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Silvio Gesell
In letzter Zeit wurde viel über Silvio Gesells freiwirtschaftliche Ideen gestritten. Ob seine Konzepte zu der freiheitlichen Gesellschaft führen, wie er sie sich wünschte, ist zu bezweifeln. Die Lehre seiner Freiwirtschaft muss sich bis heute gegen Vorwürfe des Antisemitismus zur Wehr setzen.
Contents
Lebenslauf
Gesell wurde 1862 in St Vith geboren. Er wächst mit einer recht religösen Erziehung auf. Sofort tritt er eine Beamtenlaufbahn an, bekommt jedoch schnell Streit mit seinen Vorgesetzten, weil er den Dienst umgestalten will. Er macht eine Kaufmannsausbildung bei seinem Bruder in Berlin. Er erste Schrift: "Die Reformation des Münzwesens als Brücke zum sozialen Staat". Trotz Wirtschaftskrisen reichen seine Einnahmen für eine eigene Insel und einen Bauernhof.
Seine erste Zeitschrift, "die Geldreform", die er in einem vorrübergehenden Aufenthalt in Deutschland herausbringt, stellt sich schnell als Flop heraus und wird 1903 nach 3 Jahren eingestellt. Während Gesell wieder in Argentinen ist macht Blumenthal in anarchistischen Kreisen Werbung für seine Ideen. Syndikalistische und sozialistische Anarchisten stehen dem eher kritisch gegenüber. Teilweise finden sie jedoch gefallen daran. Bei Individualanarchisten stösst er auf viel offenere Ohren. So kann Blumenthal Den Verein für physiokratische Politik gegründen und Gesell tritt ihm noch von Argentinien aus bei. Als Physiokrat oder auch als Akrat bezeichnet sich auch Gesell selbst sein Leben lang. Zurück in Deutschland gibt er bald die Zeitschift "der Physiokrat heraus".
Mit dem 1. Weltkrieg muß die Zeitschrift eingestellt werden und Gesell geht in die Schweiz um sich auf seinen Bauernhof der Landwirtschaft zu widmen.
1918 geht in Deutschland der Krieg zu Ende. Die Menschen sind ihn leid, nie wieder Krieg, Freiheit und Brot sind die Schlagworte. Revolutionäre finden allseits Zuspruch. Die Münchner Räterepublik (->Bayerische Räterepublik) entsteht.
Ernst Niekisch, Präsident des Zentralrats der Arbeiter- und Soldatenräte und Gustav Landauer schlagen Gesell als Finanzminister vor. Sofort will er Freigeld einführen, was weitläufig so verstanden wird, daß er den Leuten ihre schon durch den Krieg arg gebeutelten Rücklagen nehmen will. Damit bekommt er in der Bevölkerung Akzeptanzprobleme, zumal Bauern der Räterepublik, gelinde gesagt, kritisch gegenüber standen(es gab Lieferengpässe). Genau 7 Tage war er im Amt. Die Räterepublik wurde blutig niedergeschlagen. Alle an der Räterepublik beteiligten kamen ins Gefängnis auch Gesell. Er kann sich vor einem Standgericht herauswinden, indem er darlegt, daß er lediglich am gedeihen der Wirtschaft im Lande interessiert war, sonst nichts und wird Frei gesprochen, darf aber kein Ministeramt mehr bekleiden. In die Schweiz, auf seinen Bauernhof, darf er danach auch nicht mehr. Er zieht nach Argentinien und schließlich wieder nach Berlin und stirbt 1930 an einer Lungenentzündung.
Darstellung der Ideen Gesells
Gesell und vor ihm schon Proudhon erklären den Kapitalismus, d.h. das Problem der Ausbeutung bzw. der ungerechten Einkommensverteilung, nicht wie die klassische Theorie. Für die klassische Nationalökonomie, zu der auch Marx zählt, ist Geld neutral. Es hat keine Auswirkungen auf die Einkommensverteilung einer Volkswirtschaft. Gesell sieht dagegen gerade im monetären Bereich eine der Hauptursachen des Kapitalismus. Seine abweichende Einschätzung der Rolle des Geldes ergibt sich daraus, daß sich Geld durch eine besondere Eigenschaft von den anderen Waren abhebt. Geld unterliegt nicht wie alle anderen Waren einem natürlichen Wertverlust, bzw. Geld kann ohne irgendwelche Kosten problemlos gelagert werden. GeldbesitzerInnen können also andere WirtschaftsteilnehmerInnen, die Geld benötigen, erpressen. Nur gegen einen Preis den Zins geben die GeldbesitzerInnen ihr "erspartes" her. Erscheint ihnen der angebotene Zins zu niedrig, geben sie ihr Geld nicht für den Wirtschaftskreislauf frei. Sie warten bis ein "angemessener" Preis winkt. Ihr Warten wird auch bald belohnt, da sich durch die Geldhortung das Geldangebot verringert. Bei gleichbleibender Nachfrage sind dann wieder mehr NachfragerInnen bereit, höhere Zinsen zu zahlen. Die Freigeldtheorie möchte durch die Einführung einer Umlaufsicherungsgebühr die Geldhortung unterbinden. Durch diese Umlaufsicherungsgebühr verliert jeder Geldschein mit der Zeit einen Teil seines Wertes. Geldhortung wird zum Verlustgeschäft und unterbleibt.
Mit der Geldhortung verschwindet auch der Zins. Dieser ist für Gesell die Ursache der ungerechten Vermögensaufteilung. Da die GeldbesitzerInnen durch den Zinseszinseffekt exponentiell wachsendes leistungloses Einkommen beziehen, das von der gesamten Volkswirtschaft erwirtschaftet werden muß. Durch den Wegfall des Zinses könne jedes Wirtschaftssubjekt nur noch soviel sparen, wie es selbst erarbeitet hat. Mit der Zeit würden sich die Vermögen angleichen. Diese Analyse steht im Widerspruch zur These, daß die Ursache des Kapitalismus im Privateigentum an Produktionsmitteln zu suchen sei.
Als weiteren Effekt der Umlaufsicherungsgebühr erhofft sich die Freiwirtschaft eine konstante Einkommenskreislaufgeschwindigkeit des Geldes. Durch diese "Entstörung" des Geldkreislaufes, erhoffen sie sich eine bessere Kontrolle der Geldmenge.
Da sich nunmehr Schwankungen im monetären Bereich verhindern ließen, dürfte es nicht mehr zu Krisenerscheinungen kommen. Der Umlaufzwang des Geldes bewirkt eine fortgesetzte Nachfrage. Die Vermehrung von Realkapital (Sachgütern) würde nicht mehr durch Krisen gestört werden. Als Folge verschwände unfreiwillige Arbeitslosigkeit. Sobald die Bildung von Realkapital ihren Sättigungspunkt erreicht, würde es nur noch qualitatives Wachstum geben: Verbesserung der Technik und Organisation. Arbeitszeitverkürzungen werden mit der Zeit möglich, weil eine Umverteilung des Mehrwertes in Form der Geld- Kapital- und Bodenzinsen erfolgte (Klaus Schmitt: "Trotz dem Geld. Do-it-yourself-Keynesianism", Sklaven Nr. 89, Berlin 1995).
Situation heute
Eine Geldhortung läßt sich auch heute noch beobachten, sie führt aber nicht mehr zu den damaligen Defalationskrisen (Nachfragerückgang, Preisverfall). Heutzutage ist der permanente Wertverlust des Geldes, auch Inflation genannt, zur Normalität geworden. Deshalb sind alle bestrebt, ihre Transaktions- und Spekulationskassen niedrig zu halten. Bei sinkenden Zinsen- und/oder Inflationsraten kommt es allerdings weiterhin zu Geldhortungen. Warum aber bleibt die Krise aus? Gehortet wird meist durch den Entzug von Geld aus den laufenden Einkommen. Dies ist heute noch genauso, wie zu Zeiten der Weltwirtschaftskrise. Allerdings gehen heutzutage Einkommen auf Girokonten ein. Bei massierten Geldabhebungen muß die Geschäftsbank sich bei der Notenbank neues Geld besorgen. "Das heißt, der Aufbau von Hortungen, ob langfristig angesammelt oder kurzfristig angehoben, wird also mit Hilfe der Notenpresse ermöglicht" (Helmut Creutz: "Das Geldsyndrom", München 1993). Die Auswirkung der Hortung auf die Zinsen bleibt unverändert. Der Druck auf einen Wiederanstieg der Zinsen wird verstärkt. Nur das heute keine Deflationsgefahren entstehen, sondern Inflationsgefahren, wenn das angesammelte Geld wieder in den Kreislauf gegeben wird.
Inflation wird heutzutage bewußt vom Staat erzeugt. Dieses Verhalten ist auf Erfahrungen während der Weltwirtschaftskrise, zurück zu führen. Die Weltwirtschaftskrise war eine Deflationskrise. Es war nicht zuviel Geld vorhanden, wie bei einer Inflation, sondern zu wenig Geld verhinderte einen wirtschaftlichen Aufschwung. Weil diese Krise so verherrend war, nimmt die Geldpolitik bewußt Inflation in kauf, als eine Deflation zu riskieren. Zudem profitiert der Staat von Inflation. Der Staat ist der größte Schuldner einer Volkswirtschaft. Jeder Schuldner profitiert von einer Geldentwertung, da seine Schulden real immer geringer werden. Die durch die Geldhortung verursachten Deflationskrisen werden heutzutage künstlich verhindert. Da die Gefahr besteht, daß die Inflation außer Kontrolle gerät, müssen die Zinsen hochgehalten werden. Dadurch wird die ungleiche Einkommensverteilung noch verstärkt.
"Es sind gar nicht primär Konsumsucht und Gewinnsucht, die den Kapitalismus rastlos vorwärtstreiben, sondern die durch Zins und Zinseszins lawinenartig wachsenden Geldvermögen und ein unerbittlicher Zwang, unter dem die Schuldner stehen, nähmlich mit jeder Produktion auch den Zins erwirtschaften zu müssen" (Josef Hüwe: "Freiwirtschaft und Zinswirtschaft heute", Der Dritte Weg, November 1991). Der Zins wirkt negativ auf die Investitionstätigkeit. Da eine Investition nur durchgeführt wird, wenn deren Rendite größer sein wird, als der Kapitalzins, der bei einer Geldanlage realisiert würde. Somit lohnen sich nur kapitalintensive Produktionen. Ökologische und sozialverträgliche Investitionen sind nicht finanzierbar, da sie die erforderliche Rendite nicht erwirtschaften.
Inschutznahme Silvio Gesells
Zunächst einmal möchte ich Silvio Gesell gegenüber der traditionellen linken Kritik in Schutz nehmen. Wohlgemerkt nur Gesells Werk, die freiwirtschaftliche Bewegung ist ein ganz anderes Problem, auf das ich später noch stoßen werde.
Zinskritik
Als erstes fällt beim lesen der "Natürlichen Wirtschaftsordnung" (NWO) auf, daß Silvio Gesell genau wie die NationalsozialistInnen von der "Brechung der Zinsknechtschaft" spricht. Was ist naheliegender, als an eine Ideenverwandschaft zu denken. Bei genauer Betrachtung ist allerdings das Gegenteil der Fall. Gesell war antitotalitär, internationalistisch und es finden sich prosemitische Äußerungen. Zudem ist Gesells Menschenbild individualistisch geprägt. Ganz im Gegensatz zu den völkischen Äußerungen der Nazis, wo die Masse mehr zählt, als die/der Einzelne. Die NationalsozialistInnen übernahmen ihre Foderung nach "Brechung der Zinsknechtschaft" von Gottfried Feder, der 1920 ein Buch zum Thema schrieb. Eine positive Verbindung zwischen Gesell und Feder, ist nirgendwo festzustellen. "Das Bestehen dieser Fülle an Divergenzen (...) läßt jedoch nicht den Schluß zu, daß die Lehrmeister Hitlers - Dietrich Eckart und Gottfried Feder - bei der Ausgestaltung des NS-Programms nicht auch die Werke Stirners und Gesells auf ihre Verwertbarkeit untersucht hätten" (Gerhard Senft: "Weder Kapitalismus noch Kommunismus", Berlin 1990, S. 195). Daß Gesell sich hingegen von Feder beeinflussen ließ, ist sehr unwahrscheinlich. Gesell lebte in Südamerika. Dort hat er ganz unbeeinflußt und unbefangen seine Wirtschaftstheorien entwickelt. Selbst seine Parallelen zu Proudhon wurden ihm erst später bewußt.
Unter den FreiwirtschaftlerInnen gab es auch völkisch gesinnte, die versuchten Hitler von ihren Ideen zu begeistern. Die NSDAP hat bereits 1921, mit den Linzer Beschlüßen zur Geldreform Gesells Ideen restlos verworfen (Josef Hüwe: "Zum Thema Nationalsozialismus und Freiwirtschaft", Fragen der Freiheit Heft 225, Nov./Dez. 1993). In den 20er Jahren gab es einen starken anarchistisch-individualistischen Flügel innerhalb der Freiwirtschaftsbewegung, dem Gesell nahe stand. Heutzutage ist die anarchistische Tradition fast ganz verschwunden.
Sozialdarwinismus
Der Sozialdarwinismusvorwurf hat zwei Gesichter. Zum einem meint er den Wettbewerbsgedanken. Zum anderen Gesells Äußerungen über die Entwicklung des Menschen in einer freien Wirtschaft.
Wettbewerb
Der Kapitalismus ist kein marktwirtschaftliches System. "In einer Marktwirtschaft können die einzelnen Wirtschaftssubjekte zwar Marktmacht erlangen, aber keine Herrschaft über andere Wirtschaftssubjekte ausüben; die Marktwirtschaft ist ein anarchistisches (d.h. herrschaftsloses Wirtschaftssystem)" (Günther Flemming: "Fachbegriffe der Volkswirtschaft", Deutscher Sparkassenverlag GmbH, Stuttgart 1985, S. 75).
Zwar gebe es auch die Möglichkeit über ein basisdemokratisches Gemeinwesen, auf der Grundlage freier Vereinbarung, die Wirtschaft zu organisieren. Frei sind Vereinbarungen aber nur, wenn ich auch auf sie verzichten kann. D.h. wenn ich auch ohne ein Kollektiv wirtschaften kann. Und wie soll individuelles wirtschaften sinnvoller organisiert werden, als über einen Markt?
Warum hat dann der Begriff der Konkurrenz heute zu Recht einen so negativen Beigeschmack? Im Kapitalismus ist der Wettbewerb einseitig. Während die unumschränkte Konkurrenz bei der Lieferung produktiver Arbeit existiert, ist sie bei der Lieferung von Kapital verboten. Da ein großer Teil des Volkseinkommens in Form von Monopolgewinnen verschwindet, wird der Kampf um den kläglichen Rest, um so erbitterter geführt (Benjamin R. Tucker: "Staatssozialismus und Anarchismus", Propaganda des individulistischen Anarchismus in deutscher Sprache, Freiburg 1976).
Eugenik Vorwurf
Ein weiterer Vorwurf richtet sich gegen Gesells Hoffnungen, wie sich die Menschheit in einer NWO entwickelt. Diese Vorstellungen entwickelt Gesell innerhalb seiner Freilandtheorie. Gesell möchte den Boden vergesellschaften, indem Grund und Boden in den Besitz der Gemeinde übergeht. Die Gemeinde verpachtet den Boden an die Meistbietenden. Dies ist deshalb wichtig, weil ansonsten mit dem Grundstück spekuliert werden könnte. Denn gäbe es eine Person, die noch mehr Pacht bezahlen würde, könnte die Pächterin oder der Pächter die weniger Pacht bezahlen, das Grundstück weiterverpachten und den Zinsgewinn privatisieren. Bei Versteigerung an die Meistbietenden wird die gesamte Rente vergesellschaftet. Diese vergesellschaftete Rente, soll nun nach Gesell, den Müttern pro Kind ausgezahlt werden. Dies aber nicht etwa aus biologischen oder kulturellen Gründen, sondern aus rein wirtschaftlicher Logik.
Die Mütter schaffen erst durch ihre Kinder Nachfrage nach Boden, d.h. erst durch sie gewinnt der Boden an Wert und kann Grundrente abwerfen. Deshalb ist es nur gerecht, wenn diejenigen die Grundrente bekommen, die sie verursachen. Des weiteren möchte er durch diese Ausschüttung, die Mütter wirtschaftlich unabhängig machen. Keine Frau wird gezwungen, Mutter zu werden. Mütter sollen aber gegenüber anderen WirtschaftsteilnehmerInnen nicht benachteiligt werden.
Kritikwürdiger sind da schon Gesells euphorische Vorstellungen von der Entwicklung des Menschen in einer freien Wirtschaft. Gesell geht davon aus, daß sich in einer staatlichen Gesellschaft die DuckmäuserInnen und RadfahrerInnen, mit den besten Beziehungen zum Staatsapparat, am besten fortpflanzen. In einer freien Gesellschaft begünstigt der freie Wettbewerb die Tüchtigen und damit auch deren Fortpflanzung. Hinzu kommt noch, daß durch die Mütterrente, die Mütter ihre Männer nicht mehr nach dem Geldbeutel, sondern nach dem Charakter wählen können.
Natürlich setzen sich im Kapitalismus am besten die DuckmäuserInnen durch, ob dies allerdings eine bessere Fortpflanzung zur Folge hat, ist mehr als zweifelhaft. Gesells Grundthese ist also falsch. Wichtig ist allerdings seine Absicht, selbständigere Menschen zu fördern und zwar durch Freiheit und nicht durch Erziehung. Und diese Intention halte ich immer noch für richtig.
Gesells, in diesem Punkt, biologische Herangehensweise, hat nichts mit Eugenik also Rassenhygiene zu tun. Überhaupt hat der Begriff Eugenik nichts mit freiheitlichen Gedanken am Hut. Begründet wurde die Eugenik 1895 von Alfred Ploetz. Dieser verstand sich, als Sozialist. Allerdings nicht als freiheitlicher, so daß es auch nicht verwundert, daß sich die Nazis dessen Theorien zu eigen machten. Den Nazis ging es um den Schutz des "deutschen Blutes", wenn nötig mit Zwangssterilisationen. Begründet haben es die Nazis mit der Verantwortung des Staates gegenüber dem Leben, der Ehe und der Familie. Auch heute noch steht die Eugenik in dieser Tradition. Nur wurde versucht, den Methoden ihren Zwangscharakter zu nehmen (K. Wirsch: "Genetische Auslese ?", Graswurzelrevolution Nr. 191, Wustrow 1994).
Gesell geht es nicht um Rassenhygiene, d.h. um eine künstliche Förderung "positiven" Erbgutes. Er erhofft sich über seine Wirtschaftsordnung eine natürliche Entwicklung des Menschen. Dies heißt für ihn nicht Rassenhygiene, sondern über die Abschaffung aller Grenzen eine Vermischung der Völker. Insgesamt ist bei Gesell, keine einseitige biologische Determination des Menschen festzustellen. Für ihn gibt es nicht nur eine biologische, sondern auch eine soziale und kulturelle Evolution des Menschen.
Kritikwürdig halte ich allerdings seine positiv moralisierende Wertung der Tüchtigen. Als seien Tüchtige bessere Menschen. Aber dieser Arbeitsethos ist gerade auch bei seinen marxistischen KritikerInnen weit verbreitet. Letztere lassen allerdings kein Recht auf Faulheit zu, weil dies asozial sei. Gesell findet Faulenzen zwar schlecht, verbietet es aber nicht.
Antisemitismus Vorwurf
Eine besonders böswillige Unterstellung ist der Antisemitismusvorwurf. So zitiert Peter Bierl in der ÖkolinX Gesell mit folgendem, seiner Meinung nach antisemitischen Zitat: "Das einzige Volk, das seit Jahrtausenden beharrlich Rassenpolitik treibt, die Juden, hat überhaupt kein eigenes Land, und kennt die Staatshoheit nicht" (Peter Bierl: "Der rechte Rand der Anarchie", ÖkolinX Nr. 13, Frankfurt am Main 1994). Rassenpoltik bedeutet bei Gesell, nicht wie bei den Nazis das Ariertum zu fördern, sondern das genaue Gegenteil, Völker zu vermischen. Deshalb ist dieses Zitat eindeutig prosemitisch, da Rassenpolitik für Gesell ein positiver Begriff ist. Die Juden sind nach Gesells Meinung die einzigen, die sich mit anderen Rassen vermischen, und das findet er gut. Allerdings ist die Formulierung von Menschenrassen eine Voraussetzung von Rassismus. Aber dies war nicht die Absicht Gesells.
Gesell tritt Stereotypen, die ein entscheidendes Merkmal von Antisemitismus sind, deutlich und wiederholt entgegen. Immer wieder stellt er klar, die Menschen und explizit Juden beugen sich lediglich Zwängen des Systems, sind aber nicht Ursache. Das heisst das Stereotyp "raffender Jude" oder eine "Verschwörung der Juden" wird von ihm deutlich zurückgewiesen.
Kritik an Gesell
Für Gesell ist Geld ein öffentliches Gut (Silvio Gesell: "Die Natürliche Wirtschaftsordnung", Nürnberg 1984, Seite 144 ff). Und wie eine öffentliche Straße bedarf es der staatlichen Aufsicht, damit kein Unsinn damit getrieben wird. So ist es nur konsequent, wenn er sein Schwundgeld zum Monopolgeld erhebt. Es bliebe weiterhin verboten, eigenes Geld in Umlauf zu bringen. In diesem Punkt widerspricht Gesell seiner eigenen Forderung nach vollkommenen Wettbewerb.
Auch wenn Gesell in einem seiner späteren Werke "Der abgebaute Staat" diese Problematik erkannte, konnte er sie innerhalb seines Theoriegebäudes nicht lösen. Klaus Schmitt meint, daß neben dem Schwundgeld der Zentralbank noch freies Geld treten könnte (Klaus Schmitt: "Silvio Gesell - Marx der Anarchisten ?", Berlin 1989). Doch dann können wir die Zentralbank auch ganz abschaffen. Denn eine Zentralbank macht nur dann Sinn, wenn sie das Geldmonopol inne hat. Nur dann kann sie die Geldmenge "ungestört" steuern.
Ganz abgesehen davon, daß ein derartiges Machtmonopol abzulehnen ist, wird eine Zentralbank niemals die Geldmenge exakt steuern können, selbst wenn der Geldkreislauf durch die Umlaufsicherung entstört wäre. Das Wachstum einer Volkswirtschaft läßt sich nicht exakt vorhersagen. Und die Zentralbank müßte bestrebt sein ihre Geldmenge dem Wirtschaftswachstum anzupassen, damit es nicht zu Deflations- oder Inflationserscheinungen kommt.
Eine zentrale Steuerung der Geldmenge ist auch gar nicht notwendig. Eine dezentrale Geldemission, d.h. eine Privatisierung des Geldes, ist viel effektiver und erreicht genau das, was sich Gesell erhoffte.
1. Beseitigung der Inflation Bei Einführung einer Währungskonkurrenz würden die Wirtschaftssubjekte nur noch "gutes" Geld annehmen. Das "schlechte" inflationistische Geld wird vom Markt verdrängt. Eine Ungleichverteilung auf Grund von Inflation würde entfallen.
2. Wegfall des Zinses Da ich als ProduzentIn nunmehr mein eigenes Geld emittieren kann, bin ich nicht mehr von den GeldbesitzerInnen abhängig. Somit können diese keinen Zins mehr erpressen.
Eine Umlaufsicherung des Geldes würde sich von ganz alleine, ohne administrative Maßnahmen ergeben. Der Markt akzeptiert nur Geld einer Firma, wenn diese sich verpflichtet, in dieser Zeit ihre Preise nicht zu erhöhen. Denn dadurch könnte sie indirekt ihr Geld inflationieren. Da sich aber die Kostenstruktur eines Unternehmens verändert, begrenzt es die Laufzeit seines Geldes. Somit unterbleibt eine Geldhortung, und eine relativ konstante Einkommenskreislaufgeschwindigkeit des Geldes ist gesichert.
In anderer Weise tritt uns der gesellianische Zentralbankgedanke bei vielen der heutigen GesellianerInnen entgegen. Da ja ihr Ziel eine Veränderung der Politik der Bundesbank ist, versuchen sie über den parlamentarischen Weg ihre Ziele zu erreichen. Dabei achten sie nicht so genau darauf, ob es nun linke oder rechte Parteien sind, denen sie sich anbiedern. Der Glaube an die heilende Wirkung einer zentralen Steuerung des Geldwesens, macht sie blind vor gesellschaftlichen Realitäten.