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Projekte:Herrschaftsbegriff:Foucault
Michel Foucault wollte mit seiner Analyse der Macht keine totalisierende Theorie der Macht entwickeln, denn ihm ging es um die „Definition des spezifischen Bereichs der Machtbeziehungen und die Bestimmung der Instrumente zu ihrer Analyse“ (Wille zum Wissen, S. 102). Bei der Analyse der Machtmechanismen geht es darum „zu wissen, wo, zwischen wem und wem, auf welche Weise und zu welchem Zweck (...) sie ablaufen“ (Vorlesungen zur Analyse der Macht-Mechanismen, S 1). Es geht um die Beziehungen, Strategien und Technologien der Macht, die uns konstituieren, uns durchqueren und ausmachen.
Contents
Macht als produktive Macht
Nach Foucault kann die Macht nicht ausschließlich als negative, repressive Macht gedacht werden. Sie kann nicht nur in den Begriffen von Gesetz, Verbot, Freiheit und Souveränität gedacht werden. Die Macht ist in Wirklichkeit. Die Produktivität der Macht ist der Kern der Macht der Normen und Disziplinen.
„Wenn sie nur repressiv wäre, wenn sie niemals anderes tun würde als nein sagen, ja glauben sie dann wirklich, daß man ihr gehorchen würde? Der Grund dafür, daß die Macht herrscht, daß man sie akzeptiert, liegt ganz einfach darin, daß sie nicht nur als neinsagende Gewalt auf uns lastet, sondern in Wirklichkeit die Körper durchdringt, Dinge produziert, Lust verursacht, Wissen hervorbringt, Diskurse produziert; man muß sie als ein produktives Netz auffassen, das den ganzen sozialen Körper durchzieht“ (Dispositive der Macht, Seite 35).
Die Macht ist nicht mehr als Herrschaft eines Individuums, einer Klasse oder eine Gruppe über andere zu denken. Die Macht zirkuliert - sozusagen „individualisiert“ - im gesamten sozialen Körper und konstituiert den Körper erst als Subjekt. Die Macht wird nicht auf ein Individuum angewandt, und es wird auch nicht durch die Macht unterworfen. Das Individuum ist Effekt und Objekt der Macht.
In der Vorlesung Die Macht und die Norm von 1973 nennt Foucault vier Arten der Analyse der negativen Macht, von der wir uns freimachen müssen, wenn wir die Macht als „positive“ Macht analysieren wollen:
- dem theoretischen Schema der Aneignung der Macht
- dem Thema der Lokalisation der Macht
- dem Thema der Unterordnung
- dem Thema, nach dem die Macht innerhalb der Ordnung der Erkenntnis nie anderes als ideologische Wirkungen produziert.
Disziplinarmacht
In Überwachen und Strafen hat Foucault die Disziplinarmacht bzw. die Disziplinartechnologien anhand der Geburt des Gefängnisses analysiert. Die Disziplinen bilden die Mikrophysik einer neuen Macht.
Im Zentrum der neuen Technologie der Macht steht die „Entdeckung des Körpers als Gegenstand und Zielscheibe der Macht“ (Überwachen und Strafen, S. 174). Es entstand eine Disziplinargesellschaft, die die Macht gezielt auf die Individuen und ihre Körper richtet. Die neuen Mechanismen der Macht wurden nicht vom Kapitalismus erfunden, sondern die neue Ökonomie der Macht schuf einige zentrale Voraussetzungen für die ökonomische Formation des Kapitalismus. Mit Hilfe der Diszplinen konnte der Kapitalismus einen effektiven Produktionsraum und Produktionskörper schaffen. Die Maschen wurden enger geknüpft, damit sich nichts mehr der Kontrolle und Überwachung der Macht entziehen konnte.
Die Disziplinen dienen der Fabrikation zuverlässiger Menschen. Die Formierung der Körper durch die Macht basiert auf die räumliche Verteilung der individuellen Körper“, auf ihrer Trennung, Ausrichtung, Reihung und Überwachung. Die Disziplin nimmt dafür das Modell der klösterlichen Klausur zum Vorbild. Weiterhin spielt die Zeitplanung bei allen Disziplinen eine große Rolle. Die Zeitplanung wurde ebenfalls in den klösterlichen Gemeinschaften entwickelt und breitete sich rasch aus. „Die Zeit durchdringt den Körper und mit der Zeit durchsetzen ihn alle minutiösen Kontrollen der Macht“ (Überwachen und Strafen, S. 195). Alle Tätigkeiten der Individuen unterliegen einer zeitlichen Durcharbeitung, es werden Rhythmen eintrainiert und Wiederholungszyklen festgesetzt.
Bio-Macht
Die Bio-Macht als nicht-disziplinäre Machttechnik befasst sich mit der Regulation der „Bevölkerung“. Die Bio-Macht als Bio-Politik befasst sich mit der Bevölkerung, mit der Bevölkerung als politischem Problem, als biologischem Problem und als Problem der Macht. Dazu bringt Bio-Macht technologisches Wissen hervor: Demographie, Abschätzung des Verhältnisses zwischen Ressourcen und EinwohnerInnen, die Tabellierung der Reichtümer und ihre Zirkulation.
Der Bio-Macht liegt ein verändertes Verhältnis zum Leben und zum Tod zugrunde. Das Leben ist in den Blickpunkt der Macht geraten. Da die Entwicklung des Kapitalismus ohne kontrollierte Einschaltung der Körper in die Produktionsapparate und ohne Anpassung der Bevölkerungsphänomene an die ökonomischen Prozesse nicht möglich gewesen wäre, bekommt die Bio-Regulierung durch den Staat und sub-staatliche Institutionen eine zentrale Bedeutung. So entstehen eine Reihe von Regulierungsmechanismen, die u.a. auf die Natalität (Geburtenhäufigkeit), Mortalität (Sterblichkeitsziffer) und Morbidität (Krankheitsstand) der Bevölkerung zielen.
Neben der Medizin und der Hygiene ist die Sexualität zu einem Feld von strategischer Bedeutung für die Bio-Macht geworden. Dies hat ihre Gründe in der privilegierten Position der Sexualität zwischen Organismus und Bevölkerung, zwischen dem Körper und den globalen Phänomen. Die Sexualität ist einerseits ein streng körperliches Verhalten, das von einer disziplinären, individualisierenden Kontrolle in Gestalt permanenter Überwachung festgehalten wird und andererseits fügt sie sich durch die Zeugungseffekte in die biologischen Prozesse der „Bevölkerung“ ein. Damit befindet sich die Sexualität genau an der Kreuzung von Körper und Bevölkerung. Folglich gehört sie zur Disziplin, zugleich aber gehört sie auch zur Regulierung. Hierin sieht Foucault unter anderem die Gründe für die Vermehrung der Diskurse des Sexes seit dem 18. Jahrhundert. Durch die privilegierte Position der Sexualität findet auch eine medizinische Aufwertung derselben statt.
Machtverhältnisse und Herrschaftszustände
In seinem Spätwerk beginnt Foucault zwischen Macht und Herrschaft zu differenzieren. In dem Interview Freiheit und Selbstsorge macht Foucault einige wichtige Aussagen über den Zusammenhang von Freiheitspraktiken, Machtverhältnissen und Herrschaftszuständen. Auf die Frage, ob die Ausübung von Freiheitspraktiken einen gewissen Grad an Befreiung voraussetzen würde, antwortet er:
„An dieser Stelle muß man den Begriff der Herrschaft einführen. Die Analysen, die ich durchzuführen versuche, gelten im wesentlichen den Machtbeziehungen. Darunter verstehe ich etwas, das von den Herrschaftszuständen verschieden ist. In den menschlichen Beziehungen haben Machtbeziehungen eine außerordentlich große Ausdehnung. Nun soll das nicht besagen, daß die politische Macht überall ist, sondern daß menschliche Beziehungen ein ganzes Bündel von Machtbeziehungen sind, die zwischen den Einzelnen, in der Familie, in einer pädagogischen Beziehung, im politischen Körper etc. existieren können“ (Freiheit und Selbstsorge - FuS. S. 11).
Herrschaftszustände treten für Foucault dann ein, wenn es einem Individuum oder einer gesellschaftlichen Gruppe gelingt, ein Feld von Machtbeziehungen zu blockieren, sie unbeweglich und starr zu machen. Dies kann mit ökonomischen, politischen oder militärischen Mitteln geschehen. Ein Herrschaftszustand ist demnach die Verhinderung der Umkehrung der Bewegung. In dieser Situation gibt es entweder keine Freiheitspraktiken oder diese sind extrem eingeschränkt und begrenzt oder nur einseitig. Im Zusammenhang mit dem Vorhandensein von Herrschaftszuständen hält Foucault die Befreiung für die politische und historische Bedingung der Freiheit, und macht dies am Beispiel der Sexualität deutlich:
„Wenn man das Beispiel der Sexualität nimmt, ist klar, daß bezüglich der Macht des Mannes eine ganze Reihe von Befreiungen nötig waren; daß es nötig war, sich von einer Zwangsmoral zu befreien, die Hetero- wie Homosexualität gleichermaßen betrifft. Aber diese Befreiung läßt das erfüllte und glückliche Sein der Sexualität nicht zutage treten, in der das Subjekt einer vollständige und befriedigende Beziehung erreichte. Die Befreiung eröffnet ein Feld für neue Machtverhältnisse, das dann aber von den Praktiken der Freiheit kontrolliert werden soll“ (FuS 11).
Macht und Freiheit
In dem Text Das Subjekt und die Macht legt Foucault seine Auffassung von dem Zusammenhang von Macht und Freiheit dar:
„Macht und Freiheit stehen sich also nicht in einem Ausschließungsverhältnis gegenüber (wo immer Macht ausgeübt wird, verschwindet die Freiheit), sondern innerhalb eines sehr viel komplexeren Spiels: in diesem Spiel erscheint die Freiheit sehr wohl als die Existenzbedingung von Macht (sowohl als ihre Voraussetzung, da es der Freiheit bedarf, damit Macht ausgeübt werden kann, wie auch als ihr ständiger Träger, denn wenn sie sich völlig der Macht, die auf sie ausgeübt wird, entzöge, würde auch diese verschwinden und dem schlichten und einfachen Zwang der Gewalt weichen); aber sie erscheint auch als das, was sich nur einer Ausübung von Macht entgegenstellen kann, die letztendlich darauf ausgeht, sie vollkommen zu bestimmen. Das Machtverhältnis und das Aufbegehren der Freiheit sind also nicht zu trennen“ (S. 256).
Literatur von Foucault
- Das Subjekt und die Macht. In: Dreyfus, Hubert L. / Rabinow, Paul: Michel Foucault. Jenseits von Strukturalismus und Hermeneutik, Weinheim 1994
- Die Maschen der Macht. In: Freibeuter 63 - März 1995
- Dispositive der Macht. Über Sexualität, Wissen und Wahrheit, Berlin 1978
- Freiheit und Selbstsorge. Gespräch mit Michel Foucault. In: Freiheit und Selbstsorge, hrsg. von Helmut Becker u.a., Frankfurt am Main 1985
- In Verteidigung der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1999
- Leben machen und sterben lassen. Die Geburt des Rassismus. In: Bio-Macht, DISS-Texte Nr. 25, Duisburg 1992
- Mikrophysik der Macht. Michel Foucault über Strafjustiz, Psychiatrie und Medizin, Berlin 1976
- Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt am Main 1977
- Vorlesungen zur Analyse der Macht-Mechanismen 1978 - Das Denken des Staates. In: Der Staub und die Wolke, Grafenau 1993
- Analytik der Macht, Frankfurt am Main 2005
Literatur über Foucault
- Bröckling, Ulrich: Disziplin. Soziologie und Geschichte militärischer Gehorsamsproduktion, München 1997
- Lemke, Thomas: Eine Kritik der politischen Vernunft. Foucaults Analyse der modernen Gouvernementalität, Berlin/Hamburg 1997
- Mümken, Jürgen: Keine Macht für Niemand. Versuch einer anarchistischen Aneignung des philosophischen Projektes von Michel Foucault, Bremen 1998
- Neuenhaus, Petra: Max Weber und Michel Foucault. Ãœber Macht und Herrschaft in der Moderne, Pfaffenweiler 1993
- Reinfeldt, Sebastian / Schwarz, Richard / Foucault, Michel: Bio-Macht, DISS-Texte Nr. 25, Duisburg 1992
- Schäfer, Thomas: Reflektierte Vernunft. Michel Foucaults philosophisches Projekt einer antitotalitären Macht- und Wahrheitskritik, Frankfurt am Main 1995
Web-Texte
- Ralf Burnicki Keine Macht für Alle, keine Macht für Niemand? Herrschaft, Antiherrschaft und vier Machtkonzeptionen im Anarchismus
- Jürgen Mümken [1] Versuch einer anarchistischen Aneignung des philosophischen Projektes von Michel Foucault