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Gratis-Mobilität
Mobilität ist ein alltägliches Grundbedürfnis und in vielfacher Hinsicht Voraussetzung, um gesellschaftlich aktiv zu sein: Reisen, Besuche bei Freunden, Transporte, Beteiligung an Protest-Veranstaltungen … all das setzt voraus, mobil zu sein. Unter kapitalistischen Verhältnissen ist die Nutzung von Fortbewegungs- und Transportmitteln aktuell weitgehend marktförmig organisiert, d.h. abhängig vom verfügbaren Geld. Zur Selbstorganisierung im Alltag, die ein Leben ohne Job und Abhängigkeit von staatlichen Geldern ermöglichen will, gehört daher auch möglichst umfassende Gratis-Mobilität - der Versuch, möglichst ohne Geld mobil zu sein.
Contents
Grundsätzliches
Eine Hürde auf dem Weg zur Selbstorganisierung ist die Zurichtung auf marktförmiges Verhalten; aufgrund ständiger Wiederholung und massiver Präsenz entfaltet sie eine extrem durchschlagende Wirkung und führt dazu, dass fast alle Menschen andere Lösungsstrategien kaum noch denken können. Der gleichzeitige Rückgang von Wissen und Fähigkeiten, um sich selbst zu organisieren, verschärft diese Tendenz und schafft auch faktische Zwänge, sich marktförmig zu verhalten.
- Einsatz von Kreativität, Planung und dem eigenen Willen zu strategischer Organisierung
- Erweiterung von Handlungsmöglichkeiten:
- Aufbau bzw. Zusammenlegung von Ressourcen (z.B. Fahrradwerkzeug, Straßenkarten)
- Aneignung von Wissen und Fähigkeiten: Vom Umgang mit Straßenkarten bis zur Reparatur der genutzten Fortbewegungsmittel
- Die Mischung macht’s - geschickte Kombinierung unterschiedlicher Fortbewegungsmittel und -strategien
Auto-Orientierung überwinden
Vielen gilt das Auto vor der eigenen Haustür oder in der eigenen Garage als Inbegriff von Selbstbestimmung: Es ist ständig verfüg- und spontan einsetzbar und verspricht Unabhängigkeit – und daran glauben fast alle Autonutzerinnen, obwohl bereits tägliche Staus als Widerlegung angesehen werden könnte. Sicherer als die Versprechen der Automobil-Lobby ist, dass Autos einer Selbstorganisierung häufig im Wege stehen: Bereits die Existenz eine Autos fördert dessen ungehemmte, universale Nutzung und ersetzt fast immer den Einsatz strategischer Planungen. Statt den eigenen Kopf anzustrengen und sich um kreative Lösungen zu bemühen, wird der Zündschlüssel umgelegt („Hirn aus, Auto an“). Diese ‚Flexibilität’ ist zudem individuell teuer erkauft und schon deshalb schwer mit dem Gratisökonomie vereinbar. Auch gesellschaftlich hat der Autoverkehr erhebliche Vorbedingungen, die oft ausgeblendet werden:
- Automobilismus als dominante Fortbewegungsform für den Personentransport braucht Herrschaft: Die weitgehenden Einschränkungen vieler Menschen, die zwangsläufig mit dem Autoverkehr verbunden sind, können nur über Herrschaftsstrukturen realisiert werden. Der gigantische Flächenverbrauch für Straßennetze, die jeder anderen Nutzung entzogen sind und einem extrem gefährlichen Raum darstellen, ist nur „von oben“ durchsetzbar. Es ist nicht vorstellbar, dass vollständig von Strassen durchzogene Städte entstehen würden, wenn z.B. Kinder nicht übergangen werden können; von ihnen ist nicht zu erwarten, dass sie einer Umgebung zustimmen, in der sie nicht mehr ohne Aufsicht und permanente Lebensgefahr spielen können. In einem gleichberechtigten, gesellschaftlichen Prozess wären auch Schnellstrassen und Autobahnen neben Wohnhäusern nicht durchsetzbar. Unter herrschaftsfrei-kooperativen Rahmenbedingen hätte eine so aggressive Mobilität kaum eine Chance.
- Individualverkehr ist eine riesige Ressourcenverschwendung: Neben dem schon erwähnten Flächenverbrauch werden für die Herstellung und den Betrieb von Autos unzählige Rohstoffe verschleudert, obwohl ein umfassendes Netz öffentlicher Verkehrsmittel viel effizienter wäre. All das setzt wiederum den herrschaftsförmigen Zugriff auf Rohstoffe und ungleiche Lebensverhältnisse voraus – die privilegierte Mobilität vor allem in den Industrienationen ist untrennbar verwoben mit Ausbeutung von ärmeren Ländern.
Selbstorganisierung ist daher immer auch ein Weg vom automobilen Individualverkehr.
Formen der Gratismobilität
Mobilität, die wenig(er) kostet
Alles umsonst? Der Rest
Beim konsequenten Ausbau von Gratis-Mobilität kann der Geldeinsatz massiv gesenkt werden; dennoch bleiben einige Situationen, welche eine völlig kostenfreie Lösung erschweren – sei es, weil der angepeilte Ort schlecht erreichbar ist oder du z.B. beim Trampen kein Klavier transportieren kannst. Unter den bestehenden Rahmenbedingungen ist es auch bei intensivem Bemühen fast unmöglich, ohne die Nutzung von automobilen Fahrzeugen auszukommen – jedenfalls so lange gesellschaftliche Alternativen zum Individualverkehr fehlen bzw. der Zugriff auf Transportmittel nicht horizontal organisiert ist. Dabei geht es im Wesentlichen um den Transport von schweren Lasten über weite Distanz. Aber auch dann sind Varianten vorstellbar, die den Einsatz von Geld und anderen Ressourcen möglichst gering halten.
Gemeinsame Nutzfahrzeuge
Denkbar ist, als Gruppe von Menschen, Verein oder offener Zusammenhang ein Fahrzeug anzuschaffen und zu unterhalten, ähnlich dem ‚Car-Sharing’. Die anfallenden Kosten werden von der gesamten Gruppe getragen; möglich ist eine gemeinsame Kasse für diesen Zweck, falls es nicht ohnehin eine gemeinsame Ökonomie gibt. Wichtig ist dabei zu klären, dass das Vehikel konsequent nur für den Lastentransport verwendet wird – denn auch bei gemeinsamer Nutzung besteht die Gefahr, dass die Verfügung über ein Auto dessen schon erwähnten universalen Gebrauch bei gleichzeitiger Abschaltung des Hirns fördert.
- Car-Sharing: European Car Sharing, Bundesverband CarSharing e.V., StattAuto, Stadtmobil
Umsonst-Treibstoff aus der Pommesbude ...
Auch ein gemeinsames Nutzfahrzeug produziert Kosten. Sehr interessant ist deshalb die Umstellung auf Pflanzenöl, welche bei Dieselfahrzeugen möglich ist. Dann ist es möglich, beispielsweise ausgesondertes Öl aus Friteusen zu nutzen, um das Nutzfahrzeug zu betreiben. Bei entsprechenden Absprachen mit gastronomischen Einrichtungen, die sich über die kostenlose Entsorgung in der Regel freuen dürften, können die Ausgaben für Treibstoff – der wesentliche Teil laufender Auto-Kosten – radikal gesenkt werden. Das ist nicht nur gratisökonomisch, sondern auch ökologisch eine vergleichsweise sinnvolle Variante: Durch die Nutzung von bereits aus der Verwertungsmaschine „ausgeschiedenem“ Pflanzenöl wird keine neue Nachfrage erzeugt. Das Fahren mit kostenlosen „Frittenfett“ ist CO2-neutral – im Gegensatz dazu ist auch Biodiesel ein extra und dabei energieaufwendig hergestellter Treibstoff. Um ein Nutzfahrzeug in ein „Pommesauto“ zu verwandeln sind meistens Umbauten am Fahrzeug nötig. Auf verschiedenen Internetseiten und Selbsthilfe-Foren werden die technischen Details genau beschrieben; darüber kann auch der direkte Kontakt zu anderen Pflanzenöl-Nutzerinnen kann hergestellt werden
Links
- Foren zu Pflanzenöl-Autos: Fahren mit Pflanzenöl, http://www.fatty-fuels.de
- Fahrzeugdatenbank
Weitere Möglichkeiten zur Kostensenkung
- Aneignung von Fähigkeiten, um Fahrzeuge eigenständig zu reparieren; es gibt zahlreiche Selbsthilfe-Foren, auf denen andere Bastlerinnen Erfahrungen bereit stellen oder Fragen beantworten.
- Anmeldung als Nutzfahrzeug, um Steuern zu sparen
Aktionen
Trampen, Schwarzfahren oder gemeinsame Lastentransporter sind Mittel, um unter den herrschenden Verhältnissen umfassende Mobilität mit hoher Unabhängigkeit zu verbinden. Sie sind damit logischerweise weder die Vorwegnahme verkehrspolitischer Utopien, noch ein verallgemeinerbarer Lebensentwurf. Die durch Gratis-Mobilität und Selbstorganisierung ‚eingesparte’ Zeit kann aber beispielsweise genutzt werden, um mittels direkten Aktionen und weiteren Elementen einer offensiven Öffentlichkeitsarbeit für allen verfügbare Gratis-Mobilität und sozial-kreative Transportsysteme zu werben bzw. Debatten darum zu erzeugen. Die Möglichkeiten kreativen Widerstands kennen dabei keine Grenzen; einige der vorstellbaren Ideen:
- Per Critical Mass, d.h. als „zufällig“ sich treffende Gruppe mit Fahrrädern, Inlinern oder unangemeldete Reclaim The Streets-Party Straßen und Plätze zurück erobern
- Ein gefälschtes Schreiben einer Beförderungsgesellschaft erklärt, dass ihre Verkehrsmittel an einen konkreten Tag kostenlos zur Verfügung stehen
- Öffentlich angekündigte Umsonst-Fahr-Tage oder Gratiszüge zu konkreten Events können viel Aufmerksamkeit schaffen
Ähnliche Seiten
- Mitschrift eines Workshops zu Gratismobilität
Links
- Artikel über anarchistische Aktionen in puncto Gratis-Mobilität