die Demonstration zusammenkommen. Aber sie wird sein lächerlich, geringfügig. Die Stadt hat vier-
hunderttausend Einwohner, macht mit Angestellten und kleineren Beamten gut hunderttausend Proletarier. Lassen Sie nun hochgerechnet dreitausend Personen teilnehmen.
FLORA: Wachsmann hat allein über viertausend Arbeiter.
LECHARJOW: Lehren Sie mich doch das Proletariat kennen. Ich hab' mitgemacht in Russland schon die Anfänge der Bewegung 1903. Die Arbeit niederlegen — meinetwegen, das tun sie und sagen nachher, man hat sie terrorisiert. Auf die Straße geht noch nicht der fünfte Teil von denen, die streiken.
— Glauben Sie mir.
FRAU SCHENK: Das wäre aber für Ralf eine große Enttäuschung.
LECHARJOW: Die Bourgeosie ist wieder klüger als das Proletariat. Sie wartet ruhig ab, bis sie die wenigen Sturmtruppen der revolutionären Arbeiterklasse beisammen hat. Und dann lässt sie hineinschießen und verhaftet, was sie fassen kann. — Nun, das Proletariat wird lernen mit der Zeit.
FRAU SCHENK: Ach Gott, das wäre aber entsetzlich.
FLORA: Glauben Sie wirklich, dass das beabsichtigt ist?
LECHARJOW: Dass sie gar keine Polizei und gar kein Militär auf der Straße haben, ist kein gutes Zeichen. Aber was weiß ich.
FLORA: Und Sie haben Schenk raten wollen, die ganze Demonstration abzusagen?
LECHARJOW: Ich hab gar nichts raten wollen. Wie komme ich dazu? Ich habe bloß sagen wollen, was ich beobachtet habe. Kann ich wissen, ob sie nicht vielleicht wollen diese Wirkung des Unternehmens? Nun hab ich Ihnen gesagt. Das übrige müssen Sie selbst wissen.
FLORA: Wie sich Professor Seebald entschieden hat, wissen Sie wohl nicht?
LECHARJOW: Ich hab ihn noch nicht gesehen heute. (Es klopft.)
FRAU SCHENK: Herein! (Es treten ein Trotz, Dietrich, Braun, — dieser mit verbundenem Kopf —, Färber, Fischer, Rosa Fiebig, alle mit großen Paketen und langen Stangen. Durcheinander der Begrüßung.)
DIETRICH: Da haben wir die Wahrzeichen der Revolution! — Wohin mit den Sachen?
TROTZ: Wir legen wohl am besten alles aufs Bett.
FRAU SCHENK: Nur ungeniert.
FÄRBER: Wo ist denn Schenk? Ist er nicht zu Hause?
FRAU SCHENK: Er muss jeden Augenblick kommen.
ROSA: War Rund noch nicht hier?
FRAU SCHENK: Nein, bis jetzt noch nicht.
ROSA: Er wollte mich hier abholen.
FLORA: Sie scheint man ja schlimm zugerichtet zu haben, Genosse Braun.
BRAUN: Ist nicht so arg. Ich stand Streikposten bei der Motorengesellschaft —
FRAU SCHENK: Ja Herr — Herr--
LECHARJOW: Lecharjow, Genossin.
FRAU SCHENK: Herr (verschluckt den Namen) hat uns schon erzählt.
BRAUN: Mit dem Messer hat der Kerl zugestochen. Es hätte bös werden können.
DIETRICH: Diese Bande von Streikbrechern! — Schad' das ich nicht dabei war!
TROTZ: Du hättest da wohl auch wenig helfen können.
DIETRICH: Das fragt sich noch.
FLORA: Was habt ihr denn da alles mitgebracht?
TROTZ: Vierzig rote Fahnen und zwanzig Plakate.
DIETRICH: Wir können ja mal ein paar herzeigen. (Er packt ein Paket mit viereckigen Schildern aus.) Hier! Nieder mit dem Kriegt — Da — das stecken wir oben auf die Stange. (Tut es.) Da werden sie's lesen, diese Gewaltmenschen!
ROSA (öffnet den Verschluss eines Haufens Stangen, deren Tücher oben in Papier zusammengebunden sind): Die Fahnentücher sind doch groß genug? (Breitet eine Fahne aus.)
LECHARJOW: Sehr schönes Rot.
DIETRICH: Es wird ein Bild werden — ha! — Hier, sehen Sie her (liest Plakattafeln ab): Es lebe das freie Russland! Frieden, Freiheit, Brot! Hoch die internationale Völkerverbrüderung! (Färber, Fischer und Braun sind am Bett. Trotz, Dietrich und Rosa am Tisch mit den Gegenständen beschäftigt.)
FLORA: Ihr habt famos gearbeitet.
FRAU SCHENK: Ralf wird sich freuen, wenn er das sieht. -Wo er nur so lange bleibt?
FLORA: Haben Sie heute morgen Klagenfurter gut untergebracht, Genosse Dietrich?
DIETRICH: Ach, das muss ich ja noch erzählen. — Sie hat ihn nicht aufgenommen, die verdammte Vettel!
FLORA: Nicht aufgenommen? — Ja, er ist doch aber in Sicherheit?
DIETRICH: Hoffentlich! - Wir haben uns nachher getrennt. Er fand es sicherer, wenn er allein ginge.
TROTZ: Wahrscheinlich hat Dietrich so laut auf das Frauenzimmer geschimpft, dass die Passanten aufmerksam wurden.
DIETRICH: Da bleibe mal ruhig dabei! Wir kamen zusammen hin. Die kleine Kröte von Nichte machte uns auf, die sie gestern Abend bei sich hatte. Dann kam sie selbst auf den Korridor, die Gnädige.
ROSA: Hat sie euch nicht mal ins Zimmer geführt?
DIETRICH: Keine Spur! Na Stefan rückte damit heraus, was er wollte, — bloß bis mittag 2 Uhr bei ihr Unterkunft haben. Ja, die beiden sehen sich an, als ob der Satan selber bei ihnen Quartier nehmen wollte. Und dann fing erst die Kleine an: Ach, das geht aber nicht! — Ach! das wäre doch gefährlich für uns!
FRAU SCHENK: Ist nicht möglich!
DIETRICH! Und dann die Alte! — Was wir denn eigentlich dächten! —Da käme ihr ja womöglich die Polizei ins Haus. — Ich wollte es ihr ordentlich geben, dieser Ziege, — aber Stefan hatte mich schon am Ärmel und dann waren wir froh, als wir wieder draußen waren.
FLORA: Ein nettes Gesindel, diese ästhetischen Damen!
FRAU SCHENK: Aber wo mag er denn geblieben sein?
DIETRICH: Er wollte zu Professor Seebald gehen!
FRAU SCHENK: Ach Gott, den wird er nicht getroffen haben, der war ja hier bei Ralf.
LECHARJOW: Seebald war hier? — Hat er zugesagt?
FLORA: Es scheint nicht. Schenk war inzwischen noch nicht hier. (Die Tür öffnet sich, Schenk tritt ein.)
FRAU SCHENK: Endlich, Ralf. Du hast dich verspätet.
SCHENK (hüstelt nervös): Ja, ja. — So viel Leute. — Ach so ja, die Fahnen. — Ach, guten Tag, Flora. Schön, dass du da
bist; Und Genosse Lecharjow, Sie auch.
LECHARJOW: Sie haben gesprochen mit Matthias Seebald? — Nun?
SCHENK (hüstelt heftiger): Aber man kann sich ja kaum umdrehen hier. — Macht doch die Arbeit in der Küche!! (Er öffnet die Küchentür. Rosa, Dietrich, Trotz mit den Plakaten ab in die Küche. Die Tür bleibt offen.) Du bist verwundet, Braun?
BRAUN: Kleines Vorpostengefecht.
SCHENK: Warst du bei Laßmanns, Flora?
FLORA: Ja, der Hausherr hat sich leider auf gar nichts eingelassen. Ich weiß noch gar nicht, was wir werden tun können.
SCHENK: Lass gut sein. — Ich hab schon Rat geschafft.
FLORA: Du?
SCHENK! Ja doch. — Ich kann helfen. (Hustenanfall.)
FRAU SCHENK: Was hast du nur, Junge? Du bist ja schrecklich unruhig.
SCHENK: Es hat nichts auf sich. (Nimmt sich zusammen.) Wie beurteilen Sie die Lage, Genosse Lecharjow?
LECHARJOW: Was soll ich sagen? — Man wird sehen müssen.
SCHENK: Seebald wird wohl zu Hause bleiben. — Wie?
LECHARJOW: Das wollt ich hören von Ihnen. — Ich denke, er war hier.
SCHENK: Ja, — ja, gewiss. — Nein er hat nicht gesagt, ob er kommt. — Ich denke kaum.
FLORA: Du bist so merkwürdig nervös, Raffael. Bist du missgestimmt?
SCHENK: Oh gar nicht. (Hüstelt.) Nicht im geringsten. — Nur die vielen Menschen —
FISCHER: Gehen wir voraus:
FLORA: Ja? - Wäre dir das lieber?
SCHENK: Du? — Du nicht! - Bitte, bleib!
FÄRBER (ruft in die Küche): Macht euch fertig! Wir gehen.
DIETRICH (in der Tür): Hast du die Plakate gesehen, Schenk? — Prächtig — was? Es wird ein Fest werden!
SCHENK: Ja, es ist alles sehr gut. (Es klopft.) Herein. (Es tritt Rund ein.)
FRAU SCHENK: Guten Tag, lieber Herr Rund. — Rosa ist in der Küche.
ROSA (in der Küchentür): Gleich, Fritz, wir packen eben wieder zusammen.
RUND: Ich habe eine sehr schlechte Nachricht.
FLORA: Was ist passiert?
RUND: Klagenfurter ist verhaftet.
SCHENK: Teufel!
RUND: Ich hätte ja gar nicht auf die Straße dürfen in Uniform. Es ist streng verboten. Aber ich musste euch doch Bescheid bringen.
FÄRBER: Woher weißt du es?
RUND: Ich war ja in der Kaserne, als er eingeliefert wurde.
Schon vor zwei Stunden. Er hat sich geweigert, die Uniform anzuziehen. Man wollte ihn sofort einkleiden.
BRAUN: Und was hat man mit ihm gemacht?
RUND: Dunkelarrest. — Ich fürchte, es wird' ihm böse gehen.
LECHARJOW: Da haben Sie eine Parole für die Arbeiter heute.
FLORA: Das ist wahr. — Genossen! (Alle, auch die aus der Küche bilden einen Halbkreis um Flora, die mit Schenk, Frau Schenk und Lecharjow im Vordergrund rechts steht.) Genosse Klagenfurter ist verhaftet und weigert sich Militärdienst zu tun.
DIETRICH: Bravo, Klagenfurter!
FLORA: Er ist doch bekannt unter den Arbeitern?
TROTZ: Jeder kennt ihn. Er ist der Führer der Opposition bei den Metallarbeitern.
FLORA: Der Fall muss sofort allgemein bekannt werden. Es ist ungeheuer wichtig, dass dadurch eine Forderung von lokaler und unmittelbarer Bedeutung aufgestellt werden kann.
TROTZ: Die Arbeiter müssen erklären: Die Arbeit wird nicht eher wieder aufgenommen, ehe nicht Klagenfurter frei ist.
LECHARJOW: Jetzt bekommt die ganze Aktion Hand und Fuß!
SCHENK: Wir müssen ihn herausholen!
LECHARJOW: Herausholen ist schnell gesprochen. Da muss man wissen, wie sich verhalten werden die Soldaten.
RUND: Das ist ganz unsicher, — Viele schimpfen auf den Streik und besonders auf Seebald.
SCHENK: Aber ich glaube, dass die meisten doch schließlich zu uns herüberkommen werden.
FLORA: Wer will das voraussehen? — Aber es ist keine Zeit zu verlieren. Bringt die Fahnen an Ort und Stelle, klärt die Leute auf, die schon dort sind, schickt den anmarschierenden Gruppen Genossen entgegen, so dass jeder Arbeiter weiß, was geschehen ist.
BRAUN: Vielleicht können wir manchen damit noch jetzt für den Streik gewinnen.
DIETRICH: Marsch! Marsch! — An die Gewehre! (Dietrich,Färber, Fischer, Braun, Trotz, Rosa nehmen die Pakete und Stangen.)
TROTZ: Komm, mach dich fertig, Schenk!
SCHENK: Lasst mich noch! — Ich komme rechtzeitig hin.
FÄRBER: Wozu haben wir dann das ganze Zeug erst hergeschleppt?
FRAU SCHENK: Lasst ihn! Er ist nicht recht auf dem Posten. - Bleiben Sie noch ein bisschen bei ihm, Flora!
SCHENK: Wir gehen nachher zusammen, nicht wahr?
FLORA: Eigentlich —
TROTZ: Bleiben Sie nur, Flora. — Es genügt, wenn Sie zur Zeit dort sind.
FLORA: Also gut.
RUND: Lasst mich zuerst gehen. Komm mit Rosa. — Mit euch allen zusammen würde ich noch mehr auffallen in der Uniform.
ROSA: Auf Wiedersehen! (Mit Rund ab.)
DIETRICH: So. — Hat jeder sein Bündel? - Auf in den Kampf!
TROTZ (klopft Schenk auf die Schulter): — Du musst heute noch aushalten, Junge. Wir brauchen dich. Aber wenn wir es geschafft haben, wird's Zeit, dass du dich mal ordentlich erholst.
SCHENK (mit Anstrengung lächelnd): Ich werde schon noch aushalten heute.
BRAUN: Also los, Genossen!
FISCHER: Pünktlich sein! (Braun, Färber, Trotz, Dietrich, Fischer ab.)
FRAU SCHENK: Willst du dich nicht ein Weilchen aufs Bett legen, Ralf? Du bist draußen sicher zu schnell gelaufen.
SCHENK: Nein, Mutter, ich hab' gar nichts, wirklich nicht. Es ist nur — die Vorfreude.
LECHARJOW: Man muss sich nicht kümmern. Es wird sein Lampenfieber, die Aufregung vor einer Prüfung.
SCHENK: Ja, so was mag es wohl sein.
FRAU SCHENK: Ich muss jetzt aber in meine Küche. Ich schau' schon wieder herein. (Ab.)
FLORA: Sagen Sie, Genosse Lecharjow — Hätten Sie nicht Lust, statt Seebald zu sprechen?
LECHARJOW: Das möcht' gut werden, mit meinem Radebrechen.
SCHENK: Nein — FLORA: muss reden.
FLORA: Das hat er sich so in den Kopf gesetzt.
SCHENK: Du weißt, worauf es ankommt. Die Masse muss vorgehen gegen das Militär.
LECHARJOW: Wenn da sein wird Militär. Wenn es den Zug nicht abwartet unterwegs.
SCHENK: Nein, es kommt zur Wachsmannschen Fabrik.
FLORA: Weißt du das sicher?
SCHENK: Ja. (Nach einer Pause.) — Der Polizeirat hat es mir gesagt.
FLORA: Der Polizeirat war hier?
SCHENK: Er wollte Klagenfurter suchen.
LECHARJOW: Der Mann hat Ihnen aufgedeckt seine Karten? Nicht schlecht!
SCHENK (hüstelt): Er hat es angedeutet.
FLORA: So erzähl' doch, was hat er gesagt?
SCHENK: Er wollte wissen, ob — ob Seebald dort sein würde.
FLORA: Du hast dich doch auf keine Unterhaltung eingelassen?
LECHARJOW: Sie werden ihm doch nicht Auskünfte gegeben haben?
SCHENK (betreten): Nein — natürlich nicht. Aber...(Es klopft.) Herein!
SEEBALD (tritt ein): Sie sind noch da, Raffael. — Das ist gut.
LECHARJOW (ihm entgegen): Grüß dich Matthias. Was wird werden?
SEEBALD: Das wissen die Götter. Ich ahne nichts Gutes.
FLORA: Kommen Sie hin?
SEEBALD: Ja. Ich habe mich entschlossen.
FLORA: (drückt ihm die Hand): Das ist recht, Professor. Das freut mich. Raffael hörst du? Professor Seebald kommt.
SCHENK (steht mit verschränkten Armen in der Nähe des Ofens): Meinetwegen.
SEEBALD: Raffael Schenk! Wir wollen wieder Freunde sein.
Heute früh — das war hässlich. Wir wollen es vergessen. Sie haben mich überzeugt.
SCHENK: Überzeugt, — wovon?
SEEBALD: Dass das, was jetzt vorgeht, letzten Endes mein Werk ist. Deshalb darf ich nicht abseits bleiben. Mag daraus werden was will.
SCHENK: Und was wollen Sie den Arbeitern sagen?
SEEBALD: Dass sie standhalten sollen in ihrer Weigerung, für den Krieg zu arbeiten. Ich werde ihnen zeigen, welcher Lohn ihnen winkt, wenn sie mit ihrer gewaltlosen Tat die Gewalt gebrochen haben werden.
SCHENK: Das heißt Sie wollen jetzt, wo die Masse aufsteht, dieselbe Volksrede halten, die sie vorher schon ein Dutzend Mal von Ihnen gehört hat.
FLORA: Raffael!
SEEBALD: Was soll ich darauf antworten?
FLORA: Es ist ein neues Ereignis eingetreten, Professor. Genosse Klagenfurter hat heute früh den Befehl erhalten, sofort zum Militärdienst einzutreten. Er ist geflüchtet. Man hat ihn aber verhaftet und wollte ihm gleich die Uniform anziehen. Dem aber hat er sich widersetzt und nun sitzt er in Dunkelarrest. Darum müssen Sie Ihre Rede anschließen.
SEEBALD: Das hat er getan? Oh, das ist schön, das ist herrlich! Ja, das muss ich Ihnen als Vorbild hinstellen!
SCHENK: Nein, damit ist nichts geschehen. Sie müssen sie aufrufen, Klagenfurter zu befreien!
SEEBALD: Dies hieße ja geradezu die Gewalt predigen. Das tu ich nicht. Das kann ich nicht.
SCHENK: Dann wirst du es tun, Flora, — oder der blinde Laßmann wird es tun.
SEEBALD: Raffael! Verlangen Sie nichts Unmögliches. Wollen Sie es denn wirklich verantworten, Ihre Klassengenossen, Ihre Arbeitsgefährten geradenwegs in den Tod zu treiben? Ist es noch nicht genug mit dem Jammer und dem Blut draußen im Felde? Muss auch noch unter denen, die noch im Lande sind, gemetzelt und getötet werden?
FLORA: Ein friedlicher Spaziergang durch die Stadt würde es auch dann kaum werden, wenn Sie der Demonstration kein bestimmtes Ziel setzen. Und wollen Sie denn Klagenfurter einfach seinem Schicksal überlassen?
SEEBALD: Aber Sie als Frau müssten doch vor dem Äußersten zurückschrecken?
LECHARJOW: Ich verstehe gut deinen Standpunkt. Ich verstehe auch
FLORA: und Schenk. Es wird nicht darauf ankommen, ob du willst Blutvergießen vermeiden um jeden Preis. Es wird auch nicht darauf ankommen, ob die anderen riskieren wollen das Letzte. Sondern es wird darauf ankommen, ob die Demonstranten werden kämpfen mögen für ihre Zukunft, oder ob sie werden vorsichtig sein. Und davon wird auch abhängen das Verhalten der Soldaten.
FLORA: Sie glauben nicht, dass die Soldaten auf jeden Fall schießen werden?
LECHARJOW: Kein Mensch tut etwas auf jeden Fall. Sind die Soldaten nicht Proletarier? Sie sind Fleisch von ihrem Fleisch und Blut von ihrem Blut. Wie die einen sind, sind auch die anderen. Wenn sie sehen werden Entschlossenheit, Todesmut, Begeisterung bei den Arbeitern für den Frieden und die Freiheit, so wird auch bei ihnen lebendig werden das Gefühl für Frieden und Freiheit, und sie werden den Mut haben zur Solidarität. Wenn sie aber sehen werden Zögern und Angst und Vorsichtigkeit, so wird das sein ein Zeichen, dass das Proletariat noch nicht frei ist von der Unterwürfigkeit, und so werden sie auch nicht frei sein von der Unterwürfigkeit und werden tun, was befehlen werden die Offiziere.
FLORA: Danach läge es an Ihnen, Professor Seebald, so zu den Massen zu sprechen, dass sie die Angst vergessen und um jeden Preis alles wagen.
SEEBALD: Und ich sollte sie zum Sturm aufrufen auf das Militärgefängnis — die unbewaffneten Arbeiter?
SCHENK: Nein, zum Sturm auf das Zeughaus, — und dann die bewaffneten Arbeiter zur Kaserne und zum Schloss.
SEEBALD (läuft unruhig umher): Nein! — Das geht nicht! — Dazu geb' ich mich nicht her.
SCHENK: Dann bleiben Sie doch lieber zu Hause! Da schaden Sie wenigstens nichts.
SEEBALD (bleibt vor Schenk stehen, erregt): Jetzt muss ich Ihnen denn doch verbieten, in diesem Ton mit mir zu sprechen. Sie haben kein Recht, mir vorzuwerfen, dass ich der Friedensbewegung des Volkes schaden könne. Heute morgen haben Sie mich darüber belehrt, wo mein Platz ist, da das ganze Unternehmen von mir angetrieben sei. Ich habe diese Belehrung von Ihnen angenommen und werde da stehen, wo meine Pflicht mich hinstellt. Und dort werde ich so handeln, wie meine Pflicht es von mir verlangt.
SCHENK: Vielleicht warnen Sie die Masse dann auch vor ungünstigen Einflüssen!
FLORA: Raffael! - Ich bitte dich!
SEEBALD: Ach, ist das der Grund ihres Zornes, — was ich mit Ihrer Mutter gesprochen habe?
SCHENK: Vor dir gewarnt hat er sie, Flora! — Du wärst mein Verhängnis. —
SEEBALD: Das hab ich nicht gesagt.
SCHENK (in heftigem Ausbruch): Da gibt es nichts zu beschönigen, Herr Professor. Aber Sie täuschen sich, wenn Sie meinen, den Proletarier da kann man am Draht ziehen, wohin man mag. Ich brauche Ihre Erziehung nicht, — verstehen Sie mich? Ich weiß selbst wo ich hingehöre, und was dem Proletariat Not tut, weiß ich besser als Sie, — viel besser.
FLORA; Erreg dich nicht so, Raffael! — Bitte, nicht! (Legt ihm die Hand auf die Schulter.)
SCHENK (macht sich frei): Lass mich! Da muss einmal Klarheit werden zwischen dem da und mir. — Ja, sehen Sie mich nur an!
SEEBALD: Beruhigen Sie sich doch. — Ich weiß doch, Sie sind ein guter Mensch.
SCHENK: Ich bin gar kein guter Mensch. Aber ich kenne meinen Weg. — und der geht geradeaus, Herr Professor Seebald! Geradeaus — und wenn es über Leichen ginge! — Und wenn es über Sie hinüberginge! — Vielleicht erleben Sie es. — Ich habe nichts zu schaffen mit Ihrer sanften Friedenszirperei, nicht das geringste. — Wenn Sie es wissen wollen: Ich will, dass Blut fließt heute! Ich wünsche, dass hineingeschossen wird in die Masse! — Das Proletariat soll es spüren, dass Revolution kein Tanzvergnügen ist, —
sondern Blut kostet--Blut!!
SEEBALD (stark): Hören Sie auf mit diesem grauenhaften Bekenntnis, Mensch!
SCHENK: Aha! Das klingt Ihnen nicht lieblich in die Ohren, nicht wahr? — Aber Sie werden es auch nicht begreifen. Sie können mich überhaupt nie verstehen. — Und warum nicht? Passen Sie auf! Ich will es Ihnen sagen: Weil ich ein Proletarier bin — und Sie sind — ein Bourgeois!
SEEBALD (nimmt seinen Hut): Leben Sie wohl, Schenk I Ich hoffe, Sie werden mich noch einmal anders beurteilen — vielleicht noch heute. (Will gehen.)
LECHARJOW: Ich werde dich begleiten, Matthias. — (Zu Schenk): Der Mensch muss sich nicht gehen lassen zu weit. Vielleicht haben Sie recht in der Sache, aber Sie haben unrecht, so zu reden mit Matthias Seebald. Wie wollen wir Krieg führen gegen den Kapitalismus, wenn wir nicht Frieden halten miteinander? (Schenk schweigt.) Nun — überlegen Sie sich's. Adieu, Genosse Schenk. (Gibt ihm die Hand.) Die Genossin Severin bleibt wohl noch hier, — wie?
FLORA: Ich glaube, Raffael, für dich ist es das beste, du bleibst noch ein halbes Stündchen allein.
SCHENK: Willst du auch fortgeh'n?
FLORA: Leg' dich ein wenig nieder. Ich werde der Mutter sagen,
dass sie dich um 1/2 3 Uhr rufen soll. — Ja?
SCHENK (gibt ihr die Hand): Wenn du meinst. — Ich bin ein
wenig abgespannt. (Seebald und Lecharjow gehen voraus ausder Tür.)
FLORA: (blickt nach ihnen aus, dann küsst sie Schenk): Stark sein, mein Liebster! — Wir beide müssen stark sein heute!
SCHENK (küsst lange ihre Hand): Du hast recht.
FLORA: (öffnet die Küchentür): Mutter Schenk!
FRAU SCHENK: Ja, liebes Kind.
FLORA: Wir wollen Ralf ein wenig allein lassen. Aber erinnern Sie ihn pünktlich um 1/2 3 Uhr, dass er nachkommt. (Ab.)
FRAU SCHENK: Willst du dich hinlegen, mein Junge?
SCHENK: Nein, Mutter, setz dich zu mir! (Er schlägt den Feldstuhl auseinander, so dass er in halbliegender Stellung darauf sitzt. Frau Schenk zieht einen Stuhl daneben.) Ich muss mir etwas vom Herzen reden.
FRAU SCHENK: Und da schickst du deine FLORA: weg und holst deine alte Mutter?
SCHENK: So wie du würde sie mich vielleicht doch nicht verstehen.
FRAU SCHENK: Ja, mein Gott, — bis aus Liebe Vertrauen
wird, das braucht Zeit.
SCHENK: Nein — nein. Ich habe alles — das größte Vertrauen zu Flora. — Ich möchte es ihr auch sagen. Aber erst sollst du es wissen.
FRAU SCHENK: Sprich nur. — Es wird nichts Unredliches sein.
SCHENK: Das will ich eben von dir erfahren.
FRAU SCHENK: Nein, das weiß ich vorher. Etwas Unredliches tust du nicht.
SCHENK: Mutter, bis jetzt hast du doch immer noch alles verstanden, was ich getan habe?
FRAU SCHENK: Soviel ich es mit meinem kleinen Verstand konnte — immer.
SCHENK: Was würdest du aber sagen, wenn ich etwas täte, was ganz so aussähe wie eine große Schlechtigkeit?
FRAU SCHENK: Was so aussieht, braucht doch noch nicht Schlechtes zu sein!
SCHENK: Das denke ich auch, Mutter! — Aber kannst du dir denken, dass ein Mensch Gewissensbisse hat für etwas, was er getan hat, obgleich er es recht findet, dass er es tat?
FRAU SCHENK: Ja, — das wird wohl davon abhängen, wie es ausgegangen ist. Dann zeigt es sich manchmal, dass es nicht das Richtige war.
SCHENK: Nein, Mutter — vorher; wenn man die Folgen noch gar nicht kennt.
FRAU SCHENK: Wo sollen dann wohl die Gewissensbisse herkommen? Nein, das glaub ich nicht.
SCHENK: Doch, Mutter, es ist aber so.
FRAU SCHENK: Gewissensbisse hat man doch nur, wenn man seine Handlung selber schlecht findet.
SCHENK: Hör mir mal zu, Mütterchen. — Ich habe etwas getan, weil ich es tun musste, und weil ich glaube, dass es nötig war. Aber für einen, der da nicht ganz genau alles weiß, wie man dazu kommt und warum das so sein muss, ist es vielleicht das schlimmste, was ein Mensch überhaupt tun kann.
FRAU SCHENK: Ja, mein Junge, ich weiß doch nicht —
SCHENK: Du brauchst auch nicht zu wissen. Aber kannst du das fühlen, wie mir da zu Mute ist. — Sie, wenn ich von irgend einem andern, von meinem nächsten Freund, erführe, er hätte das getan, was ich getan habe, — da würde ich gar nichts mehr fragen, da würde ich sagen: Der Lump! Und nie wieder etwas mit ihm zu schaffen haben wollen.
FRAU SCHENK: Aber, Kind, du machst mir ja ganz Angst.
SCHENK: Nicht doch! Ich will ja nur wissen, ob du mich recht verstehst. — Es sind Gewissensbisse, die bloß daher kommen, dass ich mich frage: Wie würdest du selbst das aufnehmen, wenn es ein anderer täte. Und ich könnte es auch gar niemandem begreiflich machen nachher, — ich könnte mich gar nicht entschuldigen.
FRAU SCHENK: Auch bei FLORA: nicht?
SCHENK: Flora? — Die hätte in derselben Lage vielleicht dasselbe getan. — Vielleicht natürlich auch nicht. — Aber ob sie es trotzdem von mir begreifen würde — ?
FRAU SCHENK: Würdest du es denn begreifen, wenn sie es getan hätte?
SCHENK (nach längerem Besinnen): Ich weiß nicht, Mutter. Ich glaube eher nicht.
FRAU SCHENK: Vielleicht erleichtert es dich, wenn du es ihr noch sagst.
SCHENK: Wenn alles vorbei ist und gut ausgegangen ist, dann will ich es ihr auch sagen.
FRAU SCHENK: FLORA: versteht dich gewiss. — Ich meine fast, die hat dir der Himmel geschickt.
SCHENK: Das glaube ich selbst. — Aber ob ich mal so werde mit ihr über alles sprechen können wie mit dir, — das weiß ich doch nicht.
FRAU SCHENK: Aber warum denn nicht, mein Junge?
SCHENK: Ach, Mutter, du weißt nicht, wie gut das ist, dass du nie nach etwas fragst.
FRAU SCHENK: Das musst du ja auch selbst bestimmen, wie viel du mir sagen willst.
SCHENK: Komm, Mutter, ich muss dir einen Kuss geben. (Sie beugt sich über ihn.) — So. Nun weiß ich alles, was ich wissen wollte, — du wirst nie an mir zweifeln, Mutter - nicht?
FRAU SCHENK: Nein, gewiss nicht, Ralf.
SCHENK: Auch nicht, wenn alle, — auch die Genossen, — und sogar
FLORA: mich verurteilen?
FRAU SCHENK: Nein, niemals. Ich kenne dich doch. — Aber das wollen wir doch nicht hoffen, wie?
SCHENK: Wer kann am Mittag bis zum Abend sehen?
FRAU SCHENK: Fühlst du dich jetzt besser, mein Sohn? — Du warst vorhin so nervös.
SCHENK (steht auf): Jetzt ist's mir wieder gut. — Jetzt habe ich das herunter von der Seele, was darauf lag. Mein Gewissen ist wieder frei.
FRAU SCHENK: Wen das Gewissen frei ist, der tut wohl auch das Rechte.
SCHENK (nimmt eine Rose aus der Vase): So, Mütterchen, die steck dir an (befestigt sie an ihrem Schürzenband): sie ist
von der, die ich lieb hab'.
FRAU SCHENK (küsst ihm die Stirn): Sie soll dich recht, recht glücklich machen!
SCHENK: Geh' nun in deine Küche und mach' dir um mich keine Gedanken mehr, hörst du? (Zieht den Mantel an.)
FRAU SCHENK: Für heute Abend hab' ich was Gutes für dich - drei Eier hab' ich bekommen. (Nickt ihm zu, ab in die Küche.)
SCHENK (ihr nachblickend): Du Gute, Liebe! (Will abgehn, besinnt sich bei der Tür und geht zurück.) Die Waffe! (Er nimmt mit Seitenblick zur Küchentür rasch ein Browning aus der Kommode und steckt ihn ein. Schnell ab.)
Vorhang
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