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Syndikalismus im Ländle

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Syndikalismus im Ländle

Syndikalismus im Ländle ist der Titel eines im April 2006 erschienen Buches. Es behandelt die Geschichte der "Freien Arbeiter Union Deutschlands" FAUD in Württemberg. Die Forschung die diesem Buch zugrunde liegt bezieht sich auf die Jahre zwischen 1918 und 1933. Der Verfasser ist der Bremer Historiker und organisierte Anarchosyndikalist Helge Döhring.


Buchbesprechung von Nante Götze

Buchbesprechung: Helge Döhring: „Syndikalismus im „Ländle“ – Die Freie Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD) in Württemberg 1918 bis 1933“

Die sozialistische Arbeiterbewegung in Deutschland bestand seit der ideellen und organisatorischen Trennung von der Sozialdemokratie aus verschiedenen eigenständigen Strömungen. Die größte davon wuchs sich aus dem Spartakusbund zur Kommunistischen Partei aus. Das es zur gleichen Zeit eine revolutionäre Arbeiterbewegung in Form einer selbstorganisierten, klassenkämpferischen Gewerkschaft gab, ist dagegen kaum bekannt. Nun ist ein Buch erschienen, das sich in einer Lokalstudie dieser Gewerkschaft, der Freien Arbeiter Union Deutschlands (FAUD) annimmt und ihre Spuren, Aktivitäten und Personen in Württemberg zum Gegenstand hat. Das 224 Seiten starke Werk besticht durch die fundierte Erarbeitung der Spuren dieser anarchosyndikalistischen Bewegung in Württemberg, zu deren geistigen Vätern unter anderem Rudolf Rocker und Peter Kropotkin zählten. In 11 Kapiteln wird den Spuren des organisierten Syndikalismus nachgegangen. Dabei werden die zentralen Fragestellungen erörtert, unter welchen Bedingungen die syndikalistische Bewegung sich entwickeln konnte und welche Faktoren sie an ihrer Entfaltung hinderten.

Die Syndikalisten entstanden aus den lokal organisierten Gewerkschaftsverbänden der „Lokalisten“. Im Jahr 1919 vereinigten sie sich mit weiteren unabhängigen Gewerkschaftsgruppen zur „Freien Arbeiter Union Deutschlands (FAUD – Syndikalisten)“. Im Gegensatz zu den konkurrierenden Gewerkschaftszentralen, die von einem Vorstand angeleitet wurden, der auch die Kontrolle über Kämpfe und Aktionen ausübte, bestimmten in den syndikalistischen Ortsvereinen der FAUD die Arbeiter eigenständig über Streiks und weitere Kampfformen. Entscheidungen wurden an der Basis von den Mitgliedern getroffen. Das Ziel der Syndikalisten gibt die „Prinzipienerklärung des Syndikalismus“ wieder. So heißt es dort:“ Die Syndikalisten...sind prinzipielle Gegner jeder Monopolwirtschaft. Sie erstreben die Vergesellschaftung des Bodens, der Arbeitsinstrumente, der Rohstoffe und aller sozialen Reichtümer; die Reorganisation des gesamten Wirtschaftslebens auf der Basis des freien, d.h. des staatenlosen Kommunismus, der in der Devise: "jeder nach seinen Fähigkeiten, jeder nach, seinen Bedürfnissen!" seinen Ausdruck findet.“

In logischer Konsequenz dieses „Sozialismus von unten“ führte die Prinzipienerklärung deutlich aus, das die „Syndikalisten der Überzeugung sind, daß die Organisation einer sozialistischen Wirtschaftsordnung nicht durch Regierungsbeschlüsse und Dekrete geregelt werden kann, sondern nur durch den Zusammenschluß aller Kopf- und Handarbeiter in jedem besonderen Produktionszweige: durch die Übernahme der Verwaltung jedes einzelnen Betriebes durch die Produzenten selbst und zwar in der Form, daß die einzelnen Gruppen, Betriebe und Produktionszweige selbständige Glieder des allgemeinen Wirtschaftsorganismus sind, die auf Grund gegenseitiger und freier Vereinbarungen die Gesamtproduktion und die allgemeine Verteilung planmäßig gestalten im Interesse der Allgemeinheit.“

Damit standen sie auch im politischen Gegensatz und Kampf mit den autoritären Strömungen der Arbeiterbewegung, wie der SPD und der KPD. Die „Prinzipienerklärung“ sagt weiter: „Die Syndikalisten sind der Meinung, daß politische Parteien, welchem Ideenkreis sie auch angehören, niemals imstande sind, den sozialistischen Aufbau durchführen zu können, sondern daß diese Arbeit nur von den wirtschaftlichen Kampforganisationen der Arbeiter geleistet werden kann. Aus diesem Grunde erblicken sie in der Gewerkschaft keineswegs ein vorübergehendes Produkt der kapitalistischen Gesellschaft, sondern die Keimzelle der zukünftigen sozialistischen Wirtschaftsorganisation. In diesem Sinne erstreben die Syndikalisten schon heute eine Form der Organisation, die sie befähigen soll, ihrer großen historischen Mission und in derselben Zeit dem Kampfe für die täglichen Verbesserungen der Lohn- und Arbeitsverhältnisse gerecht zu werden.“

Zu ihren organisatorischen Höchstzeiten umfasste, die sich später als anarcho-syndikalistisch definierende Bewegung, über 150 000 Mitglieder, die z.B. auch einen überdurchschnittlichen Anteil der Kämpfer im Ruhrgebiet gegen den rechtsextremen Kapp-Putsch stellten.

Die FAUD in Württemberg

Ausgehend von der Beschreibung der Rahmenbedingungen für den Aufstieg des Syndikalismus zur Massenbewegung nach 1918, beschreibt der Bremer Historiker Helge Döhring die Demographische Entwicklung und Industrialisierung und befasst sich dann mit der Revolution 1918/19 in Württemberg sowie dem Generalstreik im „Ländle“ von 1920. Kern der Arbeit sind aber zweifelsohne die detailliert herausgearbeiteten Aktivitäten der lokalen FAUD-Gruppen Württembergs. Helge Döhring hat hier Pionierarbeit geleistet, in dem er – nach einer kurzen Zusammenfassung des aktuellen Forschungsstands über den Syndikalismus und Anarchismus in Württemberg vor 1918 – auf die einzelnen württembergischen Ortsverbände eingeht. Dabei zeichnet er die jahrelange Existenz und Arbeit der Gruppen entsprechend der umfassend ausgeschöpften Quellenlage nach. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit bildet dabei die FAUD in Stuttgart, die in ihrer „Arbeiterbörse“ sowohl die Föderationen der Transportarbeiter, Bauarbeiter, Metall- und Industriearbeiter als auch die „Vereinigung aller Berufe“ vereinte. Detaillierte Beschreibungen finden sich auch zu weiteren Orten Württembergs. So konnte eine starke Aktivität der FAUD in Heilbronn nachgewiesen werden. Vor Ort bestanden anarcho-syndikalistische Gewerkschaftsföderationen der Bau- und Metallarbeiter, sowie eine „Vereinigung aller Berufe“, in der sich Lohnabhängige anderer Branchen organisierten. Über das deutsche Reich hinaus bekannte Anarchosyndikalisten hielten in Heilbronn Vorträge, unter ihnen der Sekretär der FAUD Geschäftskommission und spätere Spanienkämpfer Augustin Souchy sowie Rudolf Geist und Rudolf Rocker. Die Stadt Böckingen wird in der Untersuchung eigenständig behandelt, da Böckingen erst 1930 zu Heilbronn eingemeindet wurde. Hier existierte seit 1911 ein aktiver Verband syndikalistischer Arbeiter. Zum Heilbronner Emil Gerlach findet sich ein Porträt. Auch unter dem Hohenstaufen, in Göppingen war die FAUD eine bekannte und aktive Kraft der Arbeiterbewegung. Neben der Wahrnehmung gewerkschaftlicher Aufgaben waren ihre Mitglieder in der anarcho-syndikalistischen Buch- und Kulturgemeinschaft „Gilde freiheitlicher Bücherfreunde“ aktiv, deren Kopf der Metallarbeiter Karl Dingler war. Über den weit über die Organisations- und Stadtgrenzen hinaus bekannten und geschätzten Dingler findet sich im Anhang ein Nachruf Helmut Rüdigers aus dem Jahre 1950.

Weitere Kapitel finden sich zu Dettenhausen, Eislingen, Eltingen, zu den heutigen Stuttgarter Stadtteilen Feuerbach und Gablenberg, zu Leonberg, Esslingen, Pliezhausen, Reutlingen, Ulm und Wendlingen. Die Stadt Tuttlingen nimmt bei der Untersuchung eine besondere Stellung ein. So führt der Verfasser über den Tuttlinger Ortsverein der FAUD aus: „Die FAUD Tuttlingen nahm in Württemberg nicht nur geographisch, sondern auch organisatorisch eine Sonderstellung ein...die lokale Organisierung verlief offensichtlich grundsätzlich in konspirativen Bahnen, wofür ... die über Jahre anhaltenden schweren Arbeitskämpfe und handfesten Auseinandersetzungen zwischen Arbeiterschaft und Unternehmen/Polizei sprechen.“ (S.165)

Eigenständiger Untersuchungsgegenstand ist auch die anarcho-syndikalistische und anarchistische Jugendbewegung Württembergs. Die verschiedenen Vorstellungen, nach denen die Jugend entweder in erster Linie eine Kulturbewegung sein sollte – inklusive Nacktkultur und individualistischer Betrachtungen des eigenen ich, oder aber eine proletarische, betriebliche Kampforganisation, entschieden die Befürworter des Klassenkampfes schließlich für sich. Aus ihren Reihen gingen dann auch mehrheitlich die anarcho-syndikalistischen Arbeiterwehren, die „Schwarzen Scharen“ hervor, die u.a. Veranstaltungen der Bewegung gegen Störungen durch Nazis und Parteikommunisten verteidigten.

Wie bereits beim Göppinger Beispiel angeführt, legten die schwäbischen Anarcho-Syndikalisten, bedingt auch durch eine beständige Marginalisierung, einen Schwerpunkt ihrer Tätigkeit in die Aufklärung durch kulturelle und bildende Aktivitäten. So finden sich im Buch detaillierte Beschreibungen über die „Gilde freiheitlicher Bücherfreunde“, sowie die „Gemeinschaft proletarischer Freidenker“ . Die geschlechtsspezifische Organisation der Frauen wird anhand des „Syndikalistischen Frauenbundes“ behandelt.

Einflüsse des organisierten Anarcho-Syndikalismus gab es in Württemberg darüber hinaus auch in anderen Bewegungen, welchen der Autor ebenfalls nachgegangen ist. So finden sich freiheitliche Spuren in Siedlungsprojekten und der Vagabundenbewegung. Dem Stuttgarter „Vagabundenkönig“ Gregor Gog ist ein Porträt gewidmet. Interessant ist auch die Abhandlung über den Begründer der Anthroposophie Rudolf Steiner zu lesen, der sich der revolutionären syndikalistischen Bewegung angebiedert hatte, von diesen aber einen Korb erhielt und sich dann vermögenderen Kreisen zuwandte. Sehr schön zu Lesen ist weiterhin das Kapitel über die Künstlerkolonie in Bad Urach, in der so bekannte Schriftsteller wie Theodor Plivier und Erich Mühsam verkehrten. Das 7. Kapitel ist der Auseinandersetzung mit den Funktionären der kommunistischen Bewegung gewidmet. An einigen Beispielen wird hier das oftmals sehr gespannte Verhältnis zwischen den Anarcho-Syndikalisten und Mitgliedern der KPD nachgezeichnet. So wurde am 27.April 1927 eine Veranstaltung mit Rudolf Rocker in Stuttgart von anwesenden Kommunisten gestört, woraufhin der Referent in seinem Schlusswort darauf hinwies, das diese sich lieber einen „hohen Grad an Wissen aneignen sollten, statt in der Parteipolitik ihr Heil“ zu erblicken. Der Stuttgarter Karl Völker lehnte eine Zusammenarbeit mit den Kommunisten sogar generell ab, da diese „die Parteiinteressen über die Klasseninteressen der Arbeiter“ stellten.

Spuren der FAUD in Baden

Aus der Forschung heraus konnte der Verfasser auch Spuren der FAUD in Baden feststellen. In einem kleinen Kapitel werden somit auch die FAUD Ortsvereine in Gottmadingen, Konstanz, Rheinau und Singen analysiert.

Fazit der Untersuchung

In seinem Schlußkapitel schließlich wertet Helge Döhring die Ergebnisse seiner Untersuchung aus. Er kommt dabei zu dem Ergebnis das für das „Gedeihen des Syndikalismus immer der Industrialisierungsgrad entscheidend war, unabhängig davon, ob es sich bei jenen Orten um (Groß-)Städte oder Dörfer handelte.“ Und weiter. „Die Chancen lagen immer dort, wo eine Ortschaft noch in den Anfängen der Industrialisierung und damit der organisatorischen Orientierung der Arbeiterschaft stand.“ Damit erklärt er die Marginalisierung der organisierten anarcho-syndikalistischen Arbeiter in Städten wie Stuttgart, Heilbronn oder Göppingen, allesamt Städte mit über langen Zeiträumen hinweg kontinuierlich arbeitenden FAUD-Gruppen. Denn: „Das Ende syndikalistischer Entwicklung war immer dort erreicht, wo die Arbeiterschaft bereits in den Zentralverbänden und politischen Parteien organisiert war.“ Auch handelte es sich bei der FAUD um eine originäre Arbeiterorganisation, wie umfangreich nachgewiesen werden konnte. Somit werden auch die verbreiteten Vorurteile, nach denen es sich bei den Anarcho-Syndikalisten um „kleinbürgerliche Elemente“ handeln würde, zurückgewiesen. Durch das hier zusammengetragene Material ergibt sich auch eine neue Beurteilung der Geschichte der Arbeiterbewegung in Württemberg, speziell für die Lokalgeschichte einiger Städte. Die lokale Geschichtsschreibung einiger dieser Städte wird nicht mehr umhin kommen die Anarcho-Syndikalisten als eigenständigen, aktiven und kontinuierlich arbeitenden Strang der Arbeiterbewegung zu behandeln. Helge Döhring hat mit seinem Werk Pionierarbeit geleistet, eine vergessene Bewegung und ihre Protagonisten aus dem Vergessen gerissen und ihre Geschichte nachgezeichnet. Dabei liest sich das Buch trotz der vielen Informationen hervorragend, man spürt das es mit dem Herzblut verfasst wurde.

Zusätzlichen Gebrauchswert erhält das Buch durch ein angefügtes, knapp zweihundert Personen umfassendes Namens – sowie ein umfangreiches Orts Register, das bestens für eigene Nachforschungen geeignet ist. Ausgewählte Abbildungen runden den hervorragenden Gesamteindruck ab. Angefügt ist weiterhin ein Nachwort von Martin Veith, in welchem dieser unter anderem auf einen Erich-Mühsam Platz in Göppingen hinweist.

Helge Döhring hat hier ein gut lesbares und brauchbares Standartwerk zum Anarcho-Syndikalismus in Württemberg verfasst, das ich uneingeschränkt allen an der Geschichte der revolutionären Arbeiterbewegung interessierten empfehlen kann.

Nante Götze, Bremen

Literatur

Helge Döhring Syndikalismus im „Ländle“ – Die Freie Arbeiter-Union Deutschlands in Württemberg, 224 Seiten, 16 Euro, Verlag Edition AV, 2006, ISBN 3-936049-59-9


Weblinks

Homepage zum Buch "Syndikalismus im Ländle" [1]

Homepage des Verlages Edition AV [2]


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