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Basisdemokratie:Zitate:APO-Calypse

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Diese ausgewählten Auszüge und Zitate sind Arbeitsmaterial für das Seminar "Herrschaftsfreie Welt. Anarchie, Basisdemokratie, Radikaldemokratie und andere Utopien", welches vom 21.-23. April 2006 in der Projektwerkstatt Saasen statt findet.


Auszüge und Zitate: Räte, Konsens, Basisdemokratie

Definition

Arbeit, Ökonomie und Eigentum

Räte sind im eigentlichen Sinne nichts andres als die Vereinigung Gleichberechtigter zur Beratung ihrer eigenen gemeinsamen Angelegenheiten. [...] Das Rätewesen als Zusammenarbeit von Ratgebern und Ratholern auf Gegenseitigkeit ist über die Bestimmung der Interessenvertretung in sich verbundener Menschengruppen hinaus die natürliche Organisationsform jeder Gesellschaft überhaupt, welche die Leitung der öffentlichen Sachen von einer staatlichen Spitze aus durch die Ordnung von unten herauf, durch Föderation, Bündnis und unmittelbaren Zusammenschluss der Arbeitenden zur Regelung von Arbeit, Verteilung und Verbrauch ersetzt sehn will. [...] Die Bezeichnung der Organe dieser unmittelbar wirksamen Beeinflussung des Lebens durch die Arbeit als "Räte" wurde zum ersten Male auf dem Baseler Kongress der I. Internationale (5. bis 12. September 1869) laut, und zwar entwickelte der belgische Anarchist Hins in seinem Kommissionsbericht über die künftige Bedeutung der Gewerkschaften den Gedanken, dass in einer sozialistischen Gesellschaft die Vereinigung der Gewerkschaften eines Ortes die Kommune bilden, während die nationalen (regionalen) Verbände die Arbeitervertretung sein würden. Die Staatsregierung würde durch Räte aus den Föderationen der Berufe und durch ein Komitee ihrer Delegierten ersetzt. So würden die Arbeitsbeziehungen die politischen Beziehungen in sich schließen. Jede Industrie werde ein Gemeinwesen für sich sein und auf diese Weise die Rückkehr zum alten Zentralisationsstaat für immer unmöglich gemacht werden. Die alten politischen Systeme würden also ersetzt werden durch die Repräsentation der Arbeit.


Staat und Herrschaft

3.Unsere Strukturen sind transparent, basisdemokratisch und selbstbestimmt.

  • FAU Hannover: Wo unterscheiden wir uns von zentralistischen Gewerkschaften?


Die Verwaltung des Gemeinwesens durch die von den Arbeitsstätten aus von unten nach oben wirkende föderative Organisation der Räte, die (...) Räterepublik, kann niemals ein Staatsgebilde sein. Staat setzt Regierung voraus, das ist obrigkeitliche Befehlsgewalt und Rangordnung. Die Räterepublik ist charakterisiert in der Forderung (...): Alle Macht den Räten! Räte sind die aus den Produktionsbetrieben unmittelbar entsandten, für jede Einzelfrage nach besonderer Eignung ausgesuchten, stets abrufbaren und auswechselbaren, unter dauernder Kontrolle der Werktätigen nach deren eigenen bindenden Beschlüssen handelnden Delegationen der industriellen und landwirtschaftlichen Betriebsbelegschaften. in den Räten ist also die gesamte städtische und ländliche arbeitende Bevölkerung zur direkten Ausübung aller Verwaltungsfunktionen des Gemeinwesens zusammengeschlossen. Die Leistung der Verwaltungsaufgaben in den gemeinsamen Angelegenheiten weiterer und weitester Bezirke geschieht durch Unterdelegationen dieser Räte zu Kreis-, Provinzial-, Landes-Räte-Kongressen nach dem gleichen Grundsatz der Verantwortung nach unten, der Abrufbarkeit, des gebundenen Mandates, bis hinauf zu den höchsten Exekutivorganen, dem Zentralexekutivkomitee und dem Rat der Volksbeauftragten, denen keine Legislative, sondern durchaus nur die Ausführung des Willens der im Produktionsprozeß unmittelbar Tätigen zusteht, und die, stets gewärtig, den Platz im ganzen oder für einzelne Aufgaben berufeneren Genossen räumen zu müssen, immer nur Beauftragte, nie Auftraggeber sind.


Auf höherer Ebene gibt es dann Probleme der Kooperation und des Austausches zwischen den verschiedenen Produktions- und Vertriebssyndikaten, für die ein zentraler Delegiertenrat zuständig ist - aber auch hier sind die Delegierten Arbeiter.

  • Read. In: Achim v. Borries / Ingeborg Brandies: Anarchismus. Theorie, Kritik, Utopie. Joseph Melzer Verlag, Frankfurt 1970


Neben der Basisdemokratie, zum Teil auch verbunden mit basisdemokratischen Elementen, werden Rätesysteme als Möglichkeit für herrschaftsfreies Entscheiden vorgeschlagen. In den Räten soll ein imparatives Mandat herrschen, d.h. die dort Handelnden sind an die Beschlüsse derer, die sie vertreten, gebunden. Ob das funktionieren kann, ist die eine Frage, denn der Rückfluss an Informationen aus dem Geschehen in den Räten entscheidet darüber, ob die Vertretenen ihre Vorgaben erfüllt sehen. Steuerung über Information ist aber ein Mittel der Herrschaft und wirkt der tatsächlichen Möglichkeit imparativer Mandatierung entgegen. Zum zweiten aber ist schon in der Logik auch des imparativen Mandats die Stellvertretung integriert. Auch das ständige Recht, die Person jederzeit abzuberufen, hebelt Stellvertretung nicht aus, sondern begrenzt sie nur in der zeitlichen Dimension. Die Privilegierung in der Phase, in der die Stellvertretung andauert, ist dennoch vorhanden und sichert sich selbst über die Steuerung der Informationsflüsse ab.

  • Robin Wut (2005): Thesen zu Anarchie und Basisdemokratie


Revolution und Organisierung

Solche Räte würden auf allen Ebenen - von der Arbeitsgruppe bzw. vom Haushalt über Betriebe bzw. Kommunen bis zum Gesamtstaat - gebildet; sie wären die eigentlichen Entscheidungsorgane. Die Abstimmungsverfahren in den Räten müssten nicht einheitlich festgelegt sein; denkbar wären einfache Mehrheiten, Zweidrittel- oder Dreiviertelmehrheit, ja selbst Konsens - je nachdem, was angebracht erscheint. Entscheidungen können demnach auf verschiedenen Ebenen fallen; manche sind einer einzelnen Person übertragen, über andere muss ein ganzer Betrieb oder eine ganze Kommune befinden. (S. 16)

Daher soll jeder arbeitenden Person - also jedem, der zum Sozialprodukt beiträgt - ein Bündel verschiedener Tätigkeiten zugewiesen werden. Diese Tätigkeitsbündel sind so gestaltet, dass im Durchschnitt für jeden die gleiche Arbeitsplatzqualität gilt. (S. 16) Wer mehr verdienen will, muss eben länger oder härter arbeiten. (S. 17)

Wer aber stellt die Tätigkeitsbündel gerecht zusammen, und wer bewertet den Grad des Einsatzes - und entscheidet somit über die Bezahlung? Das machen die Arbeiter natürlich selbst, und zwar in ihren Räten. (S. 17)

  • Auszüge aus Albert, Michael (2006), "Parecon", Trotzdem Verlag Grafenau

Kollektiv und Individuum

Demokratie steht immer für eine Totalität des Anspruchs auf Entscheidung. Ob demokratisch gewählte Regierung, Volksabstimmung der direkten Demokratie oder Plenumsbeschluss im Konsens - das Ergebnis gilt für alle, auch die, die sich nicht beteiligen.

  • Robin Wut (2005): Thesen zu Anarchie und Basisdemokratie


Das Konsensverfahren schwört Organisationen und Grupenmitglieder nicht auf Uniformität ein, sondern gibt Raum für Vielfalt. JedeR kann sein, wie sie bzw. er ist, und sich auch so darstellen. Dass das Ganze nicht auseinanderfällt, dafür sorgt das Einvernehmen bei Entscheidungen, die dann auch von allen mitgetragen werden.

  • "Gewaltfrei aktiv" Nr. 23 (Mai 2004, S. 2)


Nach mancherlei zweifelndem Schwanken hat sich in den Bewegungen des kommunistischen Anarchismus und des Anarchosyndikalismus das Bekenntnis zur Räterepublik als der freiheitlichen Gesellschaftsform des Sozialismus ziemlich allgemein durchgesetzt. Die Losung "Alle Macht den Räten", unter der die russische Revolution 1917 ihren Oktobersieg errang, erwies sich als so erschöpfender Ausdruck des wahren Willens der gesamten revolutionären Arbeiterschaft in allen Ländern (...).


"Alle sollen alles entscheiden" und "Alles wird im Plenum besprochen" führt nicht zu Gleichberechtigung, sondern zur Zentralisierung von Entscheidungen. Soziale Prozesse und Eigeninitiative werden gelähmt. Das ist herrschaftsfördernd, baut Vielfalt und Kreativität ab. Offensichtlich wird das immer wieder in extrem bürokratischen Vorgängen: Plötzlich wird im Plenum darüber geredet, ob eine Veranstaltung oder Aktion gemacht werden kann. Wenn alles vom Plenum verabschiedet werden muss, entsteht eine Hierarchie zwischen übergeordneter Struktur (ob Plenum, Rat oder Deli-Treffen) und einzelnen AkteurInnen und Gruppen. Das raubt Autonomie und auch jedes Feeling von Selbstbestimmung. Grund für das Festhalten am Plenum ist u.a. die Angst vor Kontrollverlust (zumindest bei den Eliten), häufig verborgen hinter Sätzen wie "wir müssen uns schon koordinieren", mit denen tatsächlich Zentralen gerechtfertigt werden sollen, die alles "abnicken" können sollen. Die Idee, alle Menschen sollten zentral alles entscheiden, hat verschiedene Fehler bzw. erzeugt in der Praxis bestimmte Probleme: - So richtig das Ziel ist: Gleichberechtigung wird nicht dadurch erreicht, dass möglichst viele Menschen in einer Runde sitzen. Gerade größere Gruppen begünstigen und verschleiern Dominanz (siehe a. und b.). - Wo das Plenum oder andere zentrale Gremien entscheiden, reicht es aus, dieses zu dominieren, um Gesamtabläufe entscheidend zu prägen. Wenn es keine Zentralen und zentralen Entscheidungen gibt, und überall Teilgruppen und kleine Runden agieren, ist es deutlich schwerer, Zusammenhänge zu dominieren oder zu unterwandern. - Zentrale Entscheidungen wirken lähmend: Stundenlange Debatten aller, die häufig noch nicht einmal zu Ergebnissen führen (z.B. zum Umgang mit Ausschlüssen, Presse oder Aktionen), sind dazu hochgradig demotivierend. ... Plena verbinden Zentralismus mit Zwangskollektivität, die beide vereinheitlichend wirken. Eine entscheidende Rolle spielt dabei der Konsensgedanke, der nur selten auf seine autoritären Nebenwirkungen "abgeklopft" wird: Alles soll im Plenum besprochen werden - autonome Entscheidungen darf es nicht geben. Wer nicht dabei ist, gehört nicht zur "Familie". Formulierungen wie "Wir alle müssen mal darüber reden" oder "Das Plenum muss das schon entscheiden" verschleiern dabei, dass Themen und Entscheidungen aller dominant durchgesetzt werden. Damit wird die Möglichkeit autonomer Entscheidungen genommen, z.B. individuell zu entscheiden, an welchen Debatten mensch sich beteiligen möchte. Zumal Plena ein völlig unpassender Rahmen sind (siehe a. und b.), über Sexismus oder gar konkrete Übergriffe zu reden. Abstimmungs- und Konsensverfahren verengen Debatten auf ein schwarz-weißes Schema ("ja/nein") oder "Graustufen" (Kompromisse usw.) und führen so insgesamt zur Vereinheitlichung, fördern "Einheitsmeinungen", statt nach Möglichkeiten zu suchen, dass verschiedene Lösungen umgesetzt werden können. Konsenszwang verhindert Selbstbestimmung: Es reicht bereits das Veto einer Person, um Aktionen zu verhindern. Dazu kommen Manipulationen, die jedes Abstimmungsverfahren ermöglicht, wie z.B. wird die Konsensfrage gestellt, was ist dabei der Status quo.

  • Kritische Position zum Plenum (aus dem HierarchNIE!-Reader)

Allerdings ist das Plenum das Gremium, das größtmögliche Transparenz gewährleistet und besonders bei Organisationsfragen (Wer hat mal schnell ein Auto? Wer kocht?) zu schnellen Entscheidungen führt. Daher ist es als pragmatische Lösung beliebt. Auch, weil sich in Plena alle beteiligten Menschen intensiver kennenlernen, auch die, die sich sonst aus dem Weg gehen. (siehe auch Diskussionsseite)

Siehe auch


Kategorie:Demokratie Kategorie:APO-Calypse