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Projekt A

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"1985 publizierte Horst Stowasser ein Buch, in welchem er eine neue Form des Projektanarchismus vorschlug. Dieses „Projekt A“ zielte auf die Verankerung libertärer Projekte im Alltagsleben einer Kleinstadt. Diese Idee wurde ab 1989 in die Praxis umgesetzt. In Neustadt an der Weinstraße, wo Stowasser selbst mitgearbeitet hat, sowie zwei weiteren Orten und auch im Ausland wurde mit der Umsetzung begonnen. Nach einer Krise mitte der 1990er Jahre wird derzeit in einem Diskussionsprozess an der Fortführung des Projektes gearbeitet. Stowasser lebt derzeit weiterhin dort und baut ein Wohn- und Lebensprojekt auf, in dem auch das AnArchiv untergebracht werden soll."




Dies ist eine gekürzte Version, eines Texts über den Hintergund und die Entstehung des Projekt A, der im Original hier zu finden ist.

Wege aus dem Ghetto - Die anarchistische Bewegung und das Projekt A

Das Projekt A, wie es in diesem Text von Horst Stowasser vorgestellt wird, ist Mitte der 90er-Jahre gescheitert. Trotzdem enthält der Text viele interessante Kritikpunkte an der anarchistischen Bewegung und brauchbare Anregungen! Lassen wir viele neue Projekte entstehen...

Wirklichkeit wächst aus Verwirklichung (Erich Mühsam)

Zwischen Schreibtisch und Straßenschlacht - die anarchistische Bewegung in Deutschland
Es genügt eben nicht, immer und immer wieder zu sagen, daß Anarchie möglich sei, und daß es vor 50 Jahren schon einmal gelang, erste, großartige Ansätze im Maßstab einer modernen Massengesellschaft zu verwirklichen. Unabhängig von den Defiziten und Widersprüchen jeder Revolutionen muß auch immer wieder der Versuch gewagt werden, hinter den glänzenden Bildern deren alltägliche, banale und unspektakuläre Strickmuster ans Tageslicht zu holen und zu erkennen. Ihre Mikrostruktur sozusagen. Geschieht dies nicht, wird die anarchistische Bewegung eine Kirche von frommen Mythen und verkommt zu einem Traditionsverein im selbstgestrickten Ghetto. [...]

„Anarchie ist machbar, Frau Nachbar!“ verkündete einer jener spritzig-lockeren Slogans der 80er Jahre aus der Anarchoszene. Richtig gedacht, keck gesagt - nur: wo und wann hat die Bewegung hierfür jener „Frau Nachbar“ jemals einen Weg gezeigt, einen Zugang geschaffen, ein Modell angeboten?

II
[...] Schon um 1980 herum mußten wir in verschiedenen Studien unseres Dokumentationszentrums[1] darauf hinweisen, daß die bundesdeutschen Anarchisten einen „papiernen Wasserkopf“ geboren hatten - Symptom für ihre Perspektivarmut, wenn man beispielsweise den über 500 verschiedenen Zeitungen, die sie nach 1945 ins Leben riefen, die wenigen lebendigen Experimente entgegensetzte, die sie jemals gewagt hatten. Zugleich auch ein Symptom ihrer Isoliertheit, wenn weiter festgestellt wurde, daß von diesen 500 Zeitungen ganze drei jemals ernsthaft versucht hatten, für Nicht-Anarchisten zu schreiben, also für jene berühmte „Frau Nachbar“, für die Anarchie angeblich machbar sein sollte...

[...] Dabei fiel fast allen die punktuelle Blindheit der meisten Anarchos für ihre eigenen Unzulänglichkeiten auf. Was an Perspektiven und konkreten Modellen fehlte, wurde nur zu oft mit flotten Sprüchen und „kämpferischer Arroganz“ wettgemacht, und wo es an praktikablen Antworten auf soziale Probleme mangelte, wurden die periodisch wiederkehrenden punktuellen Kämpfe in dieser Republik mit ihren kurzlebigen Erfolgen zum Fetisch erhoben. Jede Oma, die ihr sperrmüllreifes Sofa in ein besetztes Haus abschob, wurde zum Beweis für die „Verankerung in den Massen“ hochgejubelt und jedes besetzte Fleckchen Erde, das die Polizei - aus welchen Gründen auch immer - nicht sogleich räumte, avancierte unversehens zum Modell einer befreiten Gesellschaft. Mir sind junge Anarchisten untergekommen, die ernsthaft behaupteten, daß die Scheiben, die sie bei der Deutschen Bank eingeschmissen hatten, eine ernste Bedrohung des Imperialismus darstellten. [...]

Selbstüberschätzung ist eine Folge von Realitätsverlust, und Realitätsverlust bringt eingeschränkte Wahrnehmung hervor, was wiederum zu Selbstüberschätzung führt und einen wunderschönen Teufelskreis hervorbringt, in dem eine Bewegung sich leicht selber zu Tode laufen kann. Die vermehrten Anzeichen der Sektenwerdung sind dann meist der Beginn einer schleichenden Agonie.

In unseren liberalen Demokratien gehört es geradezu zur Strategie des Systems, solcherart infizierten Bewegungen ihr eigenes Ghetto als bequemes Plätzchen zu offerieren. Es scheint, als befände sich ein beträchtlicher Teil der anarchistischen Bewegung auf dem besten Wege, sich in diesem Ghetto häuslich einzurichten. Dabei ist es übrigens ein verhängnisvoller Fehler zu glauben, man könne den Grenzen des Ghettos und dem Zustand des Sektierertums schon allein dadurch entfliehen, daß man sich möglichst militant gibt. Es gibt auch Sekten, die strotzen nur so vor Militanz, und für Leute, die noch immer den revolutionären Habitus mit tatsächlicher revolutionärer Veränderung verwechseln, haben die klugen Lenker unserer staatlich-kapitalistischen MegaMaschine noch allemal ein ruhiges Örtchen, das man ihnen getrost als Ghetto überlassen kann. Notfalls darf es auch ein ganzer Stadtteil sein.

IV
[...] Wie kommt es denn, daß - um es auf eine griffige Formel zu bringen - in dieser Bewegung „zwischen Schreibtisch und Straßenschlacht nicht viel los“ ist? Hier punktuelle Kämpfe, dort papierner Wasserkopf, hier die Hierarchie der Militanzriten, dort die Betulichkeit der Denker.

Einerseits: Das Re-agieren. Wir parieren Attacken und reparieren schlimme Zustände. Wir führen Kämpfe, damit nicht noch mehr Atomkraftwerke gebaut, noch mehr Häuser abgerissen, noch mehr Freiheiten weggenommen werden. Das ewige Hinterherlaufen hinter Ereignissen, deren Inhalt, Rhythmus und Qualität stets die Gegner diktieren. Kämpfe also, die in ihrer Struktur defensiv und in ihrer Qualität beschränkt bleiben müssen und bei denen die utopische Zielsetzung allenfalls das fünfte Rad am Wagen ist und folglich nur zu oft auf der Strecke bleibt. Kurz: Kämpfe, die tendenziell nicht auf eine neue Gesellschaft zielen, sondern darauf, daß die alte Gesellschaft nicht noch schlimmer wird.

[...] Im Elfenbeinturm (und sei dieser auch nur ein schmuddeliges Hinterzimmer) läßt sich ungestört und weltfremd träumen. Heraus kommen Unmengen von Papier. Das Tragikomische daran ist, daß niemand unsere Weisheiten zur Kenntnis nehmen will. Unsere Plattformen, Analysen und Flugblätter bleiben solange Makulatur, wie wir unsere Utopien nicht im realen Alltag vorleben und zugänglich machen; unsere Bücher bleiben solange Ladenhüter, wie wir es nicht schaffen, die Menschen durch unsere Praxis so neugierig zu machen, daß sie sie uns aus den Händen reißen.

[...] Kein intelligenter, normaler [was ist das?, Kardan] Mensch macht in einer solchen Bewegung länger als ein paar Jahre mit, es sei denn, er findet die löbliche Ausnahme in diesem jammervollen Spektrum oder er verfügt über den Willen und den Langmut eines Märtyrers. Diese Bewegung ist kein Ort, an dem man leicht heimisch werden könnte, ohne absonderlich oder exotisch werden zu müssen. Sie bietet einem in der Regel nichts, außer einer schönen Idee und der Reinheit gelegentlicher Empörung. Anders gesagt: Es ist kaum eine Bewegung, die mir (und anderen) im Alltag Antworten, Wege, Waffen gibt, geschweige denn Strukturen, in denen ich (und andere) gerne leben würden - so frei und glücklich, wie in einer solchen Gesellschaft eben möglich.[2]

V
In den vergangenen zwanzig Jahren sind zigtausende durch anarchistische Strukturen gewandert. „Die Bewegung“ hat wohl 80% davon verdaut und wieder ausgeschieden. Zwischen 17 und 25 ist es für viele eine Weile, chic und attraktiv, Anarchist zu sein. Aber wer hält es schon aus, 10, 20 Jahre seines Lebens damit zu verbringen, nach dem nächsten konfliktträchtigen sozialen Thema Ausschau zu halten und sich ansonsten einmal wöchentlich mit Gleichgesinnten in einem verschwiegenen Insider-Lokal zu treffen - eben weil man gleichgesinnt ist...? Das ist auf Dauer ein langweiliger und inhaltsleerer Grund, und so gehen die meisten wieder, wenn sie sich ausgetobt haben. Viele in dem Moment, wo sie Familie oder Kinder haben oder plötzlich merken, daß sie älter werden und ihren Beruf oder den Rentenanspruch vergessen haben (wobei oftmals die radikalsten Lederjackenanarchos in kürzester Frist zu den angepaßtesten Krawattenträgern werden). [...]

VI
Diejenigen, die auf diese und andere Schwächen ihrer eigenen Bewegung in den letzten zehn Jahren zunächst zaghaft, dann entschlossener hinwiesen, haben in der Regel versucht, die besagte Lücke zwischen „Schreibtisch und Straßenschlacht“ zu schließen. Ihr Anliegen war dabei nicht, zugunsten ihrer Konzepte etwa für die Reduzierung der punktuellen Kämpfe einerseits oder der agitatorisch-theoretischen Aktivitäten andererseits zu plädieren. Sie wollten diese durchaus wichtigen Pole keineswegs abschaffen, sondern eher eine Verbindung zwischen ihnen herstellen, indem sie das Vakuum zwischen beiden mit dem Wichtigsten zu füllen versuchten, was eine Bewegung, die diesen Namen verdient, ausmacht: lebendige, funktionierende Modelle in der realen, sozialen Umwelt.

[...] Im Grunde geht es um die simple Frage: Wie können wir anarchistische Utopien in ersten, kleinen Schritten verwirklichen, den Menschen in funktionierenden Modellen nahebringen und gleichzeitig verhindern, daß sie verflachen und sozial steril werden? Wie ist es im Gegenteil möglich, daß solche Modelle wachsen, wuchern, Menschen ermutigen und staatliche Strukturen zermürben indem sie libertäre Strukturen aufbauen? Mit einem Wort: Wie können wir libertäre Modelle schaffen, die gleichzeitig paradigmatischen Charakter haben, attraktive soziale Lebensformen ermöglichen und im positiven Sinne subversiv sind? [...]

VII
Die Lehren, die wir beispielsweise aus der spanischen Revolution ziehen können, sind einfach, fast schon banal: Es gibt keine anarchistische Utopie im Ghetto. Es darf keine Rivalität geben zwischen den „kleinen Schritten“ und den „großen Ereignissen“, zwischen notwendiger Militanz und wünschenswerter Friedfertigkeit. Revolution und Radikalität sind keine Fragen der äußeren Erscheinungsformen (>Phänotyp<), sondern der Inhalte und Ziele (>Genotyp<).

Die Schaffung libertärer Kulturen, Tugenden und Strukturen darf nicht auf den fiktiven „Tag nach der Revolution“ verschoben werden, sie muß hier und heute beginnen. Das Ziel - Freiheit - muß in den Mitteln anwesend sein. Keine noch so geniale Theorie oder schöne Utopie verwirklicht sich von alleine, Kraft ihrer Stringenz oder dem Gesetz der Geschichte: sie muß aufgebaut und den Menschen nahegebracht werden. Menschen bringt man eine Utopie kaum nahe, indem man sie ständig vorbetet, sondern vor allem, indem man sie vorlebt - notfalls „stückweise“ und in kleinen Ansätzen. Anarchistische Modelle müssen deshalb so angelegt sein, daß auch Außenstehende Zugang zu ihnen finden und in ihnen die Angst vor dem „Prinzip Staatlichkeit“ verlieren. Das betrifft sowohl den „real existierenden Staat“, als auch den „Staat im Kopf“ bei uns allen. Anarchisten dürfen deshalb nicht davor zurückschrecken, auch die kleine, schmutzige, banale Alltagsrealität wahrzunehmen und in ihr zu wirken. Der „tägliche Kleinkram“ und der „große utopische Entwurf“ sind keine Widersprüche, sondern Spannungsfelder einer Dialektik, zwischen denen eine neue, libertäre Gesellschaft geboren wird.

So mancher Junganarcho, der von der heroischen spanischen Revolution träumt, wird sich wundern zu erkennen, daß diese Revolution nicht 1936 begann, sondern 40 Jahre zuvor, und daß die glorreiche CNT in der Zwischenzeit sich nicht zu schade war, ihre Finger eben auch im unspektakulären alltäglichen Kleinkram schmutzig zu machen. Mit Handlungen, von denen jede einzelne, für sich betrachtet und aus dem revolutionären Gesamtzusammenhang gerissen, glatt als reformistisch einzustufen wäre. Und noch überraschter wäre er vielleicht, wenn er feststellen müßte, daß das „Strickmuster“ dieser Revolution auf solch einfachen Erkenntnissen beruhte, wie sie eben aufgezählt wurden.

Das Projekt A - erste Schritte auf der terra incognita
I
Zu einer der ganz frühen Pusteblumen, die der „frische Wind“ auf die Äcker des bundesdeutschen Anarchismus blies, gehört das „Projekt A“. Entstanden aus den ambivalenten Erfahrungen einer insgesamt fast 20-jährigen libertären Kleinstadtaktivität in der hessischen Provinz [7], reichen die ersten schriftlichen Dokumente bis in das Jahr 1978 zurück. Es sollte noch sieben Jahre Erfahrung, Debatten und Reife brauchen, bis 1985 das gleichnamige Buch erschien. [8] Diese knapp 100 Seiten starke Skizze eines pragmatischen, libertären Kleinstadtprojekts nach dem Strickmuster [9] des „frischwindigen Anarchismus“, begann alsbald intern und ein wenig konspirativ zu zirkulieren: von Mensch zu Mensch, unter Umgehung des Buchhandels. Im Laufe der nachfolgenden Jahre haben schätzungsweise 3-4000 anarchophile Menschen die ca. 1500 Exemplare und zahlreichen Nachkopien gelesen.

II
[...] Es handelt sich um die konkrete Idee zu einem kleinstadtspezifischen libertären Projekt, in dem die Bereiche Politik, Ökonomie und Privatleben gleichgewichtig nebeneinanderstehen. Dieses mehrdimensionierte Gebilde soll seine Stabilität aus einer soliden Basis vernetzter Strukturen beziehen. Diese Grundstrukturen bestehen aus einzelnen Elementen wie selbstverwalteten Betrieben, politischen und kulturellen Initiativen, Wohngemeinschaften und Einzelpersonen. Die Einzelelemente bleiben als solche oder in kleineren vernetzten Gruppen autonom, verbinden sich aber miteinander zu einem lokalen Netzwerk und gehen dabei in freier Vereinbarung Beziehungen gegenseitiger Hilfe und Verpflichtungen ein.

Grund“baustein“ der Gesamtstruktur ist das sogenannte „Doppelprojekt“, ein Zusammenschluß von jeweils einem mehr ökonomisch geprägten Projekt, das Geld einbringt (z.B. selbstverwalteter Betrieb) und einem mehr sozial oder politisch geprägten Projekt, das Geld braucht (z.B. politische Initiative) unter dem „Dach“ einer gemeinsamen Wohngruppe. Hierbei subventioniert das wirtschaftlich stärkere Projekt das wirtschaftlich schwächere; gemeinsame Überschüsse gehen in die Kasse des Gesamtprojekts zur Finanzierung gemeinsamer Aktionen, Vorhaben oder zum Aufbau neuer Teilprojekte. Innerhalb eines solchen „Doppelprojekt-Netzes“ entstehen libertäre „Mikro-Gesellschaften“ mit alten Menschen, Berufstätigen, Kindern, Tieren, Häusern, Werkstätten, Läden und einer kompletten Infrastruktur, innerhalb derer einerseits Gleichheit, Rotation und Gemeinschaftlichkeit geübt werden können, andererseits aber auch genügend Platz für Verschiedenartigkeit, Individualität und Rückzug bleibt.

Das örtliche Netz wäre demnach der Zusammenschluß vieler solcher Doppel- und Mehrfachprojekte, das sich wiederum eigene Strukturen der Kommunikation, der Entscheidungsfindung und des menschlichen Austauschs in Form von Plenen, Räten und anderen Gremien gibt.

Großer Wert wird auf die Feststellung gelegt, daß dieses Netz nicht das Projekt A an sich ist, sondern lediglich die stabile Basis bilden soll, auf der sich die gesamte, bunte Bandbreite libertärer Aktivitäten entfalten soll und kann: sowohl die klassischen wie auch neue, ungewöhnliche - in jedem Fall aber stabile; menschlich, politisch und finanziell verankert und bestens abgesichert.

Durch diese Art der Vernetzung soll der Unterschied zwischen „politischen“ und „unpolitischen“ Projekten weitgehend aufgehoben werden. Ziel ist es, einen Zustand zu erreichen, in dem beispielsweise das Backen von Brot ebenso politisch sein kann wie das Verteilen eines Flugblattes. Anders ausgedrückt: Der erste Schritt zur Utopie wäre dann erreicht, wenn man bei einer beliebigen Tätigkeit nicht mehr klar unterscheiden kann, ob es sich nun um Geldverdienen, Politik oder Spaß handelt, oder um alles drei zugleich.

[...] Die soziale Strategie geht dahin, daß sich dieses Netz derart in der Stadt ausbreitet und verankert, daß die dort lebenden Menschen an dieser gesellschaftlichen Realität auf Dauer nicht vorbei können. Täglich werden sie mit Initiativen, Firmen, Dienstleistungen, kulturellen Angeboten und Menschen dieses mehrdimensionalen Projektes konfrontiert und müssen früher oder später Stellung beziehen. Die Chance, daß dieser Prozeß nicht zu einer Ablehnung, sondern zu einer Identifikation, wenigstens aber zu einer „positiven Toleranz“ führt, wird hier ungleich höher eingeschätzt als bei anderen, eindimensionalen libertären Projekten. Diese Tendenz soll unter anderem dadurch unterstützt werden, daß die Produkt- und Leistungspalette der einzelnen Betriebe und Initiativen nicht den Charakter der üblichen Ghettokultur trägt, sondern möglichst die „normalen“ Bedürfnisse der Bewohner wie der Projektler abdeckt. Außerdem sollen möglichst rasch Ausbildungs- und Arbeitsplätze, Wohnraum und Freizeitangebote geschaffen werden - Ansatzpunkte, um die „zweite Generation“ des Projekts bereits aus der Jugend der Stadt nachwachsen zu lassen und ihr einen Zugang zum libertären Leben zu öffnen. Die erste Generation des Projekts hingegen sollte hauptsächlich aus „zugereisten“ Aktivisten bestehen.

Die soziale Dynamik soll darin bestehen, daß ein immer dichter werdendes Netz lebendiger Anarchismen den Bewohnern dieser Kleinstadt Einblick und Zugang zu einer libertären Kultur bietet, und so den Boden für Agitation und Eigeninitiative der Menschen bereitet. Gleichgültig, ob der Zugang zu dieser „libertären Kultur“ über politische Kämpfe, ökonomische Kontakte, kulturelle Initiativen oder den Nachbarschafts- und Freizeitbereich erfolgt - die unterschiedliche Qualität der Projekt-A-Initiativen im Gegensatz zu herkömmlichen Strukturen soll einen „Aha-Effekt“ auslösen, der ein Erkennen des globalen anarchistischen Charakters auch aus dem Detail heraus ermöglicht. [...]

Im weiteren Text folgt eine Darstellung der damals noch nicht gescheiterten Umsetzung in 'N.' von September 1990.
Originaltext: Unkorrigierter Vorabdruck aus: Rolf Cantzen (Hrg.).: „Anarchismus - Was heißt das heute“. Als Broschüre erschienen im Anarchia Versand 1990.

Siehe auch

Fußnoten

  1. Vgl. Stowasser, Horst: Potemkinsche Blätter? in: Schwarze Tinte (Bulletin des Anarchistischen Dokumentationszentrums ADZ) Nr. 1, S. 14 ff., Wetzlar 1979;
    ders.: Organisieren, aber wie? in: Freie Presse Nr. 15, Wetzlar 1981;
    ders.: Zeitungsprojekt, ebd.;
    ders.: Memorandum zur Pressefrage in der libertären Bewegung, Wetzlar 1987;
    ders.: Anarchismus als Organisationsmodell der Vernetzung, in: Harms, Jens: Christentum und Anarchismus. Beiträge zu einem ungeklärten Verhältnis, Weinheim 1988;
    Jenrich, Holger: Anarchistische Presse in Deutschland 1945-1985, Grafenau 1988
  2. Gewisse Puristen neigen bisweilen mit der ihnen eigenen Überspanntheit zu der Meinung, dies sei weder möglich noch wünschenswert, da es den Menschen vom revolutionären Endziel ablenke. Diese Ansicht reduziert sich letztlich auf die Frage: „Gibt es ein Leben vor der Revolution?“ Ich würde sie bejahen.


  1. REDIRECT Vorlage:Kategorie orga