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Interface/Nimm Teil am Widerstand - Verliebe Dich!
Von Gudrun Ennslin Gewidmet Andreas Bader
Sich zu verlieben ist ein Akt der Revolte - ein Akt des Widerstands gegen eine langweilige, in sozialer und kultureller Hinsicht repressive und für die Menschen immer bedeutungsloser werdenden Gesellschaft. Liebe verändert das Gesicht der Welt. Empfanden die Liebenden vorher Langeweile, erfüllt sie nun Leidenschaft. Haben die Liebenden vorher nur auf sich selbst bezogen gelebt, so bemerken sie auf einmal ihre wahre Stärke darin, sich nicht mehr nur auf sich selbst, sondern auch aufeinander zu beziehen. Die Welt, die einst so leer, sinnlos und zerstörerisch erschien bekommt jetzt Bedeutung und bietet Risiken, Belohnungen, Schätze und Gefahren. Für die Liebenden ist das Leben nun ein Geschenk, die Belohnung für das größte aller Abenteuer. Jeder Moment wird unvergeßlich und so unglaublich wunderbar, daß sie nur noch staunen können. Die Verliebten, die sich zuvor orientierungslos, entfremdet und verwirrt fühlten, werden auf einmal genau wissen was sie wollen. Ihr Dasein wird auf einmal einen Sinn bekommen. Es wird mit einem Mal wertvoll, ja sogar glorreich und herausragend für sie werden. Brennende Leidenschaft ist das Gegenmittel für die schlimmsten Fälle von Verzweiflung und resignierendem Gehorsam.
Liebe macht es für die Einzelnen möglich sich miteinander auf eine bedeutungsvolle Art und Weise zu verbinden. Sie führt dazu, daß sie es riskieren, ihre Schneckenhäuser zu verlassen, gemeinsam ein aufrichtiges und spontanes Leben zu führen und sich so grundlegend kennenzulernen. So reißt die Liebe die Liebenden aus den Routinen des Alltags heraus und läßt sie aus der Masse der Anderen um sie herum herausscheinen. Die Liebenden werden sich fühlen, als ob sie in einer völlig anderen Welt lebten. Daher ist Liebe auch subversiv. Sie stellt nämlich einen Angriff auf die herrschende Ordnung unseres modernen Lebens dar. Die langweiligen Rituale des Arbeitslebens, die Verwertung und die Moral, bedeuten nichts für Mensch, die sich verliebt hat, denn es gibt größere und mächtigere Kräfte die sie nun vorwärts treiben als nur die Disziplinierung und der Gehorsam gegenüber den Gesetzen, der Moral und den Traditionen. Marketingstrategien, die auf die Unsicherheit und Apathie der Menschen abzielen, um Produkte verkaufen zu können, haben keinen Einfluß mehr auf die Liebenden. Unterhaltung zum passiven Konsum, die auf die Leere und den Zynismus der ZuschauerInnen ausgelegt ist, wird sie nicht mehr interessieren.
Es gibt keinen Platz für die romantischen, leidenschaftlichen Liebenden in dieser Welt, weder in der Arbeitszeit noch in der Freizeit. Sie werden erkennen, daß es sich mehr lohnt gemeinsam durch die Welt zu reisen oder einfach nur im Park zu sitzen und die Wolken zu zählen als alleine für die Mathematik-Prüfung zu lernen oder Immobilien zu verkaufen. Und wenn sie es merken, werden sie auch den Mut haben diesen Weg zu gehen, anstatt von ihrem unbefriedigtem Verlangen gequält zu sein. Sie wissen, daß in den Friedhof einzubrechen und unter den Sternen Liebe zu machen eine unvergeßlichere Nacht sein wird, als eine Nacht vor der Glotze. So übt die Liebe einen Angriff auf unsere konsumorientierte Wirtschaft aus, die auf dem Verbrauch von (hauptsächlich nutzlosen) Dingen und der Arbeit beruht, die dieser Konsum erforderlich macht, um sich selbst aufrechtzuerhalten.
Gleichzeitig stellt die Liebe einen Angriff auf unser politisches System dar. Es ist schwer einen Mann, der genug an persönlichen Beziehungen hat für die er lebt, davon zu überzeugen für so etwas abstraktes wie einen Staat zu kämpfen und zu sterben. Es wird sogar schwer sein, ihn davon zu überzeugen Steuern zu zahlen. Die Liebe stellt einen Angriff auf Kulturen jeglicher Art dar. Wenn Menschen Weisheit und Mut durch wahre Liebe erhalten, dann halten Traditionen und Zwänge sie nicht zurück, wenn sie bedeutungslos für die Gefühle sind, die sie leiten. Die Liebe stellt sogar einen Angriff auf die Gesellschaft als solche dar.
Leidenschaftliche Liebe wird von der Bourgeoisie ignoriert und gefürchtet, weil sie eine große Gefahr darstellt für die Stabilität und den Anspruch den sie begehren. Liebe erlaubt keine Lügen und Falschheiten, ja nicht einmal höfliche Halbwahrheiten. Sie legt alle Emotionen frei und enthüllt unsere tiefsten Geheimnisse. Du kannst deine Gefühle und deine Sexualität nicht verleugnen. Bestimmte Situationen oder Ideen werden dich erregen und andere werden Dich abstoßen, ganz gleich ob dir das gefällt oder nicht, ganz gleich ob es moralisch ist oder nicht, ob es sich so gehört oder nicht. Man kann nicht zugleich LiebendEr und durch und durch verantwortungsvolles und respektiertes Mitglied dieser Gesellschaft sein. Denn die Liebe wird dich Dinge tun lassen, die verantwortungslos und unmoralisch sind. Wahre Liebe schert sich einen Dreck um Verantwortung. Sie ist unerschütterlich, rebellisch, verächtlich gegenüber der Feigheit, gefährlich für die Liebenden und alle um sie herum, weil sie nur einem Herrn dient: Der Leidenschaft die das menschliche Herz schneller schlagen läßt. Sie verachtet alles andere, sei es Selbsterhaltung, Gehorsam oder Scham. Liebe macht aus Menschen HeldInnen und Anti-HeldInnen. Die Liebenden sprechen eine andere moralische und emotionale Sprache als es der bürgerliche Mensch tut. Die typischen BürgerInnen besitzen kein überwältigendes flammendes Verlangen. Leider ist alles was sie kennen die stille Verzweiflung. Verzweiflung, die das Resultat eines Lebens ist, in dem sie den Zielen nachjagen, die ihnen von ihrer Familie, ihren ErzieherInnen, ihren ArbeitgeberInnen, ihrer Nation und ihrer Kultur vorgegeben werden. Ohne jemals fähig zu sein darüber nachzudenken, was sie allein wollen und brauchen. Ohne das brennende Verlangen in ihnen, haben sie keine Voraussetzungen dafür, um zu entscheiden was richtig oder falsch für sie ist. Also sind sie gezwungen sich ständig irgendeinem Dogma oder einer Doktrin zu unterwerfen, um durch das Leben zu kommen. Es gibt eine große Auswahl an Moralvorstellungen auf dem Markt der Meinungen. Aber für welche sie sich auch immer entscheiden, sie ist unwesentlich solange sie sich dieser Moral unterstellen, weil sie nicht wissen, was sie sonst mit ihrem Leben anfangen soll. Wie viele Menschen gibt es, die niemals bemerkt haben, daß sie ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen können? Menschen die wie in einem Nebel durchs Leben wandern, nach dem Takt der Gesetze und Normen, die Ihnen beigebracht und gelehrt wurden, einzig und allein aus dem Grund, weil sie keine Ahnung haben, was sie sonst tun könnten. Im Gegensatz dazu brauchen die Liebenden kein vorgefertigtes Regelwerk, das sie durch ihr Leben führt. Ihre Lüste entscheiden was richtig und was falsch ist und ihr Herz führt sie durch ihr Leben. Sie sehen Schönheit und einen Sinn in der Welt, weil ihre Lüste die Welt in diesen Farben malen. Sie brauchen keine Dogmen, Moralvorstellungen, Befehle oder Anordnungen, denn sie wissen selbst was sie tun müssen ohne irgendeine Anleitung.
In diesem Sinne greift die Liebe tatsächlich auch unsere Gesellschaftsform an. Was wäre, wenn alle für sich entscheiden würden, was richtig und falsch für sie wäre, ohne Hinblick auf die konventionelle Moral? Was wäre, wenn alle machen, was sie wollen und sich voller Mut auch den Konsequenzen stellen, die daraus folgen? Was wäre, wenn alle die lieblose und leblose Monotonie des Alltags mehr fürchten würde als irgendwelche Risiken, mehr als den Hunger und die Kälte? Was wäre, wenn alle ihr Verantwortungsbewußtsein und ihren sog. "gesunden" Menschenverstand einmal ablegen würden und den Mut hätten nach ihren wildesten Träumen zu greifen, nach den größten Schätzen der Welt und jeden Tag wie ihren letzten leben würden. Was für ein Ort wäre die Erde dann! Auf jeden Fall wäre sie anders als im Moment. Und wir sollten uns auch nichts vormachen. Die größte Angst der bürgerlichen Menschen ist die Angst vor der Veränderung.
Wir werden von der wirklichen leidenschaftlichen Liebe von unserer Kultur abgehalten. Lediglich ihre klischeehaften Abbilder haben wir verinnerlicht, die von den Medien benutzt werden, um damit Zahncremes und Flitterwochen-Suites zu verkaufen. Uns "von den Gefühlen leiten zu lassen" erzeugt unter uns nur Stirnrunzeln. Stattdessen werden wir dazu erzogen immer Herr unserer Gefühle zu sein, denn wenn wir nur auf unsere Herzen hören würden, kämen wir angeblich vom rechten Weg ab. Anstatt ermutigt zu werden, die Konsequenzen dafür ohne Ängste selbst zu tragen, werden wir dazu gebracht am besten gar keine Risiken einzugehen um verantwortungsbewußt zu bleiben. So wird die Liebe reguliert. Männer dürfen sich nicht in andere Männer verlieben, Frauen nicht in andere Frauen oder nicht Menschen aus unterschiedlichen ethnischen Lebenshintergründen. Und wenn sie es doch tun, dann treten die üblichen MoralistInnen einen Schritt vor zur Verteidigung der modernen westlichen Kultur gegen das sich nicht beugen wollende Individuum. Menschen, die bereits in einem legalen/ religiösen Vertrag gebunden sind, dürfen sich nicht in andere Menschen verlieben, selbst wenn sie keine Leidenschaft mehr bei ihren EhepartnerInnen empfinden. Liebe, wie die meisten von uns sie kennen ist ein genau vorgefertigtes und vorherbestimmtes Ritual. Etwas was an Freitag Abenden in teuren Kinos, Theatern und Restaurants stattfindet, also den Profit der Unterhaltungsindustrie erhöht und die ArbeiterInnen am nächsten Arbeitstag wieder pünktlich im Büro erscheinen läßt, um dann den ganzen Tag wieder perfektEr LohnsklavIn zu sein. Diese geregelte und wirtschaftliche Liebe ist anders als die lustvolle und leidenschaftliche Liebe, die von den wirklichen Liebenden Besitz ergreift. Diese Begrenzungen, Erwartungen und Regulierungen ersticken die wirkliche Liebe, denn im Grunde ist sie eine wilde Blume, die niemals in dem für sie vorgefertigten Beet blühen kann, sondern gerade dort den Alltag durchbricht, wo man es am wenigsten erwartet. Wir müssen gegen diese kulturelle Beherrschung kämpfen, die unsere tatsächlichen Leidenschaften erstickt und verkrüppelt. Denn die Liebe ist es erst, die dem Leben einen Sinn gibt und die Lüste, die uns dazu bringen unserer Existenz diesen Sinn zu verleihen. Ohne diese Dinge, bleibt es für uns unmöglich selbst zu bestimmen, wie wir unser Leben leben wollen. Genau dann bleibt uns nur noch eins: Uns einer Autorität zu unterwerfen, einem Gott, einem Herrn, einer Sache oder einer Doktrin, die uns sagt was zu tun ist, ohne jemals den süßen und bitteren Geschmack der Selbstbestimmung gekostet zu haben. Also nutze deine Zeit im Hier und Jetzt. Verliebe dich noch heute... In Männer, in Frauen, in die Musik, in deinen Ehrgeiz, in dich selbst... in das Leben!
(Ãœbersetzt von dromanticESPERANZA)