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Projektwerkstatt

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Der Begriff der "Projektwerkstatt" ist unterschiedlich verwendet worden. So hatte er als alternative Form der Bildungs- und Seminararbeit im Rahmen etlicher Uni-Proteste seine Bedeutung. Als Bezeichnung für eine bestimmte Form offener Aktionsräume entstand er ab 1990 aus der damals ziemlich großen Jugendumweltbewegung. Die hatte sich ab 1985 in den Umweltverbänden entwickelt und vor allem die Jugendverbände geprägt. Als 1989 bundesweit die Jugendumweltarbeit durch die neu entwickelten Ziele und Arbeitsformen wie der Absage an Hierarchien und Verbandsmeierei, eine neue Radikalität in Inhalten und Aktionsformen sowie der grundlegenden Idee der Projektfreiheit prägend wurde, zogen die verkrusteten und staatsnahen Vorstände der Umweltverbände die Notbremse und schmissen die projektorientierten Jugendumwelt-Aktiven raus. Die organisierten sich fortan außerhalb der Verbände neu - vor allem in der neuen Idee der Projektwerkstätten.

Projektwerkstätten (oder Zentren/Projekte mit anderem Namen, die aber ähnliche Ziele verfolgen) sind Räume, manchmal ganze Häuser. Arbeits- oder Aktionsplattform könnte mensch ebenso gut zu ihnen sagen. Hinter ihnen stecken Ideen, die in jedem Ort von Nutzen sein könnten. Nachfolgend werden die wichtigsten Eckpfeiler einer Projektwerkstatt dargelegt. In der Praxis gibt es nicht "die" Projektwerkstatt. Je nach Platz und Einrichtungen variiert das Angebot der verschiedenen Werkstätten.[1]

Ziele

Es kostet Kraft und Zeit, für jedes Projekt wieder neue Arbeitsmöglichkeiten aufzubauen (oder wegen fehlender zu scheitern). Die Alternative ist einfach und klar: Am besten schon unabhängig von drängenden Problemen oder aktuellen Aktionen und im günstigsten Fall gemeinsam mit anderen Gruppen ein offenes und unabhängiges Zentrum aufbauen, in dem für alle Arbeitsmöglichkeiten bereitstehen - Räume für Treffen, eine Bibliothek, Arbeitsgeräte wie Kopierer, Fax, Computer, Layoutmaterial, Werkzeug, Farben, Fotolabor usw.

Geschichte

Ab 1990 entstanden aus der sich immer mehr außerhalb der Umweltverbände organisierenden Jugendumweltbewegung in verschiedenen Orten offene Räume als "Aktionsplattformen": Umwelt- oder Projektwerkstätten wie sie sich - je nach thematischen Schwerpunkten - nannten. Die erste Projektwerkstatt entstand im November 1989 unter dem Namen Naturschutz-Öffentlichkeitswerkstatt im Alten Bahnhof Trais-Horloff. Wenige Monate später trug sie einen neuen Namen: "Projektwerkstatt Alter Bahnhof Trais-Horloff" - die heutige Projektwerkstatt in Reiskirchen-Saasen (1993 umgezogen). 1990 entstanden aber schnell weitere, u.a. die Umweltwerkstatt Wetterau in Niddatal-Assenheim, dann die Jugendumweltbüros und Umweltwerkstätten in Städten Niedersachsens. Bis 1992 waren ca. 40 solcher offener Räume entstanden. Das Wort "Projektwerkstatt" war Programm für die Häuser und Räume: Prägend waren Werkstätten, in denen an Projekten gearbeitet werden kann.

Die meisten der Werkstätten kooperierten auf gleichberechtigter Ebene. Es gab keinen Verband, kein Koordinierungsgremium, sondern verschiedene Aktionen, Rundbriefe, die beginnende gemeinsame Internetseite Virtuelle Projektwerkstatt, die heute eine breite Aktions- und Themenplattform ist, aber immer noch die alten Teile, z.B. Karten mit den eingezeichneten Projektwerkstätten enthält. Der "Deutsche Umwelttag von unten" war im Jahr 1992 ein umfangreiches gemeinsames Projekt, das inhaltlich und organisatorisch eine bedeutende Gegenposition zum staats- und wirtschaftsnahen Mainstream in den deutschen Umweltverbänden darstellte. 1993 stellte das Umweltfestival AufTakt in Magdeburg den zahlenmäßigen Höhepunkt der sich hauptsächlich in Projektwerkstätten organisierenden Jugendumweltbewegung dar: 10.000 Menschen kamen für mehrere Tage zusammen, die Hälfte davon auf großen Radtouren aus allen Teilen Europas. Doch aus dem Aufschwung folgte die Etablierung. Die Bedeutung etlicher Teile reichte, um an Geldförderungen heranzukommen, professionelle Büros aufzubauen oder in etablierten Kreisen Anerkennung zu finden. Als Mitte der 90er Jahre die Modewellen Agenda 21 und Nachhaltigkeit durch die Umweltbewegungen zogen, fanden sich einige Umwelt- und Projektwerkstätten dort wieder - während andere die Opposition in der Umweltbewegung und damit auch zu den großen Verbänden bildeten.[2]

Die gegensätzlichen Positionen führten zu starken Entfremdungen. Ende der 90er Jahre verlagerten sich die Kontakte und Kooperationen zwischen den Projektwerkstätten auf die verschiedenen Strömungen, die allerdings wiederum Kontakte zu anderen Teilen sozialer Bewegung aufbauten: Die unabhängigen, sich zum Teil sogar in ihrer Ablehnung von interner und gesellschaftlicher Herrschaft radikalisierenden Projektwerkstätten z.B. mit anarchistischen und internationalistischen Gruppen, die anderen mit den NGOs oder sogar der Partei Die Grünen, als deren Opposition sie eigentlich mal entstanden waren. Erstere beteiligten sich unter anderem stark am Widerstand gegen die Expo 2000 und bildeten als Netzwerk Umweltschutz von unten eine kritische Stimme mit klarer Kritik an Nachhaltigkeit, kapitalistischer Umweltschutzstrategie (z.B. ethische Geldanlagen) und autoritärer Verbotspolitik wie Schutzgebiete weiter einen Gegenpol zum Mainstream-Umweltschutz. Bis heute aktive und z.T. auch überregional bekannte Projektwerkstätten dieser Strömung bestanden in Bad Oldesloe, der Roten Flora in Hamburg, der KTS in Freiburg oder Reiskirchen-Saasen (Internetseite). Einige existieren heute noch. Zweitere waren in basisdemokratischen Netzwerken (z.B. Umfeld der Graswurzelrevolution) oder zunehmend mehr in den Umweltverbänden aktiv. Am dauerhaftestes blieben die Jugendumweltbüros in Niedersachsen erhalten, von denen die Umweltwerkstatt in Verden zu einem mit erheblichen Geldmitteln aufgebauten Ökozentrum mutierte, aus dem heraus der deutsche Verband Attac gegründet wurde. Die Unterschiedlichkeit der Strömungen dokumentiert sich eindrucksvoll, dass das einzige im deutschsprachigen Raum erschienene Attac-kritische Buch Mythos Attac [3] wiederum in der Projektwerkstatt in Reiskirchen-Saasen entstand.

Heute sind viele Projektwerkstätten verschwunden oder umgenutzt. Ein Zusammenhang speziell dieser Aktionsräume ist nicht mehr vorhanden.

Merkmale

Das Projektwerkstätten voneinander unabhängig entstanden und keine übergeordnete Struktur aufwiesen, gibt es auch keine Festlegungen auf Gemeinsamkeiten und Merkmale. Dennoch lassen sich einige Punkte nennen, die so oder ähnlich an allen Orten anzutreffen waren und, wo noch Projektwerkstätten existieren, auch sind.

Aktionsplattformen

Ein Grundbaustein der Ideen von Projektwerkstätten war die Projektfreiheit. Sie bedeutete, dass alle nach ihren eigenen Ideen und im eigenen Namen aktiv werden konnten. Formale Hierarchien sollten abgeschafft werden. Für Häuser und Räume bedeutete das, dass sie dann „offene Plattformen“ sind, wenn alle Infrastruktur ohne Einschränkung allen zur Verfügung steht. Folglich gibt es keine Besitzrechte mehr und keine Räume einzelner Gruppen. Keine Schlösser und keine Paßwörter. Alles, was vorhanden ist, dient als Plattform für alle mit ihren Ideen. So stehen z.B. in der Projektwerkstatt in Saasen alle Archive, Bibliotheken, Computerräume, Direct-Action-Werkstätten usw. immer allen offen. Das Haus entwickelt sich ständig weiter durch die dort Agierenden. Es gibt keine formalen Gremien, die sie kümmern, sondern die Möglichkeiten ergeben sich aus dem, was Menschen an Infrastruktur aufbauen.

Die Idee der Aktionsplattformen ist zwar in den Projektwerkstätten verankert, aber nicht nur hier realisierbar. Auch große Aktionen und Camps können so aufgebaut sein, um formale Hierarchien zugunsten eines Nebeneinanders gleichberechtigter Teile zu überwinden.

Offener Raum

Als "offener Raum" kann ein Aktionsfeld bezeichnet werden, in dem es keine Beschränkungen gibt, diesen zu nutzen und zu füllen - außer die anderen AkteurInnen, mit denen bei Interessenkollision (z.B. Nutzung der gleichen Infrastruktur, Flächen u.ä. zur gleichen Zeit) eine direkte Vereinbarung geschlossen wird. Ein Raum und seine Ausstattung (Technik, Räume, Wissen, Handlungsmöglichkeiten usw.) ist dann offen, d.h. gleichberechtigt für alle nutzbar, wenn die Beschränkungen physisch und praktisch nicht bestehen, d.h. der Zugang zu den Handlungsmöglichkeiten darf weder durch verschlossene Türen, Vorbehalte, Passwörter usw. verwehrt werden können noch dürfen Wissensbarrieren hingenommen werden, die Einzelne von der Nutzung des offenen Raumes und seiner Teile ausschließen. Dieses bedarf in der Regel eines aktiven Handelns, um Transparenz herzustellen, Zugänge zu Informationen zu ermöglichen und Erklärungen z.B. für technische Geräte bereitzustellen.

  • Theorie des offenen Raumes: Die Offenheit eines Raumes würde eingeschränkt durch Bedingungen des Zugangs oder der Nutzung von Teilen sowie durch tatsächliche oder optionale Kontrolle. Kontrolle erzeugt auch dann, wenn sie nicht konkret ausgeführt wird, Angstgefühle. Sie teilt Menschen oder Gruppen in (potentiell) kontrollierte und (potentiell) kontrollierende. Dieser Zustand bleibt auch dann bestehen, wenn die potentiell Kontrollierenden diese Funktion nicht ausüben wollen und es im Regelfall nicht tun. Allein die Möglichkeit verändert das Verhältnis von Menschen untereinander.
  • Kritik an jeder Kontrolle: Ist eine Metastruktur als Kontrollinstanz nutzbar, z.B. ein Plenum, so verlagert sich die Kommunikation um die Weiterentwicklung des Raumes, bei Interessenkollisionen und oft auch bei Kooperationen zwischen Teilen des Ganzen auf diese Metastruktur. Das steht einer freien Entfaltung aller Teile des Ganzen im Weg, da in der Metastruktur eine andere Form der Kommunikation herrscht, die von Regeln, taktischem Verhalten und einer mehr auf Sieg/Niederlage orientierten Redeform geprägt ist.
  • Radikaler Verzicht auf Kontrolle: Direkte Kommunikation und freie Vereinbarung gedeihen nur dort uneingeschränkt, wo Kontrolle und damit die mögliche Alternative, Konflikte auch herrschaftsförmig zu klären, gar nicht bestehen. Zweitrangig ist dabei, wie die Kontrolle organisiert ist - ob in der Dominanz einer Einzelperson oder -gruppe (z.B. Hausrecht, Faustrecht, rhetorische Dominanz) oder in demokratischen Prozesse. Demokratische, auch basisdemokratische Entscheidungskompetenz auf Metaebenen ist Kontrolle, zerstört direkte Kommunikation und erschwert freie Vereinbarung " wenn auch verschleierter. Die einzig grundlegende Alternative zu allen Formen von Kontrolle ist die totale Kontrollfreiheit: Es gibt keine Möglichkeit mehr, außerhalb gleichberechtigter Kommunikation eigene Interessen durchzusetzen.

Die des offenen Raumes ist wiederum nicht auf Projektwerkstätten beschränkt. Es gibt aktuell verschiedene weitere Räume, die sich so verstehen. Beispiele:

Ebenfalls ist die Ideen nicht auf Häuser oder gebaute Räume beschränkt. Ein großes Experiment für offene Räume waren die Sozialforen. Inzwischen sind sie weitgehend von den Medienprofis in NGOs, großen Netzwerken und einigen Parteien vereinnahmt. Die Treffen des Weltsozialforums beraten nicht im Namen der Institution Weltsozialforum. Daher ist niemand berechtigt, im Namen eines der Foren zu sprechen oder eine Position als die aller Teilnehmer wiederzugeben. Die Teilnehmer dürfen nicht aufgefordert werden, als Institution Erklärungen oder Aktionsvorschläge anzunehmen, die jeden oder die Mehrheit binden und den Eindruck erwecken können, mit ihnen würde das Forum als Institution etabliert. Es stellt daher keinen Ort der Macht dar, um den die Teilnehmer in den Treffen ringen. Ebenso wenig hat das Forum den Anspruch, die einzige Form der Zusammenarbeit zwischen den teilnehmenden Organisationen und Gruppen zu sein. (6. Absatz der WSF-Grundsätze)

Weitere Verwendungen des Begriffs Projektwerkstatt

  • Spezielle Lehrveranstaltungsform
  • Firmentitel, z.B. bei der Teekampagne
  • Allgemein als Begriff für projektorientierte Workshops in der Bildungsarbeit

Spezial: Projektwerkstätten aus der Jugendumweltbewegung

Projektwerkstätten entstanden in den 1990er Jahren als organisatorische Ebene der autonomen Jugendumweltbewegung. Es waren Räume, in denen es (offen organisierte) politische Werkstätten, Seminarräume, Bibliotheken, Archive und vieles mehr gab. In einer Projektwerkstatt werden (in der Theorie) mehrere Ideale anarchistischer Praxis verwirklicht. So versteht sich eine Projektwerkstatt als Offener Raum, der allen emanzipatorisch interessierten Menschen gleichberechtigt zugänglich sein soll. Das hierarchie- und herrschaftsfreie Miteinander kann erlebt und geübt werden. Einzelne und Gruppen können, wie der Name sagt, durch Nutzung der Räume und Werkzeuge an (zeitlich begrenzten) Projekten arbeiten.

Inzwischen gibt es nur noch wenige Projektwerkstätten im alten Stil, die meisten sind verschwunden oder zu Polit-Management-Büros verändert worden. Wie üblich werden radikale politische Ansätze von innen durch die Etablierung der Beteiligten zerstört.

Projektwerkstatt Saasen

Meist wird unter Projektwerkstatt (oder auch Prowe) die Projektwerkstatt Saasen gemeint. Diese ist eine der letzten Projektwerkstätten und wurde von dem Öko-Anarchisten Jörg Bergstedt gegründet. Das offene Zentrum befindet sich in Reiskirchen-Saasen in der Nähe von Gießen. Es besteht aus dem Wohnhaus mit politischer WG und Bauwagenstellplätzen, einem Tagungs- / Seminarhaus, und einem politischen Zentrum mit vielen Projektsarbeitsräumen (u.a. Biologische Untersuchungsgeräte, Layoutwerkstatt, Fotolabor, Holz- und Heimwerkstatt, Fahrradwerkstatt, Theaterbühne, Musikraum).

Virtuelle Projektwerkstatt

Die "virtuelle Projektwerkstatt" wurde vor etlichen Jahren als Gemeinschaftsprojekt verschiedener Projektwerkstätten geschaffen. Das Internetprojekt besteht aus ca. 3000 Seiten, die von unterschiedlichen Personen und Gruppen autonom betreut werden. Informationen und Materialien gibt es zu den Themen Kreativer Widerstand & Direct Action, Recht & Repression, Selbstorganisierung, Herrschaftskritik und Utopien, Politische Debatte, Umweltschutz, Organisierungsfragen.

Jugend Umwelt Projektwerkstatt (JUP!) Bad Oldesloe im Inihaus

JUP! wurde 1991 von Jugendlichen gegründet. Seitdem wurden neben regionalen auch viele bundesweite oder internationale Projekte (mit)organisiert. Unter anderem eine Fahrradtour zum Umweltfestival "Auftakt" (1993), das Jugendumwelttreffen in Schleswig-Holstein "Jugendumweltjahrmarkt" (1992-96), Einrichtung des Inihauses (www.inihaus.de) in Bad Oldesloe (1998), Koordination von BYCo (www.BYCo.info) (2003-2005). Aktuell liegen die Arbeitsschwerpunkte in der Gestaltung der Internetplattform www.oekojobs.de, Organisation internationaler Workcamps und dem Freiwilligenaustausch.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Aus einem Text zu Projektwerkstätten in der Aktionsmappe Umwelt (Hrsg. Institut für Ökologie, ISBN 978-3-86747-002-5)
  2. Bergstedt, Jörg (1998), Agenda, Expo, Sponsoring - Recherchen im Naturschutzfilz, IKO-Verlag in Frankfurt. ISBN 3.88939-613-5, später aufgeteilt in zwei Bände als Neuauflagen erschienen: Reich oder rechts?, IKO-Verlag in Frankfurt, ISBN 3-88939-652-9 und Nachhaltig, modern, staatstreu?, SeitenHieb-Verlag in Reiskirchen, ISBN 978-3-86747-007-0.
  3. Bergstedt, Jörg, Mythos Attac, Brandes&Apsel Verlag in Frankfurt. ISBN 3-86099-796-3

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